Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 0,79 €
  • Broschiertes Buch

Simon Wiesenthal hat sein Leben der Aufklärung der nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden gewidmet. Hella Pick erzählt mit großem Einfühlungsvermögen seine Lebensgeschichte. Wiesenthal, geboren im Galizien der Habsburger Monarchie, überlebte als einziger seiner Familie den Holocaust und wurde als Nazi-Jäger zur moralischen Institution.

Produktbeschreibung
Simon Wiesenthal hat sein Leben der Aufklärung der nationalsozialistischen Verbrechen an den Juden gewidmet. Hella Pick erzählt mit großem Einfühlungsvermögen seine Lebensgeschichte. Wiesenthal, geboren im Galizien der Habsburger Monarchie, überlebte als einziger seiner Familie den Holocaust und wurde als Nazi-Jäger zur moralischen Institution.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.1997

Bekenntnis und Verpflichtung
Eine geistreiche, mitunter rechtfertigende Biographie Simon Wiesenthals

Hella Pick: Simon Wiesenthal. Eine Biographie. Deutsch von Susanne Klockmann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997. 506 Seiten, 54,- Mark.

Das Bild Simon Wiesenthals geriet zuletzt stark ins Wanken. Isser Harel, der ehemalige Leiter des israelischen Geheimdienstes Mossad, negierte den Beitrag Wiesenthals bei der Aufspürung von Eichmann. Harel ist seit Jahren als einer der Kritiker Wiesenthals bekannt. Auch aus den Reihen des Jüdischen Weltkongresses wurden Stimmen laut, die seine moralische Autorität, Glaubwürdigkeit und Integrität in Frage stellten, ihn gar als Scharlatan hinstellten. Sein Biograph Alan Levy unterzog Wiesenthals Lebenswerk 1995 einer kritischen Prüfung. Hella Pick, eine Publizistin, wurde von Lord Weidenfeld in London gebeten, eine neue Biographie zu verfassen, die nun auch in deutscher Sprache vorliegt. Ihr Werk hebt sich qualitativ von allen anderen Biographien und Abhandlungen ab. Es ist sehr informativ, geht in die Breite, analysiert die Zeitumstände und versucht Wiesenthals Aktivitäten nüchtern zu bewerten. Doch auch Frau Pick vermag nicht alle Fragen zu beantworten und alle Vorwürfe zu entkräften. Obwohl sie Wiesenthals Bedeutung würdigt, werden auch die kritischen Punkte deutlich, oft gegen ihre Absichten.

Wiesenthal wurde 1908 in Bucacz in Galizien geboren und wuchs in Lemberg-Lwow auf. In der Ära zwischen den beiden Weltkriegen gehörte Galizien zu Polen, wurde aber im Zuge nach dem Molotow-Ribbentrop-Abkommen sowjetisch. Im Juni 1941 eroberte die Wehrmacht Lemberg. Für die jüdische Gemeinde begann ein Leidensweg. Wiesenthal kam in ein Arbeitslager, das von den Eisenbahnwerken errichtet worden war. Als Architekt und Diplomingenieur gelangte er dort in eine Position, die gewisse Annehmlichkeiten mit sich brachte. Später wurde behauptet - nicht zuletzt von Bruno Kreisky -, daß Wiesenthal mit der Gestapo zusammengearbeitet habe. Hella Pick versucht, diesen Abschnitt im Leben von Wiesenthal zu klären.

