Nein, einen Reisebericht kann man dieses Buch nicht nennen, eher einen Bildungsroman oder einen Selbstversuch. Hier wirft sich ein junger Amerikaner hemmungslos seiner Lieblingsphantasie in die Arme und erlebt ein postkommunistisches Road movie in zwei Versionen: einmal als Filmemacher auf den Spuren des sibirischen Schamanentums, das zweite Mal als Handlanger einer hochstaplerischen Import-Export-Firma. In diesen beiden Rollen verwandelt er sich nicht nur selber, er erfährt auch die Absurdität und den Zerfall der postsowjetischen Welt. Ein wildes Panoptikum von Spekulanten, Auftragskillern, Bürokraten und Alkoholikern tut sich auf. Sullivan gibt sich, frei von jeder Zensur, aber nicht ohne Humor und Zärtlichkeit, dem Aberwitz der Situationen hin, in die er gerät. Selbst dem Horror kann er noch seine Lebenslust abgewinnen, die sich nicht unterkriegen läßt.
Und obwohl er mit seinen literarischen Ambitionen hinter dem Berg hält, zeigt sich bald, daß Sullivan keineswegs ein nai ver Abenteurer ist, sondern ein hoch reflektierter, ausgebuffter Intellektueller, der es allerdings vorzieht, sein Licht unter den Scheffel zu stellen ; ein Trick, der ihm glücklicherweise immer wieder mißlingt. So kommt es, daß in der Brust des Autors mindestens zwei Seelen wohnen. Die eine erinnert an Charles Bukowski, die andere an Robert Musil.
Und obwohl er mit seinen literarischen Ambitionen hinter dem Berg hält, zeigt sich bald, daß Sullivan keineswegs ein nai ver Abenteurer ist, sondern ein hoch reflektierter, ausgebuffter Intellektueller, der es allerdings vorzieht, sein Licht unter den Scheffel zu stellen ; ein Trick, der ihm glücklicherweise immer wieder mißlingt. So kommt es, daß in der Brust des Autors mindestens zwei Seelen wohnen. Die eine erinnert an Charles Bukowski, die andere an Robert Musil.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.01.2003Ein Hochstapler im Wilden Osten
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems machten sich westliche Abenteurer auf, Sibirien, bis dahin eher Terra incognita, zu erkunden. Unter ihnen der Deutschamerikaner Stefan Sullivan, der 1991 und 1994 dort war. Einmal gab er sich als Ethnologe aus, auf den Spuren der letzten Schamanen, das andere Mal als Manager eines international operierenden Schweizer Unternehmens. Was er erlebt hat, ist Stoff für einen Schelmenroman. Die Spuren der Schamanen sind rar gesät: Ein staubiges Provinzmuseum, das Allunions-Museum Jakutiens, beherbergt zwar die größte Maultrommelsammlung der Welt und eine nachgestellte Initiationsszene in der Vitrine, ansonsten drängt sich der Eindruck auf, daß sich die Schamanen des heutigen Sibiriens eher der Scharlatanerie verschrieben haben. Kaum anders die politische Elite, die Sullivan kennenlernt. Der Kulturminister Jakutiens stellt die Preisträgerinnen des "Ersten jakutischen Schönheitswettbewerbs" als Sekretärinnen ein, der Staatssekretär für Unesco-Angelegenheiten bunkert dreißigtausend Dollar für ein Übersetzungsprojekt in seinem Nachttisch. Kein Wunder, daß es auch Investoren der dubiosen Art in den "Wilden Osten" zieht. Prompt wird Sullivan engagiert, um als "aggressiver Manager" das an der Grenze der Legalität agierende Firmenimperium der "Siberian World Company" durch "Synergien" fit zu machen für einen gerade entstehenden Kapitalismus. Sullivan, wir ahnen es früh, kann den Zusammenbruch des Unternehmens nicht aufhalten, und freudig stürzt er sich ins wilde Nachtleben Jakutiens mit reichlich Wein, Weib und Gesang. Seine "Abenteuerromane" sind eine vergnügliche Lektüre und bieten zugleich eine fundierte Analyse der Zustände zwischen alternativem Ethnokitsch und sogenannter freier Marktwirtschaft, von der nur die alten Eliten profitieren. Sullivan ist ein sympathischer Hochstapler mit ungewöhnlicher Biographie: Er promovierte in Oxford über Hegel und Marx, übernahm "Forschungsaufträge" für die CIA und war "Hubschrauber-Diplomat" im Kaukasus.
