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Michael Fehr bringt einen neuen Ton in die zeitgenössische Literatur. "Simeliberg", seine zweite Buchveröffentlichung, ist zweierlei in einem: Klangkunstwerk und rätselhafte Kriminalgeschichte. Hinunter ins Loch, durch Matsch und Dreck, fährt Gemeindsverwalter Griese mit seinem Landrover. Die Repetierwaffe auf dem Rücksitz, erfüllt er widerwillig den Auftrag der kantonalen Sozialhilfebehörde, einen Bauern in die Stadt zu bringen. Dessen Frau ist verschwunden, in der Stadt will man der Angelegenheit auf den Grund gehen. Der verschrobene Bauer erzählt von irrlichternden Plänen, die Menschheit…mehr

Produktbeschreibung
Michael Fehr bringt einen neuen Ton in die zeitgenössische Literatur. "Simeliberg", seine zweite Buchveröffentlichung, ist zweierlei in einem: Klangkunstwerk und rätselhafte Kriminalgeschichte.
Hinunter ins Loch, durch Matsch und Dreck, fährt Gemeindsverwalter Griese mit seinem Landrover. Die Repetierwaffe auf dem Rücksitz, erfüllt er widerwillig den Auftrag der kantonalen Sozialhilfebehörde, einen Bauern in die Stadt zu bringen. Dessen Frau ist verschwunden, in der Stadt will man der Angelegenheit auf den Grund gehen. Der verschrobene Bauer erzählt von irrlichternden Plänen, die Menschheit zum Mars und in eine helle Zukunft zu führen. Und nicht genug damit: An dem unwirtlichen Ort tragen sich mysteriöse Dinge zu. Junge Männer in schwarzen Uniformen versammeln sich und bedrohen schliesslich auch Griese, als er ihnen auf die Schliche kommt.
Polizei, Nachforschungen, Drohungen - alles nimmt seinen Lauf. Die Figuren zeigen einen knorrigen, verstockten Menschenschlag. Die Welt in "Simeliberg" ist gezeichnet von Gegensätzen: da die scheinbare Normalität der Oberwelt, dort die dunklen Machenschaften im sumpfigen Loch. Droben die Menschen Weiss und Wyss, drunten der Bauer Schwarz. Dazwischen der Grenzgänger Griese, der je länger, desto stärker zwischen alle Fronten und in die Mühlen der Behörden gerät.
Erzählung und Klang gehen eine ungewöhnliche Symbiose ein. Der Titel "Simeliberg" erinnert an das gleichnamige Grimmsche Märchen und an das melancholische Volkslied "Vreneli ab em Guggisberg". Michael Fehr evoziert eine Geschichte von existenzieller Wucht um Themen wie Ideologie und Verwirrung, Vereinsamung und Geborgenheit. Bis ins Feinste der Worte inszeniert Fehr ein poetisch musikalisches Gesamtwerk.
Mit einem Auszug aus "Simeliberg" gewann Michael Fehr 2014 an den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt den Kelag-Preis sowie den Federwelt-Preis der Automatischen Literaturkritik 2014.
Autorenporträt
Michael Fehr, geboren 1982, wächst auf in Gümligen bei Bern. Studium am Schweizerischen Literaturinstitut und an der Hochschule der Künste Bern, Master in Contemporary Arts Practice.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Gleich der ganzen Schweiz wünscht Philipp Theisohn die Beschäftigung mit Michael Fehrs neuem Buch. An der Mustergültigkeit der Erzählstruktur oder von Verständlichkeit kanns nicht liegen, denn der Autor serviert bloß Halbzeiler und verzichtet auf Zeichensetzung gleich ganz: "Es gibt in dieser Welt keine stabile Kommunikation, nur aufleuchtende und verglimmende Worte." Der protokollarische Duktus des Ganzen aber und das Mundartliche machen die Erzählung für Theisohn zum Fest. Nicht nur ein komplettes Milieu mit Kaffatmo, Dorfjugend und Ordnungshütern stellt der Autor vor den Rezensenten hin. Was Fehrs anstelle von herkömmlich so genannter Handlung serviert, Bewegung nämlich, Konturenspiel, farblos dazu und instabil, scheint dem Rezensenten allemal von starkem, auch kritischem Realitätsbezug und große Erzählkunst obendrein.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2023

Eine fatale Kombination
Kai Grehn lässt in seiner Hörspielfassung von „Simeliberg“ die Figuren tief fallen
„Grau, nass, trüb.“ Schon die ersten Worte von „Simeliberg“ erzeugen jene besondere Stimmung, eine Mischung aus düsterem Alpenkrimi und wortmächtiger Sprachkunst, die Michael Fehrs erstmals im Jahr 2015 erschienenen Roman prägt. Der Eindruck potenziert sich noch, wenn man den Anfang so betont langsam und monoton vorträgt, wie es Fehr selbst als famoser Erzähler in der gleichnamigen Hörspieladaption macht, die der Bayerische Rundfunk gemeinsam mit Radio Bremen zwei Jahre nach der Buchveröffentlichung produziert hat.
Nun ist das preisgekrönte Hörspiel in der Regie von Kai Grehn zusammen mit dem als Taschenbuch neu aufgelegten Roman quasi als Gesamtkunstwerk bei „Der gesunde Menschenversand“ erschienen: Beide Werke stehen ebenso für sich, wie sie sich ergänzen. Der kleine, in Luzern ansässige Verlag ist spezialisiert auf Spoken Word, weshalb es nur folgerichtig ist, dass alle Werke des Schweizer Schriftstellers Fehr – neben „Simeliberg“ sind das bislang ein Drama, ein Musikalbum sowie mehrere Erzählbände – hier verlegt werden.
Michael Fehr, 1982 geboren und aufgewachsen in Gümligen bei Bern, ist nicht nur Autor, sondern auch Musiker und Performer. Alle seine Arbeiten sind auf das gesprochene Wort hin verfasst und damit Klangkunst. In „Simeliberg“ waten die Protagonisten nicht durch den Matsch, den es hier zuhauf gibt, sondern sie „pflotschen“. Geht einer unsicheren Schrittes, so wankt er nicht, sondern „pfoselt
“. Beide Wörter sind tiefes 19. Jahrhundert und lassen sich im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm finden. Auf Jacob und Wilhelm Grimm geht auch das Märchen „Simeliberg“ über zwei ungleiche Brüder zurück, arm und rechtschaffen der eine, reich und gierig der andere, das Fehr wohl als Folie für seine Geschichte gedient hat. Hinzu kommt die spielerische Verwendung von Redewendungen, Verbalinjurien und zumindest für hiesige Ohren ungewohnt klingenden Helvetismen wie „halbbatzig“ für stümperhaft und „Beschüttloch“ für Jauchegrube. Fehr hat eine angeborene Sehbehinderung, weshalb er alle seine Texte laut in ein Diktafon spricht, bevor sie dann am PC verschriftlicht werden. Das Schriftbild von „Simeliberg“ erinnert daher auch eher an ein Langgedicht als an einen Prosatext.
Im Mittelpunkt steht der Gemeindsverwalter Anatol Griese, der beauftragt wird, den alten Landmann Schwarz abzuholen, um ihn der Schweizer Sozialhilfebehörde zu übergeben. Irgendetwas scheint mit dem kauzigen Waldschrat nicht zu stimmen. Zum einen schwadroniert er unablässig davon, dass die Menschen noch in diesem Jahrhundert den Mars bevölkern werden. Zum anderen besitzt er einen Batzen Geld unbekannter Herkunft. Zuletzt wird seine Frau vermisst. Doch niemand weiß, was mit ihr passiert ist.
Also lenkt Griese seinen Land Rover vom lichten Berg, wo die Bewohner Namen wie Weiss und Wyss tragen, hinunter zu Schwarz’ einsam gelegenem Bauernhaus. Darüber heißt es, es hocke unten „im Sumpf“, sei ein „Drecksloch“, ein „Un- und Abort“. Eine Talfahrt in wörtlicher wie übertragener Bedeutung, in deren Verlauf Griese immer mehr in die Geschichte „verwickelt“ wird, bis es für ihn kein Entrinnen mehr zu geben scheint. Griese, ein Wiedergänger der Figuren Kafkas. Nur dass er ein geladenes Gewehr mit sich führt.
Auch das gut neunzigminütige Hörspiel von Kai Grehn lässt zu keiner Zeit Zweifel an dem Fall seiner Hauptfigur aufkommen. Allein schon dadurch, dass der Name Griese hier immer mit hartem K wie Krise ausgesprochen wird. Martin Feifel, der es wie wenige Schauspieler versteht, einen Charakter zugleich dünnhäutig und barsch wirken zu lassen, ist dieser Griese.
Gegen den bäuerlichen Stoizismus eines Schwarz, den Heinz-Josef Braun spricht, hat sein Griese keine Chance. Obwohl er als Einziger die Verführungsqualitäten des Bauern erahnt, bleibt er als Sohn eines deutschen Vaters in der archaischen Welt der Schweizer Berge ein Außenseiter, auf den man nicht hört. Eben „ein Scheisser“. Wo die Behörden bei Schwarz nur eine lustig-verquere „Weltraumeuphorie“ sehen wollen, durchschaut Griese die ultranationalistischen Parolen, mit denen Schwarz junge Männer einfängt, bis diese „eine neue Ordnung von Starken“ errichten wollen. Ideologie plus Esoterik plus Waffen: Fehrs mitunter hochexplosiver Text ist heute brisanter, als er es bei seinem Erscheinen war.
Kai Grehn nähert sich den Inhalten seiner anspruchsvollen Adaptionen immer auch über die Musik. So hat er in seinen jüngeren Hörspielen mit dem Electronic-Duo Tarwater („Burroughs – The Cat Inside“) und den US-Amerikanern CocoRosie zusammengearbeitet („Mögen Sie Emily Dickinson?“). Für „Simeliberg
“ hatte er sich das deutsche A-cappella-Trio Muttis Kinder geholt. Das variiert das vielleicht älteste Schweizer Volkslied „Vreneli ab em Guggisberg“ auf immer neue und dabei höchst wundersame Weise und verleiht so der abgründigen Geschichte ihren ganz eigenen Rhythmus.
FLORIAN WELLE
Michael Fehr: Simeliberg. Taschenbuch inklusive Hörspiel. Der gesunde
Menschenversand,
Luzern 2023. 144 Seiten
inkl. Download-Code zum
Hörspiel, 19,50 CHF.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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