"Eine glänzend geschriebene und spannend erzählte Biographie, die auf der Basis umfangreicher Quellenforschung das faszinierend Leben, die vielschichtige Persönlichkeit sowie die außerordentlichen Verdienste des Simon Wiesenthal erhellt." -- Ian Kershaw
Tom Segev erzählt das Leben des Simon Wiesenthal
Vom Tag seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen an machte Simon Wiesenthal (1908 - 2005) es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Fünf Jahre nach seinem Tod legt nun der bekannte Historiker und Journalist Tom Segev die erste aus Originalquellen erarbeitete Biographie dieser Jahrhundertgestalt vor, enthüllt zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucksvoll das Leben des "Nazi-Jägers", der selbst auch zeitlebens ein Verfolgter blieb.
Als Simon Wiesenthal im Alter von 97 Jahren in Wien starb, betrauerte die Welt einen unermüdlichen Kämpfer gegen das Böse. Hollywood verklärte ihn als Helden, gleichwohl hatte er zeit seines Lebens auch Ablehnung und Anfeindungen erfahren, viele sahen in ihm einen unversöhnlichen Störenfried. Er entfachte die Phantasie von Menschen auf der ganzen Welt, fesselte und beängstigte sie, belastete ihr Gewissen und verlieh ihnen doch einen tröstlichen Glauben an das Gute.
Anhand von zahlreichen Briefen, Geheimdienstdossiers und anderen, bislang unbekannten Quellen zeichnet Tom Segev die faszinierende Biographie Simon Wiesenthals nach: Die höchst lebendige und spannende Lebensgeschichte eines überaus mutigen Mannes, der eine Reihe atemberaubender Aktionen initiierte und dabei fast ganz auf sich gestellt arbeitete, in einer kleinen Wohnung zwischen hohen Stapeln alter Zeitungen und vergilbter Karteikarten.
Tom Segev erzählt das Leben des Simon Wiesenthal
Vom Tag seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Mauthausen an machte Simon Wiesenthal (1908 - 2005) es sich zur Lebensaufgabe, NS-Verbrecher aufzuspüren und vor Gericht zu bringen. Fünf Jahre nach seinem Tod legt nun der bekannte Historiker und Journalist Tom Segev die erste aus Originalquellen erarbeitete Biographie dieser Jahrhundertgestalt vor, enthüllt zahlreiche bisher unbekannte Tatsachen und erzählt eindrucksvoll das Leben des "Nazi-Jägers", der selbst auch zeitlebens ein Verfolgter blieb.
Als Simon Wiesenthal im Alter von 97 Jahren in Wien starb, betrauerte die Welt einen unermüdlichen Kämpfer gegen das Böse. Hollywood verklärte ihn als Helden, gleichwohl hatte er zeit seines Lebens auch Ablehnung und Anfeindungen erfahren, viele sahen in ihm einen unversöhnlichen Störenfried. Er entfachte die Phantasie von Menschen auf der ganzen Welt, fesselte und beängstigte sie, belastete ihr Gewissen und verlieh ihnen doch einen tröstlichen Glauben an das Gute.
Anhand von zahlreichen Briefen, Geheimdienstdossiers und anderen, bislang unbekannten Quellen zeichnet Tom Segev die faszinierende Biographie Simon Wiesenthals nach: Die höchst lebendige und spannende Lebensgeschichte eines überaus mutigen Mannes, der eine Reihe atemberaubender Aktionen initiierte und dabei fast ganz auf sich gestellt arbeitete, in einer kleinen Wohnung zwischen hohen Stapeln alter Zeitungen und vergilbter Karteikarten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2010Wer war der bessere Österreicher?
Tom Segev geht wie ein Detektiv jeder Spur über Simon Wiesenthal nach und legt das geheimnisumwitterte Wirken des Eichmann- und Stangl-Jägers frei.
Von Klaus-Dietmar Henke
Die allermeisten Holocaust-Verbrecher haben sich nicht für ihre Taten verantworten müssen. Es hätten aber mehr sein können, wenn Politik und Justiz in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Untergang des "Dritten Reiches" ein wenig mehr Verfolgungseifer an den Tag gelegt hätten. Das weiß man zwar seit langem, doch wird das weithin konsensuelle Verschleppen und Vertuschen selten so klar erkennbar wie in dieser Lebensbeschreibung. Sie zeigt nämlich, wie tief schon ein einziger entschlossener Mann in die deutsche Mordgeschichte mit ihren Zehntausenden von Tätern vorzudringen vermochte.
