"Sie erzählt mit Finesse und Biss." Peter Weber
In ihrem aufsehenerregenden Debüt erzählt die gefeierte Open-Mike-Preisträgerin Inger-Maria Mahlke eine faszinierende Geschichte über Misstrauen, Abhängigkeit und erotische Anziehung.
Hermann Mildt war Polizeibeamter, bis man ihn frühpensionierte, weil er seine tote Frau im Garten fotografierte. Eher unfreiwillig nimmt er Jana Potulski bei sich auf, sie ist Polin ohne Papiere und sucht eine Übernachtungsmöglichkeit. Warum er sich auf sie einlässt, kann er nicht sagen. Er darf ihre Brüste berühren, abends im Bad. Nach drei Tagen läuft sie ihm weg. Erst sucht er sie, dann wartet er, und schließlich findet er sie auf der Straße wieder. Und Jana Potulski kehrt mit ihm in die Wohnung zurück. Doch dann geht alles drunter und drüber. - Meisterhaft im Ton und voll untergründiger Spannung schildert Mahlke die Geschichte einer ungewollten Annäherung, einer Entwahrlosung - ein Roman ganz auf der Höhe unserer Zeit.
In ihrem aufsehenerregenden Debüt erzählt die gefeierte Open-Mike-Preisträgerin Inger-Maria Mahlke eine faszinierende Geschichte über Misstrauen, Abhängigkeit und erotische Anziehung.
Hermann Mildt war Polizeibeamter, bis man ihn frühpensionierte, weil er seine tote Frau im Garten fotografierte. Eher unfreiwillig nimmt er Jana Potulski bei sich auf, sie ist Polin ohne Papiere und sucht eine Übernachtungsmöglichkeit. Warum er sich auf sie einlässt, kann er nicht sagen. Er darf ihre Brüste berühren, abends im Bad. Nach drei Tagen läuft sie ihm weg. Erst sucht er sie, dann wartet er, und schließlich findet er sie auf der Straße wieder. Und Jana Potulski kehrt mit ihm in die Wohnung zurück. Doch dann geht alles drunter und drüber. - Meisterhaft im Ton und voll untergründiger Spannung schildert Mahlke die Geschichte einer ungewollten Annäherung, einer Entwahrlosung - ein Roman ganz auf der Höhe unserer Zeit.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2010Nähe ist eine Ordnungswidrigkeit
Dunkelkammerspiel: Inger-Maria Mahlkes Debüt erzählt von der Begegnung zweier einsamer Menschen und der Unwahrscheinlichkeit des Glücks in letzter Lebensminute.
Von Richard Kämmerlings
Es gibt Debüts, von denen man nur einen Satz lesen muss, und dann weiß man, dass es, ganz gleich, was nun noch kommt, nicht wirklich danebengehen kann. Etwa diesen: "Eine lange Reihe abgasgeschwärzter Häuser, die sich in Pfützen spiegelten, trocknete an der Wäscheleine in der Küche, er stieß sie im Vorbeigehen an." Das ist der erste Satz von "Silberfischchen", ein solches Erster-Satz-Versprechen kann kaum jemand halten, aber wirklich brechen kann man es auch nicht mehr.
Inger-Maria Mahlke beginnt mit diesem Satz ihre Geschichte des pensionierten Polizeibeamten und Hobbyfotografen Hermann Mildt, der bei einer seiner Exkursionen die in Not geratene Polin Jana Potulski trifft und ihr Obdach gewährt. Das ist schon fast die ganze Handlung des Romans. Ein alter Mann, verwitwet, vereinsamt, verschroben, geizig und bis zur Paranoia misstrauisch, hat plötzlich, eigentlich gegen seinen Willen, eine fremde, jüngere, auch nicht mehr ganz junge Frau in seiner verwahrlosten Wohnung und ist so gezwungen, sich selbst in Augenschein zu nehmen. Sich selbst, das heißt: die innere und äußere Einrichtung seines Lebens in einem toten Winkel der Gesellschaft, angefangen von der Lampe im Flur: "Und zwischen Glühbirne und Schalental, und er war sicher, er hatte sie noch nie gesehen, Insektenschatten."
