Montreal, wo er 1934 geboren wurde, sei der einzige Ort, an dem er sich je zu Hause gefühlt habe. Leonard Cohens Eltern sind gläubige Juden, und er selbst wird zeit seines Lebens ein spirituell Suchender sein. Und dann sind da noch die Frauen: Gitarre lernt er angeblich nur deshalb spielen, weil er ein Mädchen für sich gewinnen will. Zunächst aber zieht es ihn nicht zur Musik, sondern zur Literatur. Schon mit dreizehn lernt er die Gedichte García Lorcas auswendig. Und Cohen schreibt selbst: Gedichte und Romane. Kaum jemand kann sich da vorstellen, dass er als Sänger reüssieren wird - mit dieser Stimme. Trotzdem versucht sich Cohen bald als Musiker, zunächst aus finanziellen Gründen. Auf dem Newport Folk Festival 1976, wo er Joni Mitchell zum ersten Mal begegnet, erlebt er seinen Durchbruch. In diesen Gesprächen erzählt Cohen eindringlich und mit Nonchalance von hellen und dunklen Zeiten, Begegnungen mit Jimi Hendrix und Janis Joplin im New Yorker Greenwich Village der späten sechziger Jahre, seinem Absturz in den siebziger Jahren, Depressionen, vielen Liebschaften, den Jahren im Zen-Kloster und natürlich von seinen großen Songs.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.2021Sing's mit der Bibel
Leonard Cohen war ein auratischer Musiker. Er wusste, dass er kein guter Sänger war, und kreierte doch zuverlässig eine unverkennbare Cohen-Stimmung: finster, feierlich, lethargisch, manchmal von stechender Schönheit, manchmal von ermüdendem Prophetengestus. Biblische Metaphern, erklärte der 2016 verstorbene Kanadier, seien eben "ausgesprochen nahrhaft". 1934 in Montreal in eine "konservative jüdische Familie, ohne Fanatismus, ohne Ideologie" hineingeboren, hatte er zunächst kein intimes Verhältnis zum Sakralen. Zwischendurch sogar Kurzzeit-Scientologe, ließ Cohen sich später zum Zen-Mönch ordinieren und war zugleich praktizierender Jude.
Auratisch, eher unsystematisch, verstand Cohen auch die Politik. Er wisse schon, sagte er 1991, "dass die Welt ein Schlachthaus ist", wählen gehe er aber nur "ab und zu". Mit dem Konzept Hoffnung könne er nicht viel anfangen. In Bezug auf Identitätspolitik erklärt der Autor von "I'm Your Man" und "Death of a Ladies' Man", es sei ihm wichtig, sich als Mann zu "erleben", aber ebenso wichtig, sich weder als Mann noch als Frau zu begreifen.
Man erfährt in dem vorliegenden Band viel über Cohens Poetik, etwa über den Einsatz textlicher Details ("She feeds you tea and oranges that come all the way from China", heißt es nicht versehentlich in "Suzanne"). Songs seien "aus Hölzern und Steinen zusammengekleistert. (...) Da werden keine Kathedralen gebaut, sondern bescheidene Unterschlüpfe." Und man stolpert über eine Formulierung, die Cohens poetisches Temperament auf den Punkt bringt: "prächtige Agonien". Von einem "Leben in Gesprächen" kann angesichts der Konzentration auf die neunziger Jahre zwar keine Rede sein, thematisch und werkbiographisch sind die sechs einzeln bereits anderswo erschienenen Interviews allerdings breit gefächert und ergiebig. Einmal zitiert Cohen aus seinem Lied "Tower of Song": "You'll be hearing from me, baby, long after I'm gone." Nicht nur dieses Buch beweist es.
codi.
Leonard Cohen: "So long". Ein Leben in Gesprächen.
Aus dem Französischen und Englischen von Thomas Bodmer und Cornelius Reiber. Kampa Verlag, Zürich 2020. 192 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Leonard Cohen war ein auratischer Musiker. Er wusste, dass er kein guter Sänger war, und kreierte doch zuverlässig eine unverkennbare Cohen-Stimmung: finster, feierlich, lethargisch, manchmal von stechender Schönheit, manchmal von ermüdendem Prophetengestus. Biblische Metaphern, erklärte der 2016 verstorbene Kanadier, seien eben "ausgesprochen nahrhaft". 1934 in Montreal in eine "konservative jüdische Familie, ohne Fanatismus, ohne Ideologie" hineingeboren, hatte er zunächst kein intimes Verhältnis zum Sakralen. Zwischendurch sogar Kurzzeit-Scientologe, ließ Cohen sich später zum Zen-Mönch ordinieren und war zugleich praktizierender Jude.
Auratisch, eher unsystematisch, verstand Cohen auch die Politik. Er wisse schon, sagte er 1991, "dass die Welt ein Schlachthaus ist", wählen gehe er aber nur "ab und zu". Mit dem Konzept Hoffnung könne er nicht viel anfangen. In Bezug auf Identitätspolitik erklärt der Autor von "I'm Your Man" und "Death of a Ladies' Man", es sei ihm wichtig, sich als Mann zu "erleben", aber ebenso wichtig, sich weder als Mann noch als Frau zu begreifen.
Man erfährt in dem vorliegenden Band viel über Cohens Poetik, etwa über den Einsatz textlicher Details ("She feeds you tea and oranges that come all the way from China", heißt es nicht versehentlich in "Suzanne"). Songs seien "aus Hölzern und Steinen zusammengekleistert. (...) Da werden keine Kathedralen gebaut, sondern bescheidene Unterschlüpfe." Und man stolpert über eine Formulierung, die Cohens poetisches Temperament auf den Punkt bringt: "prächtige Agonien". Von einem "Leben in Gesprächen" kann angesichts der Konzentration auf die neunziger Jahre zwar keine Rede sein, thematisch und werkbiographisch sind die sechs einzeln bereits anderswo erschienenen Interviews allerdings breit gefächert und ergiebig. Einmal zitiert Cohen aus seinem Lied "Tower of Song": "You'll be hearing from me, baby, long after I'm gone." Nicht nur dieses Buch beweist es.
codi.
Leonard Cohen: "So long". Ein Leben in Gesprächen.
Aus dem Französischen und Englischen von Thomas Bodmer und Cornelius Reiber. Kampa Verlag, Zürich 2020. 192 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»In diesen Gesprächen erzählt Cohen eindringlich und mit Nonchalance von hellen und dunklen Zeiten, Begegnungen mit Jimi Hendrix und Janis Joplin im New Yorker Greenwich Village der späten sechziger Jahre, seinem Absturz in den siebziger Jahren, Depressionen, vielen Liebschaften, den Jahren im Zen-Kloster und natürlich von seinen großen Songs.« Roman Steiner / Sindelfinger/Böblinger Zeitung