Shot by Both Sides ist einerseits das Porträt einer Stadt aus der Perspektive einer lebenshungrigen jungen Frau, andererseits eine dokumentarische Collage von Menschen abseits des grossen Glamours. 1986 macht sich Cornelia Wilhelm zwanzigjährig auf nach New York. Mit ihrem Fotoapparat im Gepäck taucht sie ein in die raue Grossstadt. Während sie tagsüber bei Shootings für den Pirelli-Kalender assistiert, zieht sie nachts durch die Bars und Musikkneipen und fotografiert das Nacht- leben, die Künstlerszene, aber auch den Alltag in der Bronx und in Harlem.Ihr Rückzugsort ist dabei Coney Island, wo sich in die Jahre gekommene Vergnügungsparks aneinanderreihen und die Schausteller der Buden mit ebenso rauem Charme die nächste Show, die nächste Attraktion anpreisen. Dort verbringt die Arbeiterklasse New Yorks ihre Wochenenden auf der Suche nach kleinen Momenten des Glücks, von der die Fotografien erzählen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2015Das kleine Playmate an Coney Islands Strand
Cornelia Wilhelm war zwanzig, als sie sich von Luzern aus auf den Weg nach Amerika machte. Das war 1986. Eine Lehre als Fotolaborantin hatte sie hinter sich, in New York wollte sie als Fotoassistentin arbeiten. Einen Job hatte man ihr schon gegeben: Sie sollte die Aufnahmen für einen Pirelli-Kalender begleiten, würde eintauchen in die Welt des Glamour. Aber davon erzählt sie fast nichts in ihrem Buch "Shot by Both Sides", einer Sammlung von Schwarzweißaufnahmen, die sie in ihrer Freizeit gemacht hat - abends in Bars und Clubs, tagsüber in den Straßen und sehr häufig am Strand von Coney Island. Das klingt nach Freude und Ausgelassenheit, doch was Cornelia Wilhelm fand, war Tristesse - eine Traurigkeit, die sich nicht nur über Gesichter der Passanten oder der erschöpften Fahrgäste in der Subway gelegt hatte, sondern selbst im Vergnügungspark die Fassaden der Buden und die Gerüste der Fahrgeschäfte überzog. Wie ein Hohn wirkt die Leuchtschrift "Fascination" über einem verrammelten Laden oder die Aufschrift "Little Playmate" auf der Kühlbox neben einer ausgesprochen dicken Frau im Sand des Küstensaums. An den Wurfbuden gibt es keine Kunden, nur Preise, die kein Mensch braucht. Und unmittelbar hinter der Geisterbahn beginnt die Müllkippe. Allein die Kinder lachen vergnügt und bekommen von all dem Elend nichts mit. Und wie zum Trotz macht sich am Strand eine junge Schönheit das Haar zurecht - als sei der American Dream noch immer nicht ausgeträumt.
F.L.
"Shot by Both Sides - A Glimpse of New York 1986" von Cornelia Wilhelm. Benteli Verlag, Sulgen 2014. 100 Seiten, 72 Schwarzweißfotografien. Gebunden, 38 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cornelia Wilhelm war zwanzig, als sie sich von Luzern aus auf den Weg nach Amerika machte. Das war 1986. Eine Lehre als Fotolaborantin hatte sie hinter sich, in New York wollte sie als Fotoassistentin arbeiten. Einen Job hatte man ihr schon gegeben: Sie sollte die Aufnahmen für einen Pirelli-Kalender begleiten, würde eintauchen in die Welt des Glamour. Aber davon erzählt sie fast nichts in ihrem Buch "Shot by Both Sides", einer Sammlung von Schwarzweißaufnahmen, die sie in ihrer Freizeit gemacht hat - abends in Bars und Clubs, tagsüber in den Straßen und sehr häufig am Strand von Coney Island. Das klingt nach Freude und Ausgelassenheit, doch was Cornelia Wilhelm fand, war Tristesse - eine Traurigkeit, die sich nicht nur über Gesichter der Passanten oder der erschöpften Fahrgäste in der Subway gelegt hatte, sondern selbst im Vergnügungspark die Fassaden der Buden und die Gerüste der Fahrgeschäfte überzog. Wie ein Hohn wirkt die Leuchtschrift "Fascination" über einem verrammelten Laden oder die Aufschrift "Little Playmate" auf der Kühlbox neben einer ausgesprochen dicken Frau im Sand des Küstensaums. An den Wurfbuden gibt es keine Kunden, nur Preise, die kein Mensch braucht. Und unmittelbar hinter der Geisterbahn beginnt die Müllkippe. Allein die Kinder lachen vergnügt und bekommen von all dem Elend nichts mit. Und wie zum Trotz macht sich am Strand eine junge Schönheit das Haar zurecht - als sei der American Dream noch immer nicht ausgeträumt.
F.L.
"Shot by Both Sides - A Glimpse of New York 1986" von Cornelia Wilhelm. Benteli Verlag, Sulgen 2014. 100 Seiten, 72 Schwarzweißfotografien. Gebunden, 38 Euro.
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