Am 17. März 2006 wird Siegfried Lenz 80 Jahre alt. Seine Bücher sind weltweit in einer Auflage von mehr als 25 Millionen Exemplaren erschienen. Dennoch gab es bisher noch keine Biographie dieses Autors. Über sein Privatleben spricht Siegfried Lenz nicht gerne, und obwohl er einige autobiographische Skizzen veröffentlicht hat, liegen seine Kindheit, die Jugendjahre und die Kriegszeit weitgehend im Dunkeln. Nach umfangreichen Recherchen im In- und Ausland hat Erich Maletzke erstmals den Lebensweg des in Masuren geborenen Literaten nachgezeichnet. Dabei zeigt sich, daß fast alle über Siegfried Lenz veröffentlichten Lebensläufe zumindest teilweise umgeschrieben werden müssen. Erich Maletzkes mit Distanz und zugleich Einfühlungsvermögen geschriebene Biographie führt durch das Werk dieses Autors und läßt den Leser die Höhen und Tiefen seiner Entwicklung nacherleben.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2006Gespräch mit dem Schweiger
Produktive Halbdistanz: Erich Maletzke porträtiert Siegfried Lenz
Es gibt bislang keine Biographie über Siegfried Lenz. Denn aus welchen Quellen sollte man schöpfen? Das wenige, was Lenz öffentlich über sein Leben preisgegeben hat, ist "lückenhaft, wiederholt sogar irreführend", er bleibt "ein Schweiger, wenn es ums Persönliche geht". Erich Maletzke, der das nüchtern konstatiert, ist der Nachbar des Schriftstellers in dessen holsteinischer Wahlheimat. In geduldigen Gesprächen hat er den Schweiger zum Reden gebracht. Und er hat doch über der persönlichen Nähe die kritische Distanz nicht verloren. Beides zusammen prägt das Porträt, das er nun zu Lenz' Geburtstag verfaßt hat und das auch eine nützliche Einführung ins Werk und dessen höchst wechselhafte Rezeptionsgeschichte gibt.
Knapp und anschaulich wird von der ostpreußischen Herkunft des Autors berichtet und von der eigentümlich abwesenden Gestalt des Vaters, von Hitlerjugend, Wehrertüchtigungslager und Marine, von der Desertion in den letzten Kriegstagen und der Arbeit als Dolmetscher für die englischen Truppen und natürlich von der lebenslangen Liebesgeschichte zwischen Lenz und seiner (vor kurzem verstorbenen) Ehefrau Liselotte - "die Geschichte von Philemon und Baucis könnte im Haus Lenz erfunden worden sein". Er schildert den Aufstieg des Autors im Hamburg der Nachkriegszeit, die produktive Halbdistanz zur Gruppe 47.
Gerade hier gewinnt das Porträt manchmal überraschende Konturen. Maletzke erzählt von den Freundschaften mit Helmut Schmidt und seinem linken Antipoden Jochen Steffen, mit Günter Grass, dem lange fernen Bruder im Geiste, und einem Kritiker: "Mit keinen anderen Menschen - abgesehen von seiner Frau - ist Siegfried Lenz so eng umschlungen durchs Leben gegangen wie mit Marcel Reich-Ranicki." Manchmal erführe man gern noch etwas mehr, vom diskreten Beistand für den vereinsamenden Wolfgang Koeppen etwa. Aber auch hier ist es ersichtlich die melancholische Bescheidenheit des Porträtierten, die der Neugier Grenzen setzt - und dann ihrerseits in seinen Gesprächsnotizen sehr plastisch wird: "Immer dann, wenn ein Satz zu Ende ist, sagt Siegfried Lenz ,ach, ja'."
