Fünfzig Jahre nach Heinrich Harrers spektakulärer Flucht üben den Himalaja nach Tibet kommt sein packendes Abenteuer in einer Tri-Star-Hollywood-Produktion in die Kinos. Der Bestseller des Tibetforschers und persönlichen Freundes des Dalai Lama ist, in über vierzig Sprachen übersetzt, in einer Auflage von drei Millionen um die Welt gegangen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2008Freundschaft mit dem Gottkönig
Sieben Jahre in Tibet: Im Land des Dalai Lama / Von Wolfgang Günter Lerch
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden zwei Bergsteiger, die das Gebiet um den Nanga Parbat für den neuerlichen Versuch einer Erstbesteigung des "Schicksalsbergs der Deutschen" erkunden sollten, von den Briten interniert: Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer. Sie entkamen von Indien nach Tibet. Dort erlebten sie eine Kultur, die - wie Harrer einmal sagte - von Mitteleuropa damals noch weiter entfernt war als der Mond. Harrer, in jenen Tagen als einer der Erstdurchsteiger der berüchtigten Eiger-Nordwand im Berner Oberland weit über Bergsteiger-Kreise hinaus bekannt, blieb sieben Jahre - Jahre, die seine Persönlichkeit besonders stark prägten; das Eintauchen in eine über die Maßen fremde geistige Welt - den als Lamaismus bezeichneten Zweig des Buddhismus, der auch "Diamantenes Fahrzeug" oder Vajrayana genannt wird - veränderte, wie er schreibt, sein Denken, seine Einstellung zum Leben insgesamt: "Ich wusste hinterher besser, was wichtig ist im Leben und was nicht."
Nachlesen kann man das in seinem immer wieder aufgelegten Klassiker "Sieben Jahre in Tibet" (inzwischen in 27. Auflage erschienen). Harrer schildert darin die Zeit bis zum Einmarsch der Rotchinesen Oktober 1950, mit dem begann, was seither die Weltöffentlichkeit immer wieder beschäftigt und in diesen Tagen, da die Tibeter in ihrer Provinz und in den angrenzenden Provinzen von Gansu und Sichuan aufbegehren, die olympisch bewegten Gemüter abermals erregt: der Widerstand gegen die ungeliebten Fremden, die heute die Herren sind. Harrer verließ das Land, Aufschnaiter blieb noch.
Was Harrer, der später als Forschungsreisender unter anderem in Neuguinea von sich reden machte, in seinem Bestseller schildert, hat sogar die Filmemacher Hollywoods so stark ergriffen, dass sie - mit Brad Pitt in der Hauptrolle des Harrer - einen Film darüber drehten. Der blonde Star wirkte in der Rolle freilich etwas zu smart, an ihm haftete so gar nichts Bergsteigermäßiges, auch wenig Vergeistigtes.
Harrer wurde durch seinen persönlichen Kontakt mit dem Dalai Lama, der zu jener Zeit ein Junge, dann ein Heranwachsender war, aber schon als Gottkönig und Herrscher im Potala zu Lhasa lebte, zu einem der intimsten Kenner Tibets und seiner für viele so faszinierenden Religion. Als Lehrer des Gottkönigs, mit dem ihn bis zu seinem Tode im Jahre 2006 ein freundschaftliches, ja enges Verhältnis verband, brachte der Österreicher dem Oberhaupt der Tibeter, der 14. Wiedergeburt Tschenresis, des "Gottes" der Gnade, bei, die Welt auch mit westlichen Augen zu sehen, während er selbst die tibetische Sprache perfekt erwarb und in die Spiritualität der Tibeter eindrang. Dass dies manchmal nicht ohne Missverständnisse abging, schildert Harrer ebenfalls in seinem Buch. Tibet war damals ein Gottesstaat, weitgehend abgeschlossen vom Rest der Welt. Wie weiland Rip van Winkle in Washington Irvings gleichnamiger Erzählung hätte man an eine Zeitverschiebung glauben können.
Tibet kennt keine Hast - so lautet eine der Kapitelüberschriften von Harrers Buch. Diese Entdeckung der Langsamkeit, ja Zeitlosigkeit ist eines der wichtigsten Leitmotive, die im Buch immer wiederkehren. Der Steiermärker beschreibt ein faszinierendes, rauhes Land, das freilich auch sanftere Seiten kennt - etwa im tibetischen Sommer, wenn man in manchen tiefer gelegenen Tälern sogar Obst und Südfrüchte ernten kann.
