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Über viele Jahrzehnte war die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Italien von Männern dominiert. Doch seit den 1970ern hat eine neue Generation von Frauen begonnen, gegen die Mafia Widerstand zu leisten.So vertraute Piera Aiello, Augenzeugin bei der Ermordung ihres Mannes, ihr Wissen den Staatsanwälten an und engagiert sich bis heute als Parlamentarierin für einen besseren Schutz der Kronzeugen. Fotografin Letizia Battaglia dokumentiert als Chronistin der Mafia ihre Taten, wie etwa die Ermordung des Bruders des heutigen Staatspräsidenten. Die Journalistin Allessia Candito, mehrfach…mehr

Produktbeschreibung
Über viele Jahrzehnte war die Bekämpfung des organisierten Verbrechens in Italien von Männern dominiert. Doch seit den 1970ern hat eine neue Generation von Frauen begonnen, gegen die Mafia Widerstand zu leisten.So vertraute Piera Aiello, Augenzeugin bei der Ermordung ihres Mannes, ihr Wissen den Staatsanwälten an und engagiert sich bis heute als Parlamentarierin für einen besseren Schutz der Kronzeugen. Fotografin Letizia Battaglia dokumentiert als Chronistin der Mafia ihre Taten, wie etwa die Ermordung des Bruders des heutigen Staatspräsidenten. Die Journalistin Allessia Candito, mehrfach durch die kalabrische Mafia bedroht, deckt die Verbindungen zwischen Kirche und Mafia auf. Und Laura Garavini setzt mit ihrer Gründung einer Anti-Mafia-Bewegung in Deutschland den Kampf gegen die Mafia auch im deutschsprachigen Raum fort. Mathilde Schwabeneders Porträt dieser Frauen zeichnet ein verstörendes und eindrucksvolles Bild eines Kampfes gegen eine Macht, bei dem ein Sieg aussichtslos scheint - trotzdem kämpfen diese Frauen weiter.
Autorenporträt
Mathilde Schwabeneder ist eine bekannte Journalistin. Sie studierte Romanistik in Rom. Dort leitet sie als Korrespondentin die ORF-Außenstelle, die für die Berichterstattung aus Italien, dem Vatikan und Malta zuständig ist. 2014 erschien ihr Bestseller ¿Die Stunde der Patinnen ¿ Frauen an der Spitze des Mafia-Clans¿ im Styria Verlag.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2020

