»Davon würde man gern mehr lesen« Sabine Löhr, Frankfurter Allgemeine Zeitung Es gibt eine Entdeckung zu machen: Der junge Autor Rattawut Lapcharoensap, geboren in Chicago, aufgewachsen in Bangkok, erzählt in seinem gefeierten Debüt von einem Thailand, das wir so nicht kennen: fern von exotischen Stereotypen und ganz nah dran am modernen Leben.
So zum Beispiel in der preisgekrönten Geschichte Farangs, in der der junge Erzähler sich in eine amerikanische Urlauberin verliebt, die wie alle Farangs - Touristen - in Thailand nur Elefanten und Sex sucht, dann aber überraschend die Bekanntschaft eines Hausschweins namens Clint Eastwood macht. Lapcharoensap zeigt dem Leser immer, was hinter dem scheinbaren touristischen Paradies liegt. Er erzählt vom Zerbrechen einer Jungenfreundschaft während der Musterung fürs thailändische Militär, von einem Sohn, der einmal mit seiner allmählich erblindenden Mutter Sightseeing auf der Ferieninsel Koh Lukmak machen möchte, bevor er sie in Bangkok zurücklassen muss, um aufs College zu gehen. Oder von Priscilla, dem kambodschanischen Flüchtlingsmädchen, die ihrem thailändischen Spielgefährten einen Goldzahn, ihren letzten wertvollen Besitz, als Freundschaftsbeweis schenkt, nachdem ihre Wellblechhütte von Thais in Brand gesetzt worden ist.
Lapcharoensap wagt es, uns ein Thailand zu zeigen, das mit dem, was für uns Urlaubsparadies ist, nur die geographischen Grenzen und die traumhaften Landschaften gemeinsam hat. Mit großer Wärme, Intelligenz und Humor beweisen seine Erzählungen, was Literatur eben auch kann: Uns eine Welt und Menschen näher bringen, von deren Leben wir bislang nur eine vage Vorstellung hatten.
»Ein Volltreffer, ein beeindruckendes Buch über Thailand und seine Menschen. Jede einzelne Geschichte liest sich wie ein guter Roman. Vermutlich werden Sie es beim ersten Mal in einem Rutsch lesen, weglegen, irgendwann wieder finden und dann noch einmal genauso verzaubert werden wie ich.« Christine Westermann im WDR
So zum Beispiel in der preisgekrönten Geschichte Farangs, in der der junge Erzähler sich in eine amerikanische Urlauberin verliebt, die wie alle Farangs - Touristen - in Thailand nur Elefanten und Sex sucht, dann aber überraschend die Bekanntschaft eines Hausschweins namens Clint Eastwood macht. Lapcharoensap zeigt dem Leser immer, was hinter dem scheinbaren touristischen Paradies liegt. Er erzählt vom Zerbrechen einer Jungenfreundschaft während der Musterung fürs thailändische Militär, von einem Sohn, der einmal mit seiner allmählich erblindenden Mutter Sightseeing auf der Ferieninsel Koh Lukmak machen möchte, bevor er sie in Bangkok zurücklassen muss, um aufs College zu gehen. Oder von Priscilla, dem kambodschanischen Flüchtlingsmädchen, die ihrem thailändischen Spielgefährten einen Goldzahn, ihren letzten wertvollen Besitz, als Freundschaftsbeweis schenkt, nachdem ihre Wellblechhütte von Thais in Brand gesetzt worden ist.
Lapcharoensap wagt es, uns ein Thailand zu zeigen, das mit dem, was für uns Urlaubsparadies ist, nur die geographischen Grenzen und die traumhaften Landschaften gemeinsam hat. Mit großer Wärme, Intelligenz und Humor beweisen seine Erzählungen, was Literatur eben auch kann: Uns eine Welt und Menschen näher bringen, von deren Leben wir bislang nur eine vage Vorstellung hatten.
»Ein Volltreffer, ein beeindruckendes Buch über Thailand und seine Menschen. Jede einzelne Geschichte liest sich wie ein guter Roman. Vermutlich werden Sie es beim ersten Mal in einem Rutsch lesen, weglegen, irgendwann wieder finden und dann noch einmal genauso verzaubert werden wie ich.« Christine Westermann im WDR
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.04.2006Wankende kleine Welten
Alltag in Thailand: Rattawut Lapcharoensaps Erzählungen
Thailand ist eine lange, lächelnde Strandbar mit einer Handvoll anrüchiger Abschnitte. Wahrscheinlich gibt's dort noch einen König. Viel mehr weiß man im Westen in der Regel nicht über das Land. Der literarische Reichtum Thailands ist wegen fehlender Übersetzungen zumindest ins Deutsche weitgehend unbekannt. Seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts erfreut sich die moderne Kurzgeschichte dort großer Beliebtheit, Vorläufer hat sie seit Jahrhunderten in zahllosen religiösen Fabeln über die vielen früheren Leben des Buddhas. Als ungekrönter König der Kurzgeschichte gilt bislang der ehemalige Premierminister, Schauspieler, Tänzer und Schriftsteller M.R. Kukrit Pramoj (1911-1995), der in seiner "Lai Chiwit" schon in den fünfziger Jahren das allmähliche Verschwinden des traditionellen Lebensstils mit genauem Blick und ruhiger Hand skizzierte. Heute erzählen die Autoren von korrupten Politikern und verarmten Bauern, von sozialem Elend, urbaner Einsamkeit und dem verstörenden Wanken kleiner Welten.
Sie wanken auch bei Rattawut Lapcharoensap. Der junge thailändische Autor wurde 1979 in Chicago geboren, wuchs in Bangkok auf, um dann wieder in Amerika zu studieren. Sein Debüt "Sightseeing", eine Sammlung von sechs kurzen und einer längeren Erzählung, legte er auf englisch vor. Doch hütet er sich glücklicherweise anders als viele seiner jungen indischen Kollegen, seine Geschichten durch unnötigen Einsatz muttersprachlichen Dschungelblumenvokabulars zu exotisieren. Lapcharoensaps Prosa ist erfrischend klar, lebendig und jung, ohne unangenehm jugendlich zu sein. Der Grundton ist stets das kaum hörbare Seufzen der Adoleszenz, so daß sich seine sieben Ich-Erzähler, ob Junge, Mann oder Mädchen, trotz der Verschiedenheit ihrer Lebensumstände ähneln. Selbst der alte Amerikaner in "Laß mich nicht hier sterben", der nach einem Schlaganfall gezwungen ist, zu seinem Sohn, dessen thailändischer Frau und den mißtrauisch beäugten Wechselbalgenkeln nach Bangkok zu ziehen, ist ein Mann, der erwachsen werden muß und wird.
Das Leben geschieht Lapcharoensaps Figuren, sie lernen, sich zu arrangieren. Die humorvolle Freundlichkeit, die aus seinen Geschichten spricht, nimmt dem Erzählten im ersten Moment die Schärfe, auch bei sozial brisanten Themen hat kein anklagender Zeigefinger den Stift geführt. Doch etwas wirkt langsam nach, und diese Texte hinterlassen ein achselzuckendes "So ist es eben"-Gefühl, das wesentlich dazu beiträgt, daß man Lapcharoensaps Ausschnitte aus dem Alltagsthailand für authentisch und beinahe vertraut hält.
Da sind etwa zwei gelangweilte Zwölfjährige, die in einem leeren Schwimmbecken ihres Neubauviertels coole Fahrradtricks üben wollen und dabei die Bekanntschaft der kleinen Priscilla mit den goldenen Zähnen machen. Ihr Vater, ein Zahnarzt, hatte dem Mädchen, bevor sie mit ihrer Mutter aus dem krisengeschüttelten Kambodscha floh, das Familiengold über ihr Gebiß gezogen. Während sich die Kinder anfreunden, ereifern sich die Thaiväter - "Kambodschaner, die sind doch die eigentlichen Ratten" - über den armseligen Flüchtlingshaufen und brennen die Slumsiedlung schließlich nieder. Priscilla schenkt ihren Freunden zum Abschied frisch herausgerissene, blutige goldene Milchzähne.
"Farang" lautet der neutrale Ausdruck für Ausländer aller Art (nur die aus Thaisicht allzu verdreckten Rastafaris nennt man Farang ki nok, "Vogelschißausländer"), und die Geschichte dieses Titels zeigt das Strandidyll von der anderen Seite, aus Sicht der Dienstleister, die auf ihrer Insel Hinweisschilder zum Elefantenreiten absichtlich grammatikalisch verhunzen, weil Touristen das niedlich finden. "Du bietest ihnen Geschichte, Tempel, Pagoden, traditionelle Tänze, schwimmende Märkte, Fischcurry, Tapiokadessert, Seidenweber-Kooperativen, aber sie wollen bloß wie Wilde auf einem riesigen grauen Vieh herumreiten und auf Mädchen herumkeuchen und in der Zwischenzeit halb tot am Strand liegen und Hautkrebs kriegen", sagt eine Guesthouse-Mutter resigniert.
Touristen sind bekanntlich saisonale Güter: "So zählen wir die Tage. Juni: Die Deutschen kommen auf die Insel - Fußballschuhe, Riesen-T-Shirts, schwere Zungen. Juli: Die Franzosen mögen rundliche Mädchen. Die Amerikaner sind die Fettesten und die Geizigsten. Der August bringt Japaner. An denen muß man dranbleiben."
Auch an Lapcharoensap sollte man dranbleiben, sein nächstes Buch wird wohl ein Roman werden, das läßt zumindest die fast achtzig Seiten lange letzte, leise dramatische Erzählung "Hahnenkampf" hoffen. Davon würde man gern mehr lesen.
Rattawut Lapcharoensap: "Sightseeing". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 232 S., br., 8,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Alltag in Thailand: Rattawut Lapcharoensaps Erzählungen
Thailand ist eine lange, lächelnde Strandbar mit einer Handvoll anrüchiger Abschnitte. Wahrscheinlich gibt's dort noch einen König. Viel mehr weiß man im Westen in der Regel nicht über das Land. Der literarische Reichtum Thailands ist wegen fehlender Übersetzungen zumindest ins Deutsche weitgehend unbekannt. Seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts erfreut sich die moderne Kurzgeschichte dort großer Beliebtheit, Vorläufer hat sie seit Jahrhunderten in zahllosen religiösen Fabeln über die vielen früheren Leben des Buddhas. Als ungekrönter König der Kurzgeschichte gilt bislang der ehemalige Premierminister, Schauspieler, Tänzer und Schriftsteller M.R. Kukrit Pramoj (1911-1995), der in seiner "Lai Chiwit" schon in den fünfziger Jahren das allmähliche Verschwinden des traditionellen Lebensstils mit genauem Blick und ruhiger Hand skizzierte. Heute erzählen die Autoren von korrupten Politikern und verarmten Bauern, von sozialem Elend, urbaner Einsamkeit und dem verstörenden Wanken kleiner Welten.
Sie wanken auch bei Rattawut Lapcharoensap. Der junge thailändische Autor wurde 1979 in Chicago geboren, wuchs in Bangkok auf, um dann wieder in Amerika zu studieren. Sein Debüt "Sightseeing", eine Sammlung von sechs kurzen und einer längeren Erzählung, legte er auf englisch vor. Doch hütet er sich glücklicherweise anders als viele seiner jungen indischen Kollegen, seine Geschichten durch unnötigen Einsatz muttersprachlichen Dschungelblumenvokabulars zu exotisieren. Lapcharoensaps Prosa ist erfrischend klar, lebendig und jung, ohne unangenehm jugendlich zu sein. Der Grundton ist stets das kaum hörbare Seufzen der Adoleszenz, so daß sich seine sieben Ich-Erzähler, ob Junge, Mann oder Mädchen, trotz der Verschiedenheit ihrer Lebensumstände ähneln. Selbst der alte Amerikaner in "Laß mich nicht hier sterben", der nach einem Schlaganfall gezwungen ist, zu seinem Sohn, dessen thailändischer Frau und den mißtrauisch beäugten Wechselbalgenkeln nach Bangkok zu ziehen, ist ein Mann, der erwachsen werden muß und wird.
Das Leben geschieht Lapcharoensaps Figuren, sie lernen, sich zu arrangieren. Die humorvolle Freundlichkeit, die aus seinen Geschichten spricht, nimmt dem Erzählten im ersten Moment die Schärfe, auch bei sozial brisanten Themen hat kein anklagender Zeigefinger den Stift geführt. Doch etwas wirkt langsam nach, und diese Texte hinterlassen ein achselzuckendes "So ist es eben"-Gefühl, das wesentlich dazu beiträgt, daß man Lapcharoensaps Ausschnitte aus dem Alltagsthailand für authentisch und beinahe vertraut hält.
Da sind etwa zwei gelangweilte Zwölfjährige, die in einem leeren Schwimmbecken ihres Neubauviertels coole Fahrradtricks üben wollen und dabei die Bekanntschaft der kleinen Priscilla mit den goldenen Zähnen machen. Ihr Vater, ein Zahnarzt, hatte dem Mädchen, bevor sie mit ihrer Mutter aus dem krisengeschüttelten Kambodscha floh, das Familiengold über ihr Gebiß gezogen. Während sich die Kinder anfreunden, ereifern sich die Thaiväter - "Kambodschaner, die sind doch die eigentlichen Ratten" - über den armseligen Flüchtlingshaufen und brennen die Slumsiedlung schließlich nieder. Priscilla schenkt ihren Freunden zum Abschied frisch herausgerissene, blutige goldene Milchzähne.
"Farang" lautet der neutrale Ausdruck für Ausländer aller Art (nur die aus Thaisicht allzu verdreckten Rastafaris nennt man Farang ki nok, "Vogelschißausländer"), und die Geschichte dieses Titels zeigt das Strandidyll von der anderen Seite, aus Sicht der Dienstleister, die auf ihrer Insel Hinweisschilder zum Elefantenreiten absichtlich grammatikalisch verhunzen, weil Touristen das niedlich finden. "Du bietest ihnen Geschichte, Tempel, Pagoden, traditionelle Tänze, schwimmende Märkte, Fischcurry, Tapiokadessert, Seidenweber-Kooperativen, aber sie wollen bloß wie Wilde auf einem riesigen grauen Vieh herumreiten und auf Mädchen herumkeuchen und in der Zwischenzeit halb tot am Strand liegen und Hautkrebs kriegen", sagt eine Guesthouse-Mutter resigniert.
Touristen sind bekanntlich saisonale Güter: "So zählen wir die Tage. Juni: Die Deutschen kommen auf die Insel - Fußballschuhe, Riesen-T-Shirts, schwere Zungen. Juli: Die Franzosen mögen rundliche Mädchen. Die Amerikaner sind die Fettesten und die Geizigsten. Der August bringt Japaner. An denen muß man dranbleiben."
Auch an Lapcharoensap sollte man dranbleiben, sein nächstes Buch wird wohl ein Roman werden, das läßt zumindest die fast achtzig Seiten lange letzte, leise dramatische Erzählung "Hahnenkampf" hoffen. Davon würde man gern mehr lesen.
Rattawut Lapcharoensap: "Sightseeing". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Ingo Herzke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005. 232 S., br., 8,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Erzählungen des jungen thailändischen Autors Rattawut Lapcharoensap haben die Schärfe und die Klarheit des Auges einer Kamera und eine leider sehr selten gewordene, elegante Frische des Ausdrucks. "Sightseeing" ist ein ganz und gar wunderbares Debüt." Christian Kracht
"Lapcharoensap spürt selbst in finsterer Umgebung die Momente der Schönheit auf. Jede seiner Geschichten ist reich wie ein Roman." William Sutcliffe, The Guardian
"Ein wunderbares Tempo, lebhaft und facettenreich erzählt - diese Geschichten aus dem modernen Thailand sind unverbraucht und faszinierend, lustig und traurig und außergewöhnlich scharfsinnig." Booklist
"Diese Geschichten werden sich in Ihr Herz schleichen und dort noch lange verweilen." Salon
"Lapcharoensaps Blick fürs Detail erfasst nicht nur sein thailändisches Milieu, sondern das des Teenagerlebens überall." The New Times Book Review"Lapcharoensaps Geschichten über Familie - zeitweise düster und tragikomisch - entführen an Orte, die vertraut und zugleich exotisch sind." New York Post
"Lapcharoensap spürt selbst in finsterer Umgebung die Momente der Schönheit auf. Jede seiner Geschichten ist reich wie ein Roman." William Sutcliffe, The Guardian
"Ein wunderbares Tempo, lebhaft und facettenreich erzählt - diese Geschichten aus dem modernen Thailand sind unverbraucht und faszinierend, lustig und traurig und außergewöhnlich scharfsinnig." Booklist
"Diese Geschichten werden sich in Ihr Herz schleichen und dort noch lange verweilen." Salon
"Lapcharoensaps Blick fürs Detail erfasst nicht nur sein thailändisches Milieu, sondern das des Teenagerlebens überall." The New Times Book Review"Lapcharoensaps Geschichten über Familie - zeitweise düster und tragikomisch - entführen an Orte, die vertraut und zugleich exotisch sind." New York Post
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2006Café Lovely, Thailand
Rattawut Lapcharoensaps Erzählungsband „Sightseeing”
The Beach bites back - der Strand schlägt zurück, - so wurde Rattawut Lapcharoensaps Erzählband „Sightseeing” in Amerika beworben, in Anspielung auf Alex Garlands Backpackerroman „The Beach”. Tatsächlich scheint es, dass Lapcharoensap, 1979 in Chicago geboren und in Bangkok aufgewachsen, mit dem Tourismus, mit der Globalisierung, ja mit dem Westen überhaupt abrechnet. Schon in der Auftakterzählung „Farangs” benehmen sich Deutsche, Briten und Amerikaner an Thailands Stränden wie Herrenmenschen, kaufen Kultur und Traditionen, behandeln Einheimische wie Gebrauchsgegenstände. Der jugendliche Erzähler verliebt sich in eine Amerikanerin, sie schläft mit ihm und lässt ihn wieder fallen. Umgekehrt profitieren die Thailänder von der blinden Lust nach paradiesischem Inselleben und verkaufen den Touristen schlechte Kopien davon.
Der Erzähler ist Sohn einer Thailänderin und eines amerikanischen Soldaten, der die Familie verlassen hat. Er steht zwischen zwei Kulturen, aber eben auf der falschen Seite. Vergeblich wartet er darauf, dass der Vater ihn nach Amerika holt. Wie bei fast allen Protagonisten in diesem Band ist sein Denken von den ausgehöhlten Idealen der westlichen Kulturindustrie durchdrungen. Doch ist „Sightseeing” mehr als eine Abrechnung mit dem Westen. Thailand ringt darin mit sich selbst, mit Korruption und Kriminalität, fragwürdigen Traditionen und Rollenbildern.
„An einem wunderschönen Tag im April” - so beginnt die Erzählung „Einberufungstag”. Sie endet damit, dass ein Junge dem Tod geweiht wird, weil das Leben hier ein Glücksspiel mit gezinkten Karten ist. Ein Mann verliert sein Ohr und sein Geld, weil er nicht vom Hahnenkampf ablassen kann. Es herrscht Lethargie. Auch wenn es abwärts geht - und das ist die Regel, - man nimmt es hin. In der Erzählung „Im Café Lovely” stirbt der Vater des Erzählers unter einer herabfallenden Kiste, „voll mit kleinen Holzspielzeugen, die an die Kinder Amerikas verschickt werden sollten”. Aber über eine nächtliche Motorradfahrt mit dem Vater heißt es dann: „nichts kam mir lieblicher vor als der heiße Wind, der in meinen Ohren heulte, die Nacht, die um uns verschwamm, der Geruch des Motors, der ungestüm das Benzin verbrannte.”
So lässt Lapcharoensap seinen Protagonisten bei aller Tristesse Momente des Glücks. Die Stärke seiner Geschichten liegt darin, dass er weder pauschalisiert noch moralisiert. Der Tonfall der meist jugendlichen Erzähler ist leicht und beschwingt, oft auch komisch. Für die Einheimischen ist Thailand, so Lapcharoensap in einem Interview, nichts anderes als der „Schauplatz unserer täglichen Kämpfe und Freuden. So muss man „Sightseeing” als eine Art Vertreibung lesen: nicht der Touristen aus dem Paradies, sondern des Paradieses aus ihren Köpfen. JEAN-MICHEL BERG
RATTAWUT LAPCHAROENSAP: Sightseeing. Erzählungen Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 240 Seiten, 8,95 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Rattawut Lapcharoensaps Erzählungsband „Sightseeing”
The Beach bites back - der Strand schlägt zurück, - so wurde Rattawut Lapcharoensaps Erzählband „Sightseeing” in Amerika beworben, in Anspielung auf Alex Garlands Backpackerroman „The Beach”. Tatsächlich scheint es, dass Lapcharoensap, 1979 in Chicago geboren und in Bangkok aufgewachsen, mit dem Tourismus, mit der Globalisierung, ja mit dem Westen überhaupt abrechnet. Schon in der Auftakterzählung „Farangs” benehmen sich Deutsche, Briten und Amerikaner an Thailands Stränden wie Herrenmenschen, kaufen Kultur und Traditionen, behandeln Einheimische wie Gebrauchsgegenstände. Der jugendliche Erzähler verliebt sich in eine Amerikanerin, sie schläft mit ihm und lässt ihn wieder fallen. Umgekehrt profitieren die Thailänder von der blinden Lust nach paradiesischem Inselleben und verkaufen den Touristen schlechte Kopien davon.