Immer wieder auch staunt der Autor über die Gläubigkeit der Menschen, über ihr Verhältnis zur Natur. Auch sind Tibeter immer auf Pilgerfahrt, entweder zu einem der - zu jener Zeit noch viel zahlreicheren - Klöster oder zu ihrem heiligen Berg, dem Kailash.
Als Erstbesteiger des Eiger war Heinrich Harrrer zusammen mit seinen drei Seilgefährten auch vom "Führer" Adolf Hitler empfangen und ausgezeichnet worden. Das hing ihm lange nach. In diesen Tagen neuerlicher Unruhe warf Peking dem absolut friedensbewegten Dalai Lama sogar vor, er sei ja von einem "Nationalsozialisten" erzogen worden. Doch das ist weitab von der Wirklichkeit.
Das Buch "Sieben Jahre in Tibet" ist noch heute - neben den Darstellungen von Alexandra David-Neel - fast die einzige populäre Quelle, um sich mit dem Gottesstaat auf dem Dach der Welt, so wie er sich vor dem Einmarsch der Chinesen darstellte, bekanntzumachen, wenn man einmal von den Reisebüchern der klassischen Asienforscher wie Sven Hedin oder Wilhelm Filchner absieht. Ein Land, damals fast ohne Straßen, mit Gebetsfahnen und Gebetsmühlen übersät, gelenkt und geleitet nicht von Funktionären und "Businessmen", wie heute, sondern von Mönchen und Nonnen, ganz dem Pfad der Leidaufhebung zugewandt. Ein Land der gläubigen Inbrunst, wie man sie auch heute noch bei den Tibetern wahrnehmen kann. Ein Land allerdings auch mit großer Armut und bisweilen mancherlei finsterem und bizarrem Aberglauben, der die an sich reine, glasklare Lehre des Buddha hier und da überdeckt und überwuchert.
Bis heute rechtfertigt China seinen Einmarsch nicht allein mit historischen Gründen, sondern auch mit dem Argument, es habe die Tibeter von einer hierarchischen Feudalgesellschaft, wie Harrer sie beschreibt, befreit und in die Moderne geführt. Doch die Tibeter, wie andere Völker, wollten gar nicht befreit werden.
Heinrich Harrer: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama, Ullstein Verlag, Berlin 2006, 447 Seiten, 47 Schwarzweißfotos, 18,95 Euro.
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Sieben Jahre in Tibet: Im Land des Dalai Lama / Von Wolfgang Günter Lerch
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden zwei Bergsteiger, die das Gebiet um den Nanga Parbat für den neuerlichen Versuch einer Erstbesteigung des "Schicksalsbergs der Deutschen" erkunden sollten, von den Briten interniert: Peter Aufschnaiter und Heinrich Harrer. Sie entkamen von Indien nach Tibet. Dort erlebten sie eine Kultur, die - wie Harrer einmal sagte - von Mitteleuropa damals noch weiter entfernt war als der Mond. Harrer, in jenen Tagen als einer der Erstdurchsteiger der berüchtigten Eiger-Nordwand im Berner Oberland weit über Bergsteiger-Kreise hinaus bekannt, blieb sieben Jahre - Jahre, die seine Persönlichkeit besonders stark prägten; das Eintauchen in eine über die Maßen fremde geistige Welt - den als Lamaismus bezeichneten Zweig des Buddhismus, der auch "Diamantenes Fahrzeug" oder Vajrayana genannt wird - veränderte, wie er schreibt, sein Denken, seine Einstellung zum Leben insgesamt: "Ich wusste hinterher besser, was wichtig ist im Leben und was nicht."
Nachlesen kann man das in seinem immer wieder aufgelegten Klassiker "Sieben Jahre in Tibet" (inzwischen in 27. Auflage erschienen). Harrer schildert darin die Zeit bis zum Einmarsch der Rotchinesen Oktober 1950, mit dem begann, was seither die Weltöffentlichkeit immer wieder beschäftigt und in diesen Tagen, da die Tibeter in ihrer Provinz und in den angrenzenden Provinzen von Gansu und Sichuan aufbegehren, die olympisch bewegten Gemüter abermals erregt: der Widerstand gegen die ungeliebten Fremden, die heute die Herren sind. Harrer verließ das Land, Aufschnaiter blieb noch.
