Seit der Antike repräsentiert der Fluch die Gewalt des Gottesgerichts in der Sprache und changiert dabei zwischen Verkündigung und Vollzug. Auch im Übergang zur Neuzeit verschwindet dieses sakrale Supplement der Rechtsprechung nicht: Eine Abundanz von zitierten Flüchen und seiner Derivate Segen, Prophetie und Eid spielt speziell in der Genese des frühneuzeitlichen Theaters eine entscheidende Rolle. An Shakespeares Historiendramen treten solche Verstrickungen besonders prononciert hervor: Ob "Richard III" die Eucharistie und die Exkommunikation für das Theater in Beschlag nimmt, "King John" das Gottesurteil in die Warenform überführt oder "King Lear" die wuchernden Aporien des Naturrechts entfaltet - immer erweisen sich in unerwarteten Überlagerungen von Theologie-, Theater- und Rechtsgeschichte Shakespeares Performanzen des Fluchs als ideale Leitfossilien einer von ihren mythischen Latenzen überwältigten Säkularisierung
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2009Wen Flucher rühren
Auf Shakespeares Grab in Stratford-upon-Avon in der Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit findet sich ein kleiner Denkvers, der jeden, der an die Knochen des Verstorbenen zu rühren wagt, verflucht: "And cursed be he that moves my bones." Der Spruch ist gut gewählt. In Rollenrede die Person und Stimme des alten Bühnenmagiers heraufbeschwörend, gemahnt er uns trotz schlichter Diktion an dessen große Charaktere, die oftmals auch machtvolle Flucher und Verwünscher sind. Zumal seine Königsfiguren aus dem Frühwerk, aber auch spätere Theaterherrscher wie der greise König Lear gewinnen viel von ihrer charismatischen Kraft und Wirkung, indem sie Bannflüche verhängen, Schwüre leisten oder einfordern, Eidesformeln vorgeben, Prophezeiungen ausstoßen oder Segen spenden - und damit das Gesagte gleich zur Wirklichkeit erheben. Denn wer so sprechen kann, interpretiert die Welt nicht einfach anders, sondern der verändert sie. Und wer es daher wagt, derart weltschaffende Sprechakte ins Spiel der Bühnenwirklichkeit zu bringen, setzt seine Kunst in ein prekäres Spannungsfeld aus göttlich sanktionierter Fluchgewalt, wie Adam und Eva sie erstmals erfahren mussten, und einem konventionalisierten Zeichenglauben, der Wörter nur wie das Papiergeld gelten lässt. Dieses Feld ist Gegenstand von Björn Quirings spannender, sehr anspruchsvoller und weit ausgreifender Studie, vor zwei Jahren mit dem Martin-Lehnert-Preis der Deutschen Shakespeare-Stiftung ausgezeichnet. Am Beispiel von "Richard III", "King John" und "King Lear" untersucht sie die Shakespeare-Bühne als eine säkulare Anstalt, in der sich vielfach Echos rituell-religiöser Rede brechen. Nach dieser Lektüre klingen viele Worte der vertrauten Dramen anders. (Björn Quiring: "Shakespeares Fluch". Die Aporien ritueller Exklusion im Königsdrama der englischen Renaissance. Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 281 S., br., 34,90 [Euro].) todö
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Auf Shakespeares Grab in Stratford-upon-Avon in der Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit findet sich ein kleiner Denkvers, der jeden, der an die Knochen des Verstorbenen zu rühren wagt, verflucht: "And cursed be he that moves my bones." Der Spruch ist gut gewählt. In Rollenrede die Person und Stimme des alten Bühnenmagiers heraufbeschwörend, gemahnt er uns trotz schlichter Diktion an dessen große Charaktere, die oftmals auch machtvolle Flucher und Verwünscher sind. Zumal seine Königsfiguren aus dem Frühwerk, aber auch spätere Theaterherrscher wie der greise König Lear gewinnen viel von ihrer charismatischen Kraft und Wirkung, indem sie Bannflüche verhängen, Schwüre leisten oder einfordern, Eidesformeln vorgeben, Prophezeiungen ausstoßen oder Segen spenden - und damit das Gesagte gleich zur Wirklichkeit erheben. Denn wer so sprechen kann, interpretiert die Welt nicht einfach anders, sondern der verändert sie. Und wer es daher wagt, derart weltschaffende Sprechakte ins Spiel der Bühnenwirklichkeit zu bringen, setzt seine Kunst in ein prekäres Spannungsfeld aus göttlich sanktionierter Fluchgewalt, wie Adam und Eva sie erstmals erfahren mussten, und einem konventionalisierten Zeichenglauben, der Wörter nur wie das Papiergeld gelten lässt. Dieses Feld ist Gegenstand von Björn Quirings spannender, sehr anspruchsvoller und weit ausgreifender Studie, vor zwei Jahren mit dem Martin-Lehnert-Preis der Deutschen Shakespeare-Stiftung ausgezeichnet. Am Beispiel von "Richard III", "King John" und "King Lear" untersucht sie die Shakespeare-Bühne als eine säkulare Anstalt, in der sich vielfach Echos rituell-religiöser Rede brechen. Nach dieser Lektüre klingen viele Worte der vertrauten Dramen anders. (Björn Quiring: "Shakespeares Fluch". Die Aporien ritueller Exklusion im Königsdrama der englischen Renaissance. Wilhelm Fink Verlag, München 2009. 281 S., br., 34,90 [Euro].) todö
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