Das Prinzip des "Größer, Schneller, Mehr" ist am Ende. Die Natur ächzt unter der Ausbeutung ihrer Ressourcen, eine überentwickelte Technik und eine entfesselte Wirtschaft stoßen immer öfter an ihre Grenzen. Zu einer Zeit, in der die Gesellschaft noch unreflektiert der Religion des "industriellen Gigantismus" anhing, hat Ernst F. Schumacher die heutige Systemkrise bereits vorausgeahnt. Mit seiner Vision einer humanen Technologie, die einen geringeren Fußabdruck hinterlässt und den Menschen ein Höchstmaß an selbstbestimmten Tätigkeiten erlaubt, hat er viel von dem vorweggenommen, was wir heute unter nachhaltiger Entwicklung verstehen. "Small is beautiful" ist daher aktueller denn je, ein perfekter Wegweiser in eine Welt, in der die Wirtschaft dem Menschen dient und nicht umgekehrt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2019Lest Schumacher!
So schön: Ein Bestseller, der die Welt retten kann
Er ist ein must have für die Klima-Debatte und für den Entschluss, sie im Stil von "Jetzt werden hier mal andere Saiten aufgezogen" zu führen: Ernst Friedrich Schumacher und sein Weltbestseller von 1973 "Small Is Beautiful. A Study of Economics As If People Mattered". Die deutsche Übersetzung der englischen Originalausgabe vier Jahre später erhielt den Untertitel "Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik". Es heißt, der Verleger Anthony Blond habe den Haupttitel "Small Is Beautiful" nach dem vierten Whisky erfunden. Jedenfalls war er zugkräftig, verhalf dem Buch zu seiner Erfolgsgeschichte und verselbständigte sich bald als Emblem aller Nicht-Ausraster, Ball-Flachhalter und Tiefenentspannten.
In diesem, im Umfeld der "Grenzen des Wachstums"-Studie des Club of Rome geschriebenen Buch sind wesentliche Motive des heutigen Nachhaltigkeits-Diskurses vorgebildet - nur besser durchdacht, philosophischer gegründet und dann doch auch wirklichkeitsnäher konzipiert, als dies bei manchen leerlaufenden "Radikalisiert euch"-Aufrufen dieser Tage der Fall ist. So möchte man sich zu der Empfehlung aufschwingen: Lest als Erstes diesen Schumacher, wenn es euch um den Erhalt des Planeten geht! Im Oekom-Verlag ist das Buch soeben noch einmal aufgelegt worden.
Schumacher, der als britischer Ökonom lange Jahre als politisch einflussreicher Wirtschaftsberater arbeitete, 1977, in seinem Todesjahr, auch von Jimmy Carter zur Vorstellung von "Small Is Beautiful" ins Weiße Haus eingeladen worden war, fasste sein wachstumskritisches, auf überschaubare Produktionseinheiten und begrenzte Ursache-Wirkungsketten ausgerichtetes Buch von vorneherein als eine Mehr-Generationen-Agenda auf. Inspiriert von seinem längeren Aufenthalt in Burma, entwickelte er eine "Buddhist Economics" und nutzte die utopische Antriebsenergie, die darin steckte und ihm als solche bewusst war, um jedenfalls in the long run neue Dynamiken in Politik und Wirtschaft freizusetzen, ein Agenda-Setting herzustellen, wie man es heute tatsächlich mit Händen greifen kann.
Schumacher stand mit seiner Bereitschaft für umstürzende Perspektivenwechsel nicht allein. Damalige Publikumsmagneten wie Herbert Gruhls "Ein Planet wird geplündert" oder Erhard Epplers "Ende oder Wende" gehören mit zu den Werken, von denen sich heute sagen lässt, sie seien ihrer Zeit voraus gewesen. Sie standen prominent im bürgerlichen Bücherregal, nicht irgendwo in esoterischen Spinner-Ecken, und sorgten gesellschaftsweit für genau jene erhitzten Gespräche, von denen Autoren träumen, die mit idealistischem Drive und handwerklichem Bestseller-Anspruch zu Werke gehen.
In Sonderheit Schumacher erweist sich für die industriellen Strategien eines green washing ökologischer und sozialer Destruktion als nicht anschlussfähig. Seine Analyse des herrschenden Industriemodells sei nicht derart oberflächlich gewesen, dass die Hintertür für ein systemisches "Weiter so!" in bloß "nachhaltig" aufgehübschten Formaten offen geblieben wäre, schreibt der Postwachstumsökonom Niko Paech in der Einführung zur neuen Auflage von "Small Is Beautiful": "Statt sich an der Notwendigkeit veränderter Versorgungs- und Lebenspraktiken vorbeizumogeln, zeigen Schumachers Darlegungen unverblümt, dass technologische und institutionelle Arrangements allein nie hinreichend für das sein können, was inzwischen den schönen Namen ,nachhaltige Entwicklung' trägt."
Schumachers Gewitztheit, seine Intelligenz und Lebenserfahrenheit verboten ihm, sich vor den Karren einer Radikalisierung des "Jetzt oder nie" spannen zu lassen. Bei aller Freiheit der Reflexion blieb er auf demokratische Prozesse und die Legitimation durch Verfahren (statt durchs schiere Bauchgefühl) festgelegt. Während, so schrieb er, "jeglicher Fanatismus eine Schwäche des Denkens bloßlegt, ist ein Fanatismus, der auf Wege gerichtet ist, die zu völlig ungewissen Zielen führen, purer Schwachsinn. Wie schon erwähnt, besteht das Kernproblem des Wirtschaftslebens - und des Lebens allgemein - darin, dass es bei allen Handlungen der Versöhnung von Gegensätzen bedarf, welche streng logisch betrachtet unvereinbar sind."
Schumacher war, was man ironisch den "fulminanten Querdenker" nennt. Er dachte in zivilen Übergängen, statt mit irrem Blick die Radikalität zu beschwören, von der er natürlich zehrte. Ein Rücksichtsloser, der freilich keinem neuen Himmel und keiner neuen Erde das Wort redete, ohne die Bestände auszuweisen und mit ihnen zu rechnen. So small, so beautiful: Solche Denker braucht die Welt, wenn sie denn gerettet werden soll.
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So schön: Ein Bestseller, der die Welt retten kann
Er ist ein must have für die Klima-Debatte und für den Entschluss, sie im Stil von "Jetzt werden hier mal andere Saiten aufgezogen" zu führen: Ernst Friedrich Schumacher und sein Weltbestseller von 1973 "Small Is Beautiful. A Study of Economics As If People Mattered". Die deutsche Übersetzung der englischen Originalausgabe vier Jahre später erhielt den Untertitel "Die Rückkehr zum menschlichen Maß. Alternativen für Wirtschaft und Technik". Es heißt, der Verleger Anthony Blond habe den Haupttitel "Small Is Beautiful" nach dem vierten Whisky erfunden. Jedenfalls war er zugkräftig, verhalf dem Buch zu seiner Erfolgsgeschichte und verselbständigte sich bald als Emblem aller Nicht-Ausraster, Ball-Flachhalter und Tiefenentspannten.
In diesem, im Umfeld der "Grenzen des Wachstums"-Studie des Club of Rome geschriebenen Buch sind wesentliche Motive des heutigen Nachhaltigkeits-Diskurses vorgebildet - nur besser durchdacht, philosophischer gegründet und dann doch auch wirklichkeitsnäher konzipiert, als dies bei manchen leerlaufenden "Radikalisiert euch"-Aufrufen dieser Tage der Fall ist. So möchte man sich zu der Empfehlung aufschwingen: Lest als Erstes diesen Schumacher, wenn es euch um den Erhalt des Planeten geht! Im Oekom-Verlag ist das Buch soeben noch einmal aufgelegt worden.
