Essays über Literatur, Kino, Kunst, Familie und alles dazwischen
Zadie Smith wirft in diesem Band einen Blick auf das Leben - in kultureller und persönlicher Hinsicht. Ihre leidenschaftlichen und präzisen Essays handeln von großer Literatur und schlechten Filmen, von ihrer eigenen Familie und der Welt der Philosophie, von Comedians und Diven. Wie hat George Eliots Liebesleben ihr Schreiben beeinflusst? Warum hat Kafka morgens um fünf geschrieben? Worin ähneln sich Barack Obama und Eliza Doolittle? Kann man bei einer Oscar-Verleihung overdressed sein? Was ist italienischer Feminismus? Wenn Roland Barthes den Autor getötet hat, kann Nabokov ihn dann wieder zum Leben erwecken? Und ist »Date Movie« der schlechteste Film aller Zeiten? Journalistische Arbeiten im weitesten Sinne: vom Feinsten, intelligent und lustig, ein Geschenk für Leser. Ein Essay ist mehr als eine Kolumne, in der jemand eine Meinung kundtut: Hier wird er zu einem hellen Raum, in dem frei gedacht wird.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Zadie Smith wirft in diesem Band einen Blick auf das Leben - in kultureller und persönlicher Hinsicht. Ihre leidenschaftlichen und präzisen Essays handeln von großer Literatur und schlechten Filmen, von ihrer eigenen Familie und der Welt der Philosophie, von Comedians und Diven. Wie hat George Eliots Liebesleben ihr Schreiben beeinflusst? Warum hat Kafka morgens um fünf geschrieben? Worin ähneln sich Barack Obama und Eliza Doolittle? Kann man bei einer Oscar-Verleihung overdressed sein? Was ist italienischer Feminismus? Wenn Roland Barthes den Autor getötet hat, kann Nabokov ihn dann wieder zum Leben erwecken? Und ist »Date Movie« der schlechteste Film aller Zeiten? Journalistische Arbeiten im weitesten Sinne: vom Feinsten, intelligent und lustig, ein Geschenk für Leser. Ein Essay ist mehr als eine Kolumne, in der jemand eine Meinung kundtut: Hier wird er zu einem hellen Raum, in dem frei gedacht wird.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2015Einmal Cary Grant sein
Triumph der Mikroplanerin: Die Essays der Britin Zadie Smith kreisen ums Lesen, Sehen und Denken
Der zeitliche Abstand, den Zadie Smith zwischen das Erscheinen ihrer Romane legt, wird von Mal zu Mal größer. Ließ sie sich zwischen ihrem gefeierten Debüt "Zähne zeigen" aus dem Jahr 2000 und dem darauf folgenden "Autogrammhändler" zwei Jahre Zeit, vergingen bis zum nächsten Buch "Von der Schönheit" schon drei Jahre. Und ihr jüngster Roman, die formal ausgefuchste, multiperspektivische Erzählung "London NW" über vier Londoner aus einem Stadtteil, ließ sogar sieben Jahre auf sich warten. Einen Reim auf diesen "Sinneswandel" der 1975 in London geborenen Schriftstellerin kann man sich jetzt in ihrem neuen Essayband machen, der auch im Englischen "Changing my mind" heißt. In einem für den Abdruck überarbeiteten Vortrag vor Studenten der New Yorker Columbia University bekennt sich Zadie Smith nämlich zur Gattung der Mikroplaner. Und deren literarische Produktion verläuft gänzlich konträr zu jener der Makroplaner.
Der Makroplaner ist demnach an den vielen Post-its zu erkennen. Denn lange, bevor er die Titelseite schreibt, konzipiert er sein Material, entwickelt eine Handlung und verleiht ihr Struktur. Die Mikroplanerin beginnt dagegen beim ersten Satz - und endet mit dem letzten. Sie kann deshalb auch nicht wie der Makroplaner einfach in der Mitte eines Romans anfangen und sich von dort nach vorn oder hinten durcharbeiten. Auch Kapitelfolgen sind nicht verhandelbar, Schauplätze nicht zu verlegen und Schlüsse nicht verändern. Weil die Mikroplanerin Smith tatsächlich "nicht die leiseste Ahnung hat, wie der Schluss aussehen wird, bis ich dort bin".
