An instant New York Times bestseller! In his last completed novel, John le Carré turns his focus to the world that occupied his writing for the past sixty years--the secret world itself. "[Le Carré] was often considered one of the finest novelists, period, since World War II. It's not that he 'transcended the genre, ' as the tired saying goes; it's that he elevated the level of play... [Silverview's] sense of moral ambivalence remains exquisitely calibrated." --The New York Times Book Review Julian Lawndsley has renounced his high-flying job in the city for a simpler life running a bookshop in a small English seaside town. But only a couple of months into his new career, Julian's evening is disrupted by a visitor. Edward, a Polish émigré living in Silverview, the big house on the edge of town, seems to know a lot about Julian's family and is rather too interested in the inner workings of his modest new enterprise. When a letter turns up at the door of a spy chief in London warning him of a dangerous leak, the investigations lead him to this quiet town by the sea . . . Silverview is the mesmerizing story of an encounter between innocence and experience and between public duty and private morals. In his inimitable voice John le Carré, the greatest chronicler of our age, seeks to answer the question of what we truly owe to the people we love.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2021Tollerei der Meisterspione
Kein Vermächtnis und auch nicht sein letzter Roman: John le Carrés "Silverview" führt noch einmal ins Schlamassel der Geheimdienste.
Wenn nach dem Tod eines Schriftstellers ein Manuskript im Nachlass gefunden und als letzter Roman angepriesen wird, ist die Versuchung groß, darin ein literarisches Testament zu sehen. Es wäre jedoch falsch, John le Carrés zehn Monate nach seinem Tod erschienenen Roman "Silverview" als solches zu deuten, schon deswegen, weil es sich streng genommen nicht um einen letzten Roman handelt.
Le Carré scheint die Spionagegeschichte bereits vor mehreren Jahren verfasst zu haben. Danach sind von ihm noch ein Erinnerungsband und zwei Romane publiziert worden. Warum hat er den Roman zur Seite gelegt? Sein Agent behauptet, der Autor sei durch die Arbeit an der 2015 unter seiner Mithilfe veröffentlichten Biographie von Adam Sisman derart aus der Bahn geworfen worden, dass er das Manuskript zu den Akten gelegt habe. Während der Biograph forschte, berichtete le Carré ironisch, Sisman foltere ihn. "Ich winde mich und tue so, als täte es nicht weh." Dabei hatte er das Projekt autorisiert.
Le Carrés Sohn Nick Cornwell mutmaßte in der Times, seinem Vater mochte unwohl dabei gewesen sein, im Roman eine unsympathische, an Krebs sterbende Figur erschaffen zu haben, in der manche vielleicht meinen würden, seine Frau zu erkennen, obwohl deren Krankheit erst später diagnostiziert worden sei. Womöglich habe sein Vater auch Bedenken gehabt wegen des negativen Bildes des Geheimdiensts in "Silverview". Dagegen spricht, dass le Carré sich in anderen Büchern weitaus schärfer über die Missstände des "Circus" geäußert hat, den er in seiner schäbigen Selbstgefälligkeit stets als Metapher für das postimperiale Britannien darstellte. Immer wieder sprach er davon, dass der Geheimdienst das Unterbewusstsein der Gesellschaft verkörpere.
"Silverview" führt auf bekanntes Terrain. Es geht um "ein noch nie dagewesenes Riesenschlamassel allererster Güte". Erneut greift der Autor das Motiv einer gammeligen Institution von zweifelhafter Moral auf. Da ist sarkastisch von "Großbritanniens Meisterspionen" die Rede, vom "feinen britischen Geheimdienst" und davon, dass "Teile des Geheimdienstes sich einer schwindelerregenden Tollerei durch die wilden Auswüchse kolonialer Fantasien hingegeben hatten". Es ist bezeichnend, dass le Carré sich in seinem an der englischen Ostküste angesiedelten Roman W. G. Sebalds Buch "Die Ringe des Saturn" bedient. Dessen Wanderung in dieser Gegend ist auch eine Wanderung durch zivilisatorische Selbstzerstörung. In "Silverview" legt der anglisierte Pole Edward Avon, eine der geschädigten Figuren, denen le Carré Züge seines eigenen zerrissenen Wesens einschreibt, einem neuen Bekannten "Die Ringe des Saturn" als "eine Pilgerreise" ans Herz, "die im Marschland von East Anglia beginnt und das gesamte kulturelle Erbe Europas einbezieht".
