Produktdetails
- Omnibus Taschenbücher Bd.21042
- Verlag: C. Bertelsmann
- Seitenzahl: 251
- Deutsch
- Abmessung: 180mm
- Gewicht: 269g
- ISBN-13: 9783570210420
- ISBN-10: 3570210421
- Artikelnr.: 09814342
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.1999Das Unglück im Kontor
Mirjam Presslers Versuch einer Annäherung an Shakespeare
Eine Autorin muß ihre Titelfigur nicht mögen, doch ein wenig fasziniert sollte sie schon von ihr sein. Jedenfalls erwartet man das, wenn die kleinere Figur einer bekannten Vorlage nun die Hauptrolle spielt, wie in Mirjam Presslers Buch "Shylocks Tochter". Der Titel lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die junge Jüdin Jessica. Man ist neugierig, wie diese Figur aus Shakespeares "Kaufmann von Venedig" im Rampenlicht der historischen Erzählung auftreten wird.
Auffallend blaß kommt sie uns entgegen, so als habe die Autorin beim Schreiben erst gemerkt, wie fremd ihr das Mädchen ist. Daß sie dennoch an ihr festhält, liegt am Shakespeareschen Stoff und seinen Möglichkeiten: Szenen aus einer vergangenen Welt lassen sich weiterspinnen. Und die Liebesgeschichte der schönen jungen Jessica kann eine Brücke zur jugendlichen Leserschaft bilden - gewöhnlich interessiert sich diese Altersgruppe kaum für das Venedig der Renaissance oder für Fragen der jüdischen Identität.
Zentrales Ereignis der Geschichte ist Jessicas Flucht aus dem Elternhaus zu dem schönen und jungen Christen Lorenzo. Was treibt sie in seine Arme? Ein strenger Vater, ein tristes Milieu möglicherweise - aber nicht jedes Mädchen verläßt deswegen gleich die Familie. Außerdem stiehlt sie Shylock einen großen Teil seines Vermögens. Ein Luder ist Jessica nicht, dazu fehlt ihr die Kaltschnäuzigkeit. Kann sie vor lauter Liebe nicht mehr klar denken, oder sind es die Feste und schönen Kleider, die sie berauschen? Geld und Luxus spielen keine geringe Rolle in dieser Geschichte. Vielleicht soll an Jessica die Läuterung von Kleinmädchenträumen vorgeführt werden. Doch dafür sind ihre Selbstbetrachtungen zu belanglos. Schlau wird man am Ende nicht aus ihr - und man erkennt auch nicht, was die Autorin mit ihr im Sinn hatte.
Im Buchtitel wird als zweite Hauptperson ihr Vater Shylock genannt, der Pfandleiher und Kreditgeber. Eigentlich ist er es, der eine Reihe von Fragen aufwirft, so zumindest bei Shakespeare. Wie soll er auf der Bühne stehen, als stammelnder Bösewicht, als mythische Figur oder Opfer seiner Lebensumstände? In seinem Fall hat sich Mirjam Pressler klar entschieden: Sie zeigt ihn als mürrischen Mann, der in seinen Kontorbüchern blättert, ernste, manchmal rührende Phantasiegespräche mit seiner verstorbenen Ehefrau führt und hilflos am Sterbebett seiner Dienerin und Exgeliebten sitzt. Man begreift seine wahnwitzige Forderung, vom Körper seines Schuldners ein Stück Fleisch als Pfand zu verlangen, als das Ergebnis eines fatalen Gesprächsverlaufs. Auch seine halsstarrige Weigerung, eine große Geldsumme als Ersatz für die kannibalistische Forderung zu akzeptieren, wird verständlich als eine Folge lebenslanger Demütigungen. Mirjam Pressler hat aufgegriffen, was Shakespeare dem Stück an Realismus einräumte und um die Figur des Kaufmanns anlegte. Sie hat historisch Ungenaues korrigiert und authentische Details hinzugefügt, denn Shakespeare kannte kaum Juden, und Venedig gar nicht. Anschaulich schildert sie den Alltag im ghetto nuovo und entfaltet dadurch die Atmosphäre einer vergangenen Welt.
Unterbrochen wird der Erzählfluß von der Stimme Dalilahs, Jessicas Ziehschwester und Dienerin. Und sie, eine eingeblendete Berichterstatterin, hat das Zeug zur Heldin. Obwohl klein und häßlich, mit einem schielenden Auge und knabenhaftem Körper, bietet diese hinzuerfundene Figur eine Entschädigung für die ungreifbare Titelheldin. Nicht nur mit ihren Worten kommentiert Dalilah die Ereignisse, ihr ganzes Wesen ist eine Botschaft: Schönheit lenkt vom Wesentlichen ab, und auch ein Batzen Geld kann Herrschaftsverhältnisse nicht umkehren. Was sie auszeichnet, sind die Unverwüstlichkeit eines einfachen Naturkindes, eine Geradlinigkeit, die sie vor Versuchungen schützt, und ein Talent, dem Leben die richtigen Fragen zu stellen. Schließlich sorgt ihre koboldhafte Verschmitztheit für etwas Farbe und heitere Momente in dieser traurigen Geschichte.
MYRIAM MIELES
Mirjam Pressler: "Shylocks Tochter". Alibaba Verlag, Frankfurt am Main 1999. 216 S., geb., 32,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mirjam Presslers Versuch einer Annäherung an Shakespeare
Eine Autorin muß ihre Titelfigur nicht mögen, doch ein wenig fasziniert sollte sie schon von ihr sein. Jedenfalls erwartet man das, wenn die kleinere Figur einer bekannten Vorlage nun die Hauptrolle spielt, wie in Mirjam Presslers Buch "Shylocks Tochter". Der Titel lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die junge Jüdin Jessica. Man ist neugierig, wie diese Figur aus Shakespeares "Kaufmann von Venedig" im Rampenlicht der historischen Erzählung auftreten wird.
Auffallend blaß kommt sie uns entgegen, so als habe die Autorin beim Schreiben erst gemerkt, wie fremd ihr das Mädchen ist. Daß sie dennoch an ihr festhält, liegt am Shakespeareschen Stoff und seinen Möglichkeiten: Szenen aus einer vergangenen Welt lassen sich weiterspinnen. Und die Liebesgeschichte der schönen jungen Jessica kann eine Brücke zur jugendlichen Leserschaft bilden - gewöhnlich interessiert sich diese Altersgruppe kaum für das Venedig der Renaissance oder für Fragen der jüdischen Identität.
Zentrales Ereignis der Geschichte ist Jessicas Flucht aus dem Elternhaus zu dem schönen und jungen Christen Lorenzo. Was treibt sie in seine Arme? Ein strenger Vater, ein tristes Milieu möglicherweise - aber nicht jedes Mädchen verläßt deswegen gleich die Familie. Außerdem stiehlt sie Shylock einen großen Teil seines Vermögens. Ein Luder ist Jessica nicht, dazu fehlt ihr die Kaltschnäuzigkeit. Kann sie vor lauter Liebe nicht mehr klar denken, oder sind es die Feste und schönen Kleider, die sie berauschen? Geld und Luxus spielen keine geringe Rolle in dieser Geschichte. Vielleicht soll an Jessica die Läuterung von Kleinmädchenträumen vorgeführt werden. Doch dafür sind ihre Selbstbetrachtungen zu belanglos. Schlau wird man am Ende nicht aus ihr - und man erkennt auch nicht, was die Autorin mit ihr im Sinn hatte.
Im Buchtitel wird als zweite Hauptperson ihr Vater Shylock genannt, der Pfandleiher und Kreditgeber. Eigentlich ist er es, der eine Reihe von Fragen aufwirft, so zumindest bei Shakespeare. Wie soll er auf der Bühne stehen, als stammelnder Bösewicht, als mythische Figur oder Opfer seiner Lebensumstände? In seinem Fall hat sich Mirjam Pressler klar entschieden: Sie zeigt ihn als mürrischen Mann, der in seinen Kontorbüchern blättert, ernste, manchmal rührende Phantasiegespräche mit seiner verstorbenen Ehefrau führt und hilflos am Sterbebett seiner Dienerin und Exgeliebten sitzt. Man begreift seine wahnwitzige Forderung, vom Körper seines Schuldners ein Stück Fleisch als Pfand zu verlangen, als das Ergebnis eines fatalen Gesprächsverlaufs. Auch seine halsstarrige Weigerung, eine große Geldsumme als Ersatz für die kannibalistische Forderung zu akzeptieren, wird verständlich als eine Folge lebenslanger Demütigungen. Mirjam Pressler hat aufgegriffen, was Shakespeare dem Stück an Realismus einräumte und um die Figur des Kaufmanns anlegte. Sie hat historisch Ungenaues korrigiert und authentische Details hinzugefügt, denn Shakespeare kannte kaum Juden, und Venedig gar nicht. Anschaulich schildert sie den Alltag im ghetto nuovo und entfaltet dadurch die Atmosphäre einer vergangenen Welt.
Unterbrochen wird der Erzählfluß von der Stimme Dalilahs, Jessicas Ziehschwester und Dienerin. Und sie, eine eingeblendete Berichterstatterin, hat das Zeug zur Heldin. Obwohl klein und häßlich, mit einem schielenden Auge und knabenhaftem Körper, bietet diese hinzuerfundene Figur eine Entschädigung für die ungreifbare Titelheldin. Nicht nur mit ihren Worten kommentiert Dalilah die Ereignisse, ihr ganzes Wesen ist eine Botschaft: Schönheit lenkt vom Wesentlichen ab, und auch ein Batzen Geld kann Herrschaftsverhältnisse nicht umkehren. Was sie auszeichnet, sind die Unverwüstlichkeit eines einfachen Naturkindes, eine Geradlinigkeit, die sie vor Versuchungen schützt, und ein Talent, dem Leben die richtigen Fragen zu stellen. Schließlich sorgt ihre koboldhafte Verschmitztheit für etwas Farbe und heitere Momente in dieser traurigen Geschichte.
MYRIAM MIELES
Mirjam Pressler: "Shylocks Tochter". Alibaba Verlag, Frankfurt am Main 1999. 216 S., geb., 32,- DM. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main