Risse in der
Mafia-Welt
Mathilde Schwabeneder porträtiert neun Frauen,
die in Italien gegen Verbrecherbanden aufstehen
VON ALEXANDRA FÖDERL-SCHMID
Sie sind mutig, extrem mutig: Immer mehr Frauen in Italien packen aus und decken auf. Als Kronzeugin, Staatsanwältin, Bürgermeisterin oder investigative Journalistin nehmen sie im Kampf gegen die Mafia inzwischen eine zentrale Stelle ein. Die Journalistin Mathilde Schwabeneder, die bis vor kurzem als Italien-Korrespondentin für den österreichischen Rundfunk ORF gearbeitet hat, beschreibt in neun Porträts das Engagement dieser Frauen, die eine gemeinsame Erfahrung teilen: wie gefährlich es ist, offen gegen die Mafia Stellung zu beziehen.
Piera Aiello hat sich als Kronzeugin zur Verfügung gestellt, nachdem ihr Mann – Sohn eines Mafiosi – bei dem, was die Medien als „zweiten großen Mafiakrieg in Sizilien“ beschrieben, ermordet worden war. Als die Schwiegermutter ihr vor der Leichenhalle ein schwarzes Kopftuch reicht als Symbol dafür, dass sie nun auch eine Mafiawitwe ist, lehnt Aiello ab und sich zum ersten Mal auf: Es sei keine bewusste Entscheidung gewesen, erzählt Aiello, eher ein Schutzreflex: Sie wollte nicht zulassen, dass ihre damals dreijährige Tochter in einer Mafiafamilie aufwächst. Außerdem wollte sie einen Beitrag dazu leisten, dass die Mörder nicht frei herumlaufen konnten.
Am 30. Juli 1991 verlässt Aiello mit ihrer Tochter und wenigen Habseligkeiten das Haus und vertraut sich einem Mann an, der in den nächsten Monaten ihr wichtigster Ansprechpartner sein wird: Paolo Borsellino. Der Staatsanwalt sollte sein Engagement mit seinem Leben bezahlen. Wie schon zwei Monate davor Giovanni Falcone wurde Borsellino 1992 bei einem Sprengstoffanschlag getötet.
Der Tod der beiden bekanntesten sogenannten Mafia-Jäger war ein schwerer Schlag für die Kronzeugin und ihre Schwägerin Rita. Die 17-Jährige hatte sich vier Monate nach dem Schritt Aiellos auch entschlossen, sich Borsellino anzuvertrauen. Eine Woche nach der Ermordung des Richters sprang sie vom siebten Stock einer Wohnung, wo sie versteckt in Rom lebte, in den Tod. Ihre Mutter zerschlug mit einem Hammer das Bild ihrer Tochter auf dem Grabstein. Die Verbindung zur Mafia war stärker als die Familienbande.
Aiello lebte 27 Jahre mit einer falschen Identität, zog von einem Versteck zum anderen und lebte unter Polizeischutz. Bei einer Gedenkfeier für Mafiaopfer 2018 zeigte sie sich erstmals der Öffentlichkeit und entschloss sich in diesem Jahr, in der Politik ihren Kampf gegen die Mafia fortzusetzen. Als erste Kronzeugin in der Geschichte Italiens wurde die 51-Jährige ins Parlament gewählt, obwohl sie sich im Wahlkampf aus Sicherheitsgründen nie gezeigt hat und auch auf der Webseite des Parlaments nur bei ihr kein Foto dabei ist.
Auch Nunzia Brancati bewegt sich nur mit Leibwächtern durch Neapel. Die 1974 geborene Juristin ist Vizepolizeipräsidentin in ihrer Heimatstadt. Auf einer Fahrt durch das nächtliche Neapel lässt sie teilhaben an dem, was es in der Realität heißt, gegen die Camorra zu kämpfen. Das ist die Stärke des Buches: Die Autorin schafft es, in ihren gut geschriebenen Porträts nicht nur die Lebensgeschichten jeder einzelnen Frauen zu schildern, sondern sie zeigt anschaulich, was es konkret bedeutet, gegen die Mafia zu kämpfen. Schwabeneder geht auch in der notwendigen Kürze auf politische Entwicklungen und die Strukturen von ’Ndrangheta, Cosa Nostra und Camorra ein. Sie beschreibt, wie die Mafia agiert: Es wird gemordet, bestochen, gedroht und Geld gewaschen – nicht nur in Italien.
Für Laura Garavini waren die sogenannten Mafia-Morde von Duisburg 2007 die Initialzündung: Wegen einer Fehde zwischen rivalisierenden Gruppen wurden sechs ihrer Landsleute vor einem italienischen Restaurant erschossen. Die damals in Berlin lebende Politikwissenschaftlerin gründete die „Mafia? Nein Danke“-Initiative in Deutschland. Wirte schlossen sich zusammen und gründeten einen Pakt: Sie verpflichteten sich, keine Schutzgelder zu zahlen und keine Personen einzustellen, die Verbindungen zu kriminellen Clans haben. Es gab auch eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei in Deutschland.
Wegen ihrer Recherchen, die in dieses zweite Buch zum Thema Mafia eingeflossen sind, ist die Journalistin derzeit auch als Gesprächspartnerin in deutschen Medien gefragt. Denn in Düsseldorf hat gerade der größte Prozess gegen die Mafia, den es in Deutschland bisher gegeben hat, begonnen. Die Autorin schafft es anhand von vielen Einzelfällen, Einblicke zu geben in eine verschlossene Welt. Für dieses Buch haben sich – bis auf zwei Frauen – alle bereit erklärt, mit ihren Namen und Fotografien porträtiert zu werden. Auch das ist mutig. Damit geben sie dem Kampf gegen die Mafia ein Gesicht.
Mathilde Schwabeneder: Sie packen aus. Frauen im Kampf gegen die Mafia. Molden- Verlag, Wien 2020. 192 Seiten, 23 Euro.
Piera Aiello war Kronzeugin
auf Sizilien. Seit zwei Jahren
sitzt sie im Parlament in Rom
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Matthias Rüb liest das Buch der Journalistin Mathilde Schwabeneder über Frauen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität in Italien mit Interesse. Die Porträts von Ermittlerinnen, Bürgermeisterinnen und Kronzeuginnen rufen Rüb die Härte des Kampfes gegen die Mafia in Erinnerung. Vor allem die Geschichte der heutigen Abgeordneten Piera Aiello, die die Mörder ihres Mafia-Mannes verfolgte, hat Rüb beeindruckt. Über das Geschäft der Mafia, auch der nigerianischen, die von Neapel operiert, ihre Strukturen und Methoden erfährt Rüb im Buch allerhand Wissenswertes.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2021

Ausbruch aus der Omertà

Das organisierte Verbrechen ist eine Männerwelt, geprägt durch Gewalt und Einschüchterung. Aber auch die Helden der Mafiabekämpfung in Italien waren über Jahrzehnte fast ausschließlich Männer. Die bekanntesten sind bis heute die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die 1992 in Palermo im Abstand von wenigen Wochen von der Cosa Nostra ermordet wurden. Unzählige Straßen und Plätze in ganz Italien hat man seither nach ihnen benannt. Auch der Flughafen der sizilianischen Hauptstadt heißt "Aeroporto di Palermo Falcone e Borsellino".

Seit einigen Jahren spielen aber auch Frauen eine immer größere Rolle im Kampf gegen die Mafia - von Sizilien über Kalabrien und Kampanien bis nach Norditalien, wo die Clans längst ihre "Zweigstellen" eingerichtet haben. Die österreichische Journalistin Mathilde Schwabeneder stellt in ihrem Buch zehn Frauen vor, die den bleiernen Schleier der Omertà abgeworfen haben. Als Kronzeugin, Ermittlerin oder Abgeordnete, als Bürgermeisterin, Polizeichefin, Fotoreporterin oder Journalistin haben sie den gefährlichen, oft lebensbedrohlichen Kampf gegen die kriminellen Männerbünde aufgenommen.

Gleich das erste Porträt ist das vielleicht eindrucksvollste. Piera Aiello stammt aus Partanna im Nordwesten Siziliens. 1985 wurde sie, kaum 18 Jahre alt, von ihrer Familie mit dem Mafioso Nicola Atria verheiratet, Sohn des örtlichen Clanchefs Vito Atria. Vater und Sohn Atria wurden 1985 und 1991 von einem verfeindeten Clan ermordet. Piera Aiello und ihre damals 16 Jahre alte Schwägerin Rita Atria, die jüngste Schwester ihres Ehemannes Nicola Atria, vertrauten sich im Sommer 1991 dem Untersuchungsrichter Paolo Borsellino an: Sie kannten die Mörder von Vito und Nicola Atria und ebneten mit ihren Aussagen den Weg zum Prozess gegen die Clans von Partanna. Borsellino ließ die beiden Kronzeuginnen ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen. Die beiden jungen Frauen - sowie die damals drei Jahre alte Tochter von Piera Aiello - wurden mit einer neuen Identität ausgestattet und nach Rom gebracht. Genau eine Woche nach der Ermordung von Paolo Borsellino vom 19. Juli 1992 nahm sich Rita Atria in Rom das Leben: Nach dem Tod des Richters fühlte sie sich schutzlos der Mafia ausgeliefert.

Piera Aiello überlebte, buchstäblich. Fast drei Jahrzehnte lebte sie unter falschem Namen, wechselte häufig ihre Wohnungen, bewacht von Polizisten in Zivil. Sie engagierte sich in Anti-Mafia-Organisationen und unterstützte andere Kronzeugen. 2018 wagte sie den Schritt in die Politik und in die Öffentlichkeit: Sie offenbarte ihre wirkliche Identität. Heute ist sie Abgeordnete und Mitglied der Anti-Mafia-Kommission des Parlaments.

In ihren kompakten Porträts stellt Schwabeneder nicht nur unerschrockene Frauen vor, sie beschreibt auch die milliardenschwere "Geschäftswelt" der sizilianischen Cosa Nostra, der kalabrischen 'Ndrangheta, der Sacra Corona Unita in Apulien sowie der Camorra in Kampanien und zumal in Neapel. Die einst auf ihre Ursprungsregionen begrenzten Clans sind längst global aufgestellt und haben ihr kriminelles Portfolio diversifiziert: vom Drogen-, Zigaretten- und Waffenschmuggel über Schutzgelderpressung und Unterwanderung von Politik und Justiz bis zu illegalen Wetten, Abfallmanagement, Gesundheitsversorgung und Geldwäsche.

Den Schluss des Buches bildet das Doppelporträt zweier junger Frauen, die als einzige anonym bleiben: Es sind zwei junge Nigerianerinnen, die von der nigerianischen Mafia nach Italien verfrachtet wurden, um dort als Zwangsprostituierte zu arbeiten. Die nigerianische Mafia hat sich in Castel Volturno nahe Neapel festgesetzt und organisiert von dort aus den Drogenschmuggel und vor allem den Menschenhandel über das Mittelmeer. Die beiden Nigerianerinnen haben sich einer italienischen Hilfsorganisation anvertraut, die sie in ein Schutzprogramm aufgenommen und auch eine Aufenthaltserlaubnis für sie erreicht hat. Unter allen Frauen, die sich dem Zugriff der Mafia entzogen oder der organisierten Kriminalität sogar den Kampf angesagt haben, sind die zur Sexarbeit gezwungenen Migrantinnen der wohl größten Gefahr ausgesetzt: Die äußerst brutale nigerianische Mafia stellt nicht nur ihnen nach, sondern auch ihren Familien daheim in Nigeria.

MATTHIAS RÜB

Mathilde Schwabeneder: "Sie packen aus". Frauen im Kampf gegen die Mafia.

Molden Verlag, Wien 2020. 192 S., 23,- [Euro].

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