Als Einzelgängerin hält sie sich aus allem raus - bis Lumikki die tropfnassen Geldscheine auf einer Wäscheleine entdeckt und in eine gefährliche Geschichte hineingezogen wird. Was für ihre Mitschüler als dummer Streich begann, entwickelt sich schnell zu einer Hetzjagd auf Leben und Tod. Die 17-Jährige muss sich im gnadenlosen Drogengeschäft zurechtfinden, in dem nur eine Währung zählt: Blut. Wem kann sie noch trauen?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.11.2014Schneewittchen heute
Die finnische Jugendbuchautorin Salla Simukka hat in der furchtlosen Lumikki
eine Heldin geschaffen, die als Lisbeth Salanders kleine Schwester durchgehen könnte
VON ANTJE WEBER
Schneewittchen trägt blaue Igelpuschen. Sie brüht sich morgens einen starken Kaffee auf und schlüpft in Jeans und Wollpulli. Schneewittchen ist nicht die Schönste im ganzen Land, doch das ist ihr ziemlich egal. Schneewittchen kann in der Schule die Ophelia so spielen, dass die Lehrer weinen. Sie isst stets alleine, sieht aber nicht einsam aus. Schneewittchen ist nicht wie die anderen. Also genau wie die anderen.
Lumikki heißt Schneewittchen, auf Finnisch. Die Siebzehnjährige ist nicht gerade begeistert von der Namenswahl ihrer Eltern, aber zu denen hat sie sowieso keinen guten Draht. Deshalb ist sie froh, dass sie allein in der Großstadt Tampere wohnen darf, um dort auf die Oberstufe zu gehen. Ihr Leben funktioniert jedenfalls nicht wie ein Märchen, auch wenn die junge finnische Autorin Salla Simukka in So rot wie Blut , dem ersten Teil einer in viele Länder verkauften Erfolgstrilogie, immer wieder auf die Grimm’sche Vorlage Bezug nimmt. Lumikkis Leben ist vielmehr spannend wie ein Krimi, und sie spielt darin die Rolle der mutigen Aufklärerin. Selbst durch schlimme Erlebnisse in der Kindheit traumatisiert, kämpft sie nun furchtlos gegen das Böse: Was dich nicht umbringt, macht dich schließlich nur härter.
Wer nun an Stieg Larssons so starke wie verletzliche Heldin Lisbeth Salander denkt, liegt nicht ganz falsch. Die clevere Lumikki, die bei Verfolgungsjagden gestandene Kriminelle abhängt und problemlos fremde Computer hackt, könnte tatsächlich als Salanders kleine Schwester durchgehen. Und man wünscht ihr einen ähnlichen Erfolg: Denn die intelligente und tapfere Heldin eignet sich gut als Identifikationsfigur für Jugendliche, die sich ja oft als Außenseiter fühlen, unverstanden von der Welt. An der Seite von Lumikki können sie eine Weile aus dem Alltag flüchten, hinein in eine rasante Geschichte: Ausgangspunkt ist eine Tüte voller blutbesudelter Geldscheine; sie ist in die Hände von Lumikkis Schulkameradin Elisa und deren Kumpel geraten, sollte aber eigentlich von der Drogenmafia an Elisas Vater weitergereicht werden, der ausgerechnet als Polizist in dunkle Geschäfte verstrickt ist.
Dass die daraus folgende Handlung einigermaßen hanebüchen ist, steckt man als Leser locker weg. Denn an diesem Jugendbuch besticht die Fähigkeit der Autorin, sowohl Atmosphäre erzeugen zu können als auch pointierte Dialoge hinzuwerfen. Vor allem aber hat sie ein gutes Gespür für die Zeichnung ihrer Figuren: Selbst die Verbrecher sind nicht nur schwarz gemalt, sondern in Grautönen schraffiert. Und die Figuren dürfen sich entwickeln: Insbesondere Elisa, von Lumikki zunächst als verwöhnte Tussi wahrgenommen, macht einen erstaunlichen Reifeprozess durch. Schneewittchen hat am Ende also eine Freundin, und sie kann mächtig stolz auf sich sein: Schließlich hat sie es bei einer gefährlichen Recherche sogar geschafft, sich aus einem Tiefkühltruhen-Sarg zu befreien. Fast wie im Märchen. (ab 14 Jahre)
Salla Simukka : So rot wie Blut. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. Arena 2014, 277 Seiten, 14,99 Euro.
