Es gibt Momente im Leben, in denen sich die Gestalt des kommenden Todes offenbart. Diese Momente, verborgen im Traum, im Werk oder im Namen, nennt Lorenz Jäger »Signaturen des Schicksals« und spürtihnen nach, in den Leben Neros, Hölderlins, Kafkas, Joyces, Jüngers u.a. »Im Moment des Vorauslaufensder eigenen Biografie kommt etwas Gefährliches zum Vorschein, etwas, das - mehr als wir selbst wahrhabenwollen - davon weiß, wie wir dem Tod in die Arme getrieben werden.« (Sibylle Lewitscharoff)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2012LORENZ JÄGER, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, hat eine Sammlung von kurzen Essays, Vignetten und Denkbildern unter dem Titel "Signaturen des Schicksals" veröffentlicht, die beweist, dass die Welt nicht aus beliebigen Daten, sondern aus bedeutungsvollen Konstellationen zusammengesetzt ist. Was die Suchmaschinen übersehen, legt Jäger in seinen Begegnungen mit Richard Wagner, Ernst Jünger oder Ernst Nolte frei: Wann jemand geboren wurde oder gestorben ist, unter welchem Stern eine Philosophie gedacht, ein Mord geplant werden musste, erlaubt als Befund den Einstieg in die Welt der Bedeutung. Die Rettung des Begriffs "Schicksal" vor dem Erlahmen der Aufmerksamkeit fürs Besondere ist ein Plan, dessen Erfolgsaussichten gering sein mögen, der aber Erkenntnisse hervorbringt, die über ihre Anlässe weit hinausreichen. (Lorenz Jäger: "Signaturen des Schicksals". Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012, 144 S., br., 12,80 [Euro].)
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.04.2013Kraut und
Rüben
Lorenz Jäger liest die
„Signaturen des Schicksals“
Es ist nicht gut für das Unkraut, dass es Unkraut heißt. In der Wortprägung ist die Lizenz zum Ausjäten schon enthalten. Dem Aberglauben geht es meist ähnlich, obwohl er kein Unglaube ist. Er ist nicht nur der Aufklärung verdächtig, sondern auch dem Offenbarungsglauben. Denn er hält es mit den Sternen und dem Schicksal und glaubt allen Ernstes, dass Träume prophetisch und Namen oder Geburtsdaten in der Lage sind, die Biografie ihres Trägers zu bestimmen.
Die strenge Scheidung von Glauben und Aberglauben mag der Journalist und Autor Lorenz Jäger, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ausgewiesener katholischer Christ und zeitweiliger teilnehmender Beobachter sowohl der radikalen bundesrepublikanischen Linken wie der Rechten, nicht akzeptieren. In einem schmalen Band hat er Aufsätze und Miniaturen versammelt, in denen er den „Signaturen des Schicksals“ auf der Spur ist, den Zeichen, an denen für denjenigen, der sie zu lesen weiß, das Schicksal ablesbar ist. Es handelt sich hier um den seltenen Fall metaphysischer Recherchen. Anregend sind sie, weil es unerheblich ist, ob der Leser die Deutung teilt, die der Autor dem Geburtstag des Historikers Ernst Nolte oder den Todestagen von Ernst Jünger und Stanislaus Joyce zuschreibt. Entscheidend ist, dass der Signaturensucher immer wieder aufdeckt, was zur Deutung biografischer und historischer Konstellationen taugt, etwa im Blick auf Nero, der sich die Komödie „Der Brand“ vorspielen ließ, bevor er Diener mit Fackeln und Pechkränzen durch Rom schickte.
Gutes Feuilleton ist wie Kraut und Rüben: der ernste Nachruf steht neben der witzigen Glosse, der scharfe Verriss neben der Hymne. Kraut neben Unkraut. Was einem auffällt. Was Jäger auffällt, nennt er „Signaturen“: die Begegnung Richard Wagners mit dem Instrumentenbauer Adolf Sax in Paris, die abergläubische Seite von Kurt Schwitters, die Verbindungslinien, die von der Erzählung „Die Nase“ zu Gogols „Betrachtungen über die Göttliche Liturgie“ oder von Johann Georg Hamanns Apologie des Buchstabens „h“ zur auffällig prominenten Rolle des Hauchs in der Lyrik Hugo von Hofmannsthals führen.
