13,5 Millionen Deutsche lebten im Jahr 2001 alleine. Unbekannt ist, wie viele davon auch ohne Partner sind. Die Zahl der Singles aber ist hoch, und sie dürfte weiter zunehmen, auch wenn Feuilletons von "Spiegel" bis "Zeit" eine Renaissance der Familie beschwören. In seinem Buch untersucht der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann die weibliche Seite des Phänomens. Quelle für seine Studie über die Einsamkeit moderner Frauen sind 150 Leserbriefe an die französische "Marie Claire", 150 offene und intensive Auseinandersetzungen mit dem Alleinsein. Kaufmann, der im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft an einer Untersuchung zum Singledasein gearbeitet hatte, sagte: "Das war genau das, was meiner Studie fehlte: Das Leben, die persönlich Erfahrung." Die Briefe spiegeln Gedanken, Ängste und Erwartungen von Frauen, die im Spannungsfeld von Individualität und Selbstbestimmung einerseits und dem Wunsch nach einem Partner andererseits leben. Mit "Singlefrau und Märchenprinz" gelingt dem Autor der Spagat zwischen wissenschaftlicher Empirie und praktischer Lebenskunde. Damit knüpft Kaufmann an seine früheren Werke wie "Schmutzige Wäsche" oder "Mit Leib und Seele" ebenfalls bei UVK an.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2002Richtig schlimm wird's vor dem Kino
Woher kommt die kontinuierliche und zahlenmäßig beträchtliche Zunahme des Alleinlebens, und wie geht ein entsprechender Alltag vonstatten? Die Frage hat in der soziologischen Literatur etliche Spezialstudien hervorgerufen, sie dient als Ausgangspunkt für Bücher der feministischen Theorienbildung und produziert nicht nur bei Demographen einen Alarmismus moralischer und ökonomischer Art, der die Erkenniserwartung eher enttäuscht als erfüllt. Unbefriedigend bleibt, wie einlinig diese ebenso interessante wie voraussetzungsreiche Fragestellung in der Regel behandelt wird: Entweder verzettelt man sich - etwa bei der Auswertung von Tonbandaussagen oder Briefen - oft grob psychologisierend im Labyrinth der Einzelbefunde, oder man greift ohne hinreichende Absicherung durch Belege in den Sternenhimmel der Theorie. Im reich ausgestatteten Kosmos der Beziehungs- und Single-Literatur fehlte bisher die Studie, von der man den Eindruck hätte, sie würde die höchst individuellen Erwägungen, die dieser Thematik innewohnen, mit den gesellschaftlich wirksamen Mechanismen und - wenn man so will - allgemein anthropologischen Erwägungen zu einem fundierten Ganzen zusammenfügen. Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann gehört sicherlich zu denen, von denen man noch am ehesten erwartet hätte, daß sie dieser Aufgabe gewachsen sind. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Aspekten von Paarbeziehungen und Familienleben und hat dabei stets einen originellen, die Schemata sprengenden Zugriff gefunden. Das zeigen seine Bücher "Schmutzige Wäsche" (wann wird das Bügelbrett zum Krisenherd?), "Frauenkörper - Männerblicke" (wer darf sich "ohne oben" sonnen?), "Mit Leib und Seele" (warum waschen, ordnen, schrubben wir so und nicht anders?). Schon die treffsichere Wahl dieser Aspekte, mit der Kaufmann der conditio humana gehaltvoll auf die Schliche zu kommen sucht, demonstriert nicht nur den gebührenden Umfang an Lebenserfahrenheit, sondern läßt den Autor auch als einen Meister des verhalten-humorvollen Tons hervortreten, wie er für die genaue Beobachtung des Menschlichen nun einmal absolut erforderlich, in der Soziologie aber leider relativ selten zu finden ist. Nun wartet Kaufmann mit einem in der Tat bahnbrechenden Werk über das Single-Dasein auf, das seit wenigen Tagen auch in der deutschen Übersetzung vorliegt ("Singlefrau und Märchenprinz". Über die Einsamkeit moderner Frauen. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2002. 271 S., br., 24,-). Im Zentrum steht die Solo-Existenz der Frau, aber so weit sind die Geschlechter nicht voneinander entfernt, daß sich hier nicht auch der Mann in den Mechanismen des Alleinseins "wiedererkennen" würde, so der Autor, "die jedoch auf weiblicher Seite wie durch ein Vergrößerungsglas zu beobachten" seien. Gestützt auf die Auswertung von dreihundert Briefen an die Zeitschrift "Marie-Claire" geht es um Orte des Unbehagens für Singles (die Warteschlange vor dem Kino etwa, in der man zwischen Glück demonstrierenden Paaren auszuharren hat); um die Ambivalenz des regressiven Rückzugs ins Bett, ins Bad und in die eigenen vier Wände überhaupt; um das von Visionen des Traummanns/der Traumfrau begleitete Ritual des "Ausgehens"; um die Oasen in der sexuellen Wüste; und schließlich und zuvörderst um all die inneren Tumulte, die die Suche nach Selbstsicherheit einer "autonomen", dabei aber das Familienbild nie ganz aus dem Auge verlierenden Existenz hervorbringt. Kaufmann versteht es glänzend, in seinen Steilhängen und in seinen Abgründen das experimentelle Lebensgefühl zu beschreiben, dem die Single-Existenz ausgesetzt ist: den gesteigerten Druck der Selbstreflexion, der das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der eigenen, vermeintlich empirisch gewonnenen Kategorien tagtäglich neu unterminiert, und der das Leben zumindest im Kopf zu einer "Revolution in Permanenz" macht (die Weiterungen der Problematik des anything goes finden sich, jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt, bei Paul K. Feyerabend: "Probleme des Empirismus I", Reclam Verlag, Stuttgart 2002, 261 S., br., 7,10 ). Die glücklichsten Ehen, so Kaufmanns Expertise, werden denn auch von jenen Singles geschlossen, die Ihr Ja-Wort als eine "Setzung" durchschauen, das seinen Bestand nicht abhängig macht von der wechselvollen Empirie der Gefühle. Womit die Weisheit der Marie-Claire-Leser erwiesen wäre.
