Jede Untersuchung hat einen unausgesprochenen Kern. Doch nur ein Denken, das sein Dunkles nicht verbirgt, sondern entfaltet, kann Originalität für sich beanspruchen. Das heißt, die Reflexion der Methode muß Teil der Untersuchung sein. "Methode" bedeutet hier allerdings nicht ein systematisches Vorwärtsschreiten im Sinne der abendländischen Tradition. In einem engmaschigen Dialog mit Foucault und Benjamin, Paracelsus und Warburg, Overbeck und neuzeitlicher Traktatliteratur verfolgt Agamben vielmehr die Figuren des Paradigmas, der Signatur und der Archäologie. Die Verflechtung zwischen diesen drei Figuren markiert den Raum, innerhalb dessen die "Signatur der Dinge" wie der Urknall oder Etymologien im Gegenwärtigen weiterwirkt.Die drei auch für sich lesbaren Kapitel dieses jüngsten Buches von Giorgio Agamben, der die intellektuelle Welt insbesondere mit seinem Homo-sacer-Projekt aufgestört hat, eröffnen einen Zugang zu zentralen Bereichen seines Denkens.
Hier geht's in die Einzelheiten: Giorgio Agamben stellt in methodenarmer Zeit willkommene Fragen zur Methode
Folgt man der Einleitung, so enthält das Bändchen "Signatura rerum", das der italienische Rechtsphilosoph und politische Theologe Giorgio Agamben unlängst veröffentlicht hat, Untersuchungen "zur Methode des Historikers Michel Foucault". Tatsächlich sind die drei meditationsartigen Überlegungen Agambens mit Foucault eher lose verknüpft. Sie versammeln jedoch eine anregende Fülle von Überlegungen, die Differenzierung verlangen - und zwar überall dort, wo Worte wie "Paradigma", "Zeichen" oder auch "Archäologie" allzu leicht aufs Papier geraten. Dies ist in der Wissenschaftsgeschichtsschreibung, aber auch in Agambens Domäne, der politischen Geschichte, und überhaupt in den Kulturwissenschaften der Fall.
Was ist ein Paradigma? Unter diesem Titel arbeitet Agamben zunächst den Abstand heraus, welcher den klassischen, facettenreichen Paradigma-Begriff des Wissenschaftshistorikers Thomas Kuhn trennt von den epistemologischen Figuren Foucaults und auch von Agambens eigenen Untersuchungsgegenständen: dem homo sacer, dem Muselmann, dem Ausnahmezustand, dem Konzentrationslager. Während Kuhn Geltungsphänomene untersucht - was gilt unter Wissenschaftlern zu einer bestimmten historischen Zeit im Rahmen bestimmter Normalbedingungen als "wahr"? -, analysiert Foucault und befragt auch Agamben "Existenzbedingungen", also nicht die Normalität, sondern den Wirklichkeitscharakter einer historischen Gegebenheit.
Damit verschärft sich das Problem, welcher Logik ein "Paradigma" denn nun gehorcht. Ein Paradigma exemplifiziert etwas durch sich selbst. Es ist ein singuläres Beispiel, das nicht für etwas Allgemeines steht, nicht für eine "Regel", sondern allenfalls für ein anderes Singuläres, das es - seinesgleichenartig - gewissermaßen horizontal mitmeinen kann (para-deíknymi: neben sich zeigen). Agamben fächert mögliche Aspekte eines streng analogischen Paradigmenbegriffs auf - von Aristoteles über Kant, Platon, Heidegger, Warburg bis Goethe. Er betont den aktiv etwas herausstellenden sowie den "ontologischen" Charakter, also den Seinsbezug des Paradigmas.