"Möbel" bedeuten etymologisch etwas Bewegliches, im Gegensatz zu den von ihm abgelichteten Immobilien, doch im Leben Hermann Mildts hat sich schon lange nichts mehr bewegt, seit seine Frau überraschend starb und er nach Berlin, in die Stadt seiner Jugendträume, zog - um dort nichts zu tun als jeden Tag zu fotografieren, die ganze Welt Stück für Stück im Bild stillzustellen und einzufrieren. Seine einzige Mission: Diese verrückte, rasende Zeit auszubremsen per Belichtung.
",Was machen Sie den ganzen Tag', fragte Frau Potulski. - ,Ich fotografiere.' Er ließ die Augen geschlossen, vielleicht hörte sie auf. - ,Und was?' - ,Ist egal', er ließ den Kopf ein wenig zur Seite sinken, als ließe die Müdigkeit seine Muskeln erschlaffen. - ,Mich würde es interessieren.' Sie hörte nicht auf. - ,Das meine ich nicht. Mir ist egal, was ich fotografiere.'" Jana Potulski, Anfang fünfzig, nimmt sich Hermann Mildts Leben vor wie Herakles den Stall des Augias. Mit einem Heroismus des Alltags, der selbstverständlich das Notwendige sieht und tut. Wohnung putzen, Wäsche waschen, einkaufen, kochen, dem alten Mann die schlaffen Brüste Hinhalten. "Die Schläuche waren warm, er berührte sie mit den Fingerkuppen, strich hinab, aber als er die Augen schloss, fühlten sie sich richtig an. Blitzschnell und aus der Tiefe: richtig."
Inger-Maria Mahlke, geboren 1977 in Hamburg, letztes Jahr Gewinnerin des Berliner Open-Mike, arbeitet mit einfachen Mitteln, die sie aber perfekt beherrscht. Obwohl sie zwei Figuren hat, verwendet sie konsequent nur die personale Erzählperspektive des Alten, der seinen ungeliebt-geliebten Gast aller denkbaren Verbrechen bis hin zum Mord verdächtigt und in gelernter Manier ins Verhör nimmt. So müssen äußere Details und die gekonnt reduzierten Dialoge die Balance halten.
Die kammerspielhafte Dramatik entsteht aus dem inneren, ihm selbst ganz unbewussten Kampf Mildts, in dem Gewohnheit, beamtenhafte Spießigkeit, Angst und Egozentrik mit einer fast mechanischen Anziehung ringen. Dabei ist die fromme und bodenständige Jana Potulski nur in Mildts verwirrter Phantasie listig und verschlagen. Großartig, wie im misogynen Blick immer wieder seine Faszination durchschlägt: ein spätes, kurzes, ganz und gar unwahrscheinliches Glück in letzter Lebensminute, das sich als Kleinkrieg tarnen muss. So wird der zänkische Greis für einen rettenden Augenblick zum sehnsuchtskranken Liebenden, um dann doch wieder in sein kleinkariert-verbittertes Haustyrannentum zurückzufallen. "Es ist Ihnen verboten, die Schuber zu öffnen, Frau Potulski." Nähe bleibt eine Ordnungswidrigkeit.
Die Schilderung einer sexuellen Annäherung unter alten Menschen hat hier nichts Voyeuristisches oder Ekliges, obwohl der körperliche Verfall in allen Einzelheiten beschrieben wird. Überhaupt ist es die große Stärke der Autorin, das Milieu sinnlich genau wiederzugeben, ohne dabei zu denunzieren. "Menschen sind manchmal seltsam", fasst Jana Potulski trocken ihre ebenso weise wie barmherzige Sicht auf die Welt zusammen.
