Ihre Bundesrepublik war das "Provisorium", das 40 Jahre lang Bestand hatte - bis die Mauer fiel. Dieses Land hat sie begleitet, beobachtet und beschrieben. Dabei war ihr Blick nicht auf die politischen Protagonisten gerichtet, nicht auf die, die im Rampenlicht der Parlamente und Medien Weltpolitik und eigene Geschäfte abwickelten. Ihre Themen waren die, die das Leben schrieb: sie berichtete von den Tagen als man begann, die Antibaby-Pille nicht mehr "Ovulationshemmer" zu nennen. Sie stellte "beschossenes Essen" vor: die Mikrowelle aus Amerika wurde auf einer Messe in Deutschland präsentiert. Doch "Dinner in Dosen" interessierte hier damals noch kaum jemanden. Sie schrieb über den Missbrauch und Tod eines Schülers - und den ignoranten Umgang der Eltern und Lehrer damit. Die Tragödie als Tabu. Und sie schrieb von der Mode, die in den 1950er Jahren noch eine "Prozedur in Rosa"war - und nur zehn Jahre später, im aufkommenden Zeitalter von Twiggy und Minirock, die Frau mit Größe 44 als nicht mehr zeitgemäß diffamierte: "Sie sind ein Elefant, Madame!" Für ihr neues Buch hat sich Sybil Gräfin Schönfeldt in ihr Archiv begeben und ihre 30 Lieblingsartikel und Kolumnen ausgegraben - 30 Jahren Bundesrepublik. Von 1959 bis 1989. Fein beobachtet, süffisant kommentiert, mit scharfer Zunge und spitzer Feder. Und viel Humor.Ihr Buch, in dem sie die einzelnen Artikel und Kolumnen erzählend mit neuen, rückblickenden, erklärenden Texten literarisch eindrucksvoll verbindet, zeigt die Entwicklung dieses Landes. Seine Themen im Wandel der Zeit. Und Sybil Gräfin Schönfeldts Auswahl ist in vielen Facetten hochaktuell - wie zum Beispiel ihre Reportage über einen internationalen Kongress für Familienplanung im Jahr 1965. 200 Delegierte aus 36 Ländern, vor allem aus den USA, Asien, Südamerika, aus den afrikanischen Staaten und aus dem Ostblock hatten daran teilgenommen. Nur die Bundesrepublik Deutschland hatte keine Abordnung geschickt. "Die Macht des Tabus" hatte Sybil Gräfin Schönfeldt ihren Artikel für die ZEIT damals überschrieben - und noch heute macht er deutlich, wie dieses Land es verschlafen hat,rechtzeitig die Weichen für seine demografische Entwicklung zu stellen.
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