Irene Solàs poetischer und vielstimmige Roman »Singe ich, tanzen die Berge« gibt einer Landschaft im Herzen Europas ein Gesicht und verwebt Natur und menschliche Schicksale zu einem sinnlichen Reigen über Leben und Tod.
Gewaltige Regenwolken ziehen über die Pyrenäen Kataloniens und entladen sich über Dörfern und Menschen. Als Domenèc vom Blitz getroffen wird, muss Sió ihre beiden Kinder alleine durchbringen - in einer Welt voller Legenden und sagenhafter Wesen.
In diesem Landstrich, dicht an der Grenze zu Frankreich, ist alles möglich: Es erzählen die lachenden Hexen, die längst gehängt worden sind, die Regentropfen und die Bären, die sich die wilden Berge zurückerobern wollen.
Gewaltige Regenwolken ziehen über die Pyrenäen Kataloniens und entladen sich über Dörfern und Menschen. Als Domenèc vom Blitz getroffen wird, muss Sió ihre beiden Kinder alleine durchbringen - in einer Welt voller Legenden und sagenhafter Wesen.
In diesem Landstrich, dicht an der Grenze zu Frankreich, ist alles möglich: Es erzählen die lachenden Hexen, die längst gehängt worden sind, die Regentropfen und die Bären, die sich die wilden Berge zurückerobern wollen.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Seit Orpheus ist es der Traum der Dichter, Steine zum Weinen zu bringen, weiß Rezensentin Karin Janker und bereitet darauf vor, dass die katalanische Dichterin Irene Solà in ihrem Roman nicht nur die Pyrenäen zum Sprechen bringt, sondern gleich dazu auch noch die Wolken, die Rehe und die Wasserfrauen. Wenn sie ihnen allen eine Stimme verleiht, dann aber nicht im Sinne einer Parabel, wie Janker betont: Sie stehen hier ganz für sich. Dass dies funktioniert, liegt der Rezensentin zufolge an Solà einfach-kraftvoller Sprache, einer eigenwilligen Herbheit und auch an der Übersetzung von Petra Zickmann, die sehr schön die schroffe Bergsprache ins Deutsche rette.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2022Die Poesie hat alles
Irene Solà erzählt über die Pyrenäen
Es ist nützlich, schon einmal in den Pyrenäen gewesen zu sein, um sich die erhabene Berglandschaft und die tief in den Kreislauf der Natur eingebettete ländliche Welt vorstellen zu können, in der die junge katalanische Dichterin und Schriftstellerin Irene Solà ihren Roman "Singe ich, tanzen die Berge" angesiedelt hat. Es genügt aber auch, sich die Bilder katalanischer Maler, allen voran Dalí oder Miró, zu vergegenwärtigen, auf denen sich Flora und Fauna, Mensch und Gegenstände in Wesen voll magischer Kraft verwandeln, die Zeit zerläuft und Felsen und Berge sich uralte Legenden zuraunen.
Solà hat einen originellen Erzählstil entwickelt, der die Ich-, gelegentlich auch Wir-Erzählerin in die unterschiedlichsten Figuren schlüpfen lässt. So verwandelt sich die Autorin in diverse handelnde Personen unter allen möglichen Lebensumständen, von der Zeugung bis zum Tod, in Protagonisten von Mythen oder in Alltagsmenschen bei banalen Alltagsverrichtungen. Sie schildert, wie ein Hund Mann und Frau beim Sex zuschaut, wie ein Rehkitz oder ein Kalb ihre Geburt erleben und beschwört im Zeitraffer das scheinbar zeitlose Werden und Vergehen der Pyrenäen im elementaren Kampf von Feuer und Wasser.
Der Roman mit dem katalanischen Originaltitel "Canto jo i la muntanya balla" ist in vier Teile und achtzehn Kapitel gegliedert, in denen Solà jeweils die Erzählperspektive wechselt, was beim Lesen für Spannung sorgt, aber auch zur Unübersichtlichkeit beiträgt, weil immer neue Personen und Schauplätze auftauchen. Immerhin gibt es eine Art roten Faden, der sich um den bei einem Jagdunfall ums Leben kommenden Jungen Hilari windet. Die Handlung lässt sich, soweit sie in der realen Welt der Bewohner spielt, recht konkret in den katalanischen Pyrenäen bei dem Ort Camprodon in der Nähe der Grenze zu Frankreich lokalisieren, sie wendet sich freilich auch ins Sagenhaft-Universelle.
