Die Gebäude, die in unserer Erinnerung den Geist der Architektur der 50erund 60er Jahre verkörpern, sind die, deren Abbildungen überall durchMagazine und Bücher verbreitet wurden. Doch was ist mit denen, dieirgendwo auf der Strecke geblieben und kaum oder nie veröffentlichtwurden?Der Austausch von visuellen Informationen ist ausschlaggebend für dieEntwicklung und Förderung von Architekturströmungen. Wenn ein Gebäudenicht weithin bekannt ist und seine Fotos kaum oder nie publiziert werden,so wird es niemals Gegenstand des architektonischen Diskurses werden.Viele der von Julius Shulman fotografierten Bauten erlitten dieses Schicksal -sie wurden vergessen. Mit diesem Buch bringt TASCHEN sie zurück ansLicht und würdigt den kalifornischen Modernismus in all seinen Formen.Das bisher wenig beachtete Archiv von Julius Shulman zeigt uns eine andereSeite des Modernismus, um die es so viele Jahre lang ruhig gewesen ist.Modernism Rediscovered versammelt beinahe 300 vergessene Meisterwerkeundzollt den weniger bekannten, doch hervorragenden Vertretern dermodernen Architekturbewegung Tribut. Es ist, als schleiche man sich in eineprivate Geschichte und in Häuser hinein, die bis jetzt nur seltenwahrgenommen und kaum geschätzt wurden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.20165. Die Versprechen der modernen Architektur
Die Frage, was zuerst da war, das Haus oder das Foto, auf dem dieses Haus zu sehen ist, diese Frage scheint ein bisschen dämlich zu sein - aber in Kalifornien, dem Land, in dem die meisten unserer populären Bilder und Fiktionen hergestellt werden, ist sie nicht so leicht zu beantworten. Ja, klar, erst musste, nur zum Beispiel, Richard Neutra ein Haus entwerfen und bauen, bevor Julius Shulman es fotografieren konnte. Aber wenn man die drei schönen Bildbände, die Shulmans fotografisches Werk dokumentieren, nur lange und genau genug anschaut, dann wird man den Verdacht nicht los, dass die Architektur sich zu Shulmans Kamera so zu verhalten scheint, wie sich Filmschauspieler zur Filmkamera verhalten: Erst im Moment des Fotografiertwerdens scheinen sie ganz bei sich zu sein und, gewissermaßen, außer sich zugleich: ein ganz realer chemischer Abdruck auf dem Filmmaterial; und ein Fenster in eine fast noch fiktionale Moderne, in eine Welt, die eher ein Versprechen als eine unumstößliche Tatsache ist.
Julius Shulman, geboren in Brooklyn, New York, aufgewachsen an der Brooklyn Avenue, Los Angeles, war, so geht die Legende, ein junger Mann mit vielen Talenten und Interessen. Und wenig Zielstrebigkeit. Dass er zum offiziellen Fotografen der kalifornischen Architekturmoderne wurde, sei bloß ein Zufall gewesen. Im Jahr 1938 habe ein Bekannter, ein Assistent des großen Architekten Richard Neutra, ihm Neutras neuestes Haus gezeigt. Und Shulman habe es fotografiert - nicht weil er dafür einen Auftrag gehabt hätte, sondern nur für sich, aus reiner Freude an dieser heiteren, gleichermaßen modernen wie südlichen Architektur. Neutra fand, dass diese Fotos das Wesen seiner Architektur erfasst hätten, bat Shulman, alle seine Häuser zu fotografieren. Und so hatte Shulman, der bis dahin studiert, bisschen fotografiert und sich in der Welt umgesehen hatte, auf einmal einen Beruf. Dass man auch heute noch hineinspringen möchte in die Bilder aus den fünfziger und sechziger Jahren, dass man einziehen möchte in die meisten dieser Häuser: das zeugt nicht nur davon, dass diese Ästhetik noch heute gültig ist; es weist auch darauf hin, dass diese Bilder als Werbung gedacht waren und als solche noch immer funktionieren. Es war Werbung für die architektonische Moderne, allerdings auch Werbung aus tiefster Überzeugung. Man sollte vielleicht bei solchen Bildern die Autorentheorie nicht überstrapazieren - immerhin waren die Architekten, deren Werke Shulman fotografierte, Frank Lloyd Wright, Charles Eames, Eero Saarinen oder eben Neutra, Künstler eigenen Rechts und nicht etwa bloß die Set-Designer für ein fotografisches Werk. Aber es hilft, wenn man sich vor Augen führt, dass Shulmans Eltern russische Juden waren, die es in Amerika geschafft hatten, um zu verstehen, dass Shulman immer diese Aufstiegslinie weiterzeichnen wollte, hin zu einer immer moderneren Moderne. Und seit er sich durchgesetzt hatte, bezogen Bauherren und Architekten immer Shulmans künftige Fotos in ihre Planungen mit ein.
