Ruprecht Van Doren ist ein übergewichtiges Genie, seine Hobbies sind komplexe Mathematik und die Suche nach außerirdischer Intelligenz. Mit Daniel 'Skippy' Juster teilt er sich ein Zimmer im Turm des Seabrook College, einer altehrwürdigen Dubliner Institution, in der sich keiner so richtig für die beiden interessiert. Aber als Skippy sich in Lori verliebt, eine Frisbee spielende Schönheit aus der Mädchenschule gegenüber, haben auf einmal alle möglichen Leute Interesse - auch Carl, Teilzeit-Drogendealer und offizieller Schulpsychopath.Während seine Lehrer mit der Modernisierung kämpfen und Ruprecht versucht, ein Portal in ein paralleles Universum zu öffnen, steuert Skippy, im Namen der Liebe, auf einen Showdown zu - in Form eines fatalenDoughnut-Wettessens, das nur eine Person überleben wird ...»Skippy stirbt« ist eine Tragikomödie von epischer Dimension, die von großer Freundschaft und der ersten, unerwiderten Liebe erzählt, von tiefer Einsamkeit und tragischem Verlust, von der fundamentalen Traurigkeit und dem existentiellen Hochgefühl des Erwachsenwerdens - und ein grandioser Gesellschaftsroman, der uns wie durch ein Kaleidoskop die heutige Zeit entdecken lässt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2011Gewalt macht Schule
Ein skurriler Internatsroman in drei Bänden, aus dem erzähllustigen Irland? Von wegen: Paul Murray porträtiert die Collegezeit als Hölle der Verdrängung.
Hopeland heißt das Computerspiel, in dem der Schüler Skippy als Waldelf durch ein fiktives Königreich wandert und Dämonen mit Zauberwaffen tötet. Und Hopeland ist ihm deutlich lieber als das Irland des frühen 21. Jahrhunderts, dessen trübe Wirklichkeit nur wenig zu tun hat mit der mythenverhangenen Insel deutscher Urlauberträume. Skippys Wohnstatt ist das Seabrook College, eine Knabenschule in kirchlicher Hand, die ihre Patres inzwischen aus Schwellenländern importieren muss. Doch zu Hause bei seinen Eltern fühlt er sich erst recht nicht heimisch: "Du kommst dir vor wie der Ersatzjunge, den sie sich besorgt haben, nachdem etwas Furchtbares passiert ist."
Nicht nur Skippy, nahezu jeder der Jungen von Seabrook befindet sich in der inneren Emigration. Ruprecht würde gern in einer Paralleldimension verschwinden, Mario will ein Frauenheld sein, Carl arbeitet an seinem Wohlstand, indem er die Dorfjugend mit verschreibungspflichtigen Medikamenten versorgt. Die Schülerinnen von der benachbarten Mädchenschule St. Brigid's sind nicht viel besser dran, übersexualisiert und frühreif, geht ihnen jegliche Vorstellung von Romantik ab. Sie üben bereits die Posen, die ihnen gescheiterte Trashexistenzen in Reality-Shows vorleben. Zu Hause sind sie klug genug, die kleine Prinzessin zu geben - auch Lori, in die sich Skippy unsterblich verliebt.
Die weltlichen Lehrer sind zwar nicht so streng wie die Patres, aber nicht viel weniger weltfremd. Howard, genannt "Howard the Coward", kehrt nach einer kurzen Karriere als Investmentbanker an den Ort seiner Jugend zurück, an das Seabrook College, um dort Geschichte zu unterrichten. Eine Welt jenseits der Schule gibt es für ihn nicht, draußen regiert eh das Immergleiche: "Menschen wachsen heran und werden Kieferorthopäden." Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um junge Menschen zu unterrichten. Was ihn dann doch aus seiner Routine reißt, ist die Aushilfslehrerin Miss McIntyre. In einem furiosen Höhepunkt dramatischer - und sexueller Natur - kommt es zu einigen entscheidenden, gemeinsam verbrachten Minuten im Geographieraum.
Drei Bände umfasst der Roman: "Hopeland", "Heartland", "Ghostland". Einzeln gebunden im Schuber und damit ganz der Tradition der viktorianischen Three-Volume-Novel folgend, die kommerziellen Bibliotheken des neunzehnten Jahrhunderts mit breit ausgewalzten Schicksalsromanen die dreifachen Einnahmen verschaffen sollte. Dazu ist "Skippy stirbt" auch ein Internatsroman, nur dass die Jugendlichen nicht mehr die gleichen sind wie zwanzig Jahre zuvor - schließlich hat sich die gesamte irische Gesellschaft nach dem Wirtschaftsboom der "Celtic Tiger"-Jahre drastisch gewandelt.
Wie soll man also mit einem derart desillusionierten und drogenbedröhnten Personal einen anständigen Entwicklungsroman hinbekommen? Es geht nicht. Das Gute ist, dass Murray sich dessen vollkommen bewusst ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund muss Skippy sterben, nicht einfach so, sondern an einer Überdosis Schmerztabletten. Die hilft aber auch nicht gegen die Überdosis Schmerzen, die seine Umgebung ihm zufügt, ob unwissentlich oder in voller Absicht.
Es war im Jahr 2009, als die irische Regierung einen Untersuchungsbericht zu Missbrauchsfällen in Heimen, Waisenhäusern und Schulen veröffentlichte. Tausende Kinder, vorwiegend Jungen, wurden regelmäßig geprügelt und vergewaltigt. Fast jeder wusste es, niemand sprach darüber. Es braucht ein besonderes Klima von gesellschaftlicher Verdrängung, Desinteresse und religiösem Gehorsam, um einen derart systematischen Missbrauch über Jahrzehnte zu vertuschen. Und es trägt eine bittere Ironie in sich, dass ausgerechnet die Nation, die so viele Erzähler hervorgebracht hat und sich der wohl höchsten Schriftstellerdichte Europas rühmt, gleichzeitig so effektiv verschweigen kann.
Dieses Biotop zu schildern, das von seinen Problemen ständig ablenkt und munter die Schulfolklore aufrechterhält, benötigt tatsächlich viele hundert Seiten. Dazu gehört Murrays Verfahren der Ablenkung und Düpierung: Zu laut und zu witzig beginnt alles, zu unterhaltsam, eine lustige Posse mit skurrilen Charakteren und liebevoll ausgemaltem Pennälerungehorsam. Der unscheinbare Skippy läuft wie ein Zombie durch die ersten beiden Bücher, und niemand interessiert sich sonderlich für ihn, was sich später als fatal herausstellen wird. Spätestens im dritten Buch, "Ghostland", ist der Spaß passé. Das Grauen strahlt dann auch auf den Anfang zurück.
Verzweiflung und Peinlichkeit, Slapstick und Brutalität gehören gleichermaßen zu den Schmerzen des Erwachsenwerdens. Die ganze Bandbreite der Befindlichkeiten von Lakonie bis Hysterie abbilden zu können gehört zu den Stärken des Autors.
ANDREA DIENER
Paul Murray: "Skippy stirbt". Roman.
Kunstmann Verlag, München 2010. Drei Bde. im Schuber, 780 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein skurriler Internatsroman in drei Bänden, aus dem erzähllustigen Irland? Von wegen: Paul Murray porträtiert die Collegezeit als Hölle der Verdrängung.
Hopeland heißt das Computerspiel, in dem der Schüler Skippy als Waldelf durch ein fiktives Königreich wandert und Dämonen mit Zauberwaffen tötet. Und Hopeland ist ihm deutlich lieber als das Irland des frühen 21. Jahrhunderts, dessen trübe Wirklichkeit nur wenig zu tun hat mit der mythenverhangenen Insel deutscher Urlauberträume. Skippys Wohnstatt ist das Seabrook College, eine Knabenschule in kirchlicher Hand, die ihre Patres inzwischen aus Schwellenländern importieren muss. Doch zu Hause bei seinen Eltern fühlt er sich erst recht nicht heimisch: "Du kommst dir vor wie der Ersatzjunge, den sie sich besorgt haben, nachdem etwas Furchtbares passiert ist."
Nicht nur Skippy, nahezu jeder der Jungen von Seabrook befindet sich in der inneren Emigration. Ruprecht würde gern in einer Paralleldimension verschwinden, Mario will ein Frauenheld sein, Carl arbeitet an seinem Wohlstand, indem er die Dorfjugend mit verschreibungspflichtigen Medikamenten versorgt. Die Schülerinnen von der benachbarten Mädchenschule St. Brigid's sind nicht viel besser dran, übersexualisiert und frühreif, geht ihnen jegliche Vorstellung von Romantik ab. Sie üben bereits die Posen, die ihnen gescheiterte Trashexistenzen in Reality-Shows vorleben. Zu Hause sind sie klug genug, die kleine Prinzessin zu geben - auch Lori, in die sich Skippy unsterblich verliebt.
Die weltlichen Lehrer sind zwar nicht so streng wie die Patres, aber nicht viel weniger weltfremd. Howard, genannt "Howard the Coward", kehrt nach einer kurzen Karriere als Investmentbanker an den Ort seiner Jugend zurück, an das Seabrook College, um dort Geschichte zu unterrichten. Eine Welt jenseits der Schule gibt es für ihn nicht, draußen regiert eh das Immergleiche: "Menschen wachsen heran und werden Kieferorthopäden." Nicht gerade die besten Voraussetzungen, um junge Menschen zu unterrichten. Was ihn dann doch aus seiner Routine reißt, ist die Aushilfslehrerin Miss McIntyre. In einem furiosen Höhepunkt dramatischer - und sexueller Natur - kommt es zu einigen entscheidenden, gemeinsam verbrachten Minuten im Geographieraum.
Drei Bände umfasst der Roman: "Hopeland", "Heartland", "Ghostland". Einzeln gebunden im Schuber und damit ganz der Tradition der viktorianischen Three-Volume-Novel folgend, die kommerziellen Bibliotheken des neunzehnten Jahrhunderts mit breit ausgewalzten Schicksalsromanen die dreifachen Einnahmen verschaffen sollte. Dazu ist "Skippy stirbt" auch ein Internatsroman, nur dass die Jugendlichen nicht mehr die gleichen sind wie zwanzig Jahre zuvor - schließlich hat sich die gesamte irische Gesellschaft nach dem Wirtschaftsboom der "Celtic Tiger"-Jahre drastisch gewandelt.
Wie soll man also mit einem derart desillusionierten und drogenbedröhnten Personal einen anständigen Entwicklungsroman hinbekommen? Es geht nicht. Das Gute ist, dass Murray sich dessen vollkommen bewusst ist. Nicht zuletzt aus diesem Grund muss Skippy sterben, nicht einfach so, sondern an einer Überdosis Schmerztabletten. Die hilft aber auch nicht gegen die Überdosis Schmerzen, die seine Umgebung ihm zufügt, ob unwissentlich oder in voller Absicht.
Es war im Jahr 2009, als die irische Regierung einen Untersuchungsbericht zu Missbrauchsfällen in Heimen, Waisenhäusern und Schulen veröffentlichte. Tausende Kinder, vorwiegend Jungen, wurden regelmäßig geprügelt und vergewaltigt. Fast jeder wusste es, niemand sprach darüber. Es braucht ein besonderes Klima von gesellschaftlicher Verdrängung, Desinteresse und religiösem Gehorsam, um einen derart systematischen Missbrauch über Jahrzehnte zu vertuschen. Und es trägt eine bittere Ironie in sich, dass ausgerechnet die Nation, die so viele Erzähler hervorgebracht hat und sich der wohl höchsten Schriftstellerdichte Europas rühmt, gleichzeitig so effektiv verschweigen kann.
Dieses Biotop zu schildern, das von seinen Problemen ständig ablenkt und munter die Schulfolklore aufrechterhält, benötigt tatsächlich viele hundert Seiten. Dazu gehört Murrays Verfahren der Ablenkung und Düpierung: Zu laut und zu witzig beginnt alles, zu unterhaltsam, eine lustige Posse mit skurrilen Charakteren und liebevoll ausgemaltem Pennälerungehorsam. Der unscheinbare Skippy läuft wie ein Zombie durch die ersten beiden Bücher, und niemand interessiert sich sonderlich für ihn, was sich später als fatal herausstellen wird. Spätestens im dritten Buch, "Ghostland", ist der Spaß passé. Das Grauen strahlt dann auch auf den Anfang zurück.
Verzweiflung und Peinlichkeit, Slapstick und Brutalität gehören gleichermaßen zu den Schmerzen des Erwachsenwerdens. Die ganze Bandbreite der Befindlichkeiten von Lakonie bis Hysterie abbilden zu können gehört zu den Stärken des Autors.
ANDREA DIENER
Paul Murray: "Skippy stirbt". Roman.
Kunstmann Verlag, München 2010. Drei Bde. im Schuber, 780 S., geb., 26,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Friedhelm Rathjen hat eine Empfehlung und eine Warnung für uns. Wer sich geistreich unterhalten möchte, aber wirklich dauernd, ohne Pause unterhalten lassen möchte mit Grünen-Jungen-Scherzen am laufenden Band, meint er, der lese Paul Murrays Internatsgeschicihte "Skippy stirbt", das zwar das Ende der Story schon im Titel trägt, aber dennoch genügend Spannung aufbaut, mit Überraschungen aufwartet und durch seine multiperpektivische Anlage den Leser immer wieder neu fordert. Wem allerdings an Figuren gelegen ist, die nicht nur dauerwitzelnde und oberflächliche Klischeebilder pubertierender Jugendlicher sind, das ist jetzt Rathjens Warnung, der überlege sich diese Lektüre besser gründlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Nein, skurril kann Andrea Diener Paul Murrays Internatsroman in drei Bänden nicht finden, wenigstens am Ende nicht mehr. Da nämlich enthüllt sich das Grauen und strahlt bis an den so harmlos scheinenden Anfang der Trilogie zurück, die als etwas hysterische, aber spaßige Collegekomödie beginnt. Später wird Diener mit dramatischen und sexuellen Höhepunkten konfrontiert und noch später dann mit dem ganzen Wahnsinn der Vertuschung und Verdrängung systematischen Missbrauchs unter den eisernen Geboten religiösen Gehorsams in irischen Internaten und Heimen. Dass sich daraus kein Entwicklungsroman machen lässt, ist klar. Gut findet Diener, dass der Autor es gar nicht erst probiert, sondern den Leser nicht schont. Dennoch die ganze Palette menschlicher Befindlichkeiten darzustellen und darstellen zu können, hält sie für eine Leistung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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