Solàs durch und durch poetische Sprache ist reich an wunderbaren Metaphern und bezieht ihren Reiz von einem klangvoll durchrhythmisierten Duktus, von bewusst gesetzten Wiederholungen, Ein-Wort-Sätzen, lapidaren Kommentaren, Ausrufen und hin und wieder eingestreuten Geräusch-Imitationen - xsssssst, uh, uh, uh, tic, tic, tic. Ihre Erfahrungen als Dichterin bringt sie ganz direkt anhand einiger veritabler Gedichte ein, und sie räsoniert gar über die Dichtkunst: "Die Poesie hat alles. Die Poesie hat Schönheit, sie hat Reinheit, Musik, Bilder, Sprache, sie hat die Freiheit und die Gabe, dich zu berühren und die Unendlichkeit spüren zu lassen. Das Jenseits. Die Unendlichkeit, die weder auf Erden noch im Himmel ist."
Die katalanische Sprache, in der die einunddreißig Jahre alte Autorin schreibt, ist urtümlicher, drastischer, derber als das Spanische. Da kann Solà mit ihrer Lust an der Lautmalerei aus dem Vollen schöpfen. In einem Kapitel freilich ("Das Brüderlein aller") wechselt sie unvermittelt ins Spanische, das nüchterner, lapidarer, "moderner" klingt. Es ist ein subtiler dramaturgischer Kunstgriff, nicht nur weil die gerade handelnden Personen Spanisch sprechen, sondern weil dieser Abschnitt im Buch in die Zeit von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur zurückblendet, als das Katalanische unterdrückt oder gar verboten war.
Für Petra Zickmann, die den Roman ins Deutsche übertragen hat, war es unmöglich, dieses Spiel mit den beiden Idiomen nachzubilden; vielleicht hätte sie mit einem Verweis den Leser auf den Sprachwechsel aufmerksam machen sollen. Ihre Übersetzung gibt recht anschaulich die Grundstimmungen des Romans wieder, sie hätte allerdings für die besonders derben, gar ordinären katalanischen Wörter und Metaphern schärfere und knackigere Entsprechungen im Deutschen finden können. Immerhin vermittelt die deutsche Version dieses zweiten Romans von Solà - nach deren noch nicht übersetztem Erstling "Els dics" (Die Dämme) - einen anschaulichen Einblick in die Erzählkunst einer der großen Begabungen unter den jungen Autoren aus Spanien: "Die Berge, die wir gewesen sind", lässt Solà das Gebirge weissagen, "die Häuser und Nester und Baue, die Terrassenfelder und Gipfelkämme, die wir gewesen sind, werden wir nicht mehr sein. Und unsere Überreste, unsere Trümmer, unser Schutt werden Täler und Ebenen bilden, Tonnen von Geröll, das im Meer versinkt, neue Berge." JOSEPH OEHRLEIN
Irene Solà: "Singe ich, tanzen die Berge". Roman.
Aus dem Katalanischen von Petra Zickmann. Trabantenverlag, Berlin 2022. 208 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Irene Solà erzählt über die Pyrenäen
Es ist nützlich, schon einmal in den Pyrenäen gewesen zu sein, um sich die erhabene Berglandschaft und die tief in den Kreislauf der Natur eingebettete ländliche Welt vorstellen zu können, in der die junge katalanische Dichterin und Schriftstellerin Irene Solà ihren Roman "Singe ich, tanzen die Berge" angesiedelt hat. Es genügt aber auch, sich die Bilder katalanischer Maler, allen voran Dalí oder Miró, zu vergegenwärtigen, auf denen sich Flora und Fauna, Mensch und Gegenstände in Wesen voll magischer Kraft verwandeln, die Zeit zerläuft und Felsen und Berge sich uralte Legenden zuraunen.