Simon Wiesenthal (1908-2005), österreichischer Staatsbürger galizisch-jüdischer Abstammung, der fast seine ganze Familie in den Vernichtungslagern verlor und 1945 in Mauthausen befreit wurde, dürfte sich mit etwa 3000 NS-Verbrechern befasst und ungefähr ein Drittel davon zur Anklage gebracht haben. Die Zahl der tatsächlich Verurteilten lasse sich nicht mehr zweifelsfrei bestimmen, schreibt der israelische Publizist und Historiker Tom Segev, der wohl die definitive Biographie des berühmten "Nazi-Jägers" vorlegt. In detektivischer Manier hat er jede erdenkliche Spur verfolgt und eine imponierende Fülle einschlägiger Dokumente herangezogen. Das reicht von den israelischen, britischen und amerikanischen Staatsarchiven, den Beständen internationaler jüdischer Organisationen und Israelitischer Kultusgemeinden über die persönlichen Papiere von David Ben Gurion und natürlich Simon Wiesenthals selbst bis zu den Unterlagen des israelischen Mossad, des polnischen und ostdeutschen Geheimdienstes.
Wiesenthal, der die Nachforschungen zunächst von Linz und bald von seinem Dokumentationszentrum in Wien aus betrieb, machte sich keine Illusionen darüber, dass er sich im nach-nationalsozialistischen Deutschland und Österreich wie in Feindesland bewegte und bis in die achtziger Jahre hinein auf viel mehr Widerstand als Unterstützung traf. "Die blödesten Nazis", kommentierte er die Saumseligkeit der amtlichen Strafverfolgung einmal, seien die gewesen, "die beim Zusammenbruch des Dritten Reiches Selbstmord begangen haben".
Innerer Kompass war dem bald zu einer öffentlichen Figur aufsteigenden Wiesenthal die als Verpflichtung empfundene Gewissheit, er dürfe es als Davongekommener nicht zulassen, dass die Ermordeten der Vergessenheit anheimfielen - die Mörder aber auch nicht. "Gerechtigkeit, nicht Rache" lautete seine Maxime, doch wusste er um die tiefere Vergeblichkeit seines Tuns: Gerichtsurteile, wenn sie denn zustande kämen, könnten "nur symbolisch sein, weil das Strafverfolgungssystem nicht mit derart bestialischen Taten fertig werden kann". Gerade deshalb versuchte er, wenigstens das bisschen Gerechtigkeit und Sühne herstellen zu helfen, das erreichbar war, und die wenigen Täter ergreifen zu helfen, die nach den Versäumnissen der frühen Jahre noch zu fassen waren; neben Adolf Eichmann beispielsweise Franz Stangl, Kommandant in Sobibor und Treblinka, der in Litauen mordende SS-Standartenführer Franz Murer oder die berüchtigte Oberaufseherin in Majdanek, Hermine Braunsteiner-Ryan. Wiesenthal, der Kollektivschuldthesen jeglicher Form ablehnte und einen über die Holocaust-Geschichte hinausweisenden humanistischen Ansatz verfolgte, verstand sein Lebenswerk auch als Aufklärungswerk. Schon früh wies er auf den engen Zusammenhang zwischen der systematischen Judenvernichtung und der von Staats wegen betriebenen Ermordung "Lebensunwerter" hin, die inmitten der Stadt Brandenburg begann. Unwillkommen war auch seine zutreffende Feststellung, wonach überproportional viele Akteure der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie Österreicher gewesen seien.
Tom Segevs Empathie und Distanz atmende Analyse eines geheimnisumwitterten Lebens ist frei von Verteufelungen und Verherrlichungen, die sein Held (der seit dem Eichmann-Prozess 1961 zu einer Art Global Player aufstieg) immer auch selbst befeuerte. Diese Nüchternheit und Sachlichkeit ist unbedingt vonnöten, denn die Persönlichkeit Wiesenthals mit ihren egophilen Obsessionen, opportunistischen Verirrungen und wandelbaren Lügengeschichten "schillernd" zu nennen wäre eine arge Untertreibung. Nach und nach stellt sich bei der Lektüre des etwas ausladenden Werkes jedenfalls das Gefühl ein, als geleite der renommierte Autor den Leser in dem Labyrinth dieses Ausnahmecharakters ziemlich verlässlich. Im Tiefsten, so vermutet Segev, habe Wiesenthal es nie verwunden, dass er während der NS-Zeit weniger gelitten hatte als seine Schicksalsgenossen.
Weil er seine Rettung in der Tat "der Anständigkeit einiger Deutscher" verdankte, habe ihn sein Gewissen beständig geplagt: "Die Jagd nach Kriegsverbrechern", meint Segev, "erscheint daher wie eine Strafe, die er sich selbst auferlegte, und auch wie ein Versuch, Sühne zu tun. Wiesenthal wollte sich selbst reinigen, so wie das von ihm gepflegte Bewusstsein vom Holocaust die gesamte menschliche Kultur einigen sollte." Sich selbst habe er nicht verzeihen und nicht "den Griff des Holocaust abschütteln können, der ihn mehr verfolgte als er die Täter". Und zugleich habe ihn eine Sehnsucht nach Aussöhnung getrieben. Vielleicht war es so.
In der Vita Simon Wiesenthals haben sich darüber hinaus Charakteristika und Strömungen seiner Zeit verdichtet, die im klassischen "His Life and Times"-Muster ausgeleuchtet werden: die späte Überwindung des "Opfermythos" der Republik Österreich etwa; die Durchsetzung einer allmählich aufrichtiger werdenden Deutung des Nationalsozialismus und ihre Integration in das Selbstbild der Bundesrepublik; die Herausbildung des Holocaust zu einem universalen Code des Bösen. Zeitlos dagegen die alle Komödien und Tragödien hinter sich lassenden innerjüdischen Kabalen: so beispielsweise die brachialen Attacken des Jüdischen Weltkongresses, als Wiesenthal sich nicht in den Feldzug gegen Kurt Waldheim einbauen lassen will, mit dem aus einem Lügner ein Verbrecher gemacht werden soll; die flamboyanten Fehden in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien; das eitle Hin und Her zwischen Wiesenthal und dem nach ihm benannten Center in Los Angeles; der angestrengte Lobbyismus von Wiesenthal und Elie Wiesel im Rennen um den Friedensnobelpreis; eifersüchtige Kampagnen des pensionierten Mossad-Chefs und des jüdischen Leiters der amerikanischen Behörde zur Verfolgung von NS-Verbrechen; dazwischen das schwankende diplomatische Personal des Staates Israel.
Einen darstellerischen Höhepunkt erreicht das Buch mit der Schilderung der bizarren Gigantomachie zwischen dem sozialistischen Bundeskanzler des "antisemitischen Österreich", dem aus großbürgerlichen Hause stammenden, eingesessenen Wiener Juden Bruno Kreisky, und dem zugezogenen, antikommunistisch-konservativen "Ostjuden" Wiesenthal. Wer ist der bessere Österreicher? Darum geht es in einem Land, das sich durch nichts schöner entlastet fühlen darf als durch einen jüdischen Regierungschef, der den hartnäckigen Störenfried - fälschlich - sogar als Kollaborateur der Gestapo verleumdet. "Bei so vielen jüdischen Feinden war es leichter für ihn, mit den Deutschen zu leben", schreibt Tom Segev.
Ein Gericht beendet schließlich den zwanzig Jahre lang tobenden Streit der beiden Wiener Platzhirsche und verdonnert den unversöhnten Kreisky kurz vor seinem Tod zu einer saftigen Geldstrafe. "Kreisky hat verloren", bemerkt der längst mit höchsten Ehrungen überschüttete und für seinen jüdischen Witz gefürchtete Simon Wiesenthal, "und anstatt die Geldstrafe zu bezahlen, ist er gestorben."
Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie. Siedler Verlag, München 2010. 562 S., 29,95 [Euro].
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Tom Segev geht wie ein Detektiv jeder Spur über Simon Wiesenthal nach und legt das geheimnisumwitterte Wirken des Eichmann- und Stangl-Jägers frei.
Von Klaus-Dietmar Henke
Die allermeisten Holocaust-Verbrecher haben sich nicht für ihre Taten verantworten müssen. Es hätten aber mehr sein können, wenn Politik und Justiz in den ersten beiden Jahrzehnten nach dem Untergang des "Dritten Reiches" ein wenig mehr Verfolgungseifer an den Tag gelegt hätten. Das weiß man zwar seit langem, doch wird das weithin konsensuelle Verschleppen und Vertuschen selten so klar erkennbar wie in dieser Lebensbeschreibung. Sie zeigt nämlich, wie tief schon ein einziger entschlossener Mann in die deutsche Mordgeschichte mit ihren Zehntausenden von Tätern vorzudringen vermochte.