Der Erzähler ist Sohn einer Thailänderin und eines amerikanischen Soldaten, der die Familie verlassen hat. Er steht zwischen zwei Kulturen, aber eben auf der falschen Seite. Vergeblich wartet er darauf, dass der Vater ihn nach Amerika holt. Wie bei fast allen Protagonisten in diesem Band ist sein Denken von den ausgehöhlten Idealen der westlichen Kulturindustrie durchdrungen. Doch ist „Sightseeing” mehr als eine Abrechnung mit dem Westen. Thailand ringt darin mit sich selbst, mit Korruption und Kriminalität, fragwürdigen Traditionen und Rollenbildern.
„An einem wunderschönen Tag im April” - so beginnt die Erzählung „Einberufungstag”. Sie endet damit, dass ein Junge dem Tod geweiht wird, weil das Leben hier ein Glücksspiel mit gezinkten Karten ist. Ein Mann verliert sein Ohr und sein Geld, weil er nicht vom Hahnenkampf ablassen kann. Es herrscht Lethargie. Auch wenn es abwärts geht - und das ist die Regel, - man nimmt es hin. In der Erzählung „Im Café Lovely” stirbt der Vater des Erzählers unter einer herabfallenden Kiste, „voll mit kleinen Holzspielzeugen, die an die Kinder Amerikas verschickt werden sollten”. Aber über eine nächtliche Motorradfahrt mit dem Vater heißt es dann: „nichts kam mir lieblicher vor als der heiße Wind, der in meinen Ohren heulte, die Nacht, die um uns verschwamm, der Geruch des Motors, der ungestüm das Benzin verbrannte.”
So lässt Lapcharoensap seinen Protagonisten bei aller Tristesse Momente des Glücks. Die Stärke seiner Geschichten liegt darin, dass er weder pauschalisiert noch moralisiert. Der Tonfall der meist jugendlichen Erzähler ist leicht und beschwingt, oft auch komisch. Für die Einheimischen ist Thailand, so Lapcharoensap in einem Interview, nichts anderes als der „Schauplatz unserer täglichen Kämpfe und Freuden. So muss man „Sightseeing” als eine Art Vertreibung lesen: nicht der Touristen aus dem Paradies, sondern des Paradieses aus ihren Köpfen. JEAN-MICHEL BERG
RATTAWUT LAPCHAROENSAP: Sightseeing. Erzählungen Aus dem Amerikanischen von Ingo Herzke. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 240 Seiten, 8,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Sehr angetan zeigt sich die Rezensentin Sabine Löhr vom Erzählband des jungen thailändischen Schriftstellers Rattawut Lapcharoensap. "Lebendig und jung, ohne unangenehm jugendlich zu sein" findet sie seine Prosa, und vor allem angenehm frei vom "muttersprachlichen Dschungelblumenvokabular", mit dem viele seiner indischen Schriftstellerkollegen die englische Sprache zu versetzen pflegten. Die Figuren der sieben vorliegenden Erzählungen, so die Rezensentin, haben eines gemeinsam: Das Leben passiert ihnen einfach, und sie müssen sich wohl oder übel damit arrangieren, so dass es sich wie ein "kaum hörbares Seufzen der Adoleszenz" durch den Band zu ziehen scheint. Doch so hart die geschilderten Schicksale auch sind, der erhobene Zeigefinger ist Lapcharoensaps Sache nicht, stellt die Rezensentin erleichtert fest. Die achtzig Seiten lange Erzählung "Hahnenkampf" legt nahe, dass Lapcharoensap zum Romangenre überwechseln wird, mutmaßt die Rezensentin und freut sich bereits - denn von diesem Autor möchte sie mehr lesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Lapcharoensaps Prosa ist erfrischend klar, lebendig und jung, ohne unangenehm jugendlich zu sein. Davon würde man gern mehr lesen« Sabine Löhr FAZ