B Von Montparnasse nach Montparnasse, S das Quartier Latin als Prolog und Saint-Germain-des-Prés als Höhepunkt: die Wege der beiden leidenschaftlichen Spaziergänger Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre zeugen von einer geschickten Eroberungsstrategie für diese Stadt. Die Wahl der Orte und Lebensweise, die Liebe oder der Hass, die sie für Paris empfanden, sind eng verknüpft mit den Ereignissen ihrer Zeit, die ihr Ansehen, ihre politische und intellektuelle Stellung erschütterten oder festigten - die Epoche vor dem Zweiten Weltkrieg, die deutsche Besatzung, der Algerienkrieg, die Regierung unter General Charles de Gaulle, die Studentenrevolte im Mai 1968 und die Frauenbewegung. Wie sehr Paris in ihrer beider Leben verankert war, macht nicht nur ihr literarisches Werk deutlich. Jean-Luc Moreau und der Magnum-Fotograf Bruno Barbey entführen uns in eine Epoche, die die beiden Franzosen kulturell, gesellschaftlich und politisch entscheidend geprägt haben. Die zahlreichen Tipps im Anhang des Buches laden dazu ein, selbst auf den Spuren von Beauvoir und Sartre zu wandeln.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002Schön fiel das Schattengitter der Zweige auf fünf my thenumrankte Buchstaben: Im Café Flore schrieb Apollinaire an der Zeitschrift „Les Soirées de Paris”, hier trafen sich erstmals Philippe Soupault und André Breton zum surrealistischen Palaver, hier fanden Simone de Beauvoir und Jean- Paul Sartre Zuflucht vor einem Frankreich, das den deutschen Besatzern bald ganz anheimfallen sollte. Wer den Geschmack existentialistischer Gedankenschwere nachempfinden oder den Kindertagen und den Lebensjahren des Schriftstellerpaars hinterherwandern möchte, dem kommt ein literarischer Bildband von Jean-Luc Moreau wie gerufen: „Simone de Beauvoir und Jaen-Paul Sartre in Paris” (Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2001. 168 Seiten, 35 Euro.) Bruno Barbey, der die Fotos aus dem heutigen Paris beisteuerte, und die zahlreichen Fotografen früherer Tage – im abgebildeten Fall Willy Ronis – sind unverkennbar durch die Stadt ihrer Träume gezogen. Und wenn der Himmel sich hinter Wolken versteckt, steht da immer noch eine träumerisch blickende Frau mit Namen Simone, ein Mann namens Jean-Paul, der grimmig an seiner Pfeife zieht. Damit der Betrachter sich in ähnliche Lebenslagen einüben kann, findet er im Anhang Cabarets und Restaurants aufgeführt, in denen die beiden gebürtigen Pariser dem Umsturz entgegenhofften.
akis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2002Europa
"Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre in Paris" von Jean-Luc Moreau (Text) und Bruno Barbey (Fotos). Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2002. 168 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 35 Euro. ISBN 38-0672-8887
Wer in die Tiefenschichten einer Stadt mit Hilfe solcher "Spurensuche"-Bücher eintaucht, den mag wohl immer wieder, und besonders in Paris, das wehmütige Gefühl beschleichen, als Nachgeborener zu spät gekommen zu sein: Man findet zwar das "Deux Magots" noch vor und die "Brasserie Lipp" im Dekor ihrer Frühzeit, sonst aber eher seinesgleichen und wohl niemals jene Künstler und Philosophen, deretwegen man die Häuser besucht. Dabei belächelte schon Gottfried Keller die Klage, daß es "keine Originale mehr gebe" - auf der ersten Seite der "Zürcher Novellen". Irgendwo werden auch Eric Orsenna, Agnès Desarthe und Michel Houellebecq, wenn er denn in Paris weilt, heute ihren Kaffee trinken, doch womöglich unerkannt, zumindest unauffällig. Umgekehrt gibt Simone de Beauvoir schon bald nach dem Krieg das Hotelleben auf und mietet eine Wohnung, weil sie in den Cafés bei ihrer Arbeit inzwischen unablässig von Fremden bedrängt wird. Das, wonach der Spurensucher heute sucht, war damals schon vorüber. Auch dies erfährt der Leser in diesem ebenso gründlichen wie schönen Buch mit einer reichhaltigen Mischung stimmungsvoller