Ein Kameramann kann nicht aufhören zu filmen, nicht einmal im Kreißsaal seiner Frau. Eine Architektin lässt ihre asiatische Freundin verschicken, bevor diese ihren Mann verführt. Eine Tochter wartet auf den Zeitpunkt, Rache zu üben: Der Vater hat die Unschuld des Kindes ausgebeutet, um sich einen Namen zu machen. Ein Arzt will die Frau seines Herzens an sich binden, indem er ihre Antibabypille gegen Hormontabletten austauscht. Nur: Wer geht am Ende wem in die Falle? In diesem Buch geht es um Zeugen und Gebären, Bindungen, die zu Fesseln werden, das ewige ödipale Dreieck und seine zahllosen Deformationen. Harmlose Beziehungsgeflechte entwickeln sich zu teuflischen Verkettungen, Bewunderung verkehrt sich in Voyeurismus, Freundschaft wird zu Menschenhandel und Hingabe zu Macht: Wer unterwirft? Wer gibt sich hin? Sieben abgründig-schrille Einblicke in Künstlerseelen, Kreißsäle und Kleinfamilien.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.1998Sieben Schwellungen überstehen
Ekelsbrücke: Lydia Mischkulnigs Versuchungen
Wie läßt sich, wenn von Liebe schon lange nicht mehr die Rede ist, noch von der Idee der Liebe erzählen? Als melancholisches Bedauern ihrer Abwesenheit zum Beispiel, als ironisch-distanzierte Bilanz ihres Fehlens oder, auch das: als bloßes Begehren. Nichts von alledem findet sich in dem ersten Erzählband der österreichischen Autorin Lydia Mischkulnig. Die Liebe ist schon lange fort, und an ihre Stelle tritt ganz einfach nichts. Eine Leerstelle steht in der Mitte der Geschichten und Mischkulnig schreibt darum herum. "Sieben Versuchungen" heißt das Buch, und darüber muß man sich wundern. Denn hier wird niemand versucht.
Außer Jakob: Die zentrale Figur der Erzählung "Bande", für die Mischkulnig 1996 beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb den Bertelsmann-Literaturpreis erhielt, begehrt Eva. "Er spürte seinen Dirigentenstab an der Schädeldecke, als hätte er wilde Hörner im Gehirn." Schon wenn sie spricht, wird er froh: "Die Körperlichkeit aus ihrem Mund versteifte Jakob." Doch Eva hält ihn hin. Sie begehrt vor allem sein Begehren. Sie erfindet einen Liebhaber, um Jakobs Gier nach ihr zu erhalten, er vertauscht ihre Antibabypillen mit Fruchtbarkeitspräparaten, um sie durch ein Kind an sich zu binden. Doch alle Konstruktionen brechen weg, nachdem ihr Schwindel auffliegt. Die bemühte Vorstellung ist aus, und der Trieb zieht sich zurück. Es scheint: Was so leicht zu nichts wird, war auch vorher nicht richtig da.
In den anderen Erzählungen des Bandes wird ein Begehren, ein Liebessehnen nicht einmal mehr vorgetäuscht. Da filmt ein Mann die Geburt seines Kindes als Pornostreifen, ein anderer schildert aus reinem Geschäftskalkül in einem Roman, wie er seine kleine Tochter vergewaltigt. Das alles ist nur widerlich und führt zu nichts.
Der Ekel ist mühsam herbeigeschrieben. Die Autorin prahlt mit Häßlichkeiten. Alles ist hier künstlich. Nur die Körperlichkeit ist da, als Ekel, als Thrill, als schaurig-häßliche Schilderung, als Witz oder als lächerlicher Wille ohne Vorstellung. Was ist es, was in den von Mischkulnig erdachten Figuren lügt, hurt, stiehlt und mordet? Es ist ihr eigenes Bemühen, ihr angestrengter Wunsch nach Leidenschaften.