Die Jagd nach dem Verräter führt nach Orford, jener geheimen militärischen Forschungsstätte an einer kiesigen Landzunge, die im Kalten Krieg zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen genutzt und dann der Natur überlassen wurde. Sebald sah in den Ruinen der Betoneinrichtungen "die Überreste unserer eigenen, in einer zukünftigen Katastrophe zugrundegegangenen Zivilisation". Dieser Gedanke beschleicht auch Stewart Proctor, Chef der Inlandssicherheit und "oberster Hexenjäger" des Dienstes, als er im Zuge seiner Ermittlungen durch eine noch aktive geheime Atomwaffenanlage nahe Orford geführt wird. "In ein paar Jahren, so Proctors Prognose, würde eine gut informierte Dame von National Trust oder von English Heritage denselben, einer strengen Zensur unterzogenen Vortrag zur Erbauung von Touristen präsentieren."
Gelegentlich liest sich das kurzweilige Buch sogar wie eine Le-Carré-Persiflage mit vertrauten Leitmotiven, die Authentizität vortäuschen sollen: Unzuverlässige Väter, untreue Frauen, englische Privatschulen und auch die Liebe zur deutschen Kultur. Der Titel bezieht sich auf Nietzsches Villa Silberblick in Weimar, deren anglisierter Name der hochgebildete Avon als Hommage an "den Fürsprecher der individuellen Freiheit" für sein Haus übernommen hat.
Von E. M. Forster stammt der viel zitierte Satz, dass er hoffe, bei der Wahl, entweder sein Vaterland oder seinen Freund verraten zu müssen, den Mut zu haben, sein Vaterland zu verraten. Le Carré formuliert die Frage etwas anders. Seine Antihelden entscheiden sich zwischen ihren Idealen und ihrem Vaterland meist dann, wenn sie ihre Ideale vom Vaterland verraten sehen. GINA THOMAS
John le Carré: "Silverview". Roman.
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein Verlag, Berlin 2021. 256 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kein Vermächtnis und auch nicht sein letzter Roman: John le Carrés "Silverview" führt noch einmal ins Schlamassel der Geheimdienste.
Wenn nach dem Tod eines Schriftstellers ein Manuskript im Nachlass gefunden und als letzter Roman angepriesen wird, ist die Versuchung groß, darin ein literarisches Testament zu sehen. Es wäre jedoch falsch, John le Carrés zehn Monate nach seinem Tod erschienenen Roman "Silverview" als solches zu deuten, schon deswegen, weil es sich streng genommen nicht um einen letzten Roman handelt.
Le Carré scheint die Spionagegeschichte bereits vor mehreren Jahren verfasst zu haben. Danach sind von ihm noch ein Erinnerungsband und zwei Romane publiziert worden. Warum hat er den Roman zur Seite gelegt? Sein Agent behauptet, der Autor sei durch die Arbeit an der 2015 unter seiner Mithilfe veröffentlichten Biographie von Adam Sisman derart aus der Bahn geworfen worden, dass er das Manuskript zu den Akten gelegt habe. Während der Biograph forschte, berichtete le Carré ironisch, Sisman foltere ihn. "Ich winde mich und tue so, als täte es nicht weh." Dabei hatte er das Projekt autorisiert.