Simon Wiesenthal (1908-2005), österreichischer Staatsbürger galizisch-jüdischer Abstammung, der fast seine ganze Familie in den Vernichtungslagern verlor und 1945 in Mauthausen befreit wurde, dürfte sich mit etwa 3000 NS-Verbrechern befasst und ungefähr ein Drittel davon zur Anklage gebracht haben. Die Zahl der tatsächlich Verurteilten lasse sich nicht mehr zweifelsfrei bestimmen, schreibt der israelische Publizist und Historiker Tom Segev, der wohl die definitive Biographie des berühmten "Nazi-Jägers" vorlegt. In detektivischer Manier hat er jede erdenkliche Spur verfolgt und eine imponierende Fülle einschlägiger Dokumente herangezogen. Das reicht von den israelischen, britischen und amerikanischen Staatsarchiven, den Beständen internationaler jüdischer Organisationen und Israelitischer Kultusgemeinden über die persönlichen Papiere von David Ben Gurion und natürlich Simon Wiesenthals selbst bis zu den Unterlagen des israelischen Mossad, des polnischen und ostdeutschen Geheimdienstes.
Wiesenthal, der die Nachforschungen zunächst von Linz und bald von seinem Dokumentationszentrum in Wien aus betrieb, machte sich keine Illusionen darüber, dass er sich im nach-nationalsozialistischen Deutschland und Österreich wie in Feindesland bewegte und bis in die achtziger Jahre hinein auf viel mehr Widerstand als Unterstützung traf. "Die blödesten Nazis", kommentierte er die Saumseligkeit der amtlichen Strafverfolgung einmal, seien die gewesen, "die beim Zusammenbruch des Dritten Reiches Selbstmord begangen haben".
Innerer Kompass war dem bald zu einer öffentlichen Figur aufsteigenden Wiesenthal die als Verpflichtung empfundene Gewissheit, er dürfe es als Davongekommener nicht zulassen, dass die Ermordeten der Vergessenheit anheimfielen - die Mörder aber auch nicht. "Gerechtigkeit, nicht Rache" lautete seine Maxime, doch wusste er um die tiefere Vergeblichkeit seines Tuns: Gerichtsurteile, wenn sie denn zustande kämen, könnten "nur symbolisch sein, weil das Strafverfolgungssystem nicht mit derart bestialischen Taten fertig werden kann". Gerade deshalb versuchte er, wenigstens das bisschen Gerechtigkeit und Sühne herstellen zu helfen, das erreichbar war, und die wenigen Täter ergreifen zu helfen, die nach den Versäumnissen der frühen Jahre noch zu fassen waren; neben Adolf Eichmann beispielsweise Franz Stangl, Kommandant in Sobibor und Treblinka, der in Litauen mordende SS-Standartenführer Franz Murer oder die berüchtigte Oberaufseherin in Majdanek, Hermine Braunsteiner-Ryan. Wiesenthal, der Kollektivschuldthesen jeglicher Form ablehnte und einen über die Holocaust-Geschichte hinausweisenden humanistischen Ansatz verfolgte, verstand sein Lebenswerk auch als Aufklärungswerk. Schon früh wies er auf den engen Zusammenhang zwischen der systematischen Judenvernichtung und der von Staats wegen betriebenen Ermordung "Lebensunwerter" hin, die inmitten der Stadt Brandenburg begann. Unwillkommen war auch seine zutreffende Feststellung, wonach überproportional viele Akteure der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie Österreicher gewesen seien.
Tom Segevs Empathie und Distanz atmende Analyse eines geheimnisumwitterten Lebens ist frei von Verteufelungen und Verherrlichungen, die sein Held (der seit dem Eichmann-Prozess 1961 zu einer Art Global Player aufstieg) immer auch selbst befeuerte. Diese Nüchternheit und Sachlichkeit ist unbedingt vonnöten, denn die Persönlichkeit Wiesenthals mit ihren egophilen Obsessionen, opportunistischen Verirrungen und wandelbaren Lügengeschichten "schillernd" zu nennen wäre eine arge Untertreibung. Nach und nach stellt sich bei der Lektüre des etwas ausladenden Werkes jedenfalls das Gefühl ein, als geleite der renommierte Autor den Leser in dem Labyrinth dieses Ausnahmecharakters ziemlich verlässlich. Im Tiefsten, so vermutet Segev, habe Wiesenthal es nie verwunden, dass er während der NS-Zeit weniger gelitten hatte als seine Schicksalsgenossen.
Weil er seine Rettung in der Tat "der Anständigkeit einiger Deutscher" verdankte, habe ihn sein Gewissen beständig geplagt: "Die Jagd nach Kriegsverbrechern", meint Segev, "erscheint daher wie eine Strafe, die er sich selbst auferlegte, und auch wie ein Versuch, Sühne zu tun. Wiesenthal wollte sich selbst reinigen, so wie das von ihm gepflegte Bewusstsein vom Holocaust die gesamte menschliche Kultur einigen sollte." Sich selbst habe er nicht verzeihen und nicht "den Griff des Holocaust abschütteln können, der ihn mehr verfolgte als er die Täter". Und zugleich habe ihn eine Sehnsucht nach Aussöhnung getrieben. Vielleicht war es so.
