Felicitas Hoppe schreibt in ihren »Sieben Schätzen« über die Welt der Wünsche, die das Erzählen ist. Sie erzählt von glücklichen Kindheiten und Zwergen mit großen Ohren, spricht über Literatur und Religion, ehrliche Erfindung und Autobiographie, über Zauberworte, Abenteuer und Ungeheuer, den literarischen Markt und das Schweigen, das im Märchen und im Leben ein Gewinn ist und eine Prüfung. Die Augsburger Vorlesungen sind ein großer Essay über Sätze, die Schätze sind, und über die Geheimnisse des Erzählens, über die Unzuverlässigkeit der Erinnerung und die Kraft des Wortes, über die Sprache als Verständigung, als mögliche Berührung in der Dunkelheit.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.02.2009Genie ist nicht vermittelbar
Willkommen im Land der Türsteher: Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe macht in ihren "Augsburger Vorlesungen" der Phantasterei eine Liebeserklärung und feiert das Märchen als "höchste, weil einfachste Form realistischer Literatur".
Meine Lyrik hat mehr privaten Charakter", gestand Bertolt Brecht im Jahre 1926, vermutlich ahnend, dass sie nur so dem Voyeurismus einer massenmedial deformierten Öffentlichkeit noch von Bedeutung sein würde. In der Tat, wir lechzen nach Intimität, Geständnis, Aura. Ans Eingemachte wollen wir, zitieren alle Geheimniskrämer vor Ausschüsse: nicht nur Bill Clinton und Hartmut Mehdorn, auch die literarischen Privatiers. Poetikdozentur heißt das im letzten Fall, mitunter auch Gastprofessur. Wie sich Felicitas Hoppe, im vergangenen Jahr zur ersten Augsburger "Bertolt Brecht Gastprofessur" verdonnert, durch sieben Schätze freikauft, wie sie ihre Apologie beim poetologischen Rodeo trojanisch unterläuft, indem sie eine Armada von Zwergen einschmuggelt, das ist ein herrliches Vergnügen, welches nun auch zwischen zwei Buchdeckeln zu haben ist.
Gewichtige Fragen werden hierbei aufgeworfen, oftmals Märchen abgetrotzt. Sieben dieser Verwunderungen seien herausgepickt, welche Hoppes Themenkreise anzudeuten vermögen: "Wie verwandelt man Wünsche in Kunst?" (Stichwort Begehren) - "Wozu Bücher, wenn jeder sein eigener Drucker ist?" (Stichwort Aura) - "Schreiben wir, weil wir reisen müssen, weil wir Vertriebene sind, oder schreiben wir, weil wir vom Reisen träumen, aber nicht genau wissen, ob wir es wollen?" (Stichwort Fremdheit) - "Jeder hat ein Recht auf seine Geschichte. Wohl wahr, aber hat auch jeder ein Recht auf ihre Veröffentlichung?" (Stichwort Biographismus) - "Kam Literatur jemals ohne Religion, Religion jemals ohne Literatur aus?" (Stichwort Hermeneutik) - "Was war zuerst da? Der oder das Ungeheuer oder der Mensch?" (Stichwort Monstrosität) - "Welche Bücher suchen wir aus und warum?" (Stichwort Kanon). Bei den Antworten jedoch dreht Hoppe den Inquisitoren ein ums andere Mal eine Nase und blickt wie schon der große B. B. kokett vom Katheder: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."
Ein Beispiel nur: Im fünften Kapitel, das die Literatur als Übergang vom Diesseits ins Jenseits behandelt und in dem der großartige Satz zu finden ist: "Willkommen im Land der Türsteher und Türhüter, der Verwalter und Makler, der Vermittler, Therapeuten, Agenten und Ausleger. Männern zweiter Ordnung, die ihre Existenz einer Macht verdanken, von der niemand weiß, worin sie besteht", in diesem Kapitel also wird Brecht für seinen naiven Versuch geohrfeigt, sich als Atheist am Transzendenten zu vergreifen, ohne es zu begreifen: "Offenbar gibt es tatsächlich Stoffe, die für die Literatur zu groß sind." Gemeint ist in diesem Fall Jeanne d'Arc. Und natürlich endet das Kapitel mit Hoppes eigener "Johanna"-Version, was allem Gesagten den Boden entzieht.
