Bisher hat sich die Forschung vorwiegend mit Werken bekannter Schriftstellerinnen und der damit verbundenen Konstruktion und Repräsentation von gender beschäftigt: so mit Anna Louisa Karsch, Sophie von LaRoche, Henriette von Egloffstein, Sophie Mereau, Caroline Schlegel, Bettine von Arnim, Rachel Varnhagen oder mit der Weimarer Herzogin Anna Amalia. Im Gegensatz zu den Frauen, die sich in den gängigen Gattungen wie Roman, Reisebeschreibung, Gedicht und Drama versuchten und in einzelnen Fällen auch profilierten, schreibt die Schlesierin Sigismunde Uhtke (1752-1813) in bildhafter und ausdrucksstarker, dem Barockroman entlehnter Sprachgebung kurze moralisch-pädagogische Texte, die beim ersten Lesen - so der Eindruck - lediglich die in den zeitgenössischen Tugendschriften vorgegebene stereotype Weiblichkeit zu propagieren suchen. Die Ich-Erzählerin ist jedoch keineswegs die Gattin und Hausfrau, die einer Familie bzw. einem Familienverband vorsteht, die Kinder vorbildlich erzieht und sich durch ihre wirtschaftlichen Kenntnisse um die finanzielle Vergrößerung des Besitzes verdient macht. Neu im Diskurs des 18. Jahrhunderts ist diese persona einer Eremitin, die die traditionelle Rolle der Frau abgelegt hat und eine eigenständige unabhängige Identität als Frau beansprucht. So schafft sie sich mit ihrem kleinen Werk Der weibliche Eremitenblick auf das Theater der Welt ein Genre, das die mittelalterlichen Heiligenviten der Reklusen zu einer modernen vom subjektiven Ich gestalteten Erzählform umschreibt. Während die Klausnerinnen wie die Klausner in ihrem Streben nach perfectio in vollkommener Abkehr von der Welt in der Nachfolge Christi einen asketischen Lebenswandel wählten, versteht Uhtkes Eremitin ihre Hütte als Ort des Ausblicks auf das von Eitelkeit und Nichtigkeit beherrschte Welttheater, von dem sie wohl als Akteurin abgetreten ist, das sie aber nun als Zuschauerin betrachtet, reflektiert, kommentiert und weiterhin mitbestimmt. An die Stelle einer strengen, nach innen gerichteten religiösen Lebensform tritt nun eine der Welt zugewandte Sicht, die mit der aus eigener Lebenserfahrung gewonnenen Kenntnis der Vorgänge in der menschlichen Psyche auf ihre Mitmenschen einzuwirken versucht. Aktives Engagement hat damit Priorität vor weltabgewandter Meditation. Mit der Vernetzung von christlichem Glauben, der dem Barock entlehnten Metapher des theatrum mundi, der Vernunft der Aufklärung und der Emotion der Empfindsamkeit realisiert Uhtke damit einen Handlungsspielraum, der mit dem Anspruch auf Wirklichkeitserfahrung, Reflexionsarbeit und Selbstdarstellung die Dynamik der zwischenmenschlichen Beziehungen durch ausdrucksstarke Erzählstrategien lebhaft vor Augen führt.
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