In der Vita Simon Wiesenthals haben sich darüber hinaus Charakteristika und Strömungen seiner Zeit verdichtet, die im klassischen "His Life and Times"-Muster ausgeleuchtet werden: die späte Überwindung des "Opfermythos" der Republik Österreich etwa; die Durchsetzung einer allmählich aufrichtiger werdenden Deutung des Nationalsozialismus und ihre Integration in das Selbstbild der Bundesrepublik; die Herausbildung des Holocaust zu einem universalen Code des Bösen. Zeitlos dagegen die alle Komödien und Tragödien hinter sich lassenden innerjüdischen Kabalen: so beispielsweise die brachialen Attacken des Jüdischen Weltkongresses, als Wiesenthal sich nicht in den Feldzug gegen Kurt Waldheim einbauen lassen will, mit dem aus einem Lügner ein Verbrecher gemacht werden soll; die flamboyanten Fehden in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien; das eitle Hin und Her zwischen Wiesenthal und dem nach ihm benannten Center in Los Angeles; der angestrengte Lobbyismus von Wiesenthal und Elie Wiesel im Rennen um den Friedensnobelpreis; eifersüchtige Kampagnen des pensionierten Mossad-Chefs und des jüdischen Leiters der amerikanischen Behörde zur Verfolgung von NS-Verbrechen; dazwischen das schwankende diplomatische Personal des Staates Israel.
Einen darstellerischen Höhepunkt erreicht das Buch mit der Schilderung der bizarren Gigantomachie zwischen dem sozialistischen Bundeskanzler des "antisemitischen Österreich", dem aus großbürgerlichen Hause stammenden, eingesessenen Wiener Juden Bruno Kreisky, und dem zugezogenen, antikommunistisch-konservativen "Ostjuden" Wiesenthal. Wer ist der bessere Österreicher? Darum geht es in einem Land, das sich durch nichts schöner entlastet fühlen darf als durch einen jüdischen Regierungschef, der den hartnäckigen Störenfried - fälschlich - sogar als Kollaborateur der Gestapo verleumdet. "Bei so vielen jüdischen Feinden war es leichter für ihn, mit den Deutschen zu leben", schreibt Tom Segev.
Ein Gericht beendet schließlich den zwanzig Jahre lang tobenden Streit der beiden Wiener Platzhirsche und verdonnert den unversöhnten Kreisky kurz vor seinem Tod zu einer saftigen Geldstrafe. "Kreisky hat verloren", bemerkt der längst mit höchsten Ehrungen überschüttete und für seinen jüdischen Witz gefürchtete Simon Wiesenthal, "und anstatt die Geldstrafe zu bezahlen, ist er gestorben."
Tom Segev: Simon Wiesenthal. Die Biographie. Siedler Verlag, München 2010. 562 S., 29,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Differenziert und trotzdem sehr spannend findet Rezensentin Alexandra Senfft Tom Segevs Biografie, die der ambivalenten Persönlichkeit des Nazijägers Simon Wiesenthal sehr nahe kommt. Segev hat Tausende von Akten in unzähligen Archiven durchforstet und auf 500 Seiten zu einer so spannenden Lektüre verarbeitet, die "so manchen Historiker vor Neid erblassen lassen könnte", meint Senfft, die dem Autor attestiert, etliche bisherige Ungereimtheiten aus dem Weg zu räumen. So stelle Segev etwa klar, dass weniger Wiesenthal als vielmehr der Frankfurter Staatsanwalt Fritz Bauer für die Ergreifung Adolf Eichmanns gesorgt hat. Dass sich die Fehde mit Bruno Kreisky sowohl aus persönlichen wie politische gründen speiste. Aber auch dass an den Vorwürfen, Wiesenthal habe für die Nazis gearbeitet, nichts dran gewesen sei. Mit dieser nie unkritischen Biografie voller Sympathie habe Segev Wiesenthal ein "vielschichtiges und lebhaftes Denkmal" gesetzt, lobt Senfft.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Segev erweist sich wieder einmal als großer Biograph, der glänzend zu erzählen versteht, wobei er ein hohes Maß an kritischer Distanz zu seinem eitlen, aufschneiderischen und wichtigtuerischen Protagonisten zeigt.«