Le Carrés Sohn Nick Cornwell mutmaßte in der Times, seinem Vater mochte unwohl dabei gewesen sein, im Roman eine unsympathische, an Krebs sterbende Figur erschaffen zu haben, in der manche vielleicht meinen würden, seine Frau zu erkennen, obwohl deren Krankheit erst später diagnostiziert worden sei. Womöglich habe sein Vater auch Bedenken gehabt wegen des negativen Bildes des Geheimdiensts in "Silverview". Dagegen spricht, dass le Carré sich in anderen Büchern weitaus schärfer über die Missstände des "Circus" geäußert hat, den er in seiner schäbigen Selbstgefälligkeit stets als Metapher für das postimperiale Britannien darstellte. Immer wieder sprach er davon, dass der Geheimdienst das Unterbewusstsein der Gesellschaft verkörpere.
"Silverview" führt auf bekanntes Terrain. Es geht um "ein noch nie dagewesenes Riesenschlamassel allererster Güte". Erneut greift der Autor das Motiv einer gammeligen Institution von zweifelhafter Moral auf. Da ist sarkastisch von "Großbritanniens Meisterspionen" die Rede, vom "feinen britischen Geheimdienst" und davon, dass "Teile des Geheimdienstes sich einer schwindelerregenden Tollerei durch die wilden Auswüchse kolonialer Fantasien hingegeben hatten". Es ist bezeichnend, dass le Carré sich in seinem an der englischen Ostküste angesiedelten Roman W. G. Sebalds Buch "Die Ringe des Saturn" bedient. Dessen Wanderung in dieser Gegend ist auch eine Wanderung durch zivilisatorische Selbstzerstörung. In "Silverview" legt der anglisierte Pole Edward Avon, eine der geschädigten Figuren, denen le Carré Züge seines eigenen zerrissenen Wesens einschreibt, einem neuen Bekannten "Die Ringe des Saturn" als "eine Pilgerreise" ans Herz, "die im Marschland von East Anglia beginnt und das gesamte kulturelle Erbe Europas einbezieht".
Die Jagd nach dem Verräter führt nach Orford, jener geheimen militärischen Forschungsstätte an einer kiesigen Landzunge, die im Kalten Krieg zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen genutzt und dann der Natur überlassen wurde. Sebald sah in den Ruinen der Betoneinrichtungen "die Überreste unserer eigenen, in einer zukünftigen Katastrophe zugrundegegangenen Zivilisation". Dieser Gedanke beschleicht auch Stewart Proctor, Chef der Inlandssicherheit und "oberster Hexenjäger" des Dienstes, als er im Zuge seiner Ermittlungen durch eine noch aktive geheime Atomwaffenanlage nahe Orford geführt wird. "In ein paar Jahren, so Proctors Prognose, würde eine gut informierte Dame von National Trust oder von English Heritage denselben, einer strengen Zensur unterzogenen Vortrag zur Erbauung von Touristen präsentieren."
Gelegentlich liest sich das kurzweilige Buch sogar wie eine Le-Carré-Persiflage mit vertrauten Leitmotiven, die Authentizität vortäuschen sollen: Unzuverlässige Väter, untreue Frauen, englische Privatschulen und auch die Liebe zur deutschen Kultur. Der Titel bezieht sich auf Nietzsches Villa Silberblick in Weimar, deren anglisierter Name der hochgebildete Avon als Hommage an "den Fürsprecher der individuellen Freiheit" für sein Haus übernommen hat.
Von E. M. Forster stammt der viel zitierte Satz, dass er hoffe, bei der Wahl, entweder sein Vaterland oder seinen Freund verraten zu müssen, den Mut zu haben, sein Vaterland zu verraten. Le Carré formuliert die Frage etwas anders. Seine Antihelden entscheiden sich zwischen ihren Idealen und ihrem Vaterland meist dann, wenn sie ihre Ideale vom Vaterland verraten sehen. GINA THOMAS
John le Carré: "Silverview". Roman.
Aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein Verlag, Berlin 2021. 256 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main