Born out of the short story David Mitchell published on Twitter in 2014 and inhabiting the same universe as his latest bestselling novel The Bone Clocks, this is the perfect book to curl up with on a dark and stormy night. Turn down Slade Alley - narrow, dank and easy to miss, even when you're looking for it. Find the small black iron door set into the right-hand wall. No handle, no keyhole, but at your touch it swings open. Enter the sunlit garden of an old house that doesn't quite make sense; too grand for the shabby neighbourhood, too large for the space it occupies. A stranger greets you by name and invites you inside. At first, you won't want to leave. Later, you'll find that you can't. This unnerving, taut and intricately woven tale by one of our most original and bewitching writers begins in 1979 and reaches its turbulent conclusion around Hallowe'en, 2015. Because every nine years, on the last Saturday of October, a 'guest' is summoned to Slade House. But why has that person been chosen, by whom and for what purpose? The answers lie waiting in the long attic, at the top of the stairs...
"Manically ingenious ... Each fresh product of Mitchell's soaring imagination functions as an echo chamber for both his previous ideas and his oeuvre to come." (Liz Jensen, Guardian)
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.05.2018Pot und Plot
Es spukt sehr trickreich in David Mitchells „Slade House“,
aber seine Sprache bleibt auf dem Teppich der Konvention
VON JUTTA PERSON
Gäbe es das perfekte Kunst-Crossover zum Buch, dann müsste zu David Mitchells neuem Roman „Slade House“ Jenny Holzers Schriftzug „Protect me from what I want“ mitinstalliert werden, am besten mit eingebautem Wackelkontakt und dem morbiden Gezischel unregelmäßiger Stromzufuhr. Obwohl das ein bisschen überorchestriert wäre für einen verspielten Gruselknaller, der möglicherweise gar keine höheren Handlungsanweisungen verabreichen will. Sicher ist nur, dass es fast schon aufdringlich spukt im „Slade House“ – und dass die sorgsam ausgewählten Spuk-Opfer wie die Fliegen an ihren eigenen Sehnsüchten kleben bleiben, ob sie sich nun Liebe wünschen, Sex, Geld, Erfolg oder Aufklärung.
Wir befinden uns im Jahr 1979, die Bishops, Mutter und Sohn, sind auf dem Weg zu einem Musiknachmittag bei Lady Norah Grayer. Als sie die versteckte Slade Alley gefunden, das kleine, knauflose, quietschend aufschwingende Eisentor durchschritten haben, liegt ein atemberaubender Sommergarten vor ihnen, noch übertrumpft von einem Herrenhaus, das rein ausdehnungstechnisch nicht in die schmale Slade Alley passt. Etwas später spielt Nathan mit Jonah, dem Sohn von Lady Grayer: genau der Freund, den er als empfindsamer Einzelgänger so gut gebrauchen könnte.
Noch etwas später verzerrt und verfärbt sich der Garten, sodass Nathan entsetzt nach drinnen stürzt, vorbei an allen Insignien eines Spukhauses, knarzende Treppe, Standuhr, Ahnengalerie – gekrönt von einem Porträt seiner selbst, mit leeren, schwarzen Augenlöchern. Liegt es am Valium, das er seiner Mutter klaut? Oder hätte er doch besser auf diese Frau achten sollen, die am Fenster steht – „ihr Mund geht langsam auf und zu wie bei einem Goldfisch“ – und so etwas wie „Tod, Tod, Tod“ zu sagen scheint?
