Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2003DAS HÖRBUCH
Tief empfunden
Ulrike Grote liest „Shanghai Baby”
von Wei Hui
Am Ende des Vorspiels geschieht im James-Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag” etwas Ungewöhnliches: 007 gerät in Gefangenschaft und wird, für die Dauer des Titelsongs, gefoltert. Man sieht ihn immer wieder in einer nassen Zelle auf die Knie geschleudert, Augenblicke der Erholung, nachdem man ihn in Eiswasser fast ertränkt oder mit Skorpionen fast vergiftet hat. Der Agent kann sich glücklich schätzen: Seine Peiniger sind nicht auf die Idee gekommen, ihn mit der Hörbuchfassung von Wei Huis Roman „Shanghai Baby” zu beschallen.
Es geht darin um Folgendes: Die 25-jährige Schriftstellerin Coco verliebt sich in Tian Tian, der leider impotent ist. Also lässt sie sich bereitwillig von einem blonden Recken aus Berlin verführen und pendelt nun zwischen den beiden Männern, zwischen Liebe und Sex. So banal die Story, so sehr ist das Buch angefüllt mit Kitsch, Klischees und Plattitüden, mit altbackenen Bildern und Vergleichen. Der Chinese hat Augen „wie ein Gedicht”, der Deutsche blickt „schlau wie ein Fuchs”. Wenn dieser in sie „eindringt, brechen alle Dämme” und sie „schwebt vor Glück”. Man ahnt es: Er „raubt die Besinnung”. Was sie tut, tut sie nicht einfach aus Liebe, sondern aus „tief empfundener Liebe”. In dem Roman, an dem sie arbeitet, will sie „ganz einfach die Wahrheit” sagen. Was wohl die Mindestanforderung an jemanden ist, dessen erstes Buch für den Tierschutzbund geschrieben scheint: „Der Schrei des Schmetterlings”. Dass es auch darin um Sex geht, macht die Sache noch prekärer.
Die Art, wie Ulrike Grote „Shanghai Baby” vorliest, macht all das nicht besser. Im Gegenteil. Sie ist nicht in der Lage, den unterschiedlichen Stimmen eine je eigene Farbe zu verleihen. Sie neigt lediglich dazu, Männerstimmen eine Oktave höher anzusiedeln als Frauenstimmen. Aber nicht nur den Figuren fehlt jeder Charakter, auch die nicht-dialogischen Passagen werden, vor allem zu Beginn, mit fast ausdruckslosem Ton vorgetragen. Im Laufe der Zeit entdeckt Grote, dass man durch Stimmfärbung auch Gefühle transportieren kann, leider. Denn sie kennt nur ein Gefühl: Das Leid. Und so jammert und seufzt es irgendwann an jeder passenden und unpassenden Stelle. Zum Steinerweichen. Der Rezensent allerdings ist nicht um Gnade flehend auf die Knie gegangen, da war die Stopptaste des CD-Spielers davor. Aus der vierstündigen Fassung wurde auf diese Weise ein dreitägiger Leidensweg. TOBIAS LEHMKUHL
WEI HUI: Shanghai Baby. Gelesen von Ulrike Grote, Ullstein Verlag, München 2002. 4 CD, 300 Minuten, 24 Euro.
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Tief empfunden
Ulrike Grote liest „Shanghai Baby”
von Wei Hui
Am Ende des Vorspiels geschieht im James-Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag” etwas Ungewöhnliches: 007 gerät in Gefangenschaft und wird, für die Dauer des Titelsongs, gefoltert. Man sieht ihn immer wieder in einer nassen Zelle auf die Knie geschleudert, Augenblicke der Erholung, nachdem man ihn in Eiswasser fast ertränkt oder mit Skorpionen fast vergiftet hat. Der Agent kann sich glücklich schätzen: Seine Peiniger sind nicht auf die Idee gekommen, ihn mit der Hörbuchfassung von Wei Huis Roman „Shanghai Baby” zu beschallen.
Es geht darin um Folgendes: Die 25-jährige Schriftstellerin Coco verliebt sich in Tian Tian, der leider impotent ist. Also lässt sie sich bereitwillig von einem blonden Recken aus Berlin verführen und pendelt nun zwischen den beiden Männern, zwischen Liebe und Sex. So banal die Story, so sehr ist das Buch angefüllt mit Kitsch, Klischees und Plattitüden, mit altbackenen Bildern und Vergleichen. Der Chinese hat Augen „wie ein Gedicht”, der Deutsche blickt „schlau wie ein Fuchs”. Wenn dieser in sie „eindringt, brechen alle Dämme” und sie „schwebt vor Glück”. Man ahnt es: Er „raubt die Besinnung”. Was sie tut, tut sie nicht einfach aus Liebe, sondern aus „tief empfundener Liebe”. In dem Roman, an dem sie arbeitet, will sie „ganz einfach die Wahrheit” sagen. Was wohl die Mindestanforderung an jemanden ist, dessen erstes Buch für den Tierschutzbund geschrieben scheint: „Der Schrei des Schmetterlings”. Dass es auch darin um Sex geht, macht die Sache noch prekärer.
Die Art, wie Ulrike Grote „Shanghai Baby” vorliest, macht all das nicht besser. Im Gegenteil. Sie ist nicht in der Lage, den unterschiedlichen Stimmen eine je eigene Farbe zu verleihen. Sie neigt lediglich dazu, Männerstimmen eine Oktave höher anzusiedeln als Frauenstimmen. Aber nicht nur den Figuren fehlt jeder Charakter, auch die nicht-dialogischen Passagen werden, vor allem zu Beginn, mit fast ausdruckslosem Ton vorgetragen. Im Laufe der Zeit entdeckt Grote, dass man durch Stimmfärbung auch Gefühle transportieren kann, leider. Denn sie kennt nur ein Gefühl: Das Leid. Und so jammert und seufzt es irgendwann an jeder passenden und unpassenden Stelle. Zum Steinerweichen. Der Rezensent allerdings ist nicht um Gnade flehend auf die Knie gegangen, da war die Stopptaste des CD-Spielers davor. Aus der vierstündigen Fassung wurde auf diese Weise ein dreitägiger Leidensweg. TOBIAS LEHMKUHL
WEI HUI: Shanghai Baby. Gelesen von Ulrike Grote, Ullstein Verlag, München 2002. 4 CD, 300 Minuten, 24 Euro.
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