So zurückhaltend Maletzke im Biographischen bleibt, so deutlich ist er im Urteil, darum ist auch sein Lob glaubwürdig. Wer einen so klaren Blick hat für "Texte, die besser nicht geschrieben worden wären", dem vertraut man bereitwillig, wenn er auch an vergessene Glücksmomente erinnert und Unterschätztes rehabilitiert. Vor allem Lenz' vielzitierten "Pakt mit dem Leser" verfolgt Maletzke in seinen sympathischen wie in seinen heiklen Nuancen. Gegen das Klischee vom Liebling der Leser erinnert er daran, wie manche "gut organisierten Heimatvertriebenen und Marinekameradschaften" Lenz zum Feindbild gemacht haben. Wenn er die ungleichmäßigen Versuche mit Hörspiel, Fernsehspiel und Drama mustert und "Deutschstunde", "Heimatmuseum" und "Arnes Nachlaß" als bedeutende Romane würdigt, dann verschweigt er auch ihre Schwächen nicht. Und er läßt wenig Zweifel daran, daß die Meisterschaft des Siegfried Lenz sich am freiesten in den kleinen Formaten entfalten kann: in den Geschichten aus Suleyken und Bollerup (die auch dafür entschädigen, daß die Romane zuweilen "ohne Spuren von Heiterkeit oder Humor" bleiben), in Erzählungsbänden wie "Einstein überquert die Elbe bei Hamburg" und "Das serbische Mädchen" und in den Reisebildern der Sammlung "Zaungast". Fast nebenbei zeigt er, wie der Moralist in der Filmerzählung "Ein Kriegsende" der Tendenz zur Botschaft widersteht und eine neue Askese der Kunstgriffe und der expliziten Urteile entwickelt, die er erst im Spätwerk wieder erreicht. Lenz selbst hat sein Verhältnis zum Geschichtenerzählen mit dem Ausdruck "Selbstversetzung" resümiert. Das Wort verrät mehr, als es sollte. Wer so spricht, will von sich wegkommen, will seine Biographie zum Verschwinden bringen. Es ist Maletzkes von Sympathie getragenem Buch zu danken, daß er die Selbstversetzungen nicht einfach rückgängig macht, sondern eine Balance wahrt zwischen Autorporträt und Werkschau, Neugier und Diskretion.
HEINRICH DETERING
Erich Maletzke: "Siegfried Lenz". Eine biographische Annäherung. Verlag zu Klampen, Lüneburg 2006. 204 S., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Produktive Halbdistanz: Erich Maletzke porträtiert Siegfried Lenz
Es gibt bislang keine Biographie über Siegfried Lenz. Denn aus welchen Quellen sollte man schöpfen? Das wenige, was Lenz öffentlich über sein Leben preisgegeben hat, ist "lückenhaft, wiederholt sogar irreführend", er bleibt "ein Schweiger, wenn es ums Persönliche geht". Erich Maletzke, der das nüchtern konstatiert, ist der Nachbar des Schriftstellers in dessen holsteinischer Wahlheimat. In geduldigen Gesprächen hat er den Schweiger zum Reden gebracht. Und er hat doch über der persönlichen Nähe die kritische Distanz nicht verloren. Beides zusammen prägt das Porträt, das er nun zu Lenz' Geburtstag verfaßt hat und das auch eine nützliche Einführung ins Werk und dessen höchst wechselhafte Rezeptionsgeschichte gibt.
Knapp und anschaulich wird von der ostpreußischen Herkunft des Autors berichtet und von der eigentümlich abwesenden Gestalt des Vaters, von Hitlerjugend, Wehrertüchtigungslager und Marine, von der Desertion in den letzten Kriegstagen und der Arbeit als Dolmetscher für die englischen Truppen und natürlich von der lebenslangen Liebesgeschichte zwischen Lenz und seiner (vor kurzem verstorbenen) Ehefrau Liselotte - "die Geschichte von Philemon und Baucis könnte im Haus Lenz erfunden worden sein". Er schildert den Aufstieg des Autors im Hamburg der Nachkriegszeit, die produktive Halbdistanz zur Gruppe 47.
Gerade hier gewinnt das Porträt manchmal überraschende Konturen. Maletzke erzählt von den Freundschaften mit Helmut Schmidt und seinem linken Antipoden Jochen Steffen, mit Günter Grass, dem lange fernen Bruder im Geiste, und einem Kritiker: "Mit keinen anderen Menschen - abgesehen von seiner Frau - ist Siegfried Lenz so eng umschlungen durchs Leben gegangen wie mit Marcel Reich-Ranicki." Manchmal erführe man gern noch etwas mehr, vom diskreten Beistand für den vereinsamenden Wolfgang Koeppen etwa. Aber auch hier ist es ersichtlich die melancholische Bescheidenheit des Porträtierten, die der Neugier Grenzen setzt - und dann ihrerseits in seinen Gesprächsnotizen sehr plastisch wird: "Immer dann, wenn ein Satz zu Ende ist, sagt Siegfried Lenz ,ach, ja'."