zeitgenössischer und alter Fotos der Orte und, mehr noch, der Menschen. Beide, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, kamen in Paris zur Welt, lebten dort - vielfach öffentlich: als Spaziergänger, Flaneure, Zeitgenossen, in Montparnasse und Saint-Germain-des-Prés, beide ruhen sie in einem Grab in Montparnasse. Vereint wie auf dem Grab sind ihre Namen auch auf einem Straßenschild, "Place Sartre-Beauvoir", gleich am "Café de Flore", wo weit und breit kein Platz ist, nur irgendeine Kreuzung. Daß eine Kreuzung dennoch, oder gerade, paßt: Mit dieser Einsicht endet dieses Buch, das gleich gewinnbringend und anregend zu lesen wie immer wieder durchzublättern ist - eine dichte Doppel-Biographie dieses ungewöhnlichen Paares, zugleich ein Stück Philosophiegeschichte und ein bedeutendes Kapitel aus der Geschichte von Paris im zwanzigsten Jahrhundert bis 1968 und danach. (mbe)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre in Paris" von Jean-Luc Moreau (Text) und Bruno Barbey (Fotos). Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2002. 168 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 35 Euro. ISBN 38-0672-8887
Wer in die Tiefenschichten einer Stadt mit Hilfe solcher "Spurensuche"-Bücher eintaucht, den mag wohl immer wieder, und besonders in Paris, das wehmütige Gefühl beschleichen, als Nachgeborener zu spät gekommen zu sein: Man findet zwar das "Deux Magots" noch vor und die "Brasserie Lipp" im Dekor ihrer Frühzeit, sonst aber eher seinesgleichen und wohl niemals jene Künstler und Philosophen, deretwegen man die Häuser besucht. Dabei belächelte schon Gottfried Keller die Klage, daß es "keine Originale mehr gebe" - auf der ersten Seite der "Zürcher Novellen". Irgendwo werden auch Eric Orsenna, Agnès Desarthe und Michel Houellebecq, wenn er denn in Paris weilt, heute ihren Kaffee trinken, doch womöglich unerkannt, zumindest unauffällig. Umgekehrt gibt Simone de Beauvoir schon bald nach dem Krieg das Hotelleben auf und mietet eine Wohnung, weil sie in den Cafés bei ihrer Arbeit inzwischen unablässig von Fremden bedrängt wird. Das, wonach der Spurensucher heute sucht, war damals schon vorüber. Auch dies erfährt der Leser in diesem ebenso gründlichen wie schönen Buch mit einer reichhaltigen Mischung stimmungsvoller zeitgenössischer und alter Fotos der Orte und, mehr noch, der Menschen. Beide, Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, kamen in Paris zur Welt, lebten dort - vielfach öffentlich: als Spaziergänger, Flaneure, Zeitgenossen, in Montparnasse und Saint-Germain-des-Prés, beide ruhen sie in einem Grab in Montparnasse. Vereint wie auf dem Grab sind ihre Namen auch auf einem Straßenschild, "Place Sartre-Beauvoir", gleich am "Café de Flore", wo weit und breit kein Platz ist, nur irgendeine Kreuzung. Daß eine Kreuzung dennoch, oder gerade, paßt: Mit dieser Einsicht endet dieses Buch, das gleich gewinnbringend und anregend zu lesen wie immer wieder durchzublättern ist - eine dichte Doppel-Biographie dieses ungewöhnlichen Paares, zugleich ein Stück Philosophiegeschichte und ein bedeutendes Kapitel aus der Geschichte von Paris im zwanzigsten Jahrhundert bis 1968 und danach. (mbe)
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Förmlich hingerissen der Rezensent (Kürzel pms.), nichts als Ausdruck der Hingerissenheit diese kurze Kritik. Das Buch - Fotografien des Magnum-Fotografen Bruno Barbey von Sartre und Beauvoir in Paris oder auch, wie es scheint, von Paris am Beispiel von Beauvoir und Sartre - ist, der Kritiker sagt es erst, bevor man es jeder Zeile seines Textes anhört: "ein grandioser Wurf". Es macht ihm "Lust", und zwar darauf, dem Vergangenen hinterherzureisen, und sei es im Kopf. Der Rezensent zählt auf, was er sieht, aber auch, was er liest, die Texte im Buch sind Zitate von damals: "das Zitierte weckt Heißhunger auf mehr".
© Perlentaucher Medien GmbH
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