Hand folglich schon über meiner rechten Niere lag, habe ich meine Mammut kein Zehntelsekündchen später als Nicole die ihre im Anschlag.
„Waffe runter!“ hören die Mikros uns gleichzeitig brüllen. Ach, die junge Kollegin und ich, wir wissen gleich gut, wie fix die Bienen Audiodaten verrechnen und wofür sie uns beide jetzt sicherheitshalber halten müssen. Was soll’s! Sollen sie doch! Wir sind keine Imker. Wir sind alte Schule. Nicole und ich sind Personenschützer. Wie tausendmal eingeübt übernimmt jeder die jeweils waffennahe Seite und schwenkt die Mammut nach oben. Vier Außenbienen für mich. Vier Binnenbienchen für Nicole. Die Kanzlerin hat sich flach auf den Boden geworfen. Beide Hände schützen den Hinterkopf exakt so, wie sie es damals, vor Urzeiten, von meinem einstigen Chef – bei allem Respekt! – kreuzbrav hat lernen müssen. Keine Angst, Frau Kanzlerin! Keine Sorge, Frau Königin! Ja, das kracht. Aber es wird bloß kleine und kleinste Splittterlein regnen. Die Imker hören es. Verspätet sind sie ganz Ohr. Und zugleich dürfen sie sehen, wie auf acht Bildschirmen der Schein ihrer Welt, das Bienenlicht, im Brüllen der Mammuts erlischt.
Georg Klein, geboren 1953 in Augsburg, lebt als Schriftsteller im ostfriesischen Bunde. Seine erste Buchveröffentlichung war 1998 der Agentenroman „Libidissi“. 2010 erhielt Georg Klein den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik für sein Buch „Roman unserer Kindheit“. Zuletzt ist von ihm der Roman „Die Zukunft des Mars“ (2013) im Rowohlt Verlag erschienen. Die Geschichte „Im Bienenlicht“ hat er exklusiv für diese erste Ausgabe der Krimi-Seiten der Süddeutschen Zeitung geschrieben.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Die finnische Jugendbuchautorin Salla Simukka hat in der furchtlosen Lumikki
eine Heldin geschaffen, die als Lisbeth Salanders kleine Schwester durchgehen könnte
VON ANTJE WEBER
Schneewittchen trägt blaue Igelpuschen. Sie brüht sich morgens einen starken Kaffee auf und schlüpft in Jeans und Wollpulli. Schneewittchen ist nicht die Schönste im ganzen Land, doch das ist ihr ziemlich egal. Schneewittchen kann in der Schule die Ophelia so spielen, dass die Lehrer weinen. Sie isst stets alleine, sieht aber nicht einsam aus. Schneewittchen ist nicht wie die anderen. Also genau wie die anderen.
Lumikki heißt Schneewittchen, auf Finnisch. Die Siebzehnjährige ist nicht gerade begeistert von der Namenswahl ihrer Eltern, aber zu denen hat sie sowieso keinen guten Draht. Deshalb ist sie froh, dass sie allein in der Großstadt Tampere wohnen darf, um dort auf die Oberstufe zu gehen. Ihr Leben funktioniert jedenfalls nicht wie ein Märchen, auch wenn die junge finnische Autorin Salla Simukka in So rot wie Blut , dem ersten Teil einer in viele Länder verkauften Erfolgstrilogie, immer wieder auf die Grimm’sche Vorlage Bezug nimmt. Lumikkis Leben ist vielmehr spannend wie ein Krimi, und sie spielt darin die Rolle der mutigen Aufklärerin. Selbst durch schlimme Erlebnisse in der Kindheit traumatisiert, kämpft sie nun furchtlos gegen das Böse: Was dich nicht umbringt, macht dich schließlich nur härter.
Wer nun an Stieg Larssons so starke wie verletzliche Heldin Lisbeth Salander denkt, liegt nicht ganz falsch. Die clevere Lumikki, die bei Verfolgungsjagden gestandene Kriminelle abhängt und problemlos fremde Computer hackt, könnte tatsächlich als Salanders kleine Schwester durchgehen. Und man wünscht ihr einen ähnlichen Erfolg: Denn die intelligente und tapfere Heldin eignet sich gut als Identifikationsfigur für Jugendliche, die sich ja oft als Außenseiter fühlen, unverstanden von der Welt. An der Seite von Lumikki können sie eine Weile aus dem Alltag flüchten, hinein in eine rasante Geschichte: Ausgangspunkt ist eine Tüte voller blutbesudelter Geldscheine; sie ist in die Hände von Lumikkis Schulkameradin Elisa und deren Kumpel geraten, sollte aber eigentlich von der Drogenmafia an Elisas Vater weitergereicht werden, der ausgerechnet als Polizist in dunkle Geschäfte verstrickt ist.