Was Harrer, der später als Forschungsreisender unter anderem in Neuguinea von sich reden machte, in seinem Bestseller schildert, hat sogar die Filmemacher Hollywoods so stark ergriffen, dass sie - mit Brad Pitt in der Hauptrolle des Harrer - einen Film darüber drehten. Der blonde Star wirkte in der Rolle freilich etwas zu smart, an ihm haftete so gar nichts Bergsteigermäßiges, auch wenig Vergeistigtes.
Harrer wurde durch seinen persönlichen Kontakt mit dem Dalai Lama, der zu jener Zeit ein Junge, dann ein Heranwachsender war, aber schon als Gottkönig und Herrscher im Potala zu Lhasa lebte, zu einem der intimsten Kenner Tibets und seiner für viele so faszinierenden Religion. Als Lehrer des Gottkönigs, mit dem ihn bis zu seinem Tode im Jahre 2006 ein freundschaftliches, ja enges Verhältnis verband, brachte der Österreicher dem Oberhaupt der Tibeter, der 14. Wiedergeburt Tschenresis, des "Gottes" der Gnade, bei, die Welt auch mit westlichen Augen zu sehen, während er selbst die tibetische Sprache perfekt erwarb und in die Spiritualität der Tibeter eindrang. Dass dies manchmal nicht ohne Missverständnisse abging, schildert Harrer ebenfalls in seinem Buch. Tibet war damals ein Gottesstaat, weitgehend abgeschlossen vom Rest der Welt. Wie weiland Rip van Winkle in Washington Irvings gleichnamiger Erzählung hätte man an eine Zeitverschiebung glauben können.
Tibet kennt keine Hast - so lautet eine der Kapitelüberschriften von Harrers Buch. Diese Entdeckung der Langsamkeit, ja Zeitlosigkeit ist eines der wichtigsten Leitmotive, die im Buch immer wiederkehren. Der Steiermärker beschreibt ein faszinierendes, rauhes Land, das freilich auch sanftere Seiten kennt - etwa im tibetischen Sommer, wenn man in manchen tiefer gelegenen Tälern sogar Obst und Südfrüchte ernten kann.
Immer wieder auch staunt der Autor über die Gläubigkeit der Menschen, über ihr Verhältnis zur Natur. Auch sind Tibeter immer auf Pilgerfahrt, entweder zu einem der - zu jener Zeit noch viel zahlreicheren - Klöster oder zu ihrem heiligen Berg, dem Kailash.
Als Erstbesteiger des Eiger war Heinrich Harrrer zusammen mit seinen drei Seilgefährten auch vom "Führer" Adolf Hitler empfangen und ausgezeichnet worden. Das hing ihm lange nach. In diesen Tagen neuerlicher Unruhe warf Peking dem absolut friedensbewegten Dalai Lama sogar vor, er sei ja von einem "Nationalsozialisten" erzogen worden. Doch das ist weitab von der Wirklichkeit.
Das Buch "Sieben Jahre in Tibet" ist noch heute - neben den Darstellungen von Alexandra David-Neel - fast die einzige populäre Quelle, um sich mit dem Gottesstaat auf dem Dach der Welt, so wie er sich vor dem Einmarsch der Chinesen darstellte, bekanntzumachen, wenn man einmal von den Reisebüchern der klassischen Asienforscher wie Sven Hedin oder Wilhelm Filchner absieht. Ein Land, damals fast ohne Straßen, mit Gebetsfahnen und Gebetsmühlen übersät, gelenkt und geleitet nicht von Funktionären und "Businessmen", wie heute, sondern von Mönchen und Nonnen, ganz dem Pfad der Leidaufhebung zugewandt. Ein Land der gläubigen Inbrunst, wie man sie auch heute noch bei den Tibetern wahrnehmen kann. Ein Land allerdings auch mit großer Armut und bisweilen mancherlei finsterem und bizarrem Aberglauben, der die an sich reine, glasklare Lehre des Buddha hier und da überdeckt und überwuchert.
Bis heute rechtfertigt China seinen Einmarsch nicht allein mit historischen Gründen, sondern auch mit dem Argument, es habe die Tibeter von einer hierarchischen Feudalgesellschaft, wie Harrer sie beschreibt, befreit und in die Moderne geführt. Doch die Tibeter, wie andere Völker, wollten gar nicht befreit werden.
Heinrich Harrer: Sieben Jahre in Tibet. Mein Leben am Hofe des Dalai Lama, Ullstein Verlag, Berlin 2006, 447 Seiten, 47 Schwarzweißfotos, 18,95 Euro.
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