'Erstmals nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik meldet sich Peter Struck ausführlich zu Wort. Dabei lässt der ehemalige SPD-Fraktionsvorsitzende und Verteidigungsminister nicht nur die zurückliegenden Jahre Revue passieren, sondern kommentiert auch in gewohnt sympathischer Offenheit die innen-, außen- und parteipolitischen Entwicklungen der Gegenwart.
Als Peter Struck im Herbst 2009 nach knapp dreißig Jahren als Abgeordneter den Bundestag verließ, verlor die politische Landschaft der Bundesrepublik eine ihrer markantesten Figuren. Denn Struck ist einer der letzten seiner Art: Er verkörpert den Politiker, der sagt, was er denkt, und tut, was er sagt. Nach wie vor bereit, seine Standpunkte streitbar zu vertreten, bewertet er in seinem Buch das erste Jahrzehnt der Berliner Republik - darunter die Nachwirkungen der Ära Rot-Grün, das folgenschwere Zerwürfnis zwischen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, die neudefinierte Sicherheitspolitik nach dem 11. September, die Agenda 2010 und auch die Große Koalition, deren Probleme sich durch die Finanzkrise noch verstärkten. Kritisch analysiert er den Start von Schwarz-Gelb, aber auch den heutigen Zustand der SPD. Und er erzählt davon, wie er sich nach schweren gesundheitlichen Rückschlägen wieder ins Leben zurückkämpfte und wie Politik wirklich funktioniert: von Freundschaften und Rivalitäten, Kompromissen und Prinzipien, von Mehrheitsfindungen im Fraktionssaal - oder auch im Hinterzimmer. Ein sehr persönliches Buch, das einen ungeschminkten Blick wirft hinter die Kulissen bundesrepublikanischer Macht.
Als Peter Struck im Herbst 2009 nach knapp dreißig Jahren als Abgeordneter den Bundestag verließ, verlor die politische Landschaft der Bundesrepublik eine ihrer markantesten Figuren. Denn Struck ist einer der letzten seiner Art: Er verkörpert den Politiker, der sagt, was er denkt, und tut, was er sagt. Nach wie vor bereit, seine Standpunkte streitbar zu vertreten, bewertet er in seinem Buch das erste Jahrzehnt der Berliner Republik - darunter die Nachwirkungen der Ära Rot-Grün, das folgenschwere Zerwürfnis zwischen Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine, die neudefinierte Sicherheitspolitik nach dem 11. September, die Agenda 2010 und auch die Große Koalition, deren Probleme sich durch die Finanzkrise noch verstärkten. Kritisch analysiert er den Start von Schwarz-Gelb, aber auch den heutigen Zustand der SPD. Und er erzählt davon, wie er sich nach schweren gesundheitlichen Rückschlägen wieder ins Leben zurückkämpfte und wie Politik wirklich funktioniert: von Freundschaften und Rivalitäten, Kompromissen und Prinzipien, von Mehrheitsfindungen im Fraktionssaal - oder auch im Hinterzimmer. Ein sehr persönliches Buch, das einen ungeschminkten Blick wirft hinter die Kulissen bundesrepublikanischer Macht.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2010Vom Lebemann zur Chefpilotin
Peter Struck blickt auf elf Jahre SPD in der Regierungsverantwortung zurück
Dieser Rückblick ist nichts für Limousinensitzer. Das macht Peter Struck deutlich: "Wer bremst, so habe ich als passionierter Motorradfahrer gelernt, hat Angst. Und Angst ist immer ein falscher Ratgeber. Politik braucht mutige Entscheidungen - keine rasanten Parforceritte, aber den Willen, sein Mäntelchen nicht in den Wind zu hängen." Keine klassischen Memoiren, gestützt auf Aktenvermerke, legt er vor, sondern einen höchst subjektiven und sehr unterhaltsamen Schnelldurchgang jener elf Jahre vom 27. September 1998 bis zum 27. September 2009, als die Sozialdemokraten in der Koalition mit den Grünen den Kanzler Schröder stellten und anschließend in der großen Koalition unter Angela Merkel die Rolle des regierungserfahrenen Juniorpartners übernahmen. Der 1943 geborene Jurist gehörte dem Bundestag von 1980 bis 2009 an. Von 1990 bis 1998 war er Parlamentarischer Geschäftsführer, danach bis Juli 2002 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Diese Funktion nahm er nochmals von November 2005 bis Ende September 2009 wahr.