Wiesenthal schaffte es offenbar, mit dem Leiter des Arbeitslagers, Adolf Kohlrautz, ein stillschweigendes Einvernehmen zu erzielen. Er entwarf und zeichnete alle Pläne zur Vergrößerung der Eisenbahnwerke; Kohlrautz unterzeichnete sie, als seien es seine Entwürfe. Fortan gewährte er Wiesenthal seinen Schutz, ja, die beiden wurden zu Freunden. "Verglichen mit seinen Mitgefangenen", schreibt Frau Pick, "genoß Wiesenthal große Privilegien. Die Bauunternehmer bestachen ihn mit Geld und Nahrungsmitteln, und daher war er gut genährt. Er hatte Geld und damit auch etwas Macht, und weil er über beides verfügte, hatte er auch Einfluß." Die Bauunternehmer der Stadt zahlten ihm "beträchtliche Summen", damit er seinen Einfluß bei Kohlrautz geltend machte, um für diese Firmen Aufträge bei den Vergrößerungsplänen der Eisenbahnwerke zu sichern. Für einen jüdischen Häftling im Nazi-Reich war das eine ungewöhnliche Position. Der Leser merkt, daß die Verfasserin in diesem Punkt irritiert ist, sich häufig wiederholt, aber unklar ausdrückt. Das ist in diesem Buch sonst nicht der Fall. Frau Pick erklärt die milde Haltung Kohlrautz' damit, daß er im Herzen kein überzeugter Nationalsozialist gewesen sei und seine Zwangsarbeiter, so gut er konnte, geschont habe. Auch die anderen Nazis in diesem Arbeitslager seien nicht verbissen und - an den Umständen gemessen - sogar zuvorkommend gewesen.

Auch deshalb habe Wiesenthal, unmittelbar nach dem Krieg jedenfalls, die Kollektivschuld-These abgelehnt. Er vertrat die Meinung, "daß alle Menschen, auch die Nazis, als Individuen beurteilt werden müssen". Kohlrautz bewies seine Freundschaft und "Fürsorge" für Wiesenthal, indem er ihn im September 1943 vor einer drohenden Verschärfung der Lage warnte. "Worauf warten Sie noch?" - fragte er - und deutete an, daß er bereit sei, ihn fliehen zu lassen. Kohlrautz selbst fiel 1944 an der russischen Front.

Im Oktober 1943 entkam Wiesenthal dem Lager, stieß zunächst zu den polnischen Partisanen, hielt sich später versteckt, bis er im Juli 1944 gefaßt wurde. Zusammen mit anderen Häftlingen wurde er von Ort zu Ort, von Konzentrationslager zu Konzentrationslager geschoben. Anfang 1945 verfrachtete man ihn nach Mauthausen. Halb verhungert wurde er von den Amerikanern befreit. Wiesenthal erkannte fortan seine Berufung darin, dafür zu sorgen, daß die Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen würden, und zwar durch ordentliche Gerichte. Aus diesem Grunde lehnte er die Praxis des israelischen Geheimdienstes, Mossad, Nazi-Verbrecher auf "stille Weise" zu liquidieren, ab. Wiesenthal gründete ein Dokumentations-Zentrum in Linz und machte sich als "Nazi-Jäger" einen Namen.

Der Durchbruch kam mit der Überführung von Eichmann aus Argentinien nach Israel. Hella Pick beschreibt das sehr ausführlich und leidenschaftlich. Es waren Wiesenthals Beharrlichkeit, und die Informationen, die er gesammelt hatte, die zu Eichmanns Versteck führten. Erst das ermöglichte dem Mossad, unter der Leitung von Isser Harel, Eichmann zu entführen. Wiesenthal wurde Ende 1960, als Eichmann bereits in israelischer Haft saß, von Yad Vaschem nach Jerusalem eingeladen. In einer medienwirksamen Weise reklamierte er - zu Recht, wie Frau Pick meint - seine Verdienste. Er hat kurz darauf auch ein Buch - "Ich jagte Eichmann" - verfaßt, das ein Weltbestseller wurde.

Wiesenthal, nun weltberühmt, zog von Linz nach Wien, und verfügte fortan über mehr Möglichkeiten als früher. Pick erklärt auch, warum das von den israelischen Geheimdiensten bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein nicht in Frage gestellt wurde. Ben Gurion war daran gelegen, die Entführung als eine Tat von Privatpersonen darstellen zu lassen, um den Geheimdienst nicht zu kompromittieren. Es war ihm recht, daß Wiesenthal das Verdienst für sich allein reklamierte. Erst 15 Jahre später, 1975, durfte Harel seine Version veröffentlichen, wobei er Wiesenthals Glaubwürdigkeit bestritt. Er war nicht der einzige. Frau Pick mokiert sich über die Eifersüchteleien und die Geltungssucht bei den "Nazi-Jägern" und erklärt damit deren Versuche, Wiesenthals Verdienste zu schmälern, und ihn sogar daran zu hindern, weitere Verbrecher aufzuspüren. Ausführlich schreibt sie über andere Fälle, die durch seine Arbeit vor Gericht kamen. Gerechtigkeit, nicht Rache sei stets sein Bestreben gewesen.

Wiesenthals zweite große Auseinandersetzung war die mit Bruno Kreisky. Es war eine bittere Rivalität, die Jahrzehnte, bis zum Tode Kreiskys, andauerte und im Grunde nie beendet wurde. Kreisky, seit 1970 der Kanzler Österreichs, wollte ehemalige NSDAP-Mitglieder, auch Angehörige der Streitkräfte von damals, sofern sie persönlich nicht in Kriegsverbrechen verwickelt waren, in die demokratische Republik integrieren. Er wollte ihnen auch die Möglichkeit eröffnen, sich politisch zu betätigen. Wiesenthal, der der Meinung war, daß Österreich, im deutlichen Gegensatz zu Deutschland, durch und durch vom nationalsozialistischen Geist durchdrungen war, stemmte sich vehement dagegen. Im Gegensatz zu seiner Haltung nach dem Krieg begann er nun doch in Kollektivschuld-Kategorien zu denken.

Es ging natürlich auch um die Innenpolitik, den Parteienstreit. Die Kontrahenten wurden persönlich, blieben sich gegenseitig die Antwort nie schuldig. Ironischerweise argumentierte Wiesenthal dann 1986, als Kurt Waldheim, der ehemalige UN-Generalsekretär, für das Amt des Präsidenten der Republik kandidierte, fast im Sinne von Kreisky. Er befürwortete die Kandidatur von Waldheim - denn nun waren es die österreichischen Sozialdemokraten, die vehement gegen den "Nazi" Waldheim agitierten. Etwa zwei Jahre später änderte Wiesenthal dann seine Haltung. Diese und andere Auseinandersetzungen, die Wiesenthal suchte und provozierte, brachten ihm Aufmerksamkeit ein, die er sichtlich genoß. Frau Pick verhehlt nicht seine Schwäche für den Ruhm. Pressekonferenzen einzuberufen sei für ihn zu einer zweiten Natur geworden. Doch hebt sie Wiesenthals Bedeutung als Kämpfer für die Menschenrechte, für die Minderheiten, für bedrohte Völker hervor. Er sei eine moralische und intellektuelle Autorität, die leider in ihrer Größe verkannt werde, vor allem von jüdischer Seite.

Bei der Bewertung von Wiesenthals moralischer Autorität übergeht sie allerdings einen Aspekt: Wiesenthal war ein glühender Verehrer des rechtsgerichteten Politikers Jabotinsky und seiner revisionistischen Bewegung im Zionismus gewesen. Er hat niemals seine Stimme gegen die Entrechtung der Palästinenser erhoben, gegen deren Vertreibung und die Exzesse, die es auch auf israelischer Seite gab. Sein Kampf gegen die nationalistischen Extremen in Europa - und vor allem in Österreich - verdient sicherlich Respekt. Gleichwohl ist es nicht verständlich, wie er das in Einklang mit seiner eindeutigen Sympathie für die nationalistischen Rechten in Israel und in der Zionistischen Bewegung bringen konnte.

An diesem Werk wird kein Weg vorbeiführen. Es ist spannend geschrieben, detail- und geistreich, mit einer Fülle von neuen Informationen und Denkanstößen. Allerdings wird diese Biographie stellenweise stark von rechtfertigenden Absichten bestimmt. Frau Pick ist bemüht, Wiesenthal gegen jede Kritik in Schutz zu nehmen. Es wundert nicht, daß sie ihr langes Buch mit einem Bekenntnis abschließt: "Wiesenthal ist ein Vorbild und - ja - er ist ein Held des Lebens: Nicht nur ein jüdischer Held, sondern ein Held unserer Zeit." NACHUM ORLAND

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr