Ruhelose Seelen, verfluchte Gemälde, Tote voller Rachsucht: Sieben Mal entführt uns diese fantastisch-schaurige Geschichtensammlung an unheilvolle Orte. Wir durchqueren einen japanischen Geisterwald, leben in einem Internat in Irland und schwimmen in einem dunklen schwedischen See.
Die "Siebengeschichten" der Erfolgsautorin Nina Blazon sind gespenstisch-schön von Isabel Kreitz illustriert.
Die "Siebengeschichten" der Erfolgsautorin Nina Blazon sind gespenstisch-schön von Isabel Kreitz illustriert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2019Schleichender Schrecken
Nina Blazon erkundet die Welt des Unheimlichen
Wohin auch immer uns Nina Blazon in ihren gruseligen „Siebengeschichten“ führt, beschleicht uns das dumpfe Gefühl, dass wir schon einmal an diesen Orten des Grauens waren: in den Fluren eines alten Internats, in einem Wald der Verlorenen, an einem dunklen, tiefen See, in einem von Feen besetzten, einsamen Haus.
Wir waren schon da, nicht weil wir Gruseliges von E.A. Poe, Lovecraft, Bierce oder Dahl kennen – das vielleicht auch –, sondern weil uns Blazons Kurzgeschichten zu den Urängsten aus den Albträumen der Kindheit zurückführen. Und Isabel Kreitz setzt mit ihren Schwarzweiß-Illustrationen das i-Tüpfelchen aufs erzählte Grauen. In den Traumfantasien unserer Kindheit waren wir zunächst neugierig aufs Unheimliche. Dann provozierten wir die namenlosen Wesen, und wenn sie erschienen, nahmen wir die Beine in die Hand. Nicht selten endete die Albtraumjagd auf einem düsteren Dachboden, bevor wir schweißgebadet aufwachten.
Nina Blazons Geschichten funktionieren nach ähnlichem Muster. Meist beginnen sie in einem realistischen, manchmal sogar in einem vertrauten familiären Milieu, in Irland, den USA, Frankreich, England, Schweden, Island oder Japan: Zwei beste Freundinnen trauern um die tödlich verunglückte Dritte im Bunde. Dad kauft kurz vor Heiligabend ein verkrumpeltes Ungetüm von Nordmanntanne. Eine Mutter erbt ein Ölgemälde mit dem Bildnis eines jungen Mannes (Dorian Gray lässt grüßen!). Eine Familie zieht an die Ufer eines idyllischen Sees. Ein Mädchen entdeckt einen seltsamen Spiegel. Ein anderes Mädchen kommt mit dem Schreihals von neugeborenem Schwesterchen nicht zurecht. Drei Freunde, die nach den Sommerferien getrennte Wege gehen, planen einen letzten gemeinsamen Ausflug. Zuerst passiert etwas Rätselhaftes, das die Fantasie anregt, bevor sukzessive die Angst um sich greift und die Wahrnehmung die Grenzen der vertrauten Realität überschreitet oder sich gar ins Wahnhafte steigert.
Nina Blazon beherrscht in ihren Kurzgeschichten die Dramaturgie des schleichenden Schreckens. Sie konstruiert unauffällig die passenden realistischen Kulissen. Dann kreiert sie die entsprechend düsteren Atmosphären, in denen die Nachtschattengewächse aus Ängsten und Albträumen gedeihen können, und erzählt schließlich in unaufgeregter Sprache von allem, was sich an Schauderhaftem ereignet, wobei sie nebenbei auch Fenster zum versteckten Familienhorror öffnet. Selbst wenn der Schrecken keine konkrete Gestalt gewinnt: Die Angst hat sich bereits im Gemüt festgekrallt. In diesem Zustand müssen wir an die kleine Fina aus Island denken, die an die Worte ihrer verstorbenen Großmutter glaubt, nach der das Dunkle, das unterm Haus sein Unwesen treibt, die Zahl Sieben nicht mag. Der Abwehrzauber wirkt allerdings nur, wenn unter den sieben Gegenständen, die man an einem Platz hortet, etwas Blaues ist. Gut, wir haben sieben Geschichten in einem Büchlein mit graublauem Cover. Das müsste genügen. (ab 12 Jahre)
SIGGI SEUSS
Nina Blazon: Siebengeschichten. Mit Bildern von Isabel Kreitz. Aladin Verlag, Hamburg 2018. 220 Seiten, 14 Euro.
Der Abwehrzauber wirkt nur,
wenn unter den sieben
Gegenständen etwas Blaues ist
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Nina Blazon erkundet die Welt des Unheimlichen
Wohin auch immer uns Nina Blazon in ihren gruseligen „Siebengeschichten“ führt, beschleicht uns das dumpfe Gefühl, dass wir schon einmal an diesen Orten des Grauens waren: in den Fluren eines alten Internats, in einem Wald der Verlorenen, an einem dunklen, tiefen See, in einem von Feen besetzten, einsamen Haus.