Struck erinnert an die Anfänge rot-grünen Regierens als "Zeit des Lernens". Ab Herbst 1998 habe er zwischen Fraktion, Regierung und Partei vermittelt: die Fraktion auf Kanzler-Kurs einschwören und verhindern, dass Schröders Stellung von dem sich als Nebenkanzler verstehenden Parteivorsitzenden Lafontaine geschwächt würde. Dabei habe dessen stärkerer Linkskurs den Gefühlen der SPD entsprochen. "Wenig hilfreich" war Schröders Auftritt "in einem Lifestyle-Magazin als Cohiba-Raucher im teuren Brioni-Kaschmir-Mantel": der Kanzler als Lebemann. "Die Fraktion kochte vor Wut, weil ausgerechnet der Publikumsmagnet dabei war, sein Renommee zu verspielen."
Nach etwas mehr als vier Monaten warf Lafontaine am 11. März 1999 das Handtuch, meldete sich per Brief "mit dürren Worten als Finanzminister und als SPD-Parteivorsitzender ab. So mögen Diven ihren Opernintendanten wegen Unpässlichkeit absagen, eines Parteivorsitzenden war das unwürdig." Im Laufe des Buchs kommt Struck auf Lafontaine zurück, wenn er im Kapitel "Zehn nach Brandt" die Parteichefs seit 1987 Revue passieren lässt. Für Lafontaines "Weglaufen" werde er nie Verständnis aufbringen: "Aber wahrheitswidrig zu behaupten, er habe 1999 in Fraktion und Regierung gegen die Kosovo-Intervention der Bundeswehr gestritten, empfand ich nur noch als widerlich." Überhaupt fürchtet Struck, dass der SPD durch die "vielen Wechsel die Solidarität mit ihren Vorsitzenden etwas abhanden gekommen" sei.
Schon im Sommer 1999 zog Struck aus der "wahrheitswidrigen Berichterstattung" einer Boulevardzeitung unter der Schlagzeile "Schröder faltet Struck zusammen" die Konsequenz, als Fraktionsvorsitzender nicht mehr an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Einige Monate später habe der Kanzler auf einer Tagung versichert, im parlamentarischen Verfahren würde Struck schon für gewünschte Änderungen seitens der Fraktion sorgen: "Da gilt natürlich das Struck'sche Gesetz." So habe ihn Schröder zu "einem Stück Parlamentsgeschichte" gemacht. Seither gebe es in allen Fraktionen die Redewendung "Kein Gesetz ohne das Struck'sche Gesetz".
Über die Phase als 13. Bundesverteidigungsminister vom 19. Juli 2002 bis 22. November 2005 schreibt Struck, dass ihm Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan "eine große Hilfe" gewesen sei. Der im November 2009 erhobene "absurde" Vorwurf der Illoyalität müsse Schneiderhan "sehr gekränkt haben". Einerseits formulierte Struck Anfang 2003 den oft zitierten Satz: "Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." Andererseits stört ihn heute das Politiker-Gerede vom Krieg. Es könne sich aber niemand dem vernetzten Weltterrorismus entziehen, "indem er den Rückzug der Bundeswehr und Deutschlands auf die Verteidigung von Hindelang herbeisehnt".