Seltsam ist nur, dass Jäger aus der Serie über die Tierkreiszeichen, die er vor einigen Jahren in der FAZ publiziert hat, das Stück über das Zeichen des Zwillings nicht aufgenommen hat. Darin repräsentiert Thomas Mann, der am 6. Juni 1875 geboren wurde und sein Geburtsdatum dem Gespräch über die Sterne zwischen dem jungen Joseph und seinem Vater Jaakob in „Joseph und seine Brüder“ unterlegte, die heitere geistige Spielernatur des Zwillings. Nach der Lektüre dieses Büchleins ahnt man, dass Jäger, der das so sympathetisch kommentiert, seinerseits an einem 6. Juni geboren sein muss.
LOTHAR MÜLLER
Lorenz Jäger: Signaturen des Schicksals. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012. 139 Seiten, 12,80 Euro.
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Rüben
Lorenz Jäger liest die
„Signaturen des Schicksals“
Es ist nicht gut für das Unkraut, dass es Unkraut heißt. In der Wortprägung ist die Lizenz zum Ausjäten schon enthalten. Dem Aberglauben geht es meist ähnlich, obwohl er kein Unglaube ist. Er ist nicht nur der Aufklärung verdächtig, sondern auch dem Offenbarungsglauben. Denn er hält es mit den Sternen und dem Schicksal und glaubt allen Ernstes, dass Träume prophetisch und Namen oder Geburtsdaten in der Lage sind, die Biografie ihres Trägers zu bestimmen.
Die strenge Scheidung von Glauben und Aberglauben mag der Journalist und Autor Lorenz Jäger, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ausgewiesener katholischer Christ und zeitweiliger teilnehmender Beobachter sowohl der radikalen bundesrepublikanischen Linken wie der Rechten, nicht akzeptieren. In einem schmalen Band hat er Aufsätze und Miniaturen versammelt, in denen er den „Signaturen des Schicksals“ auf der Spur ist, den Zeichen, an denen für denjenigen, der sie zu lesen weiß, das Schicksal ablesbar ist. Es handelt sich hier um den seltenen Fall metaphysischer Recherchen. Anregend sind sie, weil es unerheblich ist, ob der Leser die Deutung teilt, die der Autor dem Geburtstag des Historikers Ernst Nolte oder den Todestagen von Ernst Jünger und Stanislaus Joyce zuschreibt. Entscheidend ist, dass der Signaturensucher immer wieder aufdeckt, was zur Deutung biografischer und historischer Konstellationen taugt, etwa im Blick auf Nero, der sich die Komödie „Der Brand“ vorspielen ließ, bevor er Diener mit Fackeln und Pechkränzen durch Rom schickte.
Gutes Feuilleton ist wie Kraut und Rüben: der ernste Nachruf steht neben der witzigen Glosse, der scharfe Verriss neben der Hymne. Kraut neben Unkraut. Was einem auffällt. Was Jäger auffällt, nennt er „Signaturen“: die Begegnung Richard Wagners mit dem Instrumentenbauer Adolf Sax in Paris, die abergläubische Seite von Kurt Schwitters, die Verbindungslinien, die von der Erzählung „Die Nase“ zu Gogols „Betrachtungen über die Göttliche Liturgie“ oder von Johann Georg Hamanns Apologie des Buchstabens „h“ zur auffällig prominenten Rolle des Hauchs in der Lyrik Hugo von Hofmannsthals führen.
Seltsam ist nur, dass Jäger aus der Serie über die Tierkreiszeichen, die er vor einigen Jahren in der FAZ publiziert hat, das Stück über das Zeichen des Zwillings nicht aufgenommen hat. Darin repräsentiert Thomas Mann, der am 6. Juni 1875 geboren wurde und sein Geburtsdatum dem Gespräch über die Sterne zwischen dem jungen Joseph und seinem Vater Jaakob in „Joseph und seine Brüder“ unterlegte, die heitere geistige Spielernatur des Zwillings. Nach der Lektüre dieses Büchleins ahnt man, dass Jäger, der das so sympathetisch kommentiert, seinerseits an einem 6. Juni geboren sein muss.
LOTHAR MÜLLER
Lorenz Jäger: Signaturen des Schicksals. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2012. 139 Seiten, 12,80 Euro.
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