»Ich fürchte, dass es Mr. Sherlock Holmes wie einem jener beliebten Tenöre ergehen wird, die, obschon ihre Zeit vorbei ist, immer wieder in Versuchung geraten, ihrem nachsichtigen Publikum noch eine allerletzte Abschiedsvorstellung zu geben. Einmal muss dies freilich ein Ende haben, und er muss den Weg allen Fleisches, einerlei ob es real oder erfunden ist, gehen«.
Doyle's letzter Erzählband mit zwölf Geschichten des grandiosen Detektivs und seinem Vorwort zu der Ausgabe von 1927.
Doyle's letzter Erzählband mit zwölf Geschichten des grandiosen Detektivs und seinem Vorwort zu der Ausgabe von 1927.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.10.2019NEUE TASCHENBÜCHER
Ein Mann fürs Dramatische –
das „Buch der Fälle“ des Sherlock Holmes
„Vielleicht war es eine Komödie, vielleicht eine Tragödie“, mit diesem Eingangssatz wären all die Geschichten, die von dem supersensiblen Detektiv Sherlock Holmes erzählen und seinem Chronisten Dr. Watson, gut auf den Punkt gebracht. Mit diesem „Buch der Fälle“ ist Schluss mit dem Team, das Arthur Conan Doyle vom Jahr 1887 an, in vier Romanen und 56 Kurzgeschichten, vierzig Jahre begleitete, bis „in diese fiebrigen Zeiten“. Das Material wäre „ein ergiebiger Steinbruch für jene, die sich mit der Kriminalität befassen, und eine reiche Quelle für die Skandale der viktorianischen Epoche“ – aber die Diskretion der beiden Protagonisten garantiert natürlich, dass der Ruf von Promis nicht gefährdet ist.
Die Fälle selbst sind, auch in der neuen Übersetzung von Henning Ahrens, von gediegener Umständlichkeit – die „Löwenmähne“, die mehreren Menschen Folterqualen zufügt, oder das weiße Gesicht eines gequälten Soldaten, der in Afrika kämpfte, oder dass der Biss einer Frau, die ihrem Kind Blut aussaugt, nicht notwendig vampirisch motiviert ist.
Zwei der Fälle dieses Buchs werden vom Meister selber erzählt, ein dritter von einem anonymen Erzähler. Hier ist dann nicht zu übersehen – der genialische Alleswisser Holmes ist im Grunde seines Herzen ein practical joker. Um einen Diamantendieb zu düpieren, baut er eine klapprige Theaterszene auf mit einer lebensgroßen Puppe und Offenbachs Barkarole. Noch im Nachspiel zum Coup kann er das Bluffen nicht lassen: „Kalt erwischt, Lord Cantlemere, kalt erwischt … Mein alter Freund hier wird ihnen bestätigen, dass ich einen perfiden Hang zu praktischen Scherzen habe. Ebenso, dass ich keiner dramatischen Gelegenheit widerstehen kann.“
Dramatisch fährt auch der Chronikkünstler Watson nach der Komödie-Tragödie-Diagnose fort: „Einen Mann kostete es den Verstand, mich kostete es ein bisschen Blut und einen dritten Mann kostete es mehrere Jahre hinter Gittern. Die Sache hatte trotzdem eine komische Seite. Aber sie werden ja selbst sehen.“ FRITZ GÖTTLER
Arthur Conan Doyle: Sherlock Holmes' Buch der Fälle. Neu übersetzt von Henning Ahrens. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2019. 318 Seiten, 12 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ein Mann fürs Dramatische –
das „Buch der Fälle“ des Sherlock Holmes
„Vielleicht war es eine Komödie, vielleicht eine Tragödie“, mit diesem Eingangssatz wären all die Geschichten, die von dem supersensiblen Detektiv Sherlock Holmes erzählen und seinem Chronisten Dr. Watson, gut auf den Punkt gebracht. Mit diesem „Buch der Fälle“ ist Schluss mit dem Team, das Arthur Conan Doyle vom Jahr 1887 an, in vier Romanen und 56 Kurzgeschichten, vierzig Jahre begleitete, bis „in diese fiebrigen Zeiten“. Das Material wäre „ein ergiebiger Steinbruch für jene, die sich mit der Kriminalität befassen, und eine reiche Quelle für die Skandale der viktorianischen Epoche“ – aber die Diskretion der beiden Protagonisten garantiert natürlich, dass der Ruf von Promis nicht gefährdet ist.
Die Fälle selbst sind, auch in der neuen Übersetzung von Henning Ahrens, von gediegener Umständlichkeit – die „Löwenmähne“, die mehreren Menschen Folterqualen zufügt, oder das weiße Gesicht eines gequälten Soldaten, der in Afrika kämpfte, oder dass der Biss einer Frau, die ihrem Kind Blut aussaugt, nicht notwendig vampirisch motiviert ist.
Zwei der Fälle dieses Buchs werden vom Meister selber erzählt, ein dritter von einem anonymen Erzähler. Hier ist dann nicht zu übersehen – der genialische Alleswisser Holmes ist im Grunde seines Herzen ein practical joker. Um einen Diamantendieb zu düpieren, baut er eine klapprige Theaterszene auf mit einer lebensgroßen Puppe und Offenbachs Barkarole. Noch im Nachspiel zum Coup kann er das Bluffen nicht lassen: „Kalt erwischt, Lord Cantlemere, kalt erwischt … Mein alter Freund hier wird ihnen bestätigen, dass ich einen perfiden Hang zu praktischen Scherzen habe. Ebenso, dass ich keiner dramatischen Gelegenheit widerstehen kann.“
Dramatisch fährt auch der Chronikkünstler Watson nach der Komödie-Tragödie-Diagnose fort: „Einen Mann kostete es den Verstand, mich kostete es ein bisschen Blut und einen dritten Mann kostete es mehrere Jahre hinter Gittern. Die Sache hatte trotzdem eine komische Seite. Aber sie werden ja selbst sehen.“ FRITZ GÖTTLER
Arthur Conan Doyle: Sherlock Holmes' Buch der Fälle. Neu übersetzt von Henning Ahrens. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 2019. 318 Seiten, 12 Euro.
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