Zu spät, Nathan ist in den Fängen der Seelenvampire Norah und Jonah gelandet, eines teuflischen Zwillingspaars, das alle neun Jahre frische Nahrung braucht. Schon während dieser ersten Episode wird klar, wie das Slade House gebaut ist, und doch liest man eine ganze Weile gebannt weiter, denn jede „Beschwörung“, die Norah und Jonah für ihre Gäste entwerfen, wird von der nächsten überboten. In diese fatale Wunschbefriedigungsmaschine geraten auch die Studenten vom „Club der paranormalen Phänomene“, die das Slade House zwar als magnetisches Ereignisfeld identifiziert haben, aber trotzdem raffiniert getäuscht werden: Sie glauben, dass sie eine Halloweenparty entdeckt hätten, mit Bill-Clinton-Kostümen, Musik von den Eels bis Björk (wir befinden uns mittlerweile in den Neunzigern) und einem Drogenbüffet, das die diversen Wahrnehmungsverzerrungen erklären könnte. Popcorn, Knoblauchbrot, Brownies mit und ohne Gras.
In gewisser Weise funktioniert der ganze Roman wie eine Partypyramide aus psychoaktiven Marshmallows, die keinen Belohnungsaufschub dulden, obwohl das Konstruktionsprinzip offen zutage liegt. Eine Geschichte nach der nächsten muss lesend weggesaugt werden, und irgendwann ist einem dann ein wenig schlecht. Ganz ähnlich verfahren übrigens auch die Zwillinge, die eine Seele nach der nächsten, nun ja, einsaugen. Mehr kann zu diesen plotrelevanten Inhalationen nicht verraten werden.
Von Gast zu Gast mehren sich die literarischen und popkulturellen Zaunpfähle, mit denen entwaffnend dreist herumgewedelt wird, von der Gothic Novel über „Alice im Wunderland“ bis zur „Truman Show“, dem Realitätsblasenklassiker schlechthin. Der 1969 in Southport, Lancaster, geborene Brite David Mitchell, spätestens seit seinem von Tom Tykwer verfilmten Bestseller „Der Wolkenatlas“ einer der Stars des internationalen Literaturbetriebs, hat den Werbe-Blurb zu seinem Roman gleich in den Roman selbst hineingeschrieben: Sie fühle sich wie bei einem „Brettspiel, das ein besoffener M. C. Escher mit einem Stephen King im Delirium ersonnen hat“, denkt eine der Nerd-Studentinnen, bevor sie in die Falle tappt.
Dazu kommt, dass es sich bei dieser Escher-King-Kombination um einen Ableger des achthundertseitigen Fantasy-Thrillers „Die Knochenuhren“ handelt, auf den „Slade House“ mit etlichen Selbstzitaten anspielt. Auch in diesem 2016 auf Deutsch erschienenen Mitchell-Roman wimmelt es von Seelenfressern und Horologen, die sich bombastische Endzeitschlachten liefern. Die vor Irrwitz funkelnde Lebensgeschichte von Norah und Jonah mutet dagegen fast schon filigran an: 1899 in Norfolk geboren, ziehen die telepathisch begabten Geschwister noch im Kindesalter ins Atlasgebirge zum „Albino-Sayyid von Ait Arif“ und treten dort dem Zirkel des „Schattigen Weges“ bei. Okkultismus, Schamanismus, „Psychosoterik“, Unsterblichkeit, das volle Programm.
Seine barock ausufernden Romane – zum „Wolkenatlas“ und den „Knochenuhren“ kommen noch „Number 9 Dream“ und „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ – haben Mitchell den Ruf eines Erzählers eingebracht, der routiniert mit Parallelwelten, Cyborgs und Wahnvorstellungen jongliert. Stilistisch bleibt er dabei allerdings immer sehr auf dem Teppich. Seine Sprache macht, anders als etwa bei seinem britisch-psychedelischen Kollegen Will Self, keine paranoischen oder poetischen Morphingprozesse durch. Die kritischeren unter den meist begeisterten Kritikern haben deshalb von Neo-Traditionalismus oder Retro-Realismus gesprochen. Es stimmt, das Markenzeichen der Mitchell-Romane besteht nicht in der Dekonstruktion sprachlicher Konventionen, sondern im Dauerfeuerwerk der Figuren, Handlungen und ihrer Verflechtungen.