Von besonderem Interesse ist die Schilderung der Zeit der großen Koalition, als Struck wieder an die Spitze der Fraktion trat. Mit dem CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder entwickelte sich "eine verlässliche Partnerschaft", aus der eine Freundschaft entstand, weil beide "keine Karriere mehr machen, sondern Ruhe ins Spiel bringen" wollten. Anfangs habe sich Frau Merkel als "fürsorgliche Regierungschefin" ausgegeben, "was ihr in den eigenen Reihen zu dem zunächst durchaus liebevollen Spitznamen ,Mutti' verhalf". Von ihren Regierungskünsten ist Struck nicht sehr überzeugt und zitiert einen altgedienten Fahrensmann im publizistischen Geschäft: "Frau Merkel ist eine gute Pilotin, der man sich bedenkenlos anvertrauen kann, wenn einem gleich ist, wo die Reise hingeht." Dieses Bild gefällt ihm so gut, dass er mehrfach von der "Chefpilotin des Landes" spricht, der als "Schönwetterfliegerin" die Erfolge der großen Koalition zugeschrieben wurden, die laut Struck doch eigentlich die SPD im Maschinenraum zustande brachte. Was wird Kauder an diesem Freitag im Haus der Bundespressekonferenz wohl dazu sagen, wenn er das Buch seines Freundes vorstellt?
RAINER BLASIUS
Peter Struck: So läuft das. Politik mit Ecken und Kanten. Propyläen Verlag, Berlin 2010. 311 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Struck blickt auf elf Jahre SPD in der Regierungsverantwortung zurück
Dieser Rückblick ist nichts für Limousinensitzer. Das macht Peter Struck deutlich: "Wer bremst, so habe ich als passionierter Motorradfahrer gelernt, hat Angst. Und Angst ist immer ein falscher Ratgeber. Politik braucht mutige Entscheidungen - keine rasanten Parforceritte, aber den Willen, sein Mäntelchen nicht in den Wind zu hängen." Keine klassischen Memoiren, gestützt auf Aktenvermerke, legt er vor, sondern einen höchst subjektiven und sehr unterhaltsamen Schnelldurchgang jener elf Jahre vom 27. September 1998 bis zum 27. September 2009, als die Sozialdemokraten in der Koalition mit den Grünen den Kanzler Schröder stellten und anschließend in der großen Koalition unter Angela Merkel die Rolle des regierungserfahrenen Juniorpartners übernahmen. Der 1943 geborene Jurist gehörte dem Bundestag von 1980 bis 2009 an. Von 1990 bis 1998 war er Parlamentarischer Geschäftsführer, danach bis Juli 2002 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Diese Funktion nahm er nochmals von November 2005 bis Ende September 2009 wahr.
Struck erinnert an die Anfänge rot-grünen Regierens als "Zeit des Lernens". Ab Herbst 1998 habe er zwischen Fraktion, Regierung und Partei vermittelt: die Fraktion auf Kanzler-Kurs einschwören und verhindern, dass Schröders Stellung von dem sich als Nebenkanzler verstehenden Parteivorsitzenden Lafontaine geschwächt würde. Dabei habe dessen stärkerer Linkskurs den Gefühlen der SPD entsprochen. "Wenig hilfreich" war Schröders Auftritt "in einem Lifestyle-Magazin als Cohiba-Raucher im teuren Brioni-Kaschmir-Mantel": der Kanzler als Lebemann. "Die Fraktion kochte vor Wut, weil ausgerechnet der Publikumsmagnet dabei war, sein Renommee zu verspielen."
Nach etwas mehr als vier Monaten warf Lafontaine am 11. März 1999 das Handtuch, meldete sich per Brief "mit dürren Worten als Finanzminister und als SPD-Parteivorsitzender ab. So mögen Diven ihren Opernintendanten wegen Unpässlichkeit absagen, eines Parteivorsitzenden war das unwürdig." Im Laufe des Buchs kommt Struck auf Lafontaine zurück, wenn er im Kapitel "Zehn nach Brandt" die Parteichefs seit 1987 Revue passieren lässt. Für Lafontaines "Weglaufen" werde er nie Verständnis aufbringen: "Aber wahrheitswidrig zu behaupten, er habe 1999 in Fraktion und Regierung gegen die Kosovo-Intervention der Bundeswehr gestritten, empfand ich nur noch als widerlich." Überhaupt fürchtet Struck, dass der SPD durch die "vielen Wechsel die Solidarität mit ihren Vorsitzenden etwas abhanden gekommen" sei.
