Als Fortsetzung des Werkes "MEGALOPOLIS SHANGHAI" aus den Jahren 2002 bis 2006, porträtieren Horst und Daniel Zielske mit dem neuen Fotokunstband "SHANGHAI II" den beispiellosen rasanten Wandel und die Veränderungen der Megametropole Shanghai. Im Mittelpunkt stehen Architektur und Stadtplanung dieser asiatischen Metropole, ein von Menschen gestalteter urbaner Raum in gigantischen Dimensionen - eine spektakuläre Dokumentation futuristischer Architektur, die zugleich das alte Shanghai, den Wandel und das Arrangement der Menschen mit der Moderne aufzeigt. Brillanter Kunstbildband. 48 Bildtafeln. Zeitgenössische Fotokunst. Geleitwort von Andreas Hallaschka, Chefredakteur der Reisezeitschrift "Merian". Außergewöhnliches Großformat
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2009Das Glück kennt keine Wehmut
Ist Schanghai das Herz des einundzwanzigsten Jahrhunderts? Oder ist es das Babel unserer Zeit? Wir wissen es noch nicht.
Von Horst und Daniel Zielske (Fotografien) und Jakob Strobel y Serra (Text)
Schanghai ist Zivilisation im Zeitraffer, eine Fortschrittsphantasmagorie aus Stein und Stahl, die Erschaffung einer neuen Stadt aus sich selbst, errichtet von zwei, drei, vier Millionen Wanderarbeitern für fünfzehn, zwanzig, dreißig Millionen Menschen. Schanghai ist eine Megalopolis im permanenten Quantensprung, die jeden Morgen mit einem anderen Gesicht aufwacht, weil sie nachts nicht schläft, sondern wächst, die sich in die Höhe schleudert und in die Tiefe bohrt, die Schnellstraßen in ihr eigenes Fleisch schneidet, ohne vor Schmerz mit der Wimper zu zucken, die ganze Stadtteile mit einem Federstrich auslöscht ohne einen Gedanken der Wehmut, weil sie keine Wurzeln hat wie Peking, keine Gründungspfeiler der Vergangenheit, sondern keinen anderen Daseinstreibstoff als das Glücksversprechen der Zukunft. Schanghai ist das pochende Herz des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es ist der aufregendste Ort der Welt.
Seit China die Wirtschaftskraft seines Milliardenvolkes wie einen Laserstrahl auf das Delta des Yangtse richtet, ist dort ein Wunderwald aus Wolkenkratzern entstanden, nicht Dutzende wie in den europäischen Metropolen, nicht Hunderte wie in amerikanischen Städten, sondern Tausende, Abertausende, eine Stelenarmee des grenzenlosen, furchteinflößenden Selbstbewusstseins. Es zwingt den Betrachter zur Fassungslosigkeit, in die sich wie ein fernes Echo der Zweifel am Unfassbaren mischt: Ist diese Stadt vielleicht doch nur ein Turmbau zu Babel, ein Tanz auf dem Vulkan der Zukunftshörigkeit, Hochmut und Hybris, die eines Tages Rechenschaft ablegen muss über ihren eigenen Irrwitz? Ist die Weltwirtschaftskrise, die nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte auch das starke, stolze China in ihren Strudel gerissen hat, das erste Menetekel für die Verwundbarkeit, die Endlichkeit des Booms? Ist Schanghai nichts anderes als eine Schimäre aus gehärtetem Stahl?
Noch scheint Schanghai allem zu trotzen, noch aber ist Schanghai lange nicht bereit für den Untergang, sondern nicht so weit, noch ist es urbane Urmasse, längst nicht erkaltet, längst nicht begreifbar. Was hat hier Bestand, was ist Episode? Hochhäuser, die vor zwanzig Jahren scheinbar für die Ewigkeit gebaut wurden, reißt man heute nieder, um Platz zu schaffen für prunksüchtige Paläste der Vertikalen, die in zwanzig Jahren zertrümmert werden. Schanghai wächst nicht mit der Genügsamkeit von Geschichte, nicht Jahresring für Jahresring, wie wir es gewohnt sind, es verstört mit seinem Tempo, seiner radikalen Komprimierung von Zeit. Nur den beiden Kronen der Schanghaier Silhouette traut man zu, diesen Zukunftsrausch heil zu überstehen: dem 492 Meter hohen World Financial Center, dem dritthöchsten Hochhaus der Erde, und vor allem seinem unmittelbaren Nachbarn, dem Jin Mao Tower, dem allerschönsten Hochhaus der Welt, einem schlanken, mit der Formensprache einer Pagode spielenden Giganten, der mit seiner megalomanischen Höhe von 420 Metern niemanden einschüchtern will, sondern sich fast schüchtern ein filigranes Edelstahlnetz wie ein leichtes Sommerkleid über den gläsernen Leib wirft, ein Kostüm wie aus Gaze, das den Turm schweben lässt, als sei er nicht von dieser Welt, als sei ganz Schanghai nur ein Traum- und Trugbild, näher liegt nichts.
Der Jin Mao Tower ist die Selbstvergewisserung in Schanghais Skyline, dass es keine gute alte Zeit zu verlieren gibt. Denn das Alte ist nicht gut. Schlecht war das Leben früher, schlecht sind die Longtangs, die zweistöckigen Häuserblocks, die sich wie Unterholz zwischen den Wolkenkratzern ducken, eine düstere, labyrinthische Welt, zu Wohnhöhlen zusammengepferchte Häuser, in denen Licht das kostbarste Gut ist, kostbarer noch als Intimität, und vor deren Fenstern die Wäsche zum Trocknen grau und bleich im Smog des Fortschritts hängt, der lange schon seine Unschuld verloren hat.
Doch es gibt auch ein gutes Gestern, den süßen Duft der Vergangenheit, das Parfüm der Verklärung. Es breitet sich mit sandsteinstolzer Grandezza am Bund aus, dem großen Boulevard am Huangpu-Fluss. Hier drängen sich die Prachtbauten der Kolonialmächte, die Schanghai einst zur Welthauptstadt des Glücksrittertums erkoren hatten. Noch hausen in vielen der Paläste Staatsbehörden mit ihrem Resopal-Muff, doch die neue Lust am Luxus vertreibt sie aus einem nach dem anderen. Die Kleinbauernbanken müssen Cartier und Kenzo weichen, die Mao-Anzugsträger der Mango-Boutique. Statt des harten Brotes revolutionärer Tugendhaftigkeit werden in Gourmetrestaurants Dekadenzen wie mit parfümiertem Reis gefüllte Lotusblüten serviert. In den schwülstigen Bars hocken die Schönen der Nacht mit ihren tellergroßen Sonnenbrillen wie die Hühner auf der Stange, während der Moët & Chandon in Magnumflaschen weggeht wie im Hofbräuhaus die Maß Bier. Dass Schanghai beim Champagner kokett seine Vergangenheit als Lasterhöhle beschwört, ist indes ein Trugschluss alteuropäischer Nostalgiker, die ihren Malraux zu schwärmerisch gelesen haben. Diese Stadt ist grenzenlos unsentimental und bedingungslos zukunftshörig. Ihre Geschichte ist für sie nur Kulisse und das Alte kein Wert an sich, bestenfalls glänzendes Ornament.
Manchmal aber ist Schanghai auch das: Das Strahlen des Schanghaier Optimismus kämpft gegen das seltsam stumpfe Licht des Himmels über der Stadt, der ausgelaugt zu sein scheint, als hätte die Megalopolis ihre gefräßigen Wurzeln nicht nur tief in den Boden geschlagen, sondern auch in die Wolken und sie blass gemolken. Selbst der Himmel kapituliert vor diesem Schanghai, diesem brodelnden Topf des Schicksals, einer Stadt wie ein Urknall, die ihre Kraft und Wucht aus einem einzigen Verlangen schöpft: der Gier nach Glück. Die Menschen wollen um jeden Preis heraus aus ihren Wohngefängnissen mit den vergitterten Balkonen, um Quartier zu beziehen in den goldenen Käfigen der strahlenden Hochhäuser, am liebsten heute noch, allerspätestens aber morgen, aller Krisen zum Trotz. Das ist das Fundament des Babels unserer Zeit, ein einziges Glaubensbekenntnis der menschlichen Allmächtigkeit. Wir sehen es staunend, schaudernd.
