Die Stoffe der Tragödien stammen aus der Wirklichkeit - der Komödiendichter hingegen erschafft seine Figuren in ihrer Gesellschaft mit allen Beziehungskonflikten und glücklichen Erfüllungen aus der reinsten Phantasie; seine Stoffe sind Erfindungen des freiesten Geistes für eine Welt der Möglichkeiten, die noch nicht wirklich sind. In Shakespeare und seinen Menschen, diesen »natürlichen und doch geheimnisvollsten und zusammengesetztesten Geschöpfen der Natur« (Goethe), hat die Komödie ihre höchsten Gipfel erreicht, für Hegel die Erfüllung der Weltgeschichte, »von der sie selbst die schönste Seite und den besten Lohn für die sauren Mühen der Erkenntnis ausmacht.« Jede der Shakespeareschen Komödien hat ihre eigene Gestalt, ihre eigene poetische und dramaturgische Physiognomie, die sowohl ein möglichst genaues als auch ein sehr spezifisches Sich-Einlassen auf jeweils ein Stück nahelegen, den sorgfältigen Leser und die Leserin dafür aber aufs Reichste belohnen mit Einsichten und Erkenntnissen über das Menschliche, wie sie nur die Dichtung vermittelt. Shakespeare gehört natürlich auf die Bühne - aber die Vieldimensionalität und die Komplexität, die sich unter der emotional anrührenden und komödiantischen Oberfläche auch noch der geglücktesten Aufführung verbergen, beginnen sich erst einer über die reichhaltige Interpretationsliteratur vermittelten Lektüre zu erschließen. Zu diesen Dimensionen gehört auch eine politische, die aber gerade dadurch ausgezeichnet ist, dass sie Politik als Umgang mit Macht, Herrschaft und Gewalt, wie sie den Tragödien und Historien zugrunde liegt, zugunsten eines radikal anderen, eines im Reiche der Freiheit möglichen Verständnisses des Politischen transzendiert und überwindet.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Sehr sympathisch findet Burkhard Müller die Leidenschaft, mit der sich Ekkehart Krippendorff Shakespeares Komödien zuwendet. Als erfrischend lobt er, dass sich der emeritierte Politologe dabei nicht allzu sehr von der Literaturwissenschaft beeindrucken lässt, wenn er die Forschungsliteratur auch nicht außer Acht lässt. Nicht allen Einschätzungen des Autors will der Rezensent folgen. Beispielsweise bleibt Müller skeptisch, was den vom Autor behaupteten demokratischen Gehalt der Komödien angeht. Überhaupt hat er das Gefühl, dass etwa der Plot des Stückes "Maß für Maß", dem der Autor Aktualität zuzusprechen versucht, heute kaum mehr nachvollziehbar ist. Trotzdem stellt der Rezensent angetan fest, dass Krippendorff das, was heutige Theaterbesucher an den Komödien ansprechen kann, bestens herausarbeitet und hier sieht er auch das Verdienst des Buches.
© Perlentaucher Medien GmbH
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