Produktdetails
- Verlag: Edition Stemmle
- Seitenzahl: 132
- Deutsch, Chinesisch
- Abmessung: 305mm
- Gewicht: 1658g
- ISBN-13: 9783908163008
- ISBN-10: 3908163005
- Artikelnr.: 24939773
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2000Wie Stechmücken auf porenloser Haut - Fotografien von Schanghai und seinen nahezu unsichtbaren Bewohnern
Ein Acker aus Schutt und Geröll. Was hier bald wachsen und Frucht tragen soll, ist im Hintergrund bereits zu sehen: Beton, Stahl und Glas. Die Planungen für Hochhäuser, Bürotürme und Aufsehen erregende Gebäude wie den 420 Meter hohen Jin Mao Tower werden in Schanghai auch im neuen Jahrtausend nicht mit weniger Ehrgeiz betrieben. In spätestens zehn Jahren will die Stadt, traditionell Chinas Tor zum Westen, sich zu einer global city, einem führenden internationalen Finanz-, Wirtschafts- und Handelszentrum entwickelt haben. Was die Volksrepublik bei den Feiern zu ihrem fünfzigjährigen Bestehen im vorigen Jahr noch nicht vorweisen konnte, soll dann Realität sein: eine internationale Metropole auf chinesischem Boden.
Welcher Anstrengungen es dazu bedarf, welche baulichen und sozialen Umwälzungen den Einwohnern dieser Stadt zugemutet werden, läßt sich allenfalls erahnen. Aber wenn Schanghais Architektur ein Modell für die Metropolen der Zukunft sein sollte, dann könnte das einundzwanzigste Jahrhundert das Säkulum der Stadtflucht werden: Menschen, so scheinen die Fotografien der Schweizer Fotografen Ferit Kuyas und Edy Brunner ausdrücken zu wollen, sind hier nicht mehr anzutreffen. Die dreizehn bis siebzehn Millionen Menschen, die heute in Schanghai leben, führen vor allem auf Brunners Bildern eine Existenz unterhalb der Sichtbarkeitsgrenze: Sie gleichen Mikroorganismen in einem unendlich größeren Körper.
Die Fotografien von Kuyas und Brunners beschreiben diesen Körper: ein kalter Leib in einem Panzer aus Stahl und Glas, eine durch und durch selbstbezügliche Architektur, die Feindseligkeit ausstrahlt und die Bewohner durch schiere Größe einschüchtert. Immer wieder zeigen die beiden Schweizer Fotografen leere Stadträume oder isolieren einzelne Passanten vor monumentalen Kulissen. Zu den beindruckendsten Bildern des Bandes zählt eine Aufnahme Brunners, die zwei Fensterputzer am gläsernen Leib eines Wolkenkratzers zeigt: winzige Stechmücken auf einer porenlosen Oberfläche. Notdürftigen Halt haben die Parasiten auf der glatten Haut zwar gefunden, aber Blut oder gar Nektar lässt sich hier nicht saugen.
Doch nicht alle Bilder dieses beeindruckenden Fotobandes zeigen Schanghai als menschenverschlingende Metropole. In dramaturgisch gelungenem Gegensatz zu Kuyas'und Brunners Bildern der Einsamkeit stehen die Aufnahmen, mit denen Marco Paoluzzo den Mikroorganismen in der Stadt nachspürt. Auf seinen Bildern scheint das Verhältnis zwischen Mensch und Architektur eine Umkehrung erfahren zu haben. Die Gesichter der Bewohner bestimmen das Bild, die ungeheuren Ausmaße der Bauten sind auf menschliches Maß geschrumpft: Sie dienen als Kulisse für Erinnerungsfotos von Touristen und einheimischen Ausflüglern. Die jungen Frauen auf dem Huangpu River oder die Soldaten, die auf der Yangpu Bridge in die Kamera des Schweizer Fotografen lächeln, könnten jedoch genauso gut vor den Pyramiden oder dem Eiffelturm stehen. Sie halten den Augenblick fest, in dem sie sich in eine fremde Umgebung einfügen, die sie bald wieder verlassen werden. Erst auf den letzten Seiten des Bandes wird das Leben von Schanghai sichtbar: Menschen in Geschäften und Restaurants, beim Friseur, an der Haltestelle. Alltagsszenen, die beweisen, dass die Menschen sich überall, auf der Welt langsamer ändern, als die Städte, die sie erschaffen. (Ferit Kuyas, Edy Brunner, Marco Paoluzzo: "Schanghai". Mit einem Vorwort von Urs Morf und einem Essay von Wang Anyi. Edition Stemmle, Thalwil 1999. 132 S., geb., Abb., 128,- DM.)
