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Der japanische Schriftsteller Yasushi Inoue wurde 1907 geboren und starb 1991. Sein Roman "Shirobamba" entstand Anfang der siebziger Jahre. Er erzählt die Geschichte einer Kindheit in Japan, schildert dörfliches Leben, das geprägt ist vom Rhythmus der Jahreszeiten, von familiären Ereignissen und häuslichen Katastrophen. Einfühlsam und in einprägsamen Bildern läßt Inoue die Zeit um 1915 vor den Augen des Lesers erstehen.

Produktbeschreibung
Der japanische Schriftsteller Yasushi Inoue wurde 1907 geboren und starb 1991. Sein Roman "Shirobamba" entstand Anfang der siebziger Jahre. Er erzählt die Geschichte einer Kindheit in Japan, schildert dörfliches Leben, das geprägt ist vom Rhythmus der Jahreszeiten, von familiären Ereignissen und häuslichen Katastrophen. Einfühlsam und in einprägsamen Bildern läßt Inoue die Zeit um 1915 vor den Augen des Lesers erstehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.1996

Die gute Nebengroßmutter
Japanische Kindheit: Ein Klassiker von Yasushi Inoue

Charles Dickens erzählte von den Umwegen David Copperfields in ein bürgerliches Leben, Mark Twain von Huckleberry Finns Abenteuern am Mississippi oder Siegfried Lenz von Siggi Jepsens Pflichtauffassung im Dritten Reich in der "Deutschstunde" - klassische Erzählungen über Kindheit und Jugend. Das liegt nicht zuletzt daran, daß sie vortrefflich den Charakter der Länder und Zeiten widerspiegeln, in denen sie spielen. Von den Lesern späterer Generationen wurden sie kanonisiert und bisweilen sogar zu Kultobjekten erhoben.

In Japan nimmt die jetzt ins Deutsche übersetzte Kindheitsgeschichte "Shirobamba" des großen Erzählers Yasushi Inoue (1907 bis 1991) inzwischen einen ähnlichen Platz ein. Mit über fünfzig Neuauflagen, in Lesebüchern verbreitet und einer eigenen Fassung für Kinder ist der in den frühen sechziger Jahren erschienene Roman ein Fenster zu einem Japan, das längst Vergangenheit ist. Inoue erzählt in der für ihn typischen lakonischen, gleichmütigen und doch sympathischen Art zwei Jahre - 1915/16 - aus dem Alltag eines Jungen namens Kosaku, der auf der gebirgigen Halbinsel Izu südwestlich von Tokio lebt.

Die Geschichte scheint ohne Höhepunkt. In ruhigem Fluß erzählt sie von Familienzwistigkeiten, Reisen in die Städte der Nachbarprovinzen, von der Schule und den Spielen der Kinder im Dorf. Doch die Gleichmäßigkeit hat ihren guten Grund. Die Erzählung führt in eine Kinderwelt zurück, in der die Dramaturgie und die Werte des Lebens erst langsam entschlüsselt werden und in der der Tod eines nahen Verwandten ebenso wichtig sein kann wie ein Sieg bei einem Wettrennen während eines Sportfestes. Die gesamte Tonleiter des Lebens klingt hier an - die Gegensätze zwischen Stadt und Land, erste Liebe und Eifersucht, Krankheiten und Gleichgültigkeit. Inoue gelingt es nachzuzeichnen, wie sich langsam, doch stetig der Charakter seines Helden Kosaku formt und er, noch Kind, die Kindheit schon hinter sich zu lassen beginnt.

Es wird aber nicht nur von der Sensibilität des Kindes erzählt, in der die Welt ihre ersten Spuren hinterläßt. Was den Roman neben seiner akkuraten Lakonie so kostbar macht, ist der lebhafte Blick auf ein Japan zu Beginn dieses Jahrhunderts, in dem alte Familientraditionen noch dominieren, die einem Japaner heute ebenso fremd sein mögen wie einem deutschen Leser.