So ganz ohne Plan, existiert ihr Roman für sie also immer nur im gegenwärtigen Moment, "in der klanglichen Frequenz dieses einen Textes", wie sie sagt. Diese Frequenz zu finden ist mithin die größte Herausforderung. Und kann, wie bei "Von der Schönheit", durchaus zwei Jahren dauern. Erst wenn dieser Ton da ist, die Erzählperspektive gefunden, kann das Schreiben beginnen. Der Schluss ist deshalb auch der größte Triumph der Mikroplanerin, denn der letzte Arbeitstag am Roman ist tatsächlich der letzte: Es gibt keine zweite oder dritte Fassung, sondern nur das eine Manuskript. Das aber auch dann noch immer nicht veröffentlicht wird. Stattdessen rät die Autorin den New Yorker Studenten für Kreatives Schreiben, den Text, sofern sie nicht in Geldnot seien, in die Schublade zu legen, möglichst für ein Jahr. So lange brauche es, um Abstand zum eigenen Werk zu gewinnen und sich vom Autor zum Leser zu verwandeln.
Es sind die Reden und Aufsätze über ihr Verständnis von Schreiben und Literatur, die den knapp fünfhundert Seiten fassenden Band so lesenswert machen. Immer wieder geht es Zadie Smith in ihren "Gelegenheitsessays" dabei um eine Frage, um die auch "London NW" im Kern kreiste, nämlich das Verhältnis von Herkunft und Identität. Wie man wurde, der man ist, weil man einem bestimmten Milieu entstammt, einer Gegend, einer Straße, zu der man sich auch später noch in Beziehung setzt, durch Verschmelzung, durch Abwärtsbewegung oder die Erfahrung von Verlust. Deshalb ist in "London NW" das multikulturelle Kilburn mit seinen vielen Geschäften und befahrenen Straßen, den Gerüchen und Klägen selbst so etwas wie ein Protagonist des Romans. Und deshalb handelt der Vortrag "In Zungen reden", gehalten in der Public Library in New York, vom Verlust ihrer Muttersprache. Denn als Zadie Smith sich aus dem Londoner Arbeiterviertel Willesden an die Universität von Cambridge aufmachte, legte sie zugleich die Sprache ihrer Kindheit ab. Ihr Exkurs, der von Shakespeare über Eliza Doolittle bis zu Präsident Obama und Cary Grant führt, thematisiert den Preis dafür. Selbst als Archibald Leach aus Bristol sich in Cary Grant verwandelte, geschah dies über die Stimme, deren eigentümlicher, undefinierbarer Klang ihn für Smith erst zur mythischen Projektionsfläche werden ließ: "Jeder wäre gern Cary Grant", habe Cary Grant selbst einmal gesagt, "ich auch."
Die siebzehn im Band versammelten Texte, von denen manche neu sind, andere bereits in englischen und amerikanischen Zeitungen publiziert wurden, hat Zadie Smith mit den Überschriften "Lesen", "Sein", "Sehen", "Fühlen" und "Gedenken" versehen. Unter den literarischen Essays, die von der nicht mehr ganz taufrischen These der durch Max Brod verursachten Fehllektüre Kafkas über die Banalität und Brillanz im Werk E. M. Forsters bis zur Relektüre Nabokovs mit Roland Barthes reichen, sticht ein Vorwort zur Neuausgabe von Zora Neale Hurstons 1937 erschienenem Roman "Their Eyes Were Watching God" heraus. "Vor ihren Augen sahen sie Gott", ein Schlüsselwerk des schwarzen Feminismus, nimmt Zadie Smith zum Anlass zu einer Brandrede gegen einen Fetisch, den sich die Gesellschaft in den vergangenen dreißig Jahren herangezüchtet habe. Denn in der mit Fehlern und Unsicherheiten ausgestatteten Romanheldin Janie Crawford erkennt sie einen Gegenentwurf zu den schwarzen Heldinnen unserer Zeit, die unweigerlich stark und voller Seele sein müssten und in der Gestalt von "afrikanischen Königinnen, Diven und Weltgeistern" unerschrocken durch die Romane zögen. In diesen von schwarzen Autorinnen zwangsverpflichteten Vorbildern sieht sie eine besonders arge Form der "Grußkartenpoesie".
Auch als Filmkritikerin, Nachrufautorin, Amateurreisereporterin und Memoirenschreiberin tritt Zadie Smith immer wieder in Erscheinung. Sie schreibt über George Clooney ebenso wie über eine Reise nach Liberia, porträtiert die bewunderte Katherine Hepburn, deren unabhängiger Charakter und ambivalente Weiblichkeit das Hollywood-System immer wieder herausforderte. Welche Beklemmungen wiederum dieser Ort real verursacht, den sich die Welt zusammenphantasiert, beschreiben ihre "Zehn Beobachtungen am Oscar-Wochenende".
Wie sehr Zadie Smith dieses Buch biographisch verortet, zeigt ihr wohl persönlichster Text: "Weihnachten bei Familie Smith". Ihm ist auch die einzige Fotografie im Buch beigefügt. Sie zeigt die Autorin als fröhliche Fünfjährige auf dem Arm ihres inzwischen verstorbenen Vaters, im Hintergrund steht ein Christbaum. Wie Zadie Smith, von diesem Bild ausgehend, über die Bedeutung des Weihnachtsfests, den irisch-englischen Konflikt bis zur Rolle Zora Neale Hurstons sämtliche Kurzschlüsse auslöst, ist exemplarisch für die eigenwillige Spannung dieser Mikroplanerin.
SANDRA KEGEL
Zadie Smith: "Sinneswechsel". Gelegenheitsessays.
Aus dem Englischen von Tanja Handels. Verlag
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 480 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Triumph der Mikroplanerin: Die Essays der Britin Zadie Smith kreisen ums Lesen, Sehen und Denken
Der zeitliche Abstand, den Zadie Smith zwischen das Erscheinen ihrer Romane legt, wird von Mal zu Mal größer. Ließ sie sich zwischen ihrem gefeierten Debüt "Zähne zeigen" aus dem Jahr 2000 und dem darauf folgenden "Autogrammhändler" zwei Jahre Zeit, vergingen bis zum nächsten Buch "Von der Schönheit" schon drei Jahre. Und ihr jüngster Roman, die formal ausgefuchste, multiperspektivische Erzählung "London NW" über vier Londoner aus einem Stadtteil, ließ sogar sieben Jahre auf sich warten. Einen Reim auf diesen "Sinneswandel" der 1975 in London geborenen Schriftstellerin kann man sich jetzt in ihrem neuen Essayband machen, der auch im Englischen "Changing my mind" heißt. In einem für den Abdruck überarbeiteten Vortrag vor Studenten der New Yorker Columbia University bekennt sich Zadie Smith nämlich zur Gattung der Mikroplaner. Und deren literarische Produktion verläuft gänzlich konträr zu jener der Makroplaner.
Der Makroplaner ist demnach an den vielen Post-its zu erkennen. Denn lange, bevor er die Titelseite schreibt, konzipiert er sein Material, entwickelt eine Handlung und verleiht ihr Struktur. Die Mikroplanerin beginnt dagegen beim ersten Satz - und endet mit dem letzten. Sie kann deshalb auch nicht wie der Makroplaner einfach in der Mitte eines Romans anfangen und sich von dort nach vorn oder hinten durcharbeiten. Auch Kapitelfolgen sind nicht verhandelbar, Schauplätze nicht zu verlegen und Schlüsse nicht verändern. Weil die Mikroplanerin Smith tatsächlich "nicht die leiseste Ahnung hat, wie der Schluss aussehen wird, bis ich dort bin".
So ganz ohne Plan, existiert ihr Roman für sie also immer nur im gegenwärtigen Moment, "in der klanglichen Frequenz dieses einen Textes", wie sie sagt. Diese Frequenz zu finden ist mithin die größte Herausforderung. Und kann, wie bei "Von der Schönheit", durchaus zwei Jahren dauern. Erst wenn dieser Ton da ist, die Erzählperspektive gefunden, kann das Schreiben beginnen. Der Schluss ist deshalb auch der größte Triumph der Mikroplanerin, denn der letzte Arbeitstag am Roman ist tatsächlich der letzte: Es gibt keine zweite oder dritte Fassung, sondern nur das eine Manuskript. Das aber auch dann noch immer nicht veröffentlicht wird. Stattdessen rät die Autorin den New Yorker Studenten für Kreatives Schreiben, den Text, sofern sie nicht in Geldnot seien, in die Schublade zu legen, möglichst für ein Jahr. So lange brauche es, um Abstand zum eigenen Werk zu gewinnen und sich vom Autor zum Leser zu verwandeln.
Es sind die Reden und Aufsätze über ihr Verständnis von Schreiben und Literatur, die den knapp fünfhundert Seiten fassenden Band so lesenswert machen. Immer wieder geht es Zadie Smith in ihren "Gelegenheitsessays" dabei um eine Frage, um die auch "London NW" im Kern kreiste, nämlich das Verhältnis von Herkunft und Identität. Wie man wurde, der man ist, weil man einem bestimmten Milieu entstammt, einer Gegend, einer Straße, zu der man sich auch später noch in Beziehung setzt, durch Verschmelzung, durch Abwärtsbewegung oder die Erfahrung von Verlust. Deshalb ist in "London NW" das multikulturelle Kilburn mit seinen vielen Geschäften und befahrenen Straßen, den Gerüchen und Klägen selbst so etwas wie ein Protagonist des Romans. Und deshalb handelt der Vortrag "In Zungen reden", gehalten in der Public Library in New York, vom Verlust ihrer Muttersprache. Denn als Zadie Smith sich aus dem Londoner Arbeiterviertel Willesden an die Universität von Cambridge aufmachte, legte sie zugleich die Sprache ihrer Kindheit ab. Ihr Exkurs, der von Shakespeare über Eliza Doolittle bis zu Präsident Obama und Cary Grant führt, thematisiert den Preis dafür. Selbst als Archibald Leach aus Bristol sich in Cary Grant verwandelte, geschah dies über die Stimme, deren eigentümlicher, undefinierbarer Klang ihn für Smith erst zur mythischen Projektionsfläche werden ließ: "Jeder wäre gern Cary Grant", habe Cary Grant selbst einmal gesagt, "ich auch."
Die siebzehn im Band versammelten Texte, von denen manche neu sind, andere bereits in englischen und amerikanischen Zeitungen publiziert wurden, hat Zadie Smith mit den Überschriften "Lesen", "Sein", "Sehen", "Fühlen" und "Gedenken" versehen. Unter den literarischen Essays, die von der nicht mehr ganz taufrischen These der durch Max Brod verursachten Fehllektüre Kafkas über die Banalität und Brillanz im Werk E. M. Forsters bis zur Relektüre Nabokovs mit Roland Barthes reichen, sticht ein Vorwort zur Neuausgabe von Zora Neale Hurstons 1937 erschienenem Roman "Their Eyes Were Watching God" heraus. "Vor ihren Augen sahen sie Gott", ein Schlüsselwerk des schwarzen Feminismus, nimmt Zadie Smith zum Anlass zu einer Brandrede gegen einen Fetisch, den sich die Gesellschaft in den vergangenen dreißig Jahren herangezüchtet habe. Denn in der mit Fehlern und Unsicherheiten ausgestatteten Romanheldin Janie Crawford erkennt sie einen Gegenentwurf zu den schwarzen Heldinnen unserer Zeit, die unweigerlich stark und voller Seele sein müssten und in der Gestalt von "afrikanischen Königinnen, Diven und Weltgeistern" unerschrocken durch die Romane zögen. In diesen von schwarzen Autorinnen zwangsverpflichteten Vorbildern sieht sie eine besonders arge Form der "Grußkartenpoesie".
Auch als Filmkritikerin, Nachrufautorin, Amateurreisereporterin und Memoirenschreiberin tritt Zadie Smith immer wieder in Erscheinung. Sie schreibt über George Clooney ebenso wie über eine Reise nach Liberia, porträtiert die bewunderte Katherine Hepburn, deren unabhängiger Charakter und ambivalente Weiblichkeit das Hollywood-System immer wieder herausforderte. Welche Beklemmungen wiederum dieser Ort real verursacht, den sich die Welt zusammenphantasiert, beschreiben ihre "Zehn Beobachtungen am Oscar-Wochenende".
Wie sehr Zadie Smith dieses Buch biographisch verortet, zeigt ihr wohl persönlichster Text: "Weihnachten bei Familie Smith". Ihm ist auch die einzige Fotografie im Buch beigefügt. Sie zeigt die Autorin als fröhliche Fünfjährige auf dem Arm ihres inzwischen verstorbenen Vaters, im Hintergrund steht ein Christbaum. Wie Zadie Smith, von diesem Bild ausgehend, über die Bedeutung des Weihnachtsfests, den irisch-englischen Konflikt bis zur Rolle Zora Neale Hurstons sämtliche Kurzschlüsse auslöst, ist exemplarisch für die eigenwillige Spannung dieser Mikroplanerin.
SANDRA KEGEL
Zadie Smith: "Sinneswechsel". Gelegenheitsessays.
Aus dem Englischen von Tanja Handels. Verlag
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 480 S., geb., 22,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Smith prägte die junge Literatur der Nullerjahre stilistisch: Lustig wie ein Clown auf Koks, schnell wie die urbanen Schauplätze, hypertextuell wie ein Online-Lexikon, über den Figuren schwebend wie eine Gluckenmutter.« Claudia Schumacher NZZ 20150830