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Seit den Anfängen der englischen Shakespearekritik im späten 17. Jahrhundert wird das ursprüngliche Publikum des Dramatikers zur Interpretation seines Werks herangezogen. Über weite Strecken erklären die Theaterbesucher der englischen Renaissance zunächst das, was man für die "Schwächen" der Stücke hält. Argumentiert wird allerdings auch dahingehend, dass gerade die besondere Qualität der Dramen auf ihren Einfluss zurückzuführen sei. In beiden Fällen werden überaus unterschiedliche Vorstellungen von Zusammensetzung und Eigenart dieses Publikums vertreten - angesichts der schlechten Quellenlage…mehr

Produktbeschreibung
Seit den Anfängen der englischen Shakespearekritik im späten 17. Jahrhundert wird das ursprüngliche Publikum des Dramatikers zur Interpretation seines Werks herangezogen. Über weite Strecken erklären die Theaterbesucher der englischen Renaissance zunächst das, was man für die "Schwächen" der Stücke hält. Argumentiert wird allerdings auch dahingehend, dass gerade die besondere Qualität der Dramen auf ihren Einfluss zurückzuführen sei. In beiden Fällen werden überaus unterschiedliche Vorstellungen von Zusammensetzung und Eigenart dieses Publikums vertreten - angesichts der schlechten Quellenlage kein Wunder. Die Studie zeigt auf, dass die jeweils vertretenen Vorstellungen von den elisabethanischen Theaterbesuchern wenn überhaupt, dann nur in einem äußerst mittelbaren Verhältnis zu den verfügbaren historischen Zeugnissen stehen. Vielmehr besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem gerade aktuellen Shakespearebild und dem von dessen ursprünglichen Publikum. Diejenigen Elementedes Werkes, die eine bestimmte Phase der Rezeptionsgeschichte als erklärungs- und/oder entschuldigungsbedürftig wahrnimmt, werden auf den Einfluss der elisabethanischen Zuschauer zurückgeführt. Da diese Elemente jedoch nicht für alle Epochen dieselben sind, wandelt sich entsprechend auch das Bild von den frühneuzeitlichen Theaterbesuchern. Die Untersuchung zeichnet diesen Wandel von den Anfängen bis in unsere eigene Gegenwart hinein nach und weist auf, wie ihn Entwicklungen in der Shakespearekritik und -forschung, aber auch größere gesamtkulturelle Zusammenhänge beeinflussen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2007

Geläuterter Pöbel
Bettina Boeckers Studie über das Publikum Shakespeares
Wahrscheinlich ist Shakespeare selbst schuld, dass sich die Forschung seit nunmehr rund vierhundert Jahren ziemlich erfolglos mit der Frage abmüht, wie man sich sein Publikum vorzustellen habe. Wäre er nicht eine sich so aller Gewissheiten entziehende Figur, die so ganz hinter ihren Dramen verschwindet, dann hätten sich die Interpreten wohl nicht so hartnäckig an der Frage nach seinem Publikum aufgerieben. Wenn sich die Autorintention schon der Deutung entzieht, dann möchte man doch wenigsten wissen, wie Shakespeare von seinen Zeitgenossen verstanden wurde. Und außerdem lässt sich das Publikum wunderbar instrumentalisieren, um seine angeblichen Schwächen wegzuerklären: Die derben Späße und komischen Einlagen, erklärten uns schon klassizistisch gesonnene Kritiker, musste der arme Dramatiker in seine ansonsten edel gesinnten Stücke einbauen, um auch den Pöbel auf den billigen Plätzen bei Laune zu halten.
Dass Forscher sämtlicher Epochen das elisabethanische Publikum immer wieder zur Projektionsfläche für eigene Ambitionen machten, um ihre Fiktionen dann als Fakten zu verkaufen, macht Bettina Boeckers Studie zum Thema schnell deutlich. Sie zeigt eindrücklich, wie oft und schnell sich die Sichtweisen änderten. Auf die Klassizisten, die den verderblichen Einfluss des Pöbels beklagten, folgten Romantiker wie William Hazlitt, für den gerade die volkstümliche Nähe zum Publikum die große Stärke Shakespeares ausmachte. Über die Aufwertung des Publikums in patriotisch gefärbten Lesarten des 19. Jahrhunderts und die Wiederentdeckung der Oberschichten im elitären Modernismus geht es bis zur bedenkenlosen Inanspruchnahme der „demokratischen Bukolik” in der Nachkriegszeit, die im heterogenen Publikum ein Spiegelbild der Nation sah.
Im Detail mag das nicht neu sein, in der Zusammenschau aber ergibt sich eine spannende Geschichte. In ihr wird der Pöbel, der die Dramen mit seinen vulgären Vorlieben verdirbt, zum guten Publikum geläutert, das in seiner Komplexität für die Vielschichtigkeit von Shakespeares Stücken verantwortlich ist oder, neuer, gar zur „Instanz eines authentischen Shakespeareverständnisses”, die als Bürge für die Richtigkeit von Interpretationen in Anspruch genommen wird.
Leider macht es die Autorin dem Leser nicht immer leicht, dem Verlauf dieser Geschichte zu folgen: Überbordende Zitate, mitunter nur spärlich erläutert, bewirken einen zerfransten Leseeindruck, man wünschte sich ein Schlusskapitel, das die im Einzelnen interessanten Beobachtungen in einen übergreifenden Zusammenhang brächte. Oder wäre die Konstruktion einer stringenten Entwicklung der Rede vom Publikum selbst schon wieder Fiktion? RALF HERTEL
BETTINA BOECKER: Shakespeares elisabethanisches Publikum: Formen und Funktionen einer Fiktion der Shakespearekritik und –forschung. Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006. 280 Seiten, 74 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine tolle Geschichte erzähle Bettina Boecker da, von der Fiktion eines mal so und mal so gearteten Shakespearepublikums seitens der Kritikerzunft. Rezensent Ralf Hertel fragt sich allerdings im zweiten Atemzug, ob nicht diese Geschichte möglicherweise eine Fiktion über Fiktionen sein könne. Wie dem auch sei, die Autorin habe ihre im Detail "interessanten Beobachtungen" leider mit zu vielen Zitaten und zu wenig Erläuterungen ausgestattet. So "zerfranse", moniert der Rezensent, eine an sich "spannende" Darstellung.

© Perlentaucher Medien GmbH
"...bei dieser Studie [handelt es sich] um einen kenntnisreichen und bedeutenden Beitrag über die Funktionalisierung von Shakespeares Publikum. Böcker ist [...] ein sehr guter Wurf gelungen..."
Roland Weidle in: Anglia 125, 03/2007