In „Slade House“ bekommt das immerhin einen selbstironischen und dadurch ziemlich komischen Dreh: „Für mich klingt das alles ein bisschen zu sehr nach Da Vinci Code“, sagt etwa die diensthabende Journalistin, die alles aufklären will und okkultistischen Verschwörungstheoriequatsch ablehnt. Aber auch sie hat natürlich geheime Wünsche. Wir vermuten: okkultistische Verschwörungstheorien. Und schon liegt der nächste Marshmallow bereit, den höfliche Leser einfach nicht ablehnen können.
David Mitchell: Slade House. Roman. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 240 S., 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Nathan ist in den Fängen
der teuflischen Seelenvampire
Norah und Jonah gelandet
Das Dauerfeuerwerk der
Figuren und Handlungen
ist Mitchells Markenzeichen
Dem Dekan der Kathedrale von Ely gönnt David Mitchell in seinem Roman eine Nebenrolle. Hier steht der Autor selbst während eines Literaturfestivals in der St Mary’s Cathedral in Edinburgh.
Foto: getty images
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Es spukt sehr trickreich in David Mitchells „Slade House“,
aber seine Sprache bleibt auf dem Teppich der Konvention
VON JUTTA PERSON
Gäbe es das perfekte Kunst-Crossover zum Buch, dann müsste zu David Mitchells neuem Roman „Slade House“ Jenny Holzers Schriftzug „Protect me from what I want“ mitinstalliert werden, am besten mit eingebautem Wackelkontakt und dem morbiden Gezischel unregelmäßiger Stromzufuhr. Obwohl das ein bisschen überorchestriert wäre für einen verspielten Gruselknaller, der möglicherweise gar keine höheren Handlungsanweisungen verabreichen will. Sicher ist nur, dass es fast schon aufdringlich spukt im „Slade House“ – und dass die sorgsam ausgewählten Spuk-Opfer wie die Fliegen an ihren eigenen Sehnsüchten kleben bleiben, ob sie sich nun Liebe wünschen, Sex, Geld, Erfolg oder Aufklärung.
Wir befinden uns im Jahr 1979, die Bishops, Mutter und Sohn, sind auf dem Weg zu einem Musiknachmittag bei Lady Norah Grayer. Als sie die versteckte Slade Alley gefunden, das kleine, knauflose, quietschend aufschwingende Eisentor durchschritten haben, liegt ein atemberaubender Sommergarten vor ihnen, noch übertrumpft von einem Herrenhaus, das rein ausdehnungstechnisch nicht in die schmale Slade Alley passt. Etwas später spielt Nathan mit Jonah, dem Sohn von Lady Grayer: genau der Freund, den er als empfindsamer Einzelgänger so gut gebrauchen könnte.
Noch etwas später verzerrt und verfärbt sich der Garten, sodass Nathan entsetzt nach drinnen stürzt, vorbei an allen Insignien eines Spukhauses, knarzende Treppe, Standuhr, Ahnengalerie – gekrönt von einem Porträt seiner selbst, mit leeren, schwarzen Augenlöchern. Liegt es am Valium, das er seiner Mutter klaut? Oder hätte er doch besser auf diese Frau achten sollen, die am Fenster steht – „ihr Mund geht langsam auf und zu wie bei einem Goldfisch“ – und so etwas wie „Tod, Tod, Tod“ zu sagen scheint?
Zu spät, Nathan ist in den Fängen der Seelenvampire Norah und Jonah gelandet, eines teuflischen Zwillingspaars, das alle neun Jahre frische Nahrung braucht. Schon während dieser ersten Episode wird klar, wie das Slade House gebaut ist, und doch liest man eine ganze Weile gebannt weiter, denn jede „Beschwörung“, die Norah und Jonah für ihre Gäste entwerfen, wird von der nächsten überboten. In diese fatale Wunschbefriedigungsmaschine geraten auch die Studenten vom „Club der paranormalen Phänomene“, die das Slade House zwar als magnetisches Ereignisfeld identifiziert haben, aber trotzdem raffiniert getäuscht werden: Sie glauben, dass sie eine Halloweenparty entdeckt hätten, mit Bill-Clinton-Kostümen, Musik von den Eels bis Björk (wir befinden uns mittlerweile in den Neunzigern) und einem Drogenbüffet, das die diversen Wahrnehmungsverzerrungen erklären könnte. Popcorn, Knoblauchbrot, Brownies mit und ohne Gras.
