Sprache kann eine Wirkmacht entfalten, der wir uns unterworfen fühlen, und zugleich die Möglichkeit eröffnen, uns mit ihrer Hilfe frei zu machen von Unterwerfung, Ohnmacht, Missbrauch. Indem wir diese zur Sprache bringen. Dafür braucht es kein Denunzieren, schon bloßes Benennen kann befreiend wirken. Im Benennen das Vorgefundene da sein lassen, um es im selben Atemzug abzulauschen, abzuklopfen nach Sollbruchstellen, Verwerfungen, Rissen. The crack is where the light gets in. Das Belichtete dahinter mag selbst sprachlos sein, hervorgeholt werden kann es durch solche Risse wiederum nur mit oder als Sprache, als eine womöglich ältere, abgelegte, verbannte, eingekapselte, einst verworfene, die sich gegen die herrschende Oberfläche nun in Stellung bringen lässt durch die Arbeit des Schrift-Stellens. Es ist eine Arbeit mit Sprache gegen Sprache, eine Arbeit am unausweichlichen Dilemma: Wir rufen ausgerechnet jene Instanz um Beistand an, in deren Namen wir missbraucht wurden und immer noch werden. Denn wir brauchen, wir missen, was uns schindet, was uns schändet. Eine vorgefundene, vorherrschende Macht, die uns von Kindheit an Sprache einflößt, einflüstert, eintrichtert, bis wir sie für unsere eigene, einzig sprechbare hielten. Im innigen Nachsprechen, im ständig innehaltenden Verstammeln können wir diese Sprache gegen sie gebrauchen. Im bewussten, nur scheinbar sinnlos kindlichen Nachplappern holen wir uns die Chance zurück, uns noch einmal zu erfinden, uns wiederzufinden. Wieder und wieder Worte zerstotternd mag es gelingen, uns Momente von Freisein wiederzuholen. Ohne der Sprache je zu entkommen. Solcherart ist mein Schreiben.- Reinhard Reich