Dass die daraus folgende Handlung einigermaßen hanebüchen ist, steckt man als Leser locker weg. Denn an diesem Jugendbuch besticht die Fähigkeit der Autorin, sowohl Atmosphäre erzeugen zu können als auch pointierte Dialoge hinzuwerfen. Vor allem aber hat sie ein gutes Gespür für die Zeichnung ihrer Figuren: Selbst die Verbrecher sind nicht nur schwarz gemalt, sondern in Grautönen schraffiert. Und die Figuren dürfen sich entwickeln: Insbesondere Elisa, von Lumikki zunächst als verwöhnte Tussi wahrgenommen, macht einen erstaunlichen Reifeprozess durch. Schneewittchen hat am Ende also eine Freundin, und sie kann mächtig stolz auf sich sein: Schließlich hat sie es bei einer gefährlichen Recherche sogar geschafft, sich aus einem Tiefkühltruhen-Sarg zu befreien. Fast wie im Märchen. (ab 14 Jahre)
Salla Simukka : So rot wie Blut. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. Arena 2014, 277 Seiten, 14,99 Euro.
Hand folglich schon über meiner rechten Niere lag, habe ich meine Mammut kein Zehntelsekündchen später als Nicole die ihre im Anschlag.
„Waffe runter!“ hören die Mikros uns gleichzeitig brüllen. Ach, die junge Kollegin und ich, wir wissen gleich gut, wie fix die Bienen Audiodaten verrechnen und wofür sie uns beide jetzt sicherheitshalber halten müssen. Was soll’s! Sollen sie doch! Wir sind keine Imker. Wir sind alte Schule. Nicole und ich sind Personenschützer. Wie tausendmal eingeübt übernimmt jeder die jeweils waffennahe Seite und schwenkt die Mammut nach oben. Vier Außenbienen für mich. Vier Binnenbienchen für Nicole. Die Kanzlerin hat sich flach auf den Boden geworfen. Beide Hände schützen den Hinterkopf exakt so, wie sie es damals, vor Urzeiten, von meinem einstigen Chef – bei allem Respekt! – kreuzbrav hat lernen müssen. Keine Angst, Frau Kanzlerin! Keine Sorge, Frau Königin! Ja, das kracht. Aber es wird bloß kleine und kleinste Splittterlein regnen. Die Imker hören es. Verspätet sind sie ganz Ohr. Und zugleich dürfen sie sehen, wie auf acht Bildschirmen der Schein ihrer Welt, das Bienenlicht, im Brüllen der Mammuts erlischt.
Georg Klein, geboren 1953 in Augsburg, lebt als Schriftsteller im ostfriesischen Bunde. Seine erste Buchveröffentlichung war 1998 der Agentenroman „Libidissi“. 2010 erhielt Georg Klein den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik für sein Buch „Roman unserer Kindheit“. Zuletzt ist von ihm der Roman „Die Zukunft des Mars“ (2013) im Rowohlt Verlag erschienen. Die Geschichte „Im Bienenlicht“ hat er exklusiv für diese erste Ausgabe der Krimi-Seiten der Süddeutschen Zeitung geschrieben.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Die Heldin in Salla Simukkas "So rot wie Blut" heißt Lumikki, zu Deutsch Schneewittchen, aber sie erinnert Antje Weber trotz diverser Anspielungen auf das Märchen eher an eine jüngere Variante von Stieg Larssons berühmter Lisbeth Salander. Traumatische Ereignisse in ihrer Kindheit haben Lumikki hart gemacht und sie mit einer eigenwilligen Außenseiter-Mentalität ausgestattet, sie hackt sich spielend in sämtliche Computersysteme und löst eigenmächtig Kriminalfälle, fasst die Rezensentin zusammen. Im ersten Band der Trilogie gilt es, das Geheimnis hinter einer Tüte voller blutbesudelter Geldscheine zu lüften, die einige Schulkameraden Lumikkis in die Finger bekommen haben, und die junge Ermittlerin bekommt es schnell mit einem korrupten Polizisten und dessen mafiösen Kontakten zu tun, verrät Weber.
© Perlentaucher Medien GmbH
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