Solà hat einen originellen Erzählstil entwickelt, der die Ich-, gelegentlich auch Wir-Erzählerin in die unterschiedlichsten Figuren schlüpfen lässt. So verwandelt sich die Autorin in diverse handelnde Personen unter allen möglichen Lebensumständen, von der Zeugung bis zum Tod, in Protagonisten von Mythen oder in Alltagsmenschen bei banalen Alltagsverrichtungen. Sie schildert, wie ein Hund Mann und Frau beim Sex zuschaut, wie ein Rehkitz oder ein Kalb ihre Geburt erleben und beschwört im Zeitraffer das scheinbar zeitlose Werden und Vergehen der Pyrenäen im elementaren Kampf von Feuer und Wasser.
Der Roman mit dem katalanischen Originaltitel "Canto jo i la muntanya balla" ist in vier Teile und achtzehn Kapitel gegliedert, in denen Solà jeweils die Erzählperspektive wechselt, was beim Lesen für Spannung sorgt, aber auch zur Unübersichtlichkeit beiträgt, weil immer neue Personen und Schauplätze auftauchen. Immerhin gibt es eine Art roten Faden, der sich um den bei einem Jagdunfall ums Leben kommenden Jungen Hilari windet. Die Handlung lässt sich, soweit sie in der realen Welt der Bewohner spielt, recht konkret in den katalanischen Pyrenäen bei dem Ort Camprodon in der Nähe der Grenze zu Frankreich lokalisieren, sie wendet sich freilich auch ins Sagenhaft-Universelle.
Solàs durch und durch poetische Sprache ist reich an wunderbaren Metaphern und bezieht ihren Reiz von einem klangvoll durchrhythmisierten Duktus, von bewusst gesetzten Wiederholungen, Ein-Wort-Sätzen, lapidaren Kommentaren, Ausrufen und hin und wieder eingestreuten Geräusch-Imitationen - xsssssst, uh, uh, uh, tic, tic, tic. Ihre Erfahrungen als Dichterin bringt sie ganz direkt anhand einiger veritabler Gedichte ein, und sie räsoniert gar über die Dichtkunst: "Die Poesie hat alles. Die Poesie hat Schönheit, sie hat Reinheit, Musik, Bilder, Sprache, sie hat die Freiheit und die Gabe, dich zu berühren und die Unendlichkeit spüren zu lassen. Das Jenseits. Die Unendlichkeit, die weder auf Erden noch im Himmel ist."
Die katalanische Sprache, in der die einunddreißig Jahre alte Autorin schreibt, ist urtümlicher, drastischer, derber als das Spanische. Da kann Solà mit ihrer Lust an der Lautmalerei aus dem Vollen schöpfen. In einem Kapitel freilich ("Das Brüderlein aller") wechselt sie unvermittelt ins Spanische, das nüchterner, lapidarer, "moderner" klingt. Es ist ein subtiler dramaturgischer Kunstgriff, nicht nur weil die gerade handelnden Personen Spanisch sprechen, sondern weil dieser Abschnitt im Buch in die Zeit von Bürgerkrieg und Franco-Diktatur zurückblendet, als das Katalanische unterdrückt oder gar verboten war.
Für Petra Zickmann, die den Roman ins Deutsche übertragen hat, war es unmöglich, dieses Spiel mit den beiden Idiomen nachzubilden; vielleicht hätte sie mit einem Verweis den Leser auf den Sprachwechsel aufmerksam machen sollen. Ihre Übersetzung gibt recht anschaulich die Grundstimmungen des Romans wieder, sie hätte allerdings für die besonders derben, gar ordinären katalanischen Wörter und Metaphern schärfere und knackigere Entsprechungen im Deutschen finden können. Immerhin vermittelt die deutsche Version dieses zweiten Romans von Solà - nach deren noch nicht übersetztem Erstling "Els dics" (Die Dämme) - einen anschaulichen Einblick in die Erzählkunst einer der großen Begabungen unter den jungen Autoren aus Spanien: "Die Berge, die wir gewesen sind", lässt Solà das Gebirge weissagen, "die Häuser und Nester und Baue, die Terrassenfelder und Gipfelkämme, die wir gewesen sind, werden wir nicht mehr sein. Und unsere Überreste, unsere Trümmer, unser Schutt werden Täler und Ebenen bilden, Tonnen von Geröll, das im Meer versinkt, neue Berge." JOSEPH OEHRLEIN
Irene Solà: "Singe ich, tanzen die Berge". Roman.
Aus dem Katalanischen von Petra Zickmann. Trabantenverlag, Berlin 2022. 208 S., geb., 22,- Euro.
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