"Shanghai 2" von Horst und Daniel Zielske. Verlag Wolfgang Kunth, München 2009. 112 Seiten, zahlreiche Farbfotografien. Gebunden, 68 Euro. Der vorliegende Text ist das Vorwort des Buches.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ist Schanghai das Herz des einundzwanzigsten Jahrhunderts? Oder ist es das Babel unserer Zeit? Wir wissen es noch nicht.
Von Horst und Daniel Zielske (Fotografien) und Jakob Strobel y Serra (Text)
Schanghai ist Zivilisation im Zeitraffer, eine Fortschrittsphantasmagorie aus Stein und Stahl, die Erschaffung einer neuen Stadt aus sich selbst, errichtet von zwei, drei, vier Millionen Wanderarbeitern für fünfzehn, zwanzig, dreißig Millionen Menschen. Schanghai ist eine Megalopolis im permanenten Quantensprung, die jeden Morgen mit einem anderen Gesicht aufwacht, weil sie nachts nicht schläft, sondern wächst, die sich in die Höhe schleudert und in die Tiefe bohrt, die Schnellstraßen in ihr eigenes Fleisch schneidet, ohne vor Schmerz mit der Wimper zu zucken, die ganze Stadtteile mit einem Federstrich auslöscht ohne einen Gedanken der Wehmut, weil sie keine Wurzeln hat wie Peking, keine Gründungspfeiler der Vergangenheit, sondern keinen anderen Daseinstreibstoff als das Glücksversprechen der Zukunft. Schanghai ist das pochende Herz des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Es ist der aufregendste Ort der Welt.
Seit China die Wirtschaftskraft seines Milliardenvolkes wie einen Laserstrahl auf das Delta des Yangtse richtet, ist dort ein Wunderwald aus Wolkenkratzern entstanden, nicht Dutzende wie in den europäischen Metropolen, nicht Hunderte wie in amerikanischen Städten, sondern Tausende, Abertausende, eine Stelenarmee des grenzenlosen, furchteinflößenden Selbstbewusstseins. Es zwingt den Betrachter zur Fassungslosigkeit, in die sich wie ein fernes Echo der Zweifel am Unfassbaren mischt: Ist diese Stadt vielleicht doch nur ein Turmbau zu Babel, ein Tanz auf dem Vulkan der Zukunftshörigkeit, Hochmut und Hybris, die eines Tages Rechenschaft ablegen muss über ihren eigenen Irrwitz? Ist die Weltwirtschaftskrise, die nach dem Zusammenbruch der Finanzmärkte auch das starke, stolze China in ihren Strudel gerissen hat, das erste Menetekel für die Verwundbarkeit, die Endlichkeit des Booms? Ist Schanghai nichts anderes als eine Schimäre aus gehärtetem Stahl?
Noch scheint Schanghai allem zu trotzen, noch aber ist Schanghai lange nicht bereit für den Untergang, sondern nicht so weit, noch ist es urbane Urmasse, längst nicht erkaltet, längst nicht begreifbar. Was hat hier Bestand, was ist Episode? Hochhäuser, die vor zwanzig Jahren scheinbar für die Ewigkeit gebaut wurden, reißt man heute nieder, um Platz zu schaffen für prunksüchtige Paläste der Vertikalen, die in zwanzig Jahren zertrümmert werden. Schanghai wächst nicht mit der Genügsamkeit von Geschichte, nicht Jahresring für Jahresring, wie wir es gewohnt sind, es verstört mit seinem Tempo, seiner radikalen Komprimierung von Zeit. Nur den beiden Kronen der Schanghaier Silhouette traut man zu, diesen Zukunftsrausch heil zu überstehen: dem 492 Meter hohen World Financial Center, dem dritthöchsten Hochhaus der Erde, und vor allem seinem unmittelbaren Nachbarn, dem Jin Mao Tower, dem allerschönsten Hochhaus der Welt, einem schlanken, mit der Formensprache einer Pagode spielenden Giganten, der mit seiner megalomanischen Höhe von 420 Metern niemanden einschüchtern will, sondern sich fast schüchtern ein filigranes Edelstahlnetz wie ein leichtes Sommerkleid über den gläsernen Leib wirft, ein Kostüm wie aus Gaze, das den Turm schweben lässt, als sei er nicht von dieser Welt, als sei ganz Schanghai nur ein Traum- und Trugbild, näher liegt nichts.
Der Jin Mao Tower ist die Selbstvergewisserung in Schanghais Skyline, dass es keine gute alte Zeit zu verlieren gibt. Denn das Alte ist nicht gut. Schlecht war das Leben früher, schlecht sind die Longtangs, die zweistöckigen Häuserblocks, die sich wie Unterholz zwischen den Wolkenkratzern ducken, eine düstere, labyrinthische Welt, zu Wohnhöhlen zusammengepferchte Häuser, in denen Licht das kostbarste Gut ist, kostbarer noch als Intimität, und vor deren Fenstern die Wäsche zum Trocknen grau und bleich im Smog des Fortschritts hängt, der lange schon seine Unschuld verloren hat.
Doch es gibt auch ein gutes Gestern, den süßen Duft der Vergangenheit, das Parfüm der Verklärung. Es breitet sich mit sandsteinstolzer Grandezza am Bund aus, dem großen Boulevard am Huangpu-Fluss. Hier drängen sich die Prachtbauten der Kolonialmächte, die Schanghai einst zur Welthauptstadt des Glücksrittertums erkoren hatten. Noch hausen in vielen der Paläste Staatsbehörden mit ihrem Resopal-Muff, doch die neue Lust am Luxus vertreibt sie aus einem nach dem anderen. Die Kleinbauernbanken müssen Cartier und Kenzo weichen, die Mao-Anzugsträger der Mango-Boutique. Statt des harten Brotes revolutionärer Tugendhaftigkeit werden in Gourmetrestaurants Dekadenzen wie mit parfümiertem Reis gefüllte Lotusblüten serviert. In den schwülstigen Bars hocken die Schönen der Nacht mit ihren tellergroßen Sonnenbrillen wie die Hühner auf der Stange, während der Moët & Chandon in Magnumflaschen weggeht wie im Hofbräuhaus die Maß Bier. Dass Schanghai beim Champagner kokett seine Vergangenheit als Lasterhöhle beschwört, ist indes ein Trugschluss alteuropäischer Nostalgiker, die ihren Malraux zu schwärmerisch gelesen haben. Diese Stadt ist grenzenlos unsentimental und bedingungslos zukunftshörig. Ihre Geschichte ist für sie nur Kulisse und das Alte kein Wert an sich, bestenfalls glänzendes Ornament.
Manchmal aber ist Schanghai auch das: Das Strahlen des Schanghaier Optimismus kämpft gegen das seltsam stumpfe Licht des Himmels über der Stadt, der ausgelaugt zu sein scheint, als hätte die Megalopolis ihre gefräßigen Wurzeln nicht nur tief in den Boden geschlagen, sondern auch in die Wolken und sie blass gemolken. Selbst der Himmel kapituliert vor diesem Schanghai, diesem brodelnden Topf des Schicksals, einer Stadt wie ein Urknall, die ihre Kraft und Wucht aus einem einzigen Verlangen schöpft: der Gier nach Glück. Die Menschen wollen um jeden Preis heraus aus ihren Wohngefängnissen mit den vergitterten Balkonen, um Quartier zu beziehen in den goldenen Käfigen der strahlenden Hochhäuser, am liebsten heute noch, allerspätestens aber morgen, aller Krisen zum Trotz. Das ist das Fundament des Babels unserer Zeit, ein einziges Glaubensbekenntnis der menschlichen Allmächtigkeit. Wir sehen es staunend, schaudernd.
"Shanghai 2" von Horst und Daniel Zielske. Verlag Wolfgang Kunth, München 2009. 112 Seiten, zahlreiche Farbfotografien. Gebunden, 68 Euro. Der vorliegende Text ist das Vorwort des Buches.
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