Der deutsch-jüdische Schriftsteller Edgar Hilsenrath wurde 1926 in Leipzig geboren, in Halle (Saale) ging er zur Schule. 1938 flüchtete er mit der Mutter und dem jüngeren Bruder nach Rumänien in die Bukowina, wo die Großeltern lebten. 1941 kam die Familie in ein jüdisches Ghetto am Dnjestr in der
Ukraine. Hilsenrath überlebte die Hölle und machte sich nach der „Befreiung“ durch die Rote Armee zu…mehrDer deutsch-jüdische Schriftsteller Edgar Hilsenrath wurde 1926 in Leipzig geboren, in Halle (Saale) ging er zur Schule. 1938 flüchtete er mit der Mutter und dem jüngeren Bruder nach Rumänien in die Bukowina, wo die Großeltern lebten. 1941 kam die Familie in ein jüdisches Ghetto am Dnjestr in der Ukraine. Hilsenrath überlebte die Hölle und machte sich nach der „Befreiung“ durch die Rote Armee zu Fuß auf nach Bukarest. Mit gefälschtem Pass gelangte er schließlich über die Türkei und Syrien nach Palästina.
1951 wanderte Hilsenrath dann in die USA aus. Hier bestritt er seinen Lebensunterhalt zunächst mit Gelegenheitsarbeiten. In ersten literarischen Arbeiten schilderte er die un-menschlichen Verhältnisse im Ghetto, doch schriftstellerischer Erfolg stellte sich erst spät ein. Mit seinem Roman „Der Nazi & der Friseur“ (1971) schaffte er endlich den weltweiten Durchbruch als Schriftsteller - und damit auch in Deutschland.
1975 kehrte Edgar Hilsenrath der deutschen Sprache wegen zurück nach Deutschland. Doch er teilte, gewissermaßen als Spätgekommener, das Schicksal vieler Emigranten, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Deutschland Fuß fassen wollten. Lange Zeit wurde der Schriftsteller in seinem Heimatland ignoriert. Erst in den letzten zehn Jahren hat sich die Lage verändert. Der Dittrich Verlag veröffentlicht seit 2003 eine mehrbändige Werkausgabe und im Deutschen Taschenbuch Verlag erscheinen seine Werke in einer Taschenbuchausgabe (bisher neun Titel).
Nun liegt bei dtv mit „Sie trommelten mit den Fäusten den Takt“ ein Auswahlband mit Er-zählungen, Satiren und Selbstauskünften vor, die zwischen 1978 und 2006 entstanden sind. Die Texte aus den 70er Jahren beschäftigen sich mit der Wirkung seines provozierenden Romans „Der Nazi & der Friseur“ in Deutschland, wo Hilsenrath als Nestbeschmutzung angesehen wurde und seine Dichterlesungen häufig von Radaubrüdern gesprengt wurden.
Andere Texte sind Selbstdialoge mit seinem Ego, sei es mit dem eigenen Spiegelbild, mit einem Fremden, der ihn in seine Heimatstadt Halle begleitet, oder mit einem Journalist in einem Münchner Lokal. In einem Märchen-Dialog ist ein Kind sein Gegenüber und Hilsenrath versetzt damit den Leser nach Absurdistan, wo man sechs Millionen Juden aufwiegt mit tausend Kilometer Autobahn. Ergänzt werden diese Dialoge durch kritische Betrachtungen über den Staat Israel oder durch eine liebevolle Hinwendung zur deutschen Sprache.
Bei der Lektüre wird schnell der meisterliche und mahnende Erzählstil der kurzen Prosatexte deutlich, die Hilsenraths menschliche Haltung ebenso wie seine großen Romane veranschaulichen.
Manfred Orlick