Schon im Sommer 1999 zog Struck aus der "wahrheitswidrigen Berichterstattung" einer Boulevardzeitung unter der Schlagzeile "Schröder faltet Struck zusammen" die Konsequenz, als Fraktionsvorsitzender nicht mehr an Kabinettssitzungen teilzunehmen. Einige Monate später habe der Kanzler auf einer Tagung versichert, im parlamentarischen Verfahren würde Struck schon für gewünschte Änderungen seitens der Fraktion sorgen: "Da gilt natürlich das Struck'sche Gesetz." So habe ihn Schröder zu "einem Stück Parlamentsgeschichte" gemacht. Seither gebe es in allen Fraktionen die Redewendung "Kein Gesetz ohne das Struck'sche Gesetz".
Über die Phase als 13. Bundesverteidigungsminister vom 19. Juli 2002 bis 22. November 2005 schreibt Struck, dass ihm Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan "eine große Hilfe" gewesen sei. Der im November 2009 erhobene "absurde" Vorwurf der Illoyalität müsse Schneiderhan "sehr gekränkt haben". Einerseits formulierte Struck Anfang 2003 den oft zitierten Satz: "Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt." Andererseits stört ihn heute das Politiker-Gerede vom Krieg. Es könne sich aber niemand dem vernetzten Weltterrorismus entziehen, "indem er den Rückzug der Bundeswehr und Deutschlands auf die Verteidigung von Hindelang herbeisehnt".
Von besonderem Interesse ist die Schilderung der Zeit der großen Koalition, als Struck wieder an die Spitze der Fraktion trat. Mit dem CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder entwickelte sich "eine verlässliche Partnerschaft", aus der eine Freundschaft entstand, weil beide "keine Karriere mehr machen, sondern Ruhe ins Spiel bringen" wollten. Anfangs habe sich Frau Merkel als "fürsorgliche Regierungschefin" ausgegeben, "was ihr in den eigenen Reihen zu dem zunächst durchaus liebevollen Spitznamen ,Mutti' verhalf". Von ihren Regierungskünsten ist Struck nicht sehr überzeugt und zitiert einen altgedienten Fahrensmann im publizistischen Geschäft: "Frau Merkel ist eine gute Pilotin, der man sich bedenkenlos anvertrauen kann, wenn einem gleich ist, wo die Reise hingeht." Dieses Bild gefällt ihm so gut, dass er mehrfach von der "Chefpilotin des Landes" spricht, der als "Schönwetterfliegerin" die Erfolge der großen Koalition zugeschrieben wurden, die laut Struck doch eigentlich die SPD im Maschinenraum zustande brachte. Was wird Kauder an diesem Freitag im Haus der Bundespressekonferenz wohl dazu sagen, wenn er das Buch seines Freundes vorstellt?
RAINER BLASIUS
Peter Struck: So läuft das. Politik mit Ecken und Kanten. Propyläen Verlag, Berlin 2010. 311 S., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zufrieden zeigt sich Rezensent Karlheinz Niclauß, in Bonn lehrender Politologe, mit Peter Strucks Erinnerungen. Den ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden und Verteidigungsminister kennt er als einen Politiker, der die "direkte Ansprache" schätzt, eine Eigenschaft, die Struck auch als Autor an den Tag lege, wenn er etwa Kritik, aber auch Selbstkritik übe. Das Buch bietet nach Ansicht von Niclauß eine Reihe von bislang kaum bekannten interessanten Details. Struck verstehe sich vor allem als "Chronist der politischen Ereignisse", wie er sie wahrgenommen habe. Einige seiner Urteile scheinen den Rezensenten durchaus zu Widerspruch herauszufordern. Insgesamt attestiert er ihm, "neue Einblicke in den Berliner Politikbetrieb" zu geben und die "Vorgeschichte" bestimmter politischer Probleme "klar und verlässlich" zu schildern.
© Perlentaucher Medien GmbH
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