In gewisser Weise funktioniert der ganze Roman wie eine Partypyramide aus psychoaktiven Marshmallows, die keinen Belohnungsaufschub dulden, obwohl das Konstruktionsprinzip offen zutage liegt. Eine Geschichte nach der nächsten muss lesend weggesaugt werden, und irgendwann ist einem dann ein wenig schlecht. Ganz ähnlich verfahren übrigens auch die Zwillinge, die eine Seele nach der nächsten, nun ja, einsaugen. Mehr kann zu diesen plotrelevanten Inhalationen nicht verraten werden.
Von Gast zu Gast mehren sich die literarischen und popkulturellen Zaunpfähle, mit denen entwaffnend dreist herumgewedelt wird, von der Gothic Novel über „Alice im Wunderland“ bis zur „Truman Show“, dem Realitätsblasenklassiker schlechthin. Der 1969 in Southport, Lancaster, geborene Brite David Mitchell, spätestens seit seinem von Tom Tykwer verfilmten Bestseller „Der Wolkenatlas“ einer der Stars des internationalen Literaturbetriebs, hat den Werbe-Blurb zu seinem Roman gleich in den Roman selbst hineingeschrieben: Sie fühle sich wie bei einem „Brettspiel, das ein besoffener M. C. Escher mit einem Stephen King im Delirium ersonnen hat“, denkt eine der Nerd-Studentinnen, bevor sie in die Falle tappt.
Dazu kommt, dass es sich bei dieser Escher-King-Kombination um einen Ableger des achthundertseitigen Fantasy-Thrillers „Die Knochenuhren“ handelt, auf den „Slade House“ mit etlichen Selbstzitaten anspielt. Auch in diesem 2016 auf Deutsch erschienenen Mitchell-Roman wimmelt es von Seelenfressern und Horologen, die sich bombastische Endzeitschlachten liefern. Die vor Irrwitz funkelnde Lebensgeschichte von Norah und Jonah mutet dagegen fast schon filigran an: 1899 in Norfolk geboren, ziehen die telepathisch begabten Geschwister noch im Kindesalter ins Atlasgebirge zum „Albino-Sayyid von Ait Arif“ und treten dort dem Zirkel des „Schattigen Weges“ bei. Okkultismus, Schamanismus, „Psychosoterik“, Unsterblichkeit, das volle Programm.
Seine barock ausufernden Romane – zum „Wolkenatlas“ und den „Knochenuhren“ kommen noch „Number 9 Dream“ und „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ – haben Mitchell den Ruf eines Erzählers eingebracht, der routiniert mit Parallelwelten, Cyborgs und Wahnvorstellungen jongliert. Stilistisch bleibt er dabei allerdings immer sehr auf dem Teppich. Seine Sprache macht, anders als etwa bei seinem britisch-psychedelischen Kollegen Will Self, keine paranoischen oder poetischen Morphingprozesse durch. Die kritischeren unter den meist begeisterten Kritikern haben deshalb von Neo-Traditionalismus oder Retro-Realismus gesprochen. Es stimmt, das Markenzeichen der Mitchell-Romane besteht nicht in der Dekonstruktion sprachlicher Konventionen, sondern im Dauerfeuerwerk der Figuren, Handlungen und ihrer Verflechtungen.
In „Slade House“ bekommt das immerhin einen selbstironischen und dadurch ziemlich komischen Dreh: „Für mich klingt das alles ein bisschen zu sehr nach Da Vinci Code“, sagt etwa die diensthabende Journalistin, die alles aufklären will und okkultistischen Verschwörungstheoriequatsch ablehnt. Aber auch sie hat natürlich geheime Wünsche. Wir vermuten: okkultistische Verschwörungstheorien. Und schon liegt der nächste Marshmallow bereit, den höfliche Leser einfach nicht ablehnen können.
David Mitchell: Slade House. Roman. Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018. 240 S., 20 Euro. E-Book 16,99 Euro.
Nathan ist in den Fängen
der teuflischen Seelenvampire
Norah und Jonah gelandet
Das Dauerfeuerwerk der
Figuren und Handlungen
ist Mitchells Markenzeichen
Dem Dekan der Kathedrale von Ely gönnt David Mitchell in seinem Roman eine Nebenrolle. Hier steht der Autor selbst während eines Literaturfestivals in der St Mary’s Cathedral in Edinburgh.
Foto: getty images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.07.2018Die Seele und die Gallenblase
Eine englische Spukgeschichte mit adligen Halbwesen: In "Slade House" beschreibt David Mitchell die dunklen Zwischenräume albtraumhafter Phantasie.
Ende der siebziger Jahre, irgendwo im Speckgürtel Londons, suchen Rita Bishop und ihr Sohn Nathan eine kleine Eisentür, die sich in der erdrückend engen Slade Alley befinden soll. Dahinter, so hat man ihnen gesagt, liege Slade House, das Stadtdomizil von Lord und Lady Grayer - ein Adelssitz, der zwischen den nachbarschaftlichen Kleinstadthäusern eigentlich keinen Platz hat und den es nach allen Regeln der Vernunft gar nicht geben dürfte.
Sie sind eingeladen worden, Mutter und Sohn. Lady Grayer hat die musikalische Elite des Landes zur Soirée gebeten und dabei unbegreiflicherweise auch an die unbekannte Pianistin Rita Bishop gedacht. Noch unerklärlicher zwar, dass ihre Ladyship darauf besteht, dass Rita den dreizehnjährigen Sohn mitbringt; aber die Verheißung, Anerkennung von der künstlerischen Oberschicht zu erhalten, ist Anreiz genug: Die Bishops kommen und bereuen es keineswegs. Hinter der Eisenpforte wartet nicht nur die liebenswürdige Lady Grayer, die Rita prompt mit Yehudi Menuhin bekanntmacht, der von deren Klavierspiel ganz entzückt ist, sondern auch ein netter gleichaltriger Spielgefährte für Nathan. Den schwarzen Beigeschmack ihres Besuchs bemerken die Bishops erst zu spät: die sanfte Hinüberführung in den eigenen Seelentod. Sie verschwinden.
David Mitchell, der den meisten durch sein Romanepos "Cloud Atlas" (auf Deutsch als "Der Wolkenatlas" erschienen) und dessen gleichnamige Verfilmung bekannt sein dürfte, hat mit "Slade House" einen modernen Schauerroman geschrieben, der eine seltsame Mischung aus Alltagshumor und genuiner Geisterfahrt zur Schau stellt. In dem schon 2015 auf Englisch und nun in deutscher Übersetzung erschienenen Roman beschreibt Mitchell die Zwischenräume, die die Untiefen der albtraumhaften Phantasie beanspruchen: "Slade" bezeichnet im Englischen eine offene Fläche zwischen Wäldern oder Gebirgen - einen Raum also, der ohne seine Rahmung überhaupt nicht als solcher wahrgenommen würde. Slade House ist dessen paranormales Negativ: ein geisterhaft projizierter Ort, der, irgendwo zwischen unscheinbare Einzel- und Doppelwohnhäuser gequetscht, jenseits von empirischer Räum- und Zeitlichkeit existiert. Die Musiksoirée, samt Yehudi Menuhin, entpuppt sich als übernatürliches Gespinst der Gastgeber, die ihren Gästen aus einer grausamen Motivation heraus jegliche Wunschvision ins Hirn setzen, die diesen beliebt.