Früher wurde in Japan sehr großer Wert darauf gelegt, den Familiennamen zu erhalten, so daß kinderlose Ehepaare oft blutsverwandte Kinder adoptierten. Im Falle Kosakus war es sein wohlhabender Großgroßonkel, den Kosakus Großeltern mütterlicherseits als Ehepaar adoptierten, um seinen Namen weitergeben zu können. Aber nicht nur das. Er ließ auch eines ihrer Kinder, Kosakus spätere Mutter, von seiner Nebenfrau Onui annehmen. Jahre später gibt sie ihren Sohn Kosaku in die Obhut der Nebenmutter Onui, weil sie, schwanger mit einem zweiten Kind, niemanden hat, der ihr zur Hand geht. Aus dem Provisorium wird ein Dauerzustand. So wächst Kosaku bei seiner offiziell ins Familienregister eingetragenen Großmutter Onui auf, mit der ihn keine Blutsverwandtschaft verbindet.

Während der zwei Jahre, in denen "Shirobamba" spielt, lebt Kosaku in dem Spannungsfeld zwischen dem Zuhause bei seiner Großmutter Onui, dem im selben Dorf gelegenen Haus Kosakus wirklicher Großeltern und der fernen Mutter, die mit ihrem Mann und Kosakus Geschwistern weit weg in einer Garnisonsstadt lebt. Kosaku pendelt zwischen diesen verschiedenen Welten, die einander nur mit Mißtrauen und Mißgunst begegnen. Die Sympathie Kosakus gehört dabei meist seiner sturen, bisweilen sogar gehässigen, dem Jungen jedoch liebevoll zugetanen Großmutter Onui, der am plastischsten herausgearbeiteten Figur in dem Roman.

Der authentische Charakter der Geschichte ließe sich leicht mit der Erzählkunst des Autors Yasushi Inoue erklären, der nach Jahren als Journalist erst mit 43 Jahren eine freie Schriftstellerkarriere einschlug. Viele seiner Romane - wie zum Beispiel der letztes Jahr erschienene "Sturm" über in Rußland gestrandete schiffbrüchige Japaner zur Zeit Katharinas der Großen - verbinden gekonnt erzählerischen Genius und historische Akribie. Aber für diesen Roman ist wohl ein anderer Grund zu nennen. "Shirobamba" ist die kaum verschlüsselte Kindheitsgeschichte Yasushi Inoues selbst, der unter genau den beschriebenen Umständen auf der Halbinsel Izu aufwuchs.

Aus dieser Perspektive gewinnt der Roman eine weitere Qualität. Es wird deutlich, ohne daß es in der Geschichte mit einem Wort erwähnt würde, wie sich in dem kleinen Dorf zwischen den Lagern der Familienmitglieder die Sensibilität des Schriftstellers entwickeln konnte. Da ist die Landschaftsszene zu Beginn der Geschichte, die dem Buch seinen Titel gab: Die Kinder fangen Insekten, die tags weiß sind, in der Dämmerung aber bläulich schimmern - sie werden "Shirobamba" gerufen. Da sind Fremdheit und Isolation, die der junge Kosaku, von der Familie hin- und hergerissen, erfährt. Sie zwingen ihn zu ständiger Wachsamkeit, zur Beobachtung seiner selbst und seiner Umgebung. Und da ist schließlich auch der Ehrgeiz, den ihm seine Umgebung suggeriert. Nicht nur, weil Kosaku klug ist, sondern weil er aus einer höhergestellten Familie stammt, wird von ihm erwartet, daß er später zur Universität gehen wird - und das erwartet Kosaku auch von sich selbst.

Der einzige Nachteil ist, daß das Lesevergnügen an "Shirobamba" zu kurz währt. Die Nachbemerkung informiert den Leser, daß es einen zweiten, noch nicht ins Deutsche übersetzten Teil der Kindheitsgeschichte Kosakus gibt. Inoue selbst hatte den Roman "Shirobamba" - zu Recht - für abgeschlossen genug gehalten, um ihn separat zu veröffentlichen. Doch Gutes macht Hunger auf mehr. Bis dieser zweite Teil übersetzt ist, kann nur empfohlen werden, auf den schönen, 1987 erschienenen autobiographischen Band "Meine Mutter" zurückzugreifen, in dem Inoue über deren Sterben, über ihre Geschichte und ihr Familienleben reflektiert - und sich auch an seine Zeit bei der guten Nebengroßmutter Onui erinnert. HUBERTUS BREUER

Yasushi Inoue: "Shirobamba". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1995. Aus dem Japanischen übersetzt von Richmond Bollinger. 235 Seiten, geb., 38,- DM.

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" Shirobamba ist das seltene Zeugnis für die Geduld und die Bescheidenheit eines großen Meisters und für die Würde der Kinder." Jochen Jung Salzburger Nachrichten