""Ein sehr lesenswertes Buch" gibt mit leichter Beklommenheit Rezensent Ernst Osterkamp zu Protokoll, das aus seiner Sicht nicht nur einen Familienroman, sondern auch die Geschichte der Juden im 20. Jahrhundert erzählt. Denn einerseits hat er Bedenken gegen die starke Konzentration des Romans auf die Vaterfigur, zu deren Gunsten der Blick auf die Erzählerin selbst, ihre Gefühle, deutlich zurückzustehen haben. Andererseits sieht er in dieser Erzählökonomie das Dilemma der Erzählerin widergespiegelt, dass vor dem überwältigenden Schicksal ihres Auschwitz überlebenden Vaters jede normale Biografie, jedes Gefühl und jede andere Erfahrung zur Banalität verurteilt ist. Am Ende seiner Überlegungen akzeