Ein quirliges und herausforderndes Buch über unser ZusammenlebenToleranz, Integration, Inklusion, kulturelle Vielfalt - das sind wichtige Werte, die wir Kindern vermitteln möchten. Nur wie, ohne dass es überkorrekt, langweilig und abstrakt rüberkommt?Pernilla Stalfelt hat den Königsweg gefunden. "So bin ich und wie bist du?" ist aus der Zusammenarbeit mit Kindern entstanden und entsprechend freimütig und konkret. Ob es um den Fast-nackt-Einkäufer im Supermarkt geht, der nicht jedes Auge erfreut, oder um das eigene Ich, das schutzbedürftig und liebenswert ist wie ein kleiner Welpe - Stalfelt buchstabiert das Thema Toleranz so unterhaltsam und witzig durch, dass man gar nicht merkt, wie sehr man ins Mitdenken gerät.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2014Den Eisbären umarmen
Was ist Toleranz? Die Kinderbuchautorin Pernilla Stalfelt kennt die Antwort
Eigentlich ist es einfach: Um zu ertragen, dass wir verschieden sind, brauchen wir Toleranz. Der eine isst mehr, die andere weniger Pfannkuchen. Kein Problem. Aber manchmal schmatzt einer dazu oder schlürft lautstark eine Limo. Oder er riecht wie ein Stinktier. Wie man sich mit den Besonderheiten der anderen abfindet, davon handelt das neue Kindersachbuch "So bin ich und wie bist du?" der schwedischen Autorin Pernilla Stalfelt.
Sie liebt es, die Dinge beim Namen zu nennen. Ihr erfolgreichstes Buch heißt auf Deutsch "So ein Kack" und beschäftigt sich mit Exkrementen - mit aller gebotenen Sorgfalt, Albernheit und kindlicher Neugier. Unnachahmlich direkt und derb widmet sich Stalfelt in ihren Büchern den schwer erklärbaren Dingen. Wie man sie Kindern verständlich macht, das hat die studierte Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin in ihrem Beruf als Museumspädagogin gelernt. Immer wieder ist es die bildende Kunst, die Stalfelt auf die existentiellen Themen ihrer Bücher bringt.
So war es auch bei "Und was kommt dann?", ihrem Buch über den Tod, dessen Idee Stalfelt im Gespräch mit einer Kindergruppe über ein düsteres Gemälde gekommen ist. Es behandelt den Tod mit all seinen Aspekten. Mit wenigen Worten und Zeichnungen erläutert Stalfelt den Kreislauf des Lebens, listet Gründe fürs Sterben und Formen von Trauer auf. Und verzichtet auch hier nicht auf mitunter fast makabre Komik, wenn sie einen toten Elch als Engel in den Himmel fliegen lässt. Indignierte Eltern? Egal. Für Kinder gehören solch abstruse Gedanken einfach dazu. Und für Pernilla Stalfelt gilt: Alle Fragen müssen erlaubt sein, daraus gewinnt die Illustratorin neue Ideen und bewahrt zugleich die wesentliche Voraussetzung ihrer Bücher - die Fähigkeit, aus Sicht der Kinder zu denken.
Rund zwei Dutzend Kinderbücher hat die 1962 in Örebro geborene Illustratorin bislang in Schweden veröffentlicht, fünf sind bislang auf Deutsch erschienen. Auch im Gespräch erzählt sie ruhig, fast nüchtern mit ihrer hohen Stimme. Diese Sprechhaltung gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Stalfelt geht nicht in die Hocke oder wechselt die Themen, um mit Kindern auf einer Ebene zu kommunizieren. So erfährt sie, was diese bewegt, und greift häufig Ideen und Geschichten auf, die im Dialog mit Kindergruppen im Museum oder auf ihren Lesungen entstehen.
Hier erfuhr Stalfelt auch, dass selbst kleine Kinder schon wissen, was Intoleranz gegenüber Nahrungsmitteln ist. Sie überführte die Idee in ihr neues Buch und erklärt anhand dieses Beispiels wiederum, wie manche Menschen anderen gegenüber intolerant sind. Es geht nicht darum, den Begriff Rassismus zu verstehen, sondern, was er bedeutet.
