SNUFF - das ist das Leben selbst, mit der Liebe im Zähler und dem Tod im Nenner. Ein solcher Bruch hat gleichzeitig den Wert Null und Unendlich. -- Die Amouren einer künstlichen Frau, das Coming of Age eines jungen Orks, der sich zum Dichter entwickelt, die utopische Vision einer postapokalyptischen Welt: Sex, Krieg und Snuff-Filme. -- Der Roman zum Ukraine-Konflikt von Viktor Pelewin, dem 'Superstar unter den jüngeren russischen Autoren' (Neue Zürcher Zeitung). -- Gibt es Pelewin? Er ist öffentlichkeitsscheu, lehnt Interviews und Lesungen ab. Ein Phantom? Ein Phänomen! -- Das E-Book wurde 2012 als 'Prosa des Jahres' ausgezeichnet.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Schade, seufzt Rezensent Tomasz Kurianowicz, denn eigentlich hat Viktor Pelewins postapokalyptische Satire "Snuff" einige gute Stellen. Wie der russische Autor hier ein ebenso perverses wie spätkapitalistisches Szenario entwirft, in dem es keinen Unterschied mehr zwischen Ost und West, Russland und Amerika gibt, sondern nur noch Privilegierte und Versklavte, findet der Kritiker unterhaltsam, gelegentlich auch scharfsinnig und erhellend. Auch über Pelewins kuriose Einfälle - der Blick der Reichen auf das hässliche Armenviertel wird etwa durch digitale Projektionen verdeckt - muss der Rezensent schmunzeln. Leider kann er aber für keine der hier auftretenden Figuren Sympathie aufbringen. Vor allem aber erscheint ihm die auf fünfhundert Seiten ausgebreitete Handlung zu dünn und einen tiefgehenden Erkenntnisgewinn hat Kurianowicz dem Buch leider auch nicht zu verdanken.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.11.2015Dialektik des Draufgängertums
Viktor Pelewins postapokalyptische Satire "Snuff" arbeitet sich am Spätkapitalismus ab
Eigentlich klingt es nach einer guten Geschichte: Die Welt liegt in Trümmern; die Apokalypse war hereingebrochen; die Lebewesen der Zukunft sind aufgeteilt in Reiche und Schöne (sogenannte Menschen) und Arme und Besitzlose (sogenannte Orks). Als Unterhaltung fungieren pornographisch inszenierte Kriege, die sich zwischen beiden Welten regelmäßig abspielen, ohne Hoffnung darauf, dass sich an der ungerechten Aufteilung grundsätzlich etwas ändern würde. Politik ist zum totalen Kriegsschauplatz verkommen, um die Betrachter bei Laune zu halten.
Das ist das Szenario des russischen Autors Viktor Pelewin in seinem neu übersetzten, in Russland 2012 erschienenen Roman "Snuff". Angekündigt ist das Werk als Kommentar zur Ukraine-Krise, auch wenn bei näherem Hinsehen die Urkaine (sic!) als Abstellgleis der Abgehängten nur am Rande eine Rolle spielt. Pelewin, 1962 in Moskau geboren, arbeitet sich in seiner postapokalyptischen Satire vielmehr am Spätkapitalismus ab, der in seiner perfiden, in die Zukunft hineinverlagerten Brutalität keinen Unterschied mehr macht zwischen Ost und West, Russland und Amerika, sondern nur noch zwischen Privilegierten und Versklavten (wobei auch hier der Unterschied ein künstlicher ist). In diesem Buch sind die agierenden Figuren allesamt schlecht. Ist das ein Kommentar zu den Scharmützeln zwischen Putin und dem Rest der Welt? Eher nicht. Vielmehr kann man das Buch als eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Arabischen Frühling lesen, der 2011 dem Autor verständlich gemacht hat, dass der Kapitalismus bei der Gleichschaltung der Märkte und der Liberalisierung von neuem Territorium kulturelle Unterschiede sträflich missachtet und sich dadurch, als letzte Konsequenz, selbst gefährdet. Der Westen zahlt jetzt beispielhaft den Preis: Länder wie Ägypten oder Syrien verwandeln sich in religiöse Bollwerke, was zu unkontrollierbaren Kriegen, Konflikten und Flüchtlingsströmen führt, die wiederum den Fortbestand des säkularen Westens unfreiwillig aufs Spiel setzen. Diese Dialektik des Draufgängertums bestimmt auch die Dystopie im Roman.
Dem Werk ließen sich einige scharfsinnige Beobachtungen abgewinnen, wenn es nicht so überladen wäre. Die einzelnen Beschreibungen der perversen Zukunft lesen sich unterhaltend und sogar erhellend - wie etwa der Umstand, dass Partnerschaften vor allem mit elektronischen Puppen aufrechterhalten werden, die man sich teuer erkaufen muss. (Freilich ein Sujet, das bereits in Filmen wie "Her" breit und intelligent verarbeitet wurde.) Ärgerlich ist nun aber die Tatsache, dass beim Lesen keine rechte Sympathie für die Figuren aufkommen will: Der Protagonist, ein Kampfjet-Pilot, der Aufnahmen von den Kriegsschauplätzen macht, gibt Einblick in die Verrohung der Gesellschaft in halbgaren Sentenzen, die ohne viel Sprachkraft als lose Ansammlungen daherkommen. Dadurch wirkt die Lektüre stellenweise mühsam. Die vielen witzigen, aber nicht immer leicht zu durchschauenden Anspielungen können die fehlende Handlung nicht wettmachen, auch wenn die Leistung des Übersetzers und Leiters des Tweeback Verlags, Heinrich Siemens, größte Anerkennung verdient.
Das Buch lebt von kuriosen Einfällen und Beschreibungen wie etwa der Lage in Big Byz, dieser scheinbar besseren Welthälfte, in der luxuriöse Wohnplätze allein dadurch aufgewertet werden, dass sie den Blick auf die hässliche, apokalyptische Landschaft durch digitale Projektionen aus der Vergangenheit verdecken. Diese Illusion muss man sich erst einmal leisten. In dieser abgewrackten, zynischen Fiktion hat sich der Kapitalismus selbst abgeschafft - er existiert nur noch als durchtechnologisierte Illusion im Kraftakt des Begehrens. Das ist zwar stellenweise interessant, aber als alleinige Erkenntnis auf fast fünfhundert Seiten dann doch zu wenig.
TOMASZ KURIANOWICZ
Viktor Pelewin:
"Snuff". Utopie.
Aus dem Russischen von Heinrich Siemens. Tweeback Verlag, Bonn 2015. 494 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Viktor Pelewins postapokalyptische Satire "Snuff" arbeitet sich am Spätkapitalismus ab
Eigentlich klingt es nach einer guten Geschichte: Die Welt liegt in Trümmern; die Apokalypse war hereingebrochen; die Lebewesen der Zukunft sind aufgeteilt in Reiche und Schöne (sogenannte Menschen) und Arme und Besitzlose (sogenannte Orks). Als Unterhaltung fungieren pornographisch inszenierte Kriege, die sich zwischen beiden Welten regelmäßig abspielen, ohne Hoffnung darauf, dass sich an der ungerechten Aufteilung grundsätzlich etwas ändern würde. Politik ist zum totalen Kriegsschauplatz verkommen, um die Betrachter bei Laune zu halten.
Das ist das Szenario des russischen Autors Viktor Pelewin in seinem neu übersetzten, in Russland 2012 erschienenen Roman "Snuff". Angekündigt ist das Werk als Kommentar zur Ukraine-Krise, auch wenn bei näherem Hinsehen die Urkaine (sic!) als Abstellgleis der Abgehängten nur am Rande eine Rolle spielt. Pelewin, 1962 in Moskau geboren, arbeitet sich in seiner postapokalyptischen Satire vielmehr am Spätkapitalismus ab, der in seiner perfiden, in die Zukunft hineinverlagerten Brutalität keinen Unterschied mehr macht zwischen Ost und West, Russland und Amerika, sondern nur noch zwischen Privilegierten und Versklavten (wobei auch hier der Unterschied ein künstlicher ist). In diesem Buch sind die agierenden Figuren allesamt schlecht. Ist das ein Kommentar zu den Scharmützeln zwischen Putin und dem Rest der Welt? Eher nicht. Vielmehr kann man das Buch als eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Arabischen Frühling lesen, der 2011 dem Autor verständlich gemacht hat, dass der Kapitalismus bei der Gleichschaltung der Märkte und der Liberalisierung von neuem Territorium kulturelle Unterschiede sträflich missachtet und sich dadurch, als letzte Konsequenz, selbst gefährdet. Der Westen zahlt jetzt beispielhaft den Preis: Länder wie Ägypten oder Syrien verwandeln sich in religiöse Bollwerke, was zu unkontrollierbaren Kriegen, Konflikten und Flüchtlingsströmen führt, die wiederum den Fortbestand des säkularen Westens unfreiwillig aufs Spiel setzen. Diese Dialektik des Draufgängertums bestimmt auch die Dystopie im Roman.
Dem Werk ließen sich einige scharfsinnige Beobachtungen abgewinnen, wenn es nicht so überladen wäre. Die einzelnen Beschreibungen der perversen Zukunft lesen sich unterhaltend und sogar erhellend - wie etwa der Umstand, dass Partnerschaften vor allem mit elektronischen Puppen aufrechterhalten werden, die man sich teuer erkaufen muss. (Freilich ein Sujet, das bereits in Filmen wie "Her" breit und intelligent verarbeitet wurde.) Ärgerlich ist nun aber die Tatsache, dass beim Lesen keine rechte Sympathie für die Figuren aufkommen will: Der Protagonist, ein Kampfjet-Pilot, der Aufnahmen von den Kriegsschauplätzen macht, gibt Einblick in die Verrohung der Gesellschaft in halbgaren Sentenzen, die ohne viel Sprachkraft als lose Ansammlungen daherkommen. Dadurch wirkt die Lektüre stellenweise mühsam. Die vielen witzigen, aber nicht immer leicht zu durchschauenden Anspielungen können die fehlende Handlung nicht wettmachen, auch wenn die Leistung des Übersetzers und Leiters des Tweeback Verlags, Heinrich Siemens, größte Anerkennung verdient.
Das Buch lebt von kuriosen Einfällen und Beschreibungen wie etwa der Lage in Big Byz, dieser scheinbar besseren Welthälfte, in der luxuriöse Wohnplätze allein dadurch aufgewertet werden, dass sie den Blick auf die hässliche, apokalyptische Landschaft durch digitale Projektionen aus der Vergangenheit verdecken. Diese Illusion muss man sich erst einmal leisten. In dieser abgewrackten, zynischen Fiktion hat sich der Kapitalismus selbst abgeschafft - er existiert nur noch als durchtechnologisierte Illusion im Kraftakt des Begehrens. Das ist zwar stellenweise interessant, aber als alleinige Erkenntnis auf fast fünfhundert Seiten dann doch zu wenig.
TOMASZ KURIANOWICZ
Viktor Pelewin:
"Snuff". Utopie.
Aus dem Russischen von Heinrich Siemens. Tweeback Verlag, Bonn 2015. 494 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main