Lydia Mischkulnig schildert das mit sprachlicher Präzision, und das Konstruktionsgerüst ist genau entworfen. Nur kommt man nicht umhin, den Entwurf bei jeder Geschichte mitzulesen, weil er schlecht verborgen ist. Es sind Laborprosastücke, die ganz unerlebt wirken und sich mühsam lesen. Man wünscht ihnen mehr Wahrscheinlichkeit. VOLKER WEIDERMANN
Lydia Mischkulnig: "Sieben Versuchungen". Erzählungen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998. 270 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ekelsbrücke: Lydia Mischkulnigs Versuchungen
Wie läßt sich, wenn von Liebe schon lange nicht mehr die Rede ist, noch von der Idee der Liebe erzählen? Als melancholisches Bedauern ihrer Abwesenheit zum Beispiel, als ironisch-distanzierte Bilanz ihres Fehlens oder, auch das: als bloßes Begehren. Nichts von alledem findet sich in dem ersten Erzählband der österreichischen Autorin Lydia Mischkulnig. Die Liebe ist schon lange fort, und an ihre Stelle tritt ganz einfach nichts. Eine Leerstelle steht in der Mitte der Geschichten und Mischkulnig schreibt darum herum. "Sieben Versuchungen" heißt das Buch, und darüber muß man sich wundern. Denn hier wird niemand versucht.
Außer Jakob: Die zentrale Figur der Erzählung "Bande", für die Mischkulnig 1996 beim Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb den Bertelsmann-Literaturpreis erhielt, begehrt Eva. "Er spürte seinen Dirigentenstab an der Schädeldecke, als hätte er wilde Hörner im Gehirn." Schon wenn sie spricht, wird er froh: "Die Körperlichkeit aus ihrem Mund versteifte Jakob." Doch Eva hält ihn hin. Sie begehrt vor allem sein Begehren. Sie erfindet einen Liebhaber, um Jakobs Gier nach ihr zu erhalten, er vertauscht ihre Antibabypillen mit Fruchtbarkeitspräparaten, um sie durch ein Kind an sich zu binden. Doch alle Konstruktionen brechen weg, nachdem ihr Schwindel auffliegt. Die bemühte Vorstellung ist aus, und der Trieb zieht sich zurück. Es scheint: Was so leicht zu nichts wird, war auch vorher nicht richtig da.
In den anderen Erzählungen des Bandes wird ein Begehren, ein Liebessehnen nicht einmal mehr vorgetäuscht. Da filmt ein Mann die Geburt seines Kindes als Pornostreifen, ein anderer schildert aus reinem Geschäftskalkül in einem Roman, wie er seine kleine Tochter vergewaltigt. Das alles ist nur widerlich und führt zu nichts.
Der Ekel ist mühsam herbeigeschrieben. Die Autorin prahlt mit Häßlichkeiten. Alles ist hier künstlich. Nur die Körperlichkeit ist da, als Ekel, als Thrill, als schaurig-häßliche Schilderung, als Witz oder als lächerlicher Wille ohne Vorstellung. Was ist es, was in den von Mischkulnig erdachten Figuren lügt, hurt, stiehlt und mordet? Es ist ihr eigenes Bemühen, ihr angestrengter Wunsch nach Leidenschaften.
Lydia Mischkulnig schildert das mit sprachlicher Präzision, und das Konstruktionsgerüst ist genau entworfen. Nur kommt man nicht umhin, den Entwurf bei jeder Geschichte mitzulesen, weil er schlecht verborgen ist. Es sind Laborprosastücke, die ganz unerlebt wirken und sich mühsam lesen. Man wünscht ihnen mehr Wahrscheinlichkeit. VOLKER WEIDERMANN
Lydia Mischkulnig: "Sieben Versuchungen". Erzählungen. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998. 270 S., geb., 38,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Weil wir, mal wieder, in konturlosen Mainstream-Zeiten leben, fehlt das Unverwechselbare an allen Ecken und Enden - natürlich auch in der Literatur. Deshalb seien die Ausnahmen lautstark gerühmt: Lydia Mischkulnig zum Beispiel." Rainer Moritz, Verleger
"Wer die Hölle zu durchschreiten liebt oder es für nötig hält, der mache sich auf den Weg durch die 'Sieben Versuchungen' und werde reichlich belohnt für seine immer auch genußreiche Mühe." Wilhelm Bartsch im 'Generalanzeiger'
"Lydia Mischkulnig zeigt saubere, analytische Sezierschnitte ins Mark der Liebe." Elina Kritzokat in der 'Berliner Morgenpost'
"Die richtige Lektüre für lange, dunkle Winterabende!" Brigitte Riebe in der 'Cosmopolitan'
"Sieben verblüffend arrangierte Erzählungen, die souverän und verschmitzt allzu glatte, oberflächliche, abgegriffene zeitgemäße Stereotypen freilegen." Georg Pichler in der 'Presse', Wien
"Mit unerbittlicher Kälte fegt die Autorin alle wattigen Illusionen beiseite und hält einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, die längst den sieben Versuchungen erlegen ist, den Spiegel vor." Alexander Altmann in der 'tz'
"Diese Texte pulsieren, sie sind von bewunderswerter erzählerischer Kraft, und sie beunruhigen." Leopold Federmair im 'Falter', Wien
"Vom seltsamen Spiel, das die Liebe ist [gemeint ist Conny Francis' Schlager aus den 60er Jahren], handeln auch die Geschichten von Lydia Mischkulnig. Doch was der Schlagertext bloss behauptet, lösen die Erzählungen wirklich ein: sie fassen das Spiel der Liebe als abgründigen, widersprüchlichen, befremdlichen Vorgang, als heillos-schmerzliche Verstrickung [...] Dass von sieben Versuchungen die Rede ist, lockt auf die falsche Fährte, denn letztlich sind es bloss verschiedene Ausprägungen der einen, elementaren Versuchung: das Spiel der Liebe zu verwechseln mit dem Spiel um Macht und Besitz." Gerhard Melzer in der 'Neuen Zürcher Zeitung'
"Wer die Hölle zu durchschreiten liebt oder es für nötig hält, der mache sich auf den Weg durch die 'Sieben Versuchungen' und werde reichlich belohnt für seine immer auch genußreiche Mühe." Wilhelm Bartsch im 'Generalanzeiger'
"Lydia Mischkulnig zeigt saubere, analytische Sezierschnitte ins Mark der Liebe." Elina Kritzokat in der 'Berliner Morgenpost'
"Die richtige Lektüre für lange, dunkle Winterabende!" Brigitte Riebe in der 'Cosmopolitan'
"Sieben verblüffend arrangierte Erzählungen, die souverän und verschmitzt allzu glatte, oberflächliche, abgegriffene zeitgemäße Stereotypen freilegen." Georg Pichler in der 'Presse', Wien
"Mit unerbittlicher Kälte fegt die Autorin alle wattigen Illusionen beiseite und hält einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, die längst den sieben Versuchungen erlegen ist, den Spiegel vor." Alexander Altmann in der 'tz'
"Diese Texte pulsieren, sie sind von bewunderswerter erzählerischer Kraft, und sie beunruhigen." Leopold Federmair im 'Falter', Wien
"Vom seltsamen Spiel, das die Liebe ist [gemeint ist Conny Francis' Schlager aus den 60er Jahren], handeln auch die Geschichten von Lydia Mischkulnig. Doch was der Schlagertext bloss behauptet, lösen die Erzählungen wirklich ein: sie fassen das Spiel der Liebe als abgründigen, widersprüchlichen, befremdlichen Vorgang, als heillos-schmerzliche Verstrickung [...] Dass von sieben Versuchungen die Rede ist, lockt auf die falsche Fährte, denn letztlich sind es bloss verschiedene Ausprägungen der einen, elementaren Versuchung: das Spiel der Liebe zu verwechseln mit dem Spiel um Macht und Besitz." Gerhard Melzer in der 'Neuen Zürcher Zeitung'
"Diese Texte pulsieren, sie sind von bewunderswerter erzählerischer Kraft, und sie beunruhigen." (Leopold Federmair im "Falter", Wien)