Stalfelts Zeichenstil besitzt eine gewisse Struppigkeit, die mit frech ausgebüxten Linien oder übertriebenen Proportionen den Charakteren eine Extraportion Lebendigkeit verleiht. Gute Voraussetzungen für ein Buch, in dem das Verschiedensein gefeiert wird, keine der Figuren einer anderen gleicht und das Spektrum vom grimmig dreinblickenden Onkel über den buntgekleideten Schlaks mit Irokesenfrisur, die teiggesichtige Dame und den schrägen Außerirdischen bis zu strubbelig rotwangigen Kindern reicht.
Über Sprech- und Denkblasen werden die schielenden, grimassierenden, gestikulierenden Gestalten, mit Bleistift gezeichnet und mit leuchtendem Aquarell koloriert, überaus lebendig. Zwischenmenschliche Situationen werden ergänzt durch mit Pfeilen versehene Schaubilder, in denen Missverständnisse, Denkmuster und die Entstehung von Vorurteilen dargestellt werden. So setzt Stalfelt die Facetten von Toleranz wie ein buntes Puzzle zusammen.
Vorurteile veranschaulicht sie umgekehrt mit herrlich klischeehaften schnauzbärtigen Bayern, die in Lederhosen jodeln und schuhplattlern. Ihren Landsmännern hingegen setzt sie Wikingerhelme auf und zeigt sie Arm in Arm mit Eisbären. Auch negative Aspekte, fehlende Toleranz und ihre schlimmstmöglichen Folgen, haben ihren Platz im Buch. Mord, Folter und Misshandlung.
Kinder vor hässlichen Wahrheiten schützen will sie nicht. Sie empfiehlt vielmehr, ihnen zur Seite zu stehen, um das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Mit ihren Büchern liefert sie dazu ein Werkzeug. Und führt ihre Leser aus dem Schrecklichen auch wieder hinaus: Wie schön, dass wir uns darin gleichen, wie verschieden wir sind!
AMELIE PERSSON
Pernilla Stalfelt: "So bin ich und wie bist du?".
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Klett Kinderbuch, Leipzig 2014. 40 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was ist Toleranz? Die Kinderbuchautorin Pernilla Stalfelt kennt die Antwort
Eigentlich ist es einfach: Um zu ertragen, dass wir verschieden sind, brauchen wir Toleranz. Der eine isst mehr, die andere weniger Pfannkuchen. Kein Problem. Aber manchmal schmatzt einer dazu oder schlürft lautstark eine Limo. Oder er riecht wie ein Stinktier. Wie man sich mit den Besonderheiten der anderen abfindet, davon handelt das neue Kindersachbuch "So bin ich und wie bist du?" der schwedischen Autorin Pernilla Stalfelt.
Sie liebt es, die Dinge beim Namen zu nennen. Ihr erfolgreichstes Buch heißt auf Deutsch "So ein Kack" und beschäftigt sich mit Exkrementen - mit aller gebotenen Sorgfalt, Albernheit und kindlicher Neugier. Unnachahmlich direkt und derb widmet sich Stalfelt in ihren Büchern den schwer erklärbaren Dingen. Wie man sie Kindern verständlich macht, das hat die studierte Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin in ihrem Beruf als Museumspädagogin gelernt. Immer wieder ist es die bildende Kunst, die Stalfelt auf die existentiellen Themen ihrer Bücher bringt.
So war es auch bei "Und was kommt dann?", ihrem Buch über den Tod, dessen Idee Stalfelt im Gespräch mit einer Kindergruppe über ein düsteres Gemälde gekommen ist. Es behandelt den Tod mit all seinen Aspekten. Mit wenigen Worten und Zeichnungen erläutert Stalfelt den Kreislauf des Lebens, listet Gründe fürs Sterben und Formen von Trauer auf. Und verzichtet auch hier nicht auf mitunter fast makabre Komik, wenn sie einen toten Elch als Engel in den Himmel fliegen lässt. Indignierte Eltern? Egal. Für Kinder gehören solch abstruse Gedanken einfach dazu. Und für Pernilla Stalfelt gilt: Alle Fragen müssen erlaubt sein, daraus gewinnt die Illustratorin neue Ideen und bewahrt zugleich die wesentliche Voraussetzung ihrer Bücher - die Fähigkeit, aus Sicht der Kinder zu denken.