Dabei sind es nicht nur die Bishops, die sich verblenden lassen. Neun Jahre nach ihrem Verschwinden beginnt der sexuell frustrierte Kriminalpolizist Gordon Edmonds im Slade House eine Liebschaft mit seiner Traumfrau. Eine weitere knappe Dekade darauf kann die unsichere Studienanfängerin Sally Timms ihr Glück kaum fassen, als sie auf einer vermeintlichen Erasmus-Party endlich ihrem Schwarm näherkommt. Nichts dergleichen passiert wirklich. Tatsächlich sind es die Lockrufe der Grayers, zweier buchstäblicher Seelenfresser; Vampire, wenn man so will, die im Neunjahresrhythmus kein Blut, sondern nichts Geringeres als des Menschen geistige Essenz verzehren.
Ein mysteriöses Spukhaus mit seelenschlingenden adligen Halbwesen also - man mag hinter dieser Konstruktion eine Reihe Klischees befürchten. Und ganz neu sind die von "Slade House" bedienten Muster natürlich nicht. Einmal sprechen die Grayers, die mit ihrem ungewöhnlichen Appetit seit ihrer Geburt im Jahr 1899 nach Unsterblichkeit trachten und keineswegs Mann und Frau sind, sondern telepathische Zwillinge, sogar selbst von ihren "viktorianischen Vorgeborenen". Die Idole der tief in den anglophonen Literaturfundamenten gebetteten Gothic-Literatur ergänzen sich fast von allein: ein bisschen Dorian Gray, ein Hauch Dracula, eine Prise Mr. Hyde. Heraus kommt: gebrochener Grusel.
Denn Mitchell wirft mit einer Handvoll Humor noch eine weitere Zutat in den Kessel. So bezeichnen die Grayers ihre Seelenraubzüge vergnüglich als "Tage der offenen Tür" (jene, durch die eingangs die Bishops getreten sind) und geben dem Serum, das sie ihren Opfern verabreichen, um diese gefügig zu machen, den doch sehr nach Apotheke klingenden Namen "Seelex". Es ist ein wenig so, als würden J. K. Rowlings Dementoren hin und wieder absichtlich aus ihren Rollen fallen, um makaber-ironischen englischen Alltag zu spielen. Den passendsten Vergleich liefert dann aber eines der Opfer selbst: Slade House sei "wie ein Brettspiel, das ein besoffener M. C. Escher mit einem Stephen King im Delirium ersonnen hat". Am Ende steht torkelnder weltlicher Horror, der Spannung ankündigt, diese dann aber immer wieder für Spielereien unterbricht, die nicht ganz dem Ton des Außerordentlichen entsprechen. "Seelen sind so wie Gallenblasen", erklärt eine der Scheinfiguren aus der Zwischenwelt etwa: ein anatomisches Organ, das man verlieren kann wie jedes andere. Glaubt man den Versuchen des amerikanischen Psychostasieforschers Duncan MacDougall, wiegt es zwischen acht und 35 Gramm. Leitet man von dort auf Mitchell weiter, so bringt auch die schwärzeste Unze Seele eine Spur Humor auf die Waage.
Übrig bleibt die Frage, was der Zusammenwurf solch gegensätzlicher Stimmungen über die menschliche Phantasie aussagt. Die plausibelste Antwort ist, dass er die Unvorhersehbarkeit der Form widerspiegelt, in der sich das Unheil in den Köpfen der Figuren einnistet. Es kommt als Witze erzählender Diabolus ex Machina daher, der einen im ersten Moment als Soirées ausrichtende gediegene Dame begrüßt und im nächsten als verführerische Femme fatale im Schlafzimmer steht. Es flüstert einem die eigenen Ängste ins Ohr, um später als flirtender Austauschstudent einen schlechten Anmachspruch abzulassen. Diese Wandelbarkeit mag man als narratologischen Trick bezeichnen oder als Eigenart der menschlichen Vorstellungskraft. Im Slade House zumindest liegt ein schmaler Graben zwischen Angst und Jux. Mitchell macht es sich zum Prinzip, diesen nach Belieben zu überspringen. Ein monumentales Buch wie "Cloud Atlas" ist dabei nicht herausgekommen. Wohl aber ein merkwürdig lächelndes Stück Unterhaltungspsychologie.