lent
"Sibirischer Schwindel" von Stefan Sullivan. Eichborn Verlag, Frankfurt 2002. 348 Seiten. Gebunden, 27,50 Euro. ISBN 3-8218-4514-7.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems machten sich westliche Abenteurer auf, Sibirien, bis dahin eher Terra incognita, zu erkunden. Unter ihnen der Deutschamerikaner Stefan Sullivan, der 1991 und 1994 dort war. Einmal gab er sich als Ethnologe aus, auf den Spuren der letzten Schamanen, das andere Mal als Manager eines international operierenden Schweizer Unternehmens. Was er erlebt hat, ist Stoff für einen Schelmenroman. Die Spuren der Schamanen sind rar gesät: Ein staubiges Provinzmuseum, das Allunions-Museum Jakutiens, beherbergt zwar die größte Maultrommelsammlung der Welt und eine nachgestellte Initiationsszene in der Vitrine, ansonsten drängt sich der Eindruck auf, daß sich die Schamanen des heutigen Sibiriens eher der Scharlatanerie verschrieben haben. Kaum anders die politische Elite, die Sullivan kennenlernt. Der Kulturminister Jakutiens stellt die Preisträgerinnen des "Ersten jakutischen Schönheitswettbewerbs" als Sekretärinnen ein, der Staatssekretär für Unesco-Angelegenheiten bunkert dreißigtausend Dollar für ein Übersetzungsprojekt in seinem Nachttisch. Kein Wunder, daß es auch Investoren der dubiosen Art in den "Wilden Osten" zieht. Prompt wird Sullivan engagiert, um als "aggressiver Manager" das an der Grenze der Legalität agierende Firmenimperium der "Siberian World Company" durch "Synergien" fit zu machen für einen gerade entstehenden Kapitalismus. Sullivan, wir ahnen es früh, kann den Zusammenbruch des Unternehmens nicht aufhalten, und freudig stürzt er sich ins wilde Nachtleben Jakutiens mit reichlich Wein, Weib und Gesang. Seine "Abenteuerromane" sind eine vergnügliche Lektüre und bieten zugleich eine fundierte Analyse der Zustände zwischen alternativem Ethnokitsch und sogenannter freier Marktwirtschaft, von der nur die alten Eliten profitieren. Sullivan ist ein sympathischer Hochstapler mit ungewöhnlicher Biographie: Er promovierte in Oxford über Hegel und Marx, übernahm "Forschungsaufträge" für die CIA und war "Hubschrauber-Diplomat" im Kaukasus.
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"Sibirischer Schwindel" von Stefan Sullivan. Eichborn Verlag, Frankfurt 2002. 348 Seiten. Gebunden, 27,50 Euro. ISBN 3-8218-4514-7.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Gleich zwei Abenteuerromane in einem Band, das weckt Hoffnung auf spannendes Lesevergnügen, die sich nach der Rezension von Susanne Ostwald zu bestätigen scheint. Offenbar kann man sich darüber hinaus auf einen unkonventionellen Vertreter des alten Genres freuen, denn der in den USA lebende Autor dieses Buches, Sohn einer deutschen Mutter und eines amerikanischen Vaters, wirft einen ganz eigenen Blick auf den "wilden Osten". Die Erlebnisse des Abenteurers Sullivan sind wohl so ausgefallen und skurril, dass die Rezensentin vorsichtshalber darauf hinweist, dass sie nicht "einer (Wodka-induzierten) Phantasie entsprungen, sondern weitgehend autobiografisch geprägt" sind. Ostwald gefällt dabei besonders, dass der an der Oxford Universität promovierte Sullivan, der sich in seinem Roman deutlich von bildungsbürgerlichen oder esoterischen Attitüden zu distanzieren sucht und "schelmisch-provozierend" gegen den Mainstream der Political-Correctness anschreibt, sich gleichzeitig als genauer Kenner seines Stoffes ausweist. Seine Erzählungen sind dadurch nicht nur abwechslungsreich und unterhaltend, sondern auch erhellend, resümiert Ostwald.
© Perlentaucher Medien GmbH
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