Sherlock Holmes: The Unauthorized Biography blends what we already know of the great sleuth's career with carefully documented social history to answer the questions admirers have long puzzled over. Nick Rennison reveals for the first time Holmes's influence on the political events of late-nineteenth-century England and his connections to the British criminal underworld. It also brings to light his close friendships with key figures of the day, including Oscar Wilde and Sigmund Freud; and exposes the truth about his cocaine use.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2007Der Mann, der zu viel wusste
Nick Rennison erzählt die Wahrheit über Sherlock Holmes
Manchmal gelingt es einem Autor, seiner Figur so viel Leben einzugeben, dass diese wirklicher erscheint als der Autor. Vielleicht gilt dies für alle großen Gestaltungen, von Odysseus und Don Quijote bis zu Mrs. Dalloway. Niemandem aber ist es so gelungen wie Arthur Conan Doyle. 221B Bakerstreet ist eine feste Adresse in der Wirklichkeit, noch heute erreichen Sherlock Holmes frankierte Briefe mit Anfragen, die von dessen geistigen Erben beantwortet werden. Hin und wieder tauchen in Antiquariaten Monographien auf, die der Detektiv selbst verfasst hat, so die legendäre Studie zu den verschiedenen Sorten von Tabakasche. Doyle litt unter der Realität seines Detektivs und versuchte, ihn in einem spektakulären Showdown mit seinem Todfeind Professor Moriarty an den Schweizer Reichenbachfällen umzubringen. Halb London trug daraufhin Schwarz, einige Jahre später sah sich der Autor genötigt, Holmes wiederaufleben zu lassen. Zahllos sind die Versuche, diese verlorenen Jahre, die als "Great Hiatus" in die Bakerstreet-Forschung eingingen, mit Sinn zu füllen.
Der Ruf nach einer zusammenhängenden Biographie wurde laut - Nick Rennison hat sich ihm gestellt. Er kann sich dabei auf viele Einzelstudien der fleißigen Bakerstreet-Industrie stützen. Umfangreiche Archivrecherchen zeigen, dass die Familiengeschichte der Holmes bis ins Spätmittelalter zurückreicht. Lebemänner und Großmäuler bestimmten den Stammbaum, bis Holmes' Großvater die Schwester des französischen Schlachtenmalers Vernet heiratete. Sherlocks Vater war ein milder Exzentriker, der die geographische Lage des Gartens Eden zu bestimmen suchte; die Mutter verstarb früh. Sherlock verehrte seinen scharfsinnigen Bruder Mycroft und war ansonsten ein schwieriger Sprössling, der sich früh der Kriminalliteratur widmete, Boxen und Fechten lernte und schließlich Naturwissenschaften in Cambridge studierte. Die Universität war für ihn verständlicherweise eine einzige Enttäuschung. Als Misanthrop verschmähte er die Clubs. Frauen waren ihm verdächtig, Heiraten kam nicht in Frage, schon weil er sich seine Urteilskraft erhalten wollte, wie er sagte. Er entdeckte die Bühne und wurde Schauspieler bei dem großen Irving in London.
Etwas dürftig sind hier allerdings Rennisons Belege: Die Tatsache, dass Holmes sich bei seinen Ermittlungen als asthmatischer Kapitän oder als italienischer Priester verkleidete und Puppentheater liebte, führt nicht gerade weit. Selbst als Schauspieler muss er gekonnt seine Spuren verwischt haben: "Durchblättert man die Theaterplakate, Programmzettel und Bühnenkritiken des Jahres 1874, so beschäftigt einen unwillkürlich die Frage, welches Pseudonym der große Detektiv wohl gewählt haben mag." In der Tat; da kann man nur noch hoffen, Holmes habe im "Hamlet" wenigstens einen Auftritt als stummer Speerträger gehabt. Entscheidend wird die Begegnung mit einem etwas heruntergekommenen Arzt namens Watson, der in Afghanistan verwundet wurde, zu ihm in seine Junggesellen-WG zog und begann, die abenteuerlichen Fälle seines Freundes aufzuschreiben. Noch heute erinnert eine Tafel in der Nähe von St. Bartholomew's Hospital an dieses denkwürdige Treffen: "An diesem Ort richtete bei ihrer ersten Begegnung am Neujahrstag 1881 Mr. Sherlock Holmes die unsterblichen Worte ,Sie sind in Afghanistan gewesen, wie ich sehe', an John Watson, M.D."
Leider hatte Dr. Watson keinen Draht zur literarischen Welt, aber eines Tages begegnete er einem jungen Autor und erfolglosen schottischen Arzt namens Conan Doyle, der sich als Vermittler anbietet. Die beiden bauen nun den eigenartigen Detektiv zu einer Ikone auf, sehr zum Unwillen desselben. Immer wieder beschwert sich Holmes bei Watson oder in Briefen an Doyle über die sensationalistische Darstellung seiner Tätigkeit. Nicht zu Unrecht, denn Rennison weist nach, welche erzählerischen Freiheiten sich Watson herausnahm. Viele Namen in den Geschichten sind reine Phantasie. Rennison kann nachweisen, dass Holmes in die größten Kriminalfälle seiner Zeit verwickelt war, von Jack the Ripper zu Dr. Crippen. Sein Sieg über Moriarty, den Napoleon des Verbrechens, einen Mathematiker, der mit Cantor korrespondierte, war jedoch möglicherweise nur ein Pyrrhussieg. Den Ersten Weltkrieg konnte er nicht verhindern, wohl aber einen Angriffsplan der Deutschen vereiteln. Doyle selbst profitierte von Holmes' Ermittlungen in der Affäre um den unschuldig verurteilten Edalji. Leider hörte er nicht auf Holmes, als es um die Cottingley-Fotos ging; zwei Mädchen in Yorkshire behaupteten, Fotos von Elfen geschossen zu haben. Doyle glaubte den Mädchen und verspielte damit seinen Ruf in der Öffentlichkeit. Das hätte nicht sein müssen, denn der Detektiv hatte bereits ermittelt und ihm ein Telegramm geschickt: "Keine Elfen auf Gartengrund Cottingley. Kleine Mädchen kleine Lügner."
Minutiös geht Rennison auf die Forschung über den "Great Hiatus" ein und verweist so manche Spekulation in das Reich der Phantasie. Seine Recherchen ergeben, dass Holmes sich in Tibet aufhielt, vermutlich im Dienste britischer Spionage, und dass er in Persien und im Sudan im Zusammenhang mit dem Mahdi-Aufstand tätig war. Danach soll er sich in Montpellier mit radioaktiven Metallen beschäftigt haben, einer Arbeit, von der die Curies profitiert haben sollen. Hier spannt Rennison den Bogen sicherlich zu weit in seinem Versuch, den Detektiv in jeder Hinsicht an vorderster Front zu sehen. Es gibt keinerlei Belege, dass die Curies auch nur irgendeinen Kontakt mit Sherlock Holmes hatten. Holmes starb, das sei den Lexika dieser Welt vermeldet, am 23. Juni 1929 in seinem Landhaus in Sussex. Die letzten Jahre hatte er mit Bienenzucht verbracht, so viel ist verbürgt; aber ob er sich tatsächlich immer wieder Verfilmungen seiner Fälle angeschaut hat, wie Rennison behauptet, bleibt Spekulation. So dürfen wir auch dieser Biographie attestieren, dass sie nur teilweise die Wahrheit über Sherlock Holmes lüften kann; aber sie tut es gekonnt.
Nach der Lektüre erscheint der Held jedenfalls wirklicher als solche Traumfiguren wie Königin Viktoria oder der deutsche Kaiser. Der Biograph ist allerdings auch das Risiko eingegangen, eines Tages kritische Briefe von Holmes zu erhalten. Schließlich hat er sich zu einem Konkurrenten seines Helden gemacht, der sich gern auf diese Weise vorzustellen pflegte: "Mein Name ist Sherlock Holmes, und es ist meine Aufgabe, das zu wissen, was andere nicht wissen."
ELMAR SCHENKEL
Nick Rennison: "Sherlock Holmes". Die unautorisierte Biographie. Aus dem Englischen übersetzt von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007. 280 S., geb., 19,90 [Euro].
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Nick Rennison erzählt die Wahrheit über Sherlock Holmes
Manchmal gelingt es einem Autor, seiner Figur so viel Leben einzugeben, dass diese wirklicher erscheint als der Autor. Vielleicht gilt dies für alle großen Gestaltungen, von Odysseus und Don Quijote bis zu Mrs. Dalloway. Niemandem aber ist es so gelungen wie Arthur Conan Doyle. 221B Bakerstreet ist eine feste Adresse in der Wirklichkeit, noch heute erreichen Sherlock Holmes frankierte Briefe mit Anfragen, die von dessen geistigen Erben beantwortet werden. Hin und wieder tauchen in Antiquariaten Monographien auf, die der Detektiv selbst verfasst hat, so die legendäre Studie zu den verschiedenen Sorten von Tabakasche. Doyle litt unter der Realität seines Detektivs und versuchte, ihn in einem spektakulären Showdown mit seinem Todfeind Professor Moriarty an den Schweizer Reichenbachfällen umzubringen. Halb London trug daraufhin Schwarz, einige Jahre später sah sich der Autor genötigt, Holmes wiederaufleben zu lassen. Zahllos sind die Versuche, diese verlorenen Jahre, die als "Great Hiatus" in die Bakerstreet-Forschung eingingen, mit Sinn zu füllen.
Der Ruf nach einer zusammenhängenden Biographie wurde laut - Nick Rennison hat sich ihm gestellt. Er kann sich dabei auf viele Einzelstudien der fleißigen Bakerstreet-Industrie stützen. Umfangreiche Archivrecherchen zeigen, dass die Familiengeschichte der Holmes bis ins Spätmittelalter zurückreicht. Lebemänner und Großmäuler bestimmten den Stammbaum, bis Holmes' Großvater die Schwester des französischen Schlachtenmalers Vernet heiratete. Sherlocks Vater war ein milder Exzentriker, der die geographische Lage des Gartens Eden zu bestimmen suchte; die Mutter verstarb früh. Sherlock verehrte seinen scharfsinnigen Bruder Mycroft und war ansonsten ein schwieriger Sprössling, der sich früh der Kriminalliteratur widmete, Boxen und Fechten lernte und schließlich Naturwissenschaften in Cambridge studierte. Die Universität war für ihn verständlicherweise eine einzige Enttäuschung. Als Misanthrop verschmähte er die Clubs. Frauen waren ihm verdächtig, Heiraten kam nicht in Frage, schon weil er sich seine Urteilskraft erhalten wollte, wie er sagte. Er entdeckte die Bühne und wurde Schauspieler bei dem großen Irving in London.
Etwas dürftig sind hier allerdings Rennisons Belege: Die Tatsache, dass Holmes sich bei seinen Ermittlungen als asthmatischer Kapitän oder als italienischer Priester verkleidete und Puppentheater liebte, führt nicht gerade weit. Selbst als Schauspieler muss er gekonnt seine Spuren verwischt haben: "Durchblättert man die Theaterplakate, Programmzettel und Bühnenkritiken des Jahres 1874, so beschäftigt einen unwillkürlich die Frage, welches Pseudonym der große Detektiv wohl gewählt haben mag." In der Tat; da kann man nur noch hoffen, Holmes habe im "Hamlet" wenigstens einen Auftritt als stummer Speerträger gehabt. Entscheidend wird die Begegnung mit einem etwas heruntergekommenen Arzt namens Watson, der in Afghanistan verwundet wurde, zu ihm in seine Junggesellen-WG zog und begann, die abenteuerlichen Fälle seines Freundes aufzuschreiben. Noch heute erinnert eine Tafel in der Nähe von St. Bartholomew's Hospital an dieses denkwürdige Treffen: "An diesem Ort richtete bei ihrer ersten Begegnung am Neujahrstag 1881 Mr. Sherlock Holmes die unsterblichen Worte ,Sie sind in Afghanistan gewesen, wie ich sehe', an John Watson, M.D."