Schumacher, der als britischer Ökonom lange Jahre als politisch einflussreicher Wirtschaftsberater arbeitete, 1977, in seinem Todesjahr, auch von Jimmy Carter zur Vorstellung von "Small Is Beautiful" ins Weiße Haus eingeladen worden war, fasste sein wachstumskritisches, auf überschaubare Produktionseinheiten und begrenzte Ursache-Wirkungsketten ausgerichtetes Buch von vorneherein als eine Mehr-Generationen-Agenda auf. Inspiriert von seinem längeren Aufenthalt in Burma, entwickelte er eine "Buddhist Economics" und nutzte die utopische Antriebsenergie, die darin steckte und ihm als solche bewusst war, um jedenfalls in the long run neue Dynamiken in Politik und Wirtschaft freizusetzen, ein Agenda-Setting herzustellen, wie man es heute tatsächlich mit Händen greifen kann.
Schumacher stand mit seiner Bereitschaft für umstürzende Perspektivenwechsel nicht allein. Damalige Publikumsmagneten wie Herbert Gruhls "Ein Planet wird geplündert" oder Erhard Epplers "Ende oder Wende" gehören mit zu den Werken, von denen sich heute sagen lässt, sie seien ihrer Zeit voraus gewesen. Sie standen prominent im bürgerlichen Bücherregal, nicht irgendwo in esoterischen Spinner-Ecken, und sorgten gesellschaftsweit für genau jene erhitzten Gespräche, von denen Autoren träumen, die mit idealistischem Drive und handwerklichem Bestseller-Anspruch zu Werke gehen.
In Sonderheit Schumacher erweist sich für die industriellen Strategien eines green washing ökologischer und sozialer Destruktion als nicht anschlussfähig. Seine Analyse des herrschenden Industriemodells sei nicht derart oberflächlich gewesen, dass die Hintertür für ein systemisches "Weiter so!" in bloß "nachhaltig" aufgehübschten Formaten offen geblieben wäre, schreibt der Postwachstumsökonom Niko Paech in der Einführung zur neuen Auflage von "Small Is Beautiful": "Statt sich an der Notwendigkeit veränderter Versorgungs- und Lebenspraktiken vorbeizumogeln, zeigen Schumachers Darlegungen unverblümt, dass technologische und institutionelle Arrangements allein nie hinreichend für das sein können, was inzwischen den schönen Namen ,nachhaltige Entwicklung' trägt."
Schumachers Gewitztheit, seine Intelligenz und Lebenserfahrenheit verboten ihm, sich vor den Karren einer Radikalisierung des "Jetzt oder nie" spannen zu lassen. Bei aller Freiheit der Reflexion blieb er auf demokratische Prozesse und die Legitimation durch Verfahren (statt durchs schiere Bauchgefühl) festgelegt. Während, so schrieb er, "jeglicher Fanatismus eine Schwäche des Denkens bloßlegt, ist ein Fanatismus, der auf Wege gerichtet ist, die zu völlig ungewissen Zielen führen, purer Schwachsinn. Wie schon erwähnt, besteht das Kernproblem des Wirtschaftslebens - und des Lebens allgemein - darin, dass es bei allen Handlungen der Versöhnung von Gegensätzen bedarf, welche streng logisch betrachtet unvereinbar sind."
Schumacher war, was man ironisch den "fulminanten Querdenker" nennt. Er dachte in zivilen Übergängen, statt mit irrem Blick die Radikalität zu beschwören, von der er natürlich zehrte. Ein Rücksichtsloser, der freilich keinem neuen Himmel und keiner neuen Erde das Wort redete, ohne die Bestände auszuweisen und mit ihnen zu rechnen. So small, so beautiful: Solche Denker braucht die Welt, wenn sie denn gerettet werden soll.
CHRISTIAN GEYER
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