HUBERT SPIEGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein Acker aus Schutt und Geröll. Was hier bald wachsen und Frucht tragen soll, ist im Hintergrund bereits zu sehen: Beton, Stahl und Glas. Die Planungen für Hochhäuser, Bürotürme und Aufsehen erregende Gebäude wie den 420 Meter hohen Jin Mao Tower werden in Schanghai auch im neuen Jahrtausend nicht mit weniger Ehrgeiz betrieben. In spätestens zehn Jahren will die Stadt, traditionell Chinas Tor zum Westen, sich zu einer global city, einem führenden internationalen Finanz-, Wirtschafts- und Handelszentrum entwickelt haben. Was die Volksrepublik bei den Feiern zu ihrem fünfzigjährigen Bestehen im vorigen Jahr noch nicht vorweisen konnte, soll dann Realität sein: eine internationale Metropole auf chinesischem Boden.
Welcher Anstrengungen es dazu bedarf, welche baulichen und sozialen Umwälzungen den Einwohnern dieser Stadt zugemutet werden, läßt sich allenfalls erahnen. Aber wenn Schanghais Architektur ein Modell für die Metropolen der Zukunft sein sollte, dann könnte das einundzwanzigste Jahrhundert das Säkulum der Stadtflucht werden: Menschen, so scheinen die Fotografien der Schweizer Fotografen Ferit Kuyas und Edy Brunner ausdrücken zu wollen, sind hier nicht mehr anzutreffen. Die dreizehn bis siebzehn Millionen Menschen, die heute in Schanghai leben, führen vor allem auf Brunners Bildern eine Existenz unterhalb der Sichtbarkeitsgrenze: Sie gleichen Mikroorganismen in einem unendlich größeren Körper.
Die Fotografien von Kuyas und Brunners beschreiben diesen Körper: ein kalter Leib in einem Panzer aus Stahl und Glas, eine durch und durch selbstbezügliche Architektur, die Feindseligkeit ausstrahlt und die Bewohner durch schiere Größe einschüchtert. Immer wieder zeigen die beiden Schweizer Fotografen leere Stadträume oder isolieren einzelne Passanten vor monumentalen Kulissen. Zu den beindruckendsten Bildern des Bandes zählt eine Aufnahme Brunners, die zwei Fensterputzer am gläsernen Leib eines Wolkenkratzers zeigt: winzige Stechmücken auf einer porenlosen Oberfläche. Notdürftigen Halt haben die Parasiten auf der glatten Haut zwar gefunden, aber Blut oder gar Nektar lässt sich hier nicht saugen.
Doch nicht alle Bilder dieses beeindruckenden Fotobandes zeigen Schanghai als menschenverschlingende Metropole. In dramaturgisch gelungenem Gegensatz zu Kuyas'und Brunners Bildern der Einsamkeit stehen die Aufnahmen, mit denen Marco Paoluzzo den Mikroorganismen in der Stadt nachspürt. Auf seinen Bildern scheint das Verhältnis zwischen Mensch und Architektur eine Umkehrung erfahren zu haben. Die Gesichter der Bewohner bestimmen das Bild, die ungeheuren Ausmaße der Bauten sind auf menschliches Maß geschrumpft: Sie dienen als Kulisse für Erinnerungsfotos von Touristen und einheimischen Ausflüglern. Die jungen Frauen auf dem Huangpu River oder die Soldaten, die auf der Yangpu Bridge in die Kamera des Schweizer Fotografen lächeln, könnten jedoch genauso gut vor den Pyramiden oder dem Eiffelturm stehen. Sie halten den Augenblick fest, in dem sie sich in eine fremde Umgebung einfügen, die sie bald wieder verlassen werden. Erst auf den letzten Seiten des Bandes wird das Leben von Schanghai sichtbar: Menschen in Geschäften und Restaurants, beim Friseur, an der Haltestelle. Alltagsszenen, die beweisen, dass die Menschen sich überall, auf der Welt langsamer ändern, als die Städte, die sie erschaffen. (Ferit Kuyas, Edy Brunner, Marco Paoluzzo: "Schanghai". Mit einem Vorwort von Urs Morf und einem Essay von Wang Anyi. Edition Stemmle, Thalwil 1999. 132 S., geb., Abb., 128,- DM.)
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In seiner kurzen Kritik erzählt Andreas Breitenstein eigentlich mehr über die neuen Wolkenkratzer und Hochstrassen oder - in seinen Worten - den "postmodernen Konstruktionsrausch" in Shanghai als über den Bildband. Da ihn aber offenbar das Buch zu seinen Beschreibungen angeregt hat, muß man diese wohl als Kompliment verstehen. Immerhin nennt er den Band einen "wohlkomponierten, grossformatigen", und das ist doch immerhin ein halbes Lob.
© Perlentaucher Medien GmbH
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