Keine endgültigen Festlegungen also, aber dennoch finden sich viele kluge Reflexionen in diesem Buch, das dem Leser einzig einige Toleranz gegenüber der arg strapazierten Schatzsucher-Allegorie abverlangt: "Ich neige, Sie merken es schon, zu der leichtfertigen Behauptung, das Märchen sei die höchste, weil einfachste Form realistischer Literatur." Dann tappst neben Daniil Charms' und Alvaro Cunqueiros Zwergen noch ein leibhaftiges Rumpelstilzchen durch die sieben Kapitel, der Schweizer Dichter Christian Uetz, der Hoppe am Telefon alle Antworten verraten hat (etwa "Sätze sind Schätze" oder "Das Genie ist nicht vermittelbar!") und sich nun wohl am Beinausreißen versucht.
Das breite Zaubergewand aber ist in erster Linie eine Tarnkappe. Felicitas Hoppe weiß sehr genau, worauf das Konzept "Autor zum Anfassen", worauf ein "Podium höflicher Rechtfertigungen" hinausläuft: "In Wahrheit verkaufen Autoren an solchen Abenden weniger ihre Bücher als ihre Aura." Während alles Private öffentlich wurde, wurde das Begreifen haptisch: Die Kunst versteckt sich hinter der Aura des Künstlers. Zurückdrehen lässt sich das wohl nicht mehr. Aber ein Rest von Ungreifbarkeit lässt sich wahren, indem man mit fremden Stimmen spricht. Das beherrscht die Autorin in höchster Perfektion und führt so all jene Schatzsucher, welche die psycho-poetologische Zauberformel für das Hoppe-Land zu finden erwarteten, zu der bittersüßen Einsicht, "dass auf Schätze wenig Verlass ist".
OLIVER JUNGEN
Felicitas Hoppe: "Sieben Schätze". Augsburger Vorlesungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 240 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Willkommen im Land der Türsteher: Die Schriftstellerin Felicitas Hoppe macht in ihren "Augsburger Vorlesungen" der Phantasterei eine Liebeserklärung und feiert das Märchen als "höchste, weil einfachste Form realistischer Literatur".
Meine Lyrik hat mehr privaten Charakter", gestand Bertolt Brecht im Jahre 1926, vermutlich ahnend, dass sie nur so dem Voyeurismus einer massenmedial deformierten Öffentlichkeit noch von Bedeutung sein würde. In der Tat, wir lechzen nach Intimität, Geständnis, Aura. Ans Eingemachte wollen wir, zitieren alle Geheimniskrämer vor Ausschüsse: nicht nur Bill Clinton und Hartmut Mehdorn, auch die literarischen Privatiers. Poetikdozentur heißt das im letzten Fall, mitunter auch Gastprofessur. Wie sich Felicitas Hoppe, im vergangenen Jahr zur ersten Augsburger "Bertolt Brecht Gastprofessur" verdonnert, durch sieben Schätze freikauft, wie sie ihre Apologie beim poetologischen Rodeo trojanisch unterläuft, indem sie eine Armada von Zwergen einschmuggelt, das ist ein herrliches Vergnügen, welches nun auch zwischen zwei Buchdeckeln zu haben ist.
Gewichtige Fragen werden hierbei aufgeworfen, oftmals Märchen abgetrotzt. Sieben dieser Verwunderungen seien herausgepickt, welche Hoppes Themenkreise anzudeuten vermögen: "Wie verwandelt man Wünsche in Kunst?" (Stichwort Begehren) - "Wozu Bücher, wenn jeder sein eigener Drucker ist?" (Stichwort Aura) - "Schreiben wir, weil wir reisen müssen, weil wir Vertriebene sind, oder schreiben wir, weil wir vom Reisen träumen, aber nicht genau wissen, ob wir es wollen?" (Stichwort Fremdheit) - "Jeder hat ein Recht auf seine Geschichte. Wohl wahr, aber hat auch jeder ein Recht auf ihre Veröffentlichung?" (Stichwort Biographismus) - "Kam Literatur jemals ohne Religion, Religion jemals ohne Literatur aus?" (Stichwort Hermeneutik) - "Was war zuerst da? Der oder das Ungeheuer oder der Mensch?" (Stichwort Monstrosität) - "Welche Bücher suchen wir aus und warum?" (Stichwort Kanon). Bei den Antworten jedoch dreht Hoppe den Inquisitoren ein ums andere Mal eine Nase und blickt wie schon der große B. B. kokett vom Katheder: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."