In einem zweiten Essay "Theorie der Signaturen" verfolgt der Autor das Problem des Bezuges zwischen Zeichen, Bezeichnetem und Zeichengebung durch vormoderne und moderne Quellen hindurch - bei Foucault findet sich dies ebenfalls historisch, aber auch in Gestalt einer Theorie der "Aussage" behandelt. Agamben will beides aufgreifen und weitertreiben. Signaturen (Münzprägungen, Unterschriften, Namen von Arzneien, aber auch die christlichen Sakramente) haben einen magischen Rest. Sie sind mehr als bloße Zeichen, "Leidenschaften des Seins", wie es bei dem Religionsphilosophen Herbert von Cherbury heißt. Abermals bietet Agamben eine das Motiv variierende Serie: Paracelsus, Jakob Böhme, Augustinus, Jamblichus, Ficino, Saussure. Auch Walter Benjamins Sprachkonzept sei eine "Philosophie der Signaturen", dazu Claude Lévi-Strauss, Derridas Dekonstruktion sowie - als deren Gegenteil - erneut Foucault.
Um die Philosophische Archäologie geht es im dritten und kürzesten Teil des Buchs, der dem Begriff und Problem einer als "Archäologie" angelegten Geschichtsschreibung nachgeht, einer Perspektive auf Vergangenheit, die nicht mehr bloß den einfachen Zeitpfeil der Ereignisgeschichte vor sich hat, sondern auch mit der eigentümlichen Nichtvergänglichkeit der Sinngeschichte konfrontiert ist. Auch der Terminus "Archäologie" wurde durch Foucault bekannt. Agamben findet ihn bei Kant und entrollt unterschiedliche Fassungen des Motivs: die "Urgeschichte" bei Franz Overbeck, eine "Ultra-Geschichte" bei Georges Dumézil.
Die methodische Terminologie des späten Husserl wird erstaunlicherweise nicht behandelt. Dafür eine psychoanalytische Lesart der Foucaultschen Archäologie des italienischen Phänomenologen Enzo Melandri, welcher die als der Geschichte gegenläufige Regressionsbewegung deutet. Auch Foucaults Begriff des "historischen Apriori" wäre mit Melandri, an den Agamben sich anschließt, Teil einer "archäologischen Regression", die eigentlich einen Zugang zur Gegenwart sucht.
Agambens Überlegungen sind subtil, also etwas für Experten. Zugleich sind sie angreifbar und formulieren - so, wie sie von Kontext zu Kontext dahingleiten - gerade auch im Ganzen keine definitiven Wahrheiten zur Sache. Foucault, an dem Agamben sich misst, hätte gewiss lieber von "Wirklichkeit" als von "Sein" gesprochen und sich gegen die Übermalung seiner Zeichen- und Geschichtsphilosophie durch theologische Versatzstücke verwahrt.
Folgt die Aussage tatsächlich dem in "Die Ordnung der Dinge" beschriebenen Ähnlichkeitsdenken? Impliziert jede singuläre historische Figur tatsächlich ein "paradigmatisches Ensemble"? Man mag es bezweifeln. Dennoch stehen Agambens Überlegungen rundum eindrucksvoll da. Es sind Versuche in einem Feld, in dem bisher kaum jemand so in die Einzelheiten ging. Wir leben in methodenarmen Zeiten, also her mit mehr Fragen zur Methode. Auch Anläufe zu Antworten können paradigmatisch sein.
PETRA GEHRING
Giorgio Agamben: "Signatura rerum". Zur Methode. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 146 S., br., 14,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
So wenig diese Texte auf definitive, unangreifbare Wahrheiten aus sind, so eindrucksvoll und subtil findet Petra Gehring, was Giorgio Agamben zur Methode Foucaults, zu Begriffen wie "Paradigma", "Zeichen" und "Archäologie", eher lose mit dem französischen Philosophen verknüpft, wie sie findet, zu Papier bringt. Das Meditationsartige der Überlegungen, die im Falle des Paradigmenbegriffs von Platon und Kant zu Heidegger und Warburg schweifen, stört Gehring nicht. Wir leben in methodenarmen Zeiten, meint sie, also her mit Methodenfragen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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