Das Exemplarische muss sich der Leser selbst erschließen. Mildt, vermutlich in den Dreißigern geboren, wurde als Kind vertrieben. Ein Bildband "Pommern - die unvergessene Heimat" ("REDUZIERT: 4,90!") steht ungelesen im Regal. Janas Mutter wiederum wurde von den Russen nach Posen umgesiedelt. Dieser Hintergrund wird - ebenso wie das Titelbild der in Ritzen im Bad hausenden Silberfischchen oder die Symbolik der Fotografie - nur angerissen, "im Vorbeigehen" angestoßen, wie die Wäscheleine in der Küche mit den trocknenden Abzügen. Doch zittern diese Motive noch lange nach.
Inger-Maria Mahlke: "Silberfischchen". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 206 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dunkelkammerspiel: Inger-Maria Mahlkes Debüt erzählt von der Begegnung zweier einsamer Menschen und der Unwahrscheinlichkeit des Glücks in letzter Lebensminute.
Von Richard Kämmerlings
Es gibt Debüts, von denen man nur einen Satz lesen muss, und dann weiß man, dass es, ganz gleich, was nun noch kommt, nicht wirklich danebengehen kann. Etwa diesen: "Eine lange Reihe abgasgeschwärzter Häuser, die sich in Pfützen spiegelten, trocknete an der Wäscheleine in der Küche, er stieß sie im Vorbeigehen an." Das ist der erste Satz von "Silberfischchen", ein solches Erster-Satz-Versprechen kann kaum jemand halten, aber wirklich brechen kann man es auch nicht mehr.
Inger-Maria Mahlke beginnt mit diesem Satz ihre Geschichte des pensionierten Polizeibeamten und Hobbyfotografen Hermann Mildt, der bei einer seiner Exkursionen die in Not geratene Polin Jana Potulski trifft und ihr Obdach gewährt. Das ist schon fast die ganze Handlung des Romans. Ein alter Mann, verwitwet, vereinsamt, verschroben, geizig und bis zur Paranoia misstrauisch, hat plötzlich, eigentlich gegen seinen Willen, eine fremde, jüngere, auch nicht mehr ganz junge Frau in seiner verwahrlosten Wohnung und ist so gezwungen, sich selbst in Augenschein zu nehmen. Sich selbst, das heißt: die innere und äußere Einrichtung seines Lebens in einem toten Winkel der Gesellschaft, angefangen von der Lampe im Flur: "Und zwischen Glühbirne und Schalental, und er war sicher, er hatte sie noch nie gesehen, Insektenschatten."
"Möbel" bedeuten etymologisch etwas Bewegliches, im Gegensatz zu den von ihm abgelichteten Immobilien, doch im Leben Hermann Mildts hat sich schon lange nichts mehr bewegt, seit seine Frau überraschend starb und er nach Berlin, in die Stadt seiner Jugendträume, zog - um dort nichts zu tun als jeden Tag zu fotografieren, die ganze Welt Stück für Stück im Bild stillzustellen und einzufrieren. Seine einzige Mission: Diese verrückte, rasende Zeit auszubremsen per Belichtung.
",Was machen Sie den ganzen Tag', fragte Frau Potulski. - ,Ich fotografiere.' Er ließ die Augen geschlossen, vielleicht hörte sie auf. - ,Und was?' - ,Ist egal', er ließ den Kopf ein wenig zur Seite sinken, als ließe die Müdigkeit seine Muskeln erschlaffen. - ,Mich würde es interessieren.' Sie hörte nicht auf. - ,Das meine ich nicht. Mir ist egal, was ich fotografiere.'" Jana Potulski, Anfang fünfzig, nimmt sich Hermann Mildts Leben vor wie Herakles den Stall des Augias. Mit einem Heroismus des Alltags, der selbstverständlich das Notwendige sieht und tut. Wohnung putzen, Wäsche waschen, einkaufen, kochen, dem alten Mann die schlaffen Brüste Hinhalten. "Die Schläuche waren warm, er berührte sie mit den Fingerkuppen, strich hinab, aber als er die Augen schloss, fühlten sie sich richtig an. Blitzschnell und aus der Tiefe: richtig."