Claudius Seidl
Julius Shulman: "Modernism Rediscovered". Drei Bände. Taschen, 99,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Frage, was zuerst da war, das Haus oder das Foto, auf dem dieses Haus zu sehen ist, diese Frage scheint ein bisschen dämlich zu sein - aber in Kalifornien, dem Land, in dem die meisten unserer populären Bilder und Fiktionen hergestellt werden, ist sie nicht so leicht zu beantworten. Ja, klar, erst musste, nur zum Beispiel, Richard Neutra ein Haus entwerfen und bauen, bevor Julius Shulman es fotografieren konnte. Aber wenn man die drei schönen Bildbände, die Shulmans fotografisches Werk dokumentieren, nur lange und genau genug anschaut, dann wird man den Verdacht nicht los, dass die Architektur sich zu Shulmans Kamera so zu verhalten scheint, wie sich Filmschauspieler zur Filmkamera verhalten: Erst im Moment des Fotografiertwerdens scheinen sie ganz bei sich zu sein und, gewissermaßen, außer sich zugleich: ein ganz realer chemischer Abdruck auf dem Filmmaterial; und ein Fenster in eine fast noch fiktionale Moderne, in eine Welt, die eher ein Versprechen als eine unumstößliche Tatsache ist.
Julius Shulman, geboren in Brooklyn, New York, aufgewachsen an der Brooklyn Avenue, Los Angeles, war, so geht die Legende, ein junger Mann mit vielen Talenten und Interessen. Und wenig Zielstrebigkeit. Dass er zum offiziellen Fotografen der kalifornischen Architekturmoderne wurde, sei bloß ein Zufall gewesen. Im Jahr 1938 habe ein Bekannter, ein Assistent des großen Architekten Richard Neutra, ihm Neutras neuestes Haus gezeigt. Und Shulman habe es fotografiert - nicht weil er dafür einen Auftrag gehabt hätte, sondern nur für sich, aus reiner Freude an dieser heiteren, gleichermaßen modernen wie südlichen Architektur. Neutra fand, dass diese Fotos das Wesen seiner Architektur erfasst hätten, bat Shulman, alle seine Häuser zu fotografieren. Und so hatte Shulman, der bis dahin studiert, bisschen fotografiert und sich in der Welt umgesehen hatte, auf einmal einen Beruf. Dass man auch heute noch hineinspringen möchte in die Bilder aus den fünfziger und sechziger Jahren, dass man einziehen möchte in die meisten dieser Häuser: das zeugt nicht nur davon, dass diese Ästhetik noch heute gültig ist; es weist auch darauf hin, dass diese Bilder als Werbung gedacht waren und als solche noch immer funktionieren. Es war Werbung für die architektonische Moderne, allerdings auch Werbung aus tiefster Überzeugung. Man sollte vielleicht bei solchen Bildern die Autorentheorie nicht überstrapazieren - immerhin waren die Architekten, deren Werke Shulman fotografierte, Frank Lloyd Wright, Charles Eames, Eero Saarinen oder eben Neutra, Künstler eigenen Rechts und nicht etwa bloß die Set-Designer für ein fotografisches Werk. Aber es hilft, wenn man sich vor Augen führt, dass Shulmans Eltern russische Juden waren, die es in Amerika geschafft hatten, um zu verstehen, dass Shulman immer diese Aufstiegslinie weiterzeichnen wollte, hin zu einer immer moderneren Moderne. Und seit er sich durchgesetzt hatte, bezogen Bauherren und Architekten immer Shulmans künftige Fotos in ihre Planungen mit ein.
Claudius Seidl
Julius Shulman: "Modernism Rediscovered". Drei Bände. Taschen, 99,99 Euro
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