So zurückhaltend Maletzke im Biographischen bleibt, so deutlich ist er im Urteil, darum ist auch sein Lob glaubwürdig. Wer einen so klaren Blick hat für "Texte, die besser nicht geschrieben worden wären", dem vertraut man bereitwillig, wenn er auch an vergessene Glücksmomente erinnert und Unterschätztes rehabilitiert. Vor allem Lenz' vielzitierten "Pakt mit dem Leser" verfolgt Maletzke in seinen sympathischen wie in seinen heiklen Nuancen. Gegen das Klischee vom Liebling der Leser erinnert er daran, wie manche "gut organisierten Heimatvertriebenen und Marinekameradschaften" Lenz zum Feindbild gemacht haben. Wenn er die ungleichmäßigen Versuche mit Hörspiel, Fernsehspiel und Drama mustert und "Deutschstunde", "Heimatmuseum" und "Arnes Nachlaß" als bedeutende Romane würdigt, dann verschweigt er auch ihre Schwächen nicht. Und er läßt wenig Zweifel daran, daß die Meisterschaft des Siegfried Lenz sich am freiesten in den kleinen Formaten entfalten kann: in den Geschichten aus Suleyken und Bollerup (die auch dafür entschädigen, daß die Romane zuweilen "ohne Spuren von Heiterkeit oder Humor" bleiben), in Erzählungsbänden wie "Einstein überquert die Elbe bei Hamburg" und "Das serbische Mädchen" und in den Reisebildern der Sammlung "Zaungast". Fast nebenbei zeigt er, wie der Moralist in der Filmerzählung "Ein Kriegsende" der Tendenz zur Botschaft widersteht und eine neue Askese der Kunstgriffe und der expliziten Urteile entwickelt, die er erst im Spätwerk wieder erreicht. Lenz selbst hat sein Verhältnis zum Geschichtenerzählen mit dem Ausdruck "Selbstversetzung" resümiert. Das Wort verrät mehr, als es sollte. Wer so spricht, will von sich wegkommen, will seine Biographie zum Verschwinden bringen. Es ist Maletzkes von Sympathie getragenem Buch zu danken, daß er die Selbstversetzungen nicht einfach rückgängig macht, sondern eine Balance wahrt zwischen Autorporträt und Werkschau, Neugier und Diskretion.
HEINRICH DETERING
Erich Maletzke: "Siegfried Lenz". Eine biographische Annäherung. Verlag zu Klampen, Lüneburg 2006. 204 S., geb., 16,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rundum glücklich ist Heinrich Detering mit Erich Maletzkes "biografischer Annäherung" an Siegfried Lenz, die er zugleich als "nützliche Einführung" in dessen Werk und seine Rezeptionsgeschichte betrachtet. Das auf "geduldigen Gesprächen" mit Lenz basierende Buch, das zum 80. Geburtstag des Schriftstellers erschienen ist, zeichnet sich für Deterings durch "persönlichen Nähe" zu seinem Gegenstand aus, ohne dass dabei die "kritische Distanz" verloren ginge. Beides präge das Porträt, das Maletzke zu Lenz' 80. Geburtstag verfasst habe. Als "knapp und anschaulich" lobt Detering die Schilderung von Herkunft und Aufstieg des Schriftstellers. "Überraschende Konturen" gewinnt das Porträt für ihn, wenn Maletzke von Lenz' Freundschaften mit Helmut Schmidt und seinem linken Antipoden Jochen Steffen, mit Günter Grass, und dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki erzählt. Er bescheinigt dem Autor, einen differenzierten Blick auf Lenz' Werk zu werfen und neben lobenden Tönen auch kritische Töne anzustimmen. "So zurückhaltend Maletzke im Biografischen bleibt", befindet Detering, "so deutlich ist er im Urteil, darum ist auch sein Lob glaubwürdig".
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Dass die erste und bisher einzige Biografie über den weltbekannten Erzähler entstand, war Maletzkes Engagement zu verdanken.« Börsenblatt 11/2021