Inger-Maria Mahlke, geboren 1977 in Hamburg, letztes Jahr Gewinnerin des Berliner Open-Mike, arbeitet mit einfachen Mitteln, die sie aber perfekt beherrscht. Obwohl sie zwei Figuren hat, verwendet sie konsequent nur die personale Erzählperspektive des Alten, der seinen ungeliebt-geliebten Gast aller denkbaren Verbrechen bis hin zum Mord verdächtigt und in gelernter Manier ins Verhör nimmt. So müssen äußere Details und die gekonnt reduzierten Dialoge die Balance halten.
Die kammerspielhafte Dramatik entsteht aus dem inneren, ihm selbst ganz unbewussten Kampf Mildts, in dem Gewohnheit, beamtenhafte Spießigkeit, Angst und Egozentrik mit einer fast mechanischen Anziehung ringen. Dabei ist die fromme und bodenständige Jana Potulski nur in Mildts verwirrter Phantasie listig und verschlagen. Großartig, wie im misogynen Blick immer wieder seine Faszination durchschlägt: ein spätes, kurzes, ganz und gar unwahrscheinliches Glück in letzter Lebensminute, das sich als Kleinkrieg tarnen muss. So wird der zänkische Greis für einen rettenden Augenblick zum sehnsuchtskranken Liebenden, um dann doch wieder in sein kleinkariert-verbittertes Haustyrannentum zurückzufallen. "Es ist Ihnen verboten, die Schuber zu öffnen, Frau Potulski." Nähe bleibt eine Ordnungswidrigkeit.
Die Schilderung einer sexuellen Annäherung unter alten Menschen hat hier nichts Voyeuristisches oder Ekliges, obwohl der körperliche Verfall in allen Einzelheiten beschrieben wird. Überhaupt ist es die große Stärke der Autorin, das Milieu sinnlich genau wiederzugeben, ohne dabei zu denunzieren. "Menschen sind manchmal seltsam", fasst Jana Potulski trocken ihre ebenso weise wie barmherzige Sicht auf die Welt zusammen.
Das Exemplarische muss sich der Leser selbst erschließen. Mildt, vermutlich in den Dreißigern geboren, wurde als Kind vertrieben. Ein Bildband "Pommern - die unvergessene Heimat" ("REDUZIERT: 4,90!") steht ungelesen im Regal. Janas Mutter wiederum wurde von den Russen nach Posen umgesiedelt. Dieser Hintergrund wird - ebenso wie das Titelbild der in Ritzen im Bad hausenden Silberfischchen oder die Symbolik der Fotografie - nur angerissen, "im Vorbeigehen" angestoßen, wie die Wäscheleine in der Küche mit den trocknenden Abzügen. Doch zittern diese Motive noch lange nach.
Inger-Maria Mahlke: "Silberfischchen". Roman. Aufbau Verlag, Berlin 2010. 206 S., geb., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Gleich der erste Satz dieses Romandebüts nimmt den Rezensenten Richard Kämmerlings gefangen. Danach, ist er sicher, kann nichts mehr schiefgehen, und das tut's dann auch nicht. Erzählt wird von einem alten Mann, Expolizist, Witwer, Fotograf ohne Hintergedanken, dem eine Frau um die fünfzig, aus Polen stammend, ins Haus kommt. Etwas tut sich zwischen den beiden, eine Annäherung, obwohl er alles andere als ein liebenswürdiger Mann ist, zu Sex kommt es auch. Ganz unpeinlich verstehe Inger-Maria Mahlke das zu erzählen und zu beschreiben und zu falscher Versöhnlichkeit neige sie erfreulicherweise gar nicht. Geschickt beharre sie auf der Perspektive des Mannes, dem es nicht gelingen will, über den eigenen Schatten zu springen. Vieles werde eher "im Vorbeigehen" angedeutet und doch prägt sich, lobt Kämmerlings, dieses Buch ein.
© Perlentaucher Medien GmbH
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" Wie schonungslos und genau, wie stilsicher die Debütantin in "Silberfischchen" das Scheitern einer Annäherung protokolliert, da darf man gleich mehrere Hüte ziehen." Helge Hopp STERN 20101016