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Im Jahr 1954 wird Kabuo Miyamoto, ein Fischer japanischer Herkunft, zu Hause auf der Insel San Piedro im Nordwesten der USA, wegen Mordes vor Gericht gestellt. Er soll seinen Jugendfreund Carl Heine umgebracht haben. Der Zweite Weltkrieg hatte die ehemaligen Freunde in erbitterte Feinde verwandelt. Ishmael Chambers, Redakteur der Insel-Zeitung, bemüht sich, die Hintergründe des Verbrechens zu erhellen. "Ein tiefer, poetischer erster Roman... voller wunderbarer Momente und so dicht wie ein Haiku - und zugleich ein unwiderstehlich spannendes Buch voller überraschender Wendungen." (Kirkus Review.)…mehr

Produktbeschreibung
Im Jahr 1954 wird Kabuo Miyamoto, ein Fischer japanischer Herkunft, zu Hause auf der Insel San Piedro im Nordwesten der USA, wegen Mordes vor Gericht gestellt. Er soll seinen Jugendfreund Carl Heine umgebracht haben. Der Zweite Weltkrieg hatte die ehemaligen Freunde in erbitterte Feinde verwandelt. Ishmael Chambers, Redakteur der Insel-Zeitung, bemüht sich, die Hintergründe des Verbrechens zu erhellen. "Ein tiefer, poetischer erster Roman... voller wunderbarer Momente und so dicht wie ein Haiku - und zugleich ein unwiderstehlich spannendes Buch voller überraschender Wendungen." (Kirkus Review.)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.1996

Über die sentimentale Sandbank
Ziemlich gelassen: David Gutersons Epos aus dem pazifischen Amerika / Von Heinrich Detering

Was es gibt? "Es gibt Dinge in dieser Welt, über die wir keine Macht haben, und es gibt solche, die in unserer Macht stehen." Sätze wie diese haben etwas von der Wucht der banalen Wahrheit; ihr Tonfall gehört zu den geradlinig-einfachen Erzählungen, die seit einem Jahrhundert europäische Leser und Kinogänger als besonders amerikanisch betören. Gesagt werden sie in existentiellen Grenzsituationen, von einfachen Menschen, die zu Helden werden: tapfer im Angesicht der vernichtenden Urgewalten wie der alte Mann auf dem Meer oder abgeklärt wie der weißhaarige und dem Tod nicht mehr ferne Verteidiger, der die Geschworenen an ein paar schlichte Wahrheiten erinnert, ehe sie ein Todesurteil fällen. David Gutersons Roman vom "Schnee, der auf Zedern fällt", erzählt so eine Geschichte, und er ist gegründet auf solche einfachen Sätze. "Es gibt Dinge, die sind geschehen, und Dinge, die sind nicht geschehen", sagt der greise Anwalt zur Jury. "Nur darüber reden wir."

Das Gerichtsverfahren, das hier die geschehenen Dinge von den ungeschehenen trennen soll, dreht sich um einen Todesfall. Ein Fischer ist, im eigenen Fischnetz an seinem steuerlosen Boot hängend, tot aufgefunden worden. An einen Unfall hat niemand recht glauben wollen. Der Mordverdacht ist auf einen einstigen Freund des Toten gefallen, der im Kampf um ein Stück Land und im Kampf um eine Frau zum Konkurrenten und schließlich zum Feind geworden ist; und der Verdacht haftet besonders hartnäckig an ihm, weil er zur japanischen Bevölkerungsgruppe gehört, also die Gesichtszüge jener trägt, mit denen Amerika noch vor zehn Jahren im Krieg lag.

Wir befinden uns auf der Insel San Piedro im Puget Sound im Staate Washington, hart an der Grenze zu Kanada, im Winter des Jahres 1954; und die Kriminalgeschichte spielt sich, wie man sieht, vor einem politischen Hintergrund ab. Alle Akteure sind auf die eine oder andere Weise beteiligt gewesen an der Internierung der japanischstämmigen Amerikaner nach dem Angriff auf Pearl Harbor, an Denunziationen, Zwangsenteignungen, Lagern. Der Tote ist deutscher, der Angeklagte japanischer Herkunft, ein "Nazischwein" also der eine, ein "Japs" der andere; und daß sie beide im Krieg auf amerikanischer Seite gekämpft haben, verschlägt nichts gegen Eigennamen und Augenschnitt. Dabei sind bei näherem Hinsehen alle, die hier leben, Fremde; die dänischen Sorensens und deutschen Hartmanns nicht weniger als die Miyamatos; beim alljährlichen Erdbeerfest tanzt man abwechselnd "Svenska Polka", Rheinländer und Hambone. Erst im Kontrast zu den Außenseitern erlebt sich die Majorität als Gemeinschaft.

Aber was hier erzählt wird, ist mehr als zeitgeschichtlicher Nachhilfeunterricht und soziologische Fallstudie. In der kleinen Inselgesellschaft der Erdbeerfarmer und Lachsfischer muß sich die Zivilisation täglich behaupten im Kampf gegen die Urgewalt der Elemente. Deren Verkörperung in dieser Geschichte ist der allgegenwärtige Schnee. Zu Beginn sieht man vor den Fenstern des Gerichtssaals seine tanzenden Flocken, mit dem Fortgang der Verhandlung wird dann der Schneefall zum Schneesturm, vor dem die Akteure im wärmenden Gerichtssaal Schutz suchen. Die mächtigen Zedern, die sich draußen unter Schnee und Sturm biegen, erscheinen wie Gegenbilder dieser aufgeregten Wesen: stumm einverstanden mit der Schönheit und Kälte des großen Gleichmachers.

Der desillusionierte Kriegsveteran und Journalist, der am Ende den Fall lösen wird (und der uns manchmal aus dem Text heraus anblickt wie das Selbstporträt des Malers in alten Gemälden), heißt "Ishmael" wie der Ich-Erzähler in Melvilles "Moby Dick". Da gibt sich der Kriminalroman als Gleichnis zu erkennen. Und in der Tat: Die vom Schneesturm isolierte Insel, auf der jeder jeden kennt, ist ein archetypischer Ort; das Gerichtsverfahren, in dem die Advokaten um die arme Seele kämpfen und die verschüttete Vergangenheit aufdecken, eine archetypische Handlungskonstellation; das selbstgerodete Stück Ackerland, um das sich Generationenfehden abspielen, und das Meer, auf dem auch Feinde einander gegen die tödliche Natur beistehen, bilden das Gegensatzpaar des Uranfangs.

So archaisch, so heikel. Leicht hätte diese existentialistische Parabel im Edelkitsch landen können; und tatsächlich finden sich gegen Ende auch ein paar philosophische Sentenzen, in denen der Erzähler als schlechter Botschafter des guten Willens spricht. Aber das sind flüchtige Strudel im epischen Meer, auf dem der mit allen Wassern des Puget Sound gewaschene Fahrensmann Guterson ansonsten bewundernswert navigiert. Die sentimentalen Sandbänke und allegorischen Klippen hat er sicher umschifft und ein menschen- und weltkluges, schönes und spannendes Buch geschrieben. Dies ist (zumal in Christa Krügers geschmeidiger Übersetzung) der seltene Fall eines Kriminalromans, bei dessen erster Lektüre man schon weiß, daß man ihn zum zweiten Mal lesen wird.

Das liegt nicht unerheblich an seiner Verbindung journalistischer Tugenden mit erzählerischer Kunst. Guterson hat zunächst gut recherchiert. Er kennt sich aus in der Lachsfischerei im Puget Sound, wo er seit vielen Jahren lebt, er versteht sich auf die Geschichte der Internierungen und die Kampftechniken des Kendo. Er ist vertraut mit den Leuten, von denen er erzählt; noch die beiläufigste Nebenfigur nennt er aufmerksam beim Namen. Und er hört seinen Figuren zu. In Rückblenden, die das analytische Verfahren des Prozesses verdoppeln und vertiefen, läßt er ihre Erinnerungen reden, und für all das läßt er sich und ihnen Zeit.

Dabei bleibt die Anwesenheit eines überlegenen Erzählers stets spürbar. Auch wo er sich ganz in die Gedanken hineinbegibt, die beispielsweise dem Tatverdächtigen im Gerichtssaal durch den Kopf gehen, spart er stillschweigend aus, was der verblüffte Krimileser schon für fast ausgeplaudert hielt, und wartet, bis die Zeit dafür gekommen ist. Daß er uns mit diesem Allwissenheitsvorsprung bei Laune und in Spannung hält, ist dabei eine Nebenwirkung. Eher kommt es ihm darauf an, unsere Aufmerksamkeit mit sanfter Entschiedenheit auf andere Fragen zu richten: auf die Lebensformen und Wahrnehmungsweisen der möglichen Mörder und Opfer und vor allem auf ihre körperliche Existenz.

Denn nichts kennt dieser Erzähler so genau wie die Körper seiner Akteure. Seine Gestalten sind in einem ganz buchstäblichen Sinne aus Fleisch und Blut. So gründlich uns mitgeteilt wird, was sie lesen, welche religiösen oder moralischen Grundsätze sie befolgen, so genau erfahren wir, wie diese Männer und Frauen in ihren Körpern stecken und mit ihnen in der Welt stehen, wie diese Körper sich anfühlen, in ihren Glücksmomenten und ihrer Gebrechlichkeit, in ihren Geschlechtsteilen, mit der Arthrose in alternden Beinen, mit dem Phantomschmerz im amputierten Arm. Diese Anwälte, Geschworenen und Richter verhandeln über Mord und Totschlag, Kriegsschuld und Rassismus; und der Roman hört ihnen geduldig und neugierig zu.

Außerdem aber essen sie, schlafen miteinander, liegen nachts wach, urinieren, leiden an verschleimten Atemwegen; und diese Körperzustände werden nicht weniger aufmerksam erkundet. Es gibt in diesem Buch sehr schöne Schilderungen von Sexualität, die ganz ohne voyeuristische Gier und ohne Denunziation auskommen. Der Erzähler, dieser abgeklärte Aufklärer, hat physisches Mitgefühl mit seinen Figuren, ohne seine Distanz zu verlieren. Gerade diese Kreatürlichkeit gibt ihnen eine Würde, die auf vitalistisches Pathos gut verzichten kann. Der Roman verdankt diesem Körpergefühl eine Gelassenheit, die Schuld und Trauer nicht verkleinert und trotzdem besänftigt. Denn es ist ja dieselbe Natur, die sich in den Körpern alltäglich und in Schneesturm und Meereswogen einschüchternd regt, und so oder so mischt sie sich in den vernünftigen Fortgang der Aufklärung ein.

Dies ist der entscheidende Kunstgriff, der den Roman vor der Trivialität einer one-world-Botschaft schützt. Die Überzeugungskraft seiner Weltweisheit verdankt sich vor allem David Gutersons Gespür für Schnee. Denn worum auch immer es sonst noch geht in dieser Nachkriegsgeschichte - zunächst geht es um Schnee, der auf Zedern fällt. Dieser Roman hat nichts zu verbergen, weil seine Geheimnisse an der Oberfläche liegen. Was er will, kann er darum mit der entwaffnenden Direktheit amerikanischer Sätze aussprechen. Zum Beispiel, "daß kein Mensch dem Tod entrinnt". Nicht, daß wir das nicht schon vorher gewußt hätten. Aber es ist tröstlich, es noch einmal so schön erzählt zu bekommen.

David Guterson: "Schnee, der auf Zedern fällt". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christa Krüger. Berlin Verlag, Berlin 1996. 517 S., geb., 48,- DM.

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