Wir waren schon da, nicht weil wir Gruseliges von E.A. Poe, Lovecraft, Bierce oder Dahl kennen – das vielleicht auch –, sondern weil uns Blazons Kurzgeschichten zu den Urängsten aus den Albträumen der Kindheit zurückführen. Und Isabel Kreitz setzt mit ihren Schwarzweiß-Illustrationen das i-Tüpfelchen aufs erzählte Grauen. In den Traumfantasien unserer Kindheit waren wir zunächst neugierig aufs Unheimliche. Dann provozierten wir die namenlosen Wesen, und wenn sie erschienen, nahmen wir die Beine in die Hand. Nicht selten endete die Albtraumjagd auf einem düsteren Dachboden, bevor wir schweißgebadet aufwachten.
Nina Blazons Geschichten funktionieren nach ähnlichem Muster. Meist beginnen sie in einem realistischen, manchmal sogar in einem vertrauten familiären Milieu, in Irland, den USA, Frankreich, England, Schweden, Island oder Japan: Zwei beste Freundinnen trauern um die tödlich verunglückte Dritte im Bunde. Dad kauft kurz vor Heiligabend ein verkrumpeltes Ungetüm von Nordmanntanne. Eine Mutter erbt ein Ölgemälde mit dem Bildnis eines jungen Mannes (Dorian Gray lässt grüßen!). Eine Familie zieht an die Ufer eines idyllischen Sees. Ein Mädchen entdeckt einen seltsamen Spiegel. Ein anderes Mädchen kommt mit dem Schreihals von neugeborenem Schwesterchen nicht zurecht. Drei Freunde, die nach den Sommerferien getrennte Wege gehen, planen einen letzten gemeinsamen Ausflug. Zuerst passiert etwas Rätselhaftes, das die Fantasie anregt, bevor sukzessive die Angst um sich greift und die Wahrnehmung die Grenzen der vertrauten Realität überschreitet oder sich gar ins Wahnhafte steigert.
Nina Blazon beherrscht in ihren Kurzgeschichten die Dramaturgie des schleichenden Schreckens. Sie konstruiert unauffällig die passenden realistischen Kulissen. Dann kreiert sie die entsprechend düsteren Atmosphären, in denen die Nachtschattengewächse aus Ängsten und Albträumen gedeihen können, und erzählt schließlich in unaufgeregter Sprache von allem, was sich an Schauderhaftem ereignet, wobei sie nebenbei auch Fenster zum versteckten Familienhorror öffnet. Selbst wenn der Schrecken keine konkrete Gestalt gewinnt: Die Angst hat sich bereits im Gemüt festgekrallt. In diesem Zustand müssen wir an die kleine Fina aus Island denken, die an die Worte ihrer verstorbenen Großmutter glaubt, nach der das Dunkle, das unterm Haus sein Unwesen treibt, die Zahl Sieben nicht mag. Der Abwehrzauber wirkt allerdings nur, wenn unter den sieben Gegenständen, die man an einem Platz hortet, etwas Blaues ist. Gut, wir haben sieben Geschichten in einem Büchlein mit graublauem Cover. Das müsste genügen. (ab 12 Jahre)
SIGGI SEUSS
Nina Blazon: Siebengeschichten. Mit Bildern von Isabel Kreitz. Aladin Verlag, Hamburg 2018. 220 Seiten, 14 Euro.
Der Abwehrzauber wirkt nur,
wenn unter den sieben
Gegenständen etwas Blaues ist
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zunächst ist alles wie gewohnt: Die Familie zieht in ein neues Haus, der Vater kauft zu Weihnachten eine hässliche Tanne, oder die Mutter erbt ein klobiges Gemälde. So weit so normal, erklärt Rezensent Siggi Seuss. Dann jedoch taucht etwas Ungewöhnliches auf, etwas, dass die Neugier weckt, etwas Unheimliches, das einen in den Bann zieht, nicht mehr loslässt, anwächst, immer mächtiger wird, immer schrecklicher und schon ist die Angst da und der Impuls zu fliehen. So funktionieren sie - unsere Albträume, meint Seuss, und so funktionieren auch Nina Blazons geschickt konstruierte Kurzgeschichten, in denen sie die uralte Welt der kindlichen Albtraumängste erforscht. In einfacher Sprache erzählt sie von Spukhäusern und magischen Spiegeln, von tiefen Wäldern und abgründigen Gewässern. Vervollkommnet werden diese Geschichten durch Isabel Kreitz schöne Illustrationen in schwarz-weiß, so der angetane Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Nina Blazon beherrscht in ihren Kurzgeschichten die Dramaturgie des schleichenden Schreckens.", Süddeutsche Zeitung, Siggi Seuß, 15.03.2019