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Woher kommt die kontinuierliche und zahlenmäßig beträchtliche Zunahme des Alleinlebens, und wie geht ein entsprechender Alltag vonstatten? Die Frage hat in der soziologischen Literatur etliche Spezialstudien hervorgerufen, sie dient als Ausgangspunkt für Bücher der feministischen Theorienbildung und produziert nicht nur bei Demographen einen Alarmismus moralischer und ökonomischer Art, der die Erkenniserwartung eher enttäuscht als erfüllt. Unbefriedigend bleibt, wie einlinig diese ebenso interessante wie voraussetzungsreiche Fragestellung in der Regel behandelt wird: Entweder verzettelt man sich - etwa bei der Auswertung von Tonbandaussagen oder Briefen - oft grob psychologisierend im Labyrinth der Einzelbefunde, oder man greift ohne hinreichende Absicherung durch Belege in den Sternenhimmel der Theorie. Im reich ausgestatteten Kosmos der Beziehungs- und Single-Literatur fehlte bisher die Studie, von der man den Eindruck hätte, sie würde die höchst individuellen Erwägungen, die dieser Thematik innewohnen, mit den gesellschaftlich wirksamen Mechanismen und - wenn man so will - allgemein anthropologischen Erwägungen zu einem fundierten Ganzen zusammenfügen. Der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann gehört sicherlich zu denen, von denen man noch am ehesten erwartet hätte, daß sie dieser Aufgabe gewachsen sind. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Aspekten von Paarbeziehungen und Familienleben und hat dabei stets einen originellen, die Schemata sprengenden Zugriff gefunden. Das zeigen seine Bücher "Schmutzige Wäsche" (wann wird das Bügelbrett zum Krisenherd?), "Frauenkörper - Männerblicke" (wer darf sich "ohne oben" sonnen?), "Mit Leib und Seele" (warum waschen, ordnen, schrubben wir so und nicht anders?). Schon die treffsichere Wahl dieser Aspekte, mit der Kaufmann der conditio humana gehaltvoll auf die Schliche zu kommen sucht, demonstriert nicht nur den gebührenden Umfang an Lebenserfahrenheit, sondern läßt den Autor auch als einen Meister des verhalten-humorvollen Tons hervortreten, wie er für die genaue Beobachtung des Menschlichen nun einmal absolut erforderlich, in der Soziologie aber leider relativ selten zu finden ist. Nun wartet Kaufmann mit einem in der Tat bahnbrechenden Werk über das Single-Dasein auf, das seit wenigen Tagen auch in der deutschen Übersetzung vorliegt ("Singlefrau und Märchenprinz". Über die Einsamkeit moderner Frauen. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2002. 271 S., br., 24,-
CHRISTIAN GEYER
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Kathrin Kommerell zeigt sich recht angetan von Jean-Claude Kaufmanns Studie über das Leben der Single-Frauen. Wie Kommerell ausführt, erforscht der französische Soziologe im Auftrag der EU anhand von 150 Briefen allein stehender Frauen zwischen 18 und 50 Jahren die Lebenswelten der Single-Frau. Von besonderem Interesse ist für Kaufmann das "zweigeteilte Leben" zwischen Freiheit und Verlorenheit, berichtet Kommerell. Sie lobt den Soziologen Kaufmann, der eher in der wissenschaftlichen Empirie und der analytischen Verallgemeinerung zu Hause ist, dafür, dass er immer wieder zum "Erzählen der Single-Leben" zurück findet. Besonders die Briefe, in denen die Frauen ihre Geschichte "mit enormer Selbstreflexion" erzählen, haben es Kommerell angetan: sie "sprechen Bände". Für Kaufmann ist das Phänomen der Singel-Frau Teil des "Vorwärtsdrängens einer Gesellschaft, deren Antrieb Individualisierung heißt", findet Kommerell. Die gesellschaftlichen Folgen des Singel-Daseins, das für Kommerell auch ein Angriff auf die Ehe oder zumindest auf hergebrachte Geschlechterrollen ist, kommen ihrer Meinung nach bei Kaufman leider etwas zu kurz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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