Ein Beispiel nur: Im fünften Kapitel, das die Literatur als Übergang vom Diesseits ins Jenseits behandelt und in dem der großartige Satz zu finden ist: "Willkommen im Land der Türsteher und Türhüter, der Verwalter und Makler, der Vermittler, Therapeuten, Agenten und Ausleger. Männern zweiter Ordnung, die ihre Existenz einer Macht verdanken, von der niemand weiß, worin sie besteht", in diesem Kapitel also wird Brecht für seinen naiven Versuch geohrfeigt, sich als Atheist am Transzendenten zu vergreifen, ohne es zu begreifen: "Offenbar gibt es tatsächlich Stoffe, die für die Literatur zu groß sind." Gemeint ist in diesem Fall Jeanne d'Arc. Und natürlich endet das Kapitel mit Hoppes eigener "Johanna"-Version, was allem Gesagten den Boden entzieht.
Keine endgültigen Festlegungen also, aber dennoch finden sich viele kluge Reflexionen in diesem Buch, das dem Leser einzig einige Toleranz gegenüber der arg strapazierten Schatzsucher-Allegorie abverlangt: "Ich neige, Sie merken es schon, zu der leichtfertigen Behauptung, das Märchen sei die höchste, weil einfachste Form realistischer Literatur." Dann tappst neben Daniil Charms' und Alvaro Cunqueiros Zwergen noch ein leibhaftiges Rumpelstilzchen durch die sieben Kapitel, der Schweizer Dichter Christian Uetz, der Hoppe am Telefon alle Antworten verraten hat (etwa "Sätze sind Schätze" oder "Das Genie ist nicht vermittelbar!") und sich nun wohl am Beinausreißen versucht.
Das breite Zaubergewand aber ist in erster Linie eine Tarnkappe. Felicitas Hoppe weiß sehr genau, worauf das Konzept "Autor zum Anfassen", worauf ein "Podium höflicher Rechtfertigungen" hinausläuft: "In Wahrheit verkaufen Autoren an solchen Abenden weniger ihre Bücher als ihre Aura." Während alles Private öffentlich wurde, wurde das Begreifen haptisch: Die Kunst versteckt sich hinter der Aura des Künstlers. Zurückdrehen lässt sich das wohl nicht mehr. Aber ein Rest von Ungreifbarkeit lässt sich wahren, indem man mit fremden Stimmen spricht. Das beherrscht die Autorin in höchster Perfektion und führt so all jene Schatzsucher, welche die psycho-poetologische Zauberformel für das Hoppe-Land zu finden erwarteten, zu der bittersüßen Einsicht, "dass auf Schätze wenig Verlass ist".
OLIVER JUNGEN
Felicitas Hoppe: "Sieben Schätze". Augsburger Vorlesungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 240 S., geb., 17,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein literarischer Voyeur ist Oliver Jungen nicht. Darum bereiten ihm Felicitas Hoppes "Augsburger Vorlesungen" auch so viel Freude. Wie die Autorin der Verlockung der auratischen Selbstfeier auf dem Katheder widersteht, indem sie auf so gewichtige Fragen wie die nach der Fremdheit oder dem Begehren in der Literatur "mit fremden Stimmen" antwortet, hat ihn für die Autorin eingenommen. Die Ungreifbarkeit ist es Jungen wert, von Hoppe zwar mit klugen Reflexionen, doch ohne endgültige Festlegungen unterhalten zu werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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