Leider hatte Dr. Watson keinen Draht zur literarischen Welt, aber eines Tages begegnete er einem jungen Autor und erfolglosen schottischen Arzt namens Conan Doyle, der sich als Vermittler anbietet. Die beiden bauen nun den eigenartigen Detektiv zu einer Ikone auf, sehr zum Unwillen desselben. Immer wieder beschwert sich Holmes bei Watson oder in Briefen an Doyle über die sensationalistische Darstellung seiner Tätigkeit. Nicht zu Unrecht, denn Rennison weist nach, welche erzählerischen Freiheiten sich Watson herausnahm. Viele Namen in den Geschichten sind reine Phantasie. Rennison kann nachweisen, dass Holmes in die größten Kriminalfälle seiner Zeit verwickelt war, von Jack the Ripper zu Dr. Crippen. Sein Sieg über Moriarty, den Napoleon des Verbrechens, einen Mathematiker, der mit Cantor korrespondierte, war jedoch möglicherweise nur ein Pyrrhussieg. Den Ersten Weltkrieg konnte er nicht verhindern, wohl aber einen Angriffsplan der Deutschen vereiteln. Doyle selbst profitierte von Holmes' Ermittlungen in der Affäre um den unschuldig verurteilten Edalji. Leider hörte er nicht auf Holmes, als es um die Cottingley-Fotos ging; zwei Mädchen in Yorkshire behaupteten, Fotos von Elfen geschossen zu haben. Doyle glaubte den Mädchen und verspielte damit seinen Ruf in der Öffentlichkeit. Das hätte nicht sein müssen, denn der Detektiv hatte bereits ermittelt und ihm ein Telegramm geschickt: "Keine Elfen auf Gartengrund Cottingley. Kleine Mädchen kleine Lügner."
Minutiös geht Rennison auf die Forschung über den "Great Hiatus" ein und verweist so manche Spekulation in das Reich der Phantasie. Seine Recherchen ergeben, dass Holmes sich in Tibet aufhielt, vermutlich im Dienste britischer Spionage, und dass er in Persien und im Sudan im Zusammenhang mit dem Mahdi-Aufstand tätig war. Danach soll er sich in Montpellier mit radioaktiven Metallen beschäftigt haben, einer Arbeit, von der die Curies profitiert haben sollen. Hier spannt Rennison den Bogen sicherlich zu weit in seinem Versuch, den Detektiv in jeder Hinsicht an vorderster Front zu sehen. Es gibt keinerlei Belege, dass die Curies auch nur irgendeinen Kontakt mit Sherlock Holmes hatten. Holmes starb, das sei den Lexika dieser Welt vermeldet, am 23. Juni 1929 in seinem Landhaus in Sussex. Die letzten Jahre hatte er mit Bienenzucht verbracht, so viel ist verbürgt; aber ob er sich tatsächlich immer wieder Verfilmungen seiner Fälle angeschaut hat, wie Rennison behauptet, bleibt Spekulation. So dürfen wir auch dieser Biographie attestieren, dass sie nur teilweise die Wahrheit über Sherlock Holmes lüften kann; aber sie tut es gekonnt.
Nach der Lektüre erscheint der Held jedenfalls wirklicher als solche Traumfiguren wie Königin Viktoria oder der deutsche Kaiser. Der Biograph ist allerdings auch das Risiko eingegangen, eines Tages kritische Briefe von Holmes zu erhalten. Schließlich hat er sich zu einem Konkurrenten seines Helden gemacht, der sich gern auf diese Weise vorzustellen pflegte: "Mein Name ist Sherlock Holmes, und es ist meine Aufgabe, das zu wissen, was andere nicht wissen."
ELMAR SCHENKEL
Nick Rennison: "Sherlock Holmes". Die unautorisierte Biographie. Aus dem Englischen übersetzt von Frank Rainer Scheck und Erik Hauser. Verlag Artemis & Winkler, Düsseldorf 2007. 280 S., geb., 19,90 [Euro].
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An exemplary study of the secret history of Victorian England and of its most captivating citizen.
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