CORNELIUS DIECKMANN
David Mitchell: "Slade House". Roman.
Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018.
240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine englische Spukgeschichte mit adligen Halbwesen: In "Slade House" beschreibt David Mitchell die dunklen Zwischenräume albtraumhafter Phantasie.
Ende der siebziger Jahre, irgendwo im Speckgürtel Londons, suchen Rita Bishop und ihr Sohn Nathan eine kleine Eisentür, die sich in der erdrückend engen Slade Alley befinden soll. Dahinter, so hat man ihnen gesagt, liege Slade House, das Stadtdomizil von Lord und Lady Grayer - ein Adelssitz, der zwischen den nachbarschaftlichen Kleinstadthäusern eigentlich keinen Platz hat und den es nach allen Regeln der Vernunft gar nicht geben dürfte.
Sie sind eingeladen worden, Mutter und Sohn. Lady Grayer hat die musikalische Elite des Landes zur Soirée gebeten und dabei unbegreiflicherweise auch an die unbekannte Pianistin Rita Bishop gedacht. Noch unerklärlicher zwar, dass ihre Ladyship darauf besteht, dass Rita den dreizehnjährigen Sohn mitbringt; aber die Verheißung, Anerkennung von der künstlerischen Oberschicht zu erhalten, ist Anreiz genug: Die Bishops kommen und bereuen es keineswegs. Hinter der Eisenpforte wartet nicht nur die liebenswürdige Lady Grayer, die Rita prompt mit Yehudi Menuhin bekanntmacht, der von deren Klavierspiel ganz entzückt ist, sondern auch ein netter gleichaltriger Spielgefährte für Nathan. Den schwarzen Beigeschmack ihres Besuchs bemerken die Bishops erst zu spät: die sanfte Hinüberführung in den eigenen Seelentod. Sie verschwinden.
David Mitchell, der den meisten durch sein Romanepos "Cloud Atlas" (auf Deutsch als "Der Wolkenatlas" erschienen) und dessen gleichnamige Verfilmung bekannt sein dürfte, hat mit "Slade House" einen modernen Schauerroman geschrieben, der eine seltsame Mischung aus Alltagshumor und genuiner Geisterfahrt zur Schau stellt. In dem schon 2015 auf Englisch und nun in deutscher Übersetzung erschienenen Roman beschreibt Mitchell die Zwischenräume, die die Untiefen der albtraumhaften Phantasie beanspruchen: "Slade" bezeichnet im Englischen eine offene Fläche zwischen Wäldern oder Gebirgen - einen Raum also, der ohne seine Rahmung überhaupt nicht als solcher wahrgenommen würde. Slade House ist dessen paranormales Negativ: ein geisterhaft projizierter Ort, der, irgendwo zwischen unscheinbare Einzel- und Doppelwohnhäuser gequetscht, jenseits von empirischer Räum- und Zeitlichkeit existiert. Die Musiksoirée, samt Yehudi Menuhin, entpuppt sich als übernatürliches Gespinst der Gastgeber, die ihren Gästen aus einer grausamen Motivation heraus jegliche Wunschvision ins Hirn setzen, die diesen beliebt.
Dabei sind es nicht nur die Bishops, die sich verblenden lassen. Neun Jahre nach ihrem Verschwinden beginnt der sexuell frustrierte Kriminalpolizist Gordon Edmonds im Slade House eine Liebschaft mit seiner Traumfrau. Eine weitere knappe Dekade darauf kann die unsichere Studienanfängerin Sally Timms ihr Glück kaum fassen, als sie auf einer vermeintlichen Erasmus-Party endlich ihrem Schwarm näherkommt. Nichts dergleichen passiert wirklich. Tatsächlich sind es die Lockrufe der Grayers, zweier buchstäblicher Seelenfresser; Vampire, wenn man so will, die im Neunjahresrhythmus kein Blut, sondern nichts Geringeres als des Menschen geistige Essenz verzehren.
Ein mysteriöses Spukhaus mit seelenschlingenden adligen Halbwesen also - man mag hinter dieser Konstruktion eine Reihe Klischees befürchten. Und ganz neu sind die von "Slade House" bedienten Muster natürlich nicht. Einmal sprechen die Grayers, die mit ihrem ungewöhnlichen Appetit seit ihrer Geburt im Jahr 1899 nach Unsterblichkeit trachten und keineswegs Mann und Frau sind, sondern telepathische Zwillinge, sogar selbst von ihren "viktorianischen Vorgeborenen". Die Idole der tief in den anglophonen Literaturfundamenten gebetteten Gothic-Literatur ergänzen sich fast von allein: ein bisschen Dorian Gray, ein Hauch Dracula, eine Prise Mr. Hyde. Heraus kommt: gebrochener Grusel.
Denn Mitchell wirft mit einer Handvoll Humor noch eine weitere Zutat in den Kessel. So bezeichnen die Grayers ihre Seelenraubzüge vergnüglich als "Tage der offenen Tür" (jene, durch die eingangs die Bishops getreten sind) und geben dem Serum, das sie ihren Opfern verabreichen, um diese gefügig zu machen, den doch sehr nach Apotheke klingenden Namen "Seelex". Es ist ein wenig so, als würden J. K. Rowlings Dementoren hin und wieder absichtlich aus ihren Rollen fallen, um makaber-ironischen englischen Alltag zu spielen. Den passendsten Vergleich liefert dann aber eines der Opfer selbst: Slade House sei "wie ein Brettspiel, das ein besoffener M. C. Escher mit einem Stephen King im Delirium ersonnen hat". Am Ende steht torkelnder weltlicher Horror, der Spannung ankündigt, diese dann aber immer wieder für Spielereien unterbricht, die nicht ganz dem Ton des Außerordentlichen entsprechen. "Seelen sind so wie Gallenblasen", erklärt eine der Scheinfiguren aus der Zwischenwelt etwa: ein anatomisches Organ, das man verlieren kann wie jedes andere. Glaubt man den Versuchen des amerikanischen Psychostasieforschers Duncan MacDougall, wiegt es zwischen acht und 35 Gramm. Leitet man von dort auf Mitchell weiter, so bringt auch die schwärzeste Unze Seele eine Spur Humor auf die Waage.
Übrig bleibt die Frage, was der Zusammenwurf solch gegensätzlicher Stimmungen über die menschliche Phantasie aussagt. Die plausibelste Antwort ist, dass er die Unvorhersehbarkeit der Form widerspiegelt, in der sich das Unheil in den Köpfen der Figuren einnistet. Es kommt als Witze erzählender Diabolus ex Machina daher, der einen im ersten Moment als Soirées ausrichtende gediegene Dame begrüßt und im nächsten als verführerische Femme fatale im Schlafzimmer steht. Es flüstert einem die eigenen Ängste ins Ohr, um später als flirtender Austauschstudent einen schlechten Anmachspruch abzulassen. Diese Wandelbarkeit mag man als narratologischen Trick bezeichnen oder als Eigenart der menschlichen Vorstellungskraft. Im Slade House zumindest liegt ein schmaler Graben zwischen Angst und Jux. Mitchell macht es sich zum Prinzip, diesen nach Belieben zu überspringen. Ein monumentales Buch wie "Cloud Atlas" ist dabei nicht herausgekommen. Wohl aber ein merkwürdig lächelndes Stück Unterhaltungspsychologie.
CORNELIUS DIECKMANN
David Mitchell: "Slade House". Roman.
Aus dem Englischen von Volker Oldenburg. Rowohlt Verlag, Reinbek 2018.
240 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main