Rund zwei Dutzend Kinderbücher hat die 1962 in Örebro geborene Illustratorin bislang in Schweden veröffentlicht, fünf sind bislang auf Deutsch erschienen. Auch im Gespräch erzählt sie ruhig, fast nüchtern mit ihrer hohen Stimme. Diese Sprechhaltung gilt für Kinder und Erwachsene gleichermaßen. Stalfelt geht nicht in die Hocke oder wechselt die Themen, um mit Kindern auf einer Ebene zu kommunizieren. So erfährt sie, was diese bewegt, und greift häufig Ideen und Geschichten auf, die im Dialog mit Kindergruppen im Museum oder auf ihren Lesungen entstehen.
Hier erfuhr Stalfelt auch, dass selbst kleine Kinder schon wissen, was Intoleranz gegenüber Nahrungsmitteln ist. Sie überführte die Idee in ihr neues Buch und erklärt anhand dieses Beispiels wiederum, wie manche Menschen anderen gegenüber intolerant sind. Es geht nicht darum, den Begriff Rassismus zu verstehen, sondern, was er bedeutet.
Stalfelts Zeichenstil besitzt eine gewisse Struppigkeit, die mit frech ausgebüxten Linien oder übertriebenen Proportionen den Charakteren eine Extraportion Lebendigkeit verleiht. Gute Voraussetzungen für ein Buch, in dem das Verschiedensein gefeiert wird, keine der Figuren einer anderen gleicht und das Spektrum vom grimmig dreinblickenden Onkel über den buntgekleideten Schlaks mit Irokesenfrisur, die teiggesichtige Dame und den schrägen Außerirdischen bis zu strubbelig rotwangigen Kindern reicht.
Über Sprech- und Denkblasen werden die schielenden, grimassierenden, gestikulierenden Gestalten, mit Bleistift gezeichnet und mit leuchtendem Aquarell koloriert, überaus lebendig. Zwischenmenschliche Situationen werden ergänzt durch mit Pfeilen versehene Schaubilder, in denen Missverständnisse, Denkmuster und die Entstehung von Vorurteilen dargestellt werden. So setzt Stalfelt die Facetten von Toleranz wie ein buntes Puzzle zusammen.
Vorurteile veranschaulicht sie umgekehrt mit herrlich klischeehaften schnauzbärtigen Bayern, die in Lederhosen jodeln und schuhplattlern. Ihren Landsmännern hingegen setzt sie Wikingerhelme auf und zeigt sie Arm in Arm mit Eisbären. Auch negative Aspekte, fehlende Toleranz und ihre schlimmstmöglichen Folgen, haben ihren Platz im Buch. Mord, Folter und Misshandlung.
Kinder vor hässlichen Wahrheiten schützen will sie nicht. Sie empfiehlt vielmehr, ihnen zur Seite zu stehen, um das Gesehene und Gehörte zu verarbeiten. Mit ihren Büchern liefert sie dazu ein Werkzeug. Und führt ihre Leser aus dem Schrecklichen auch wieder hinaus: Wie schön, dass wir uns darin gleichen, wie verschieden wir sind!
AMELIE PERSSON
Pernilla Stalfelt: "So bin ich und wie bist du?".
Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Klett Kinderbuch, Leipzig 2014. 40 S., geb., 12,95 [Euro]. Ab 5 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Wie verschieden wir sind, erfährt Amelie Persson mit diesem, wie sie findet, ganz wunderbaren Kinderbuch der schwedischen Museumspädagogin und Illustratorin Pernilla Stafelt. Es geht um Verscheidenheit und Toleranz und was gescheiht, wenn letztere ausbleibt. Dass die Autorin auch vor den Themen Mord, Folter und Misshandlung nicht zurückschreckt, die Dinge beim Namen nennt und lieber die jungen Leser mit viel Einfühlungsvermögen und Ruhe an die Hand nimmt und sie bei der Erkundung dieser schwierigen Themen zu begleiten, als sie zu verschweigen, rechnet die Rezensentin ihr hoch an. Schaubilder, so Persson, helfen dem Leser, Denkmuster und die Entstehung von Vorurteilen zu verstehen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»So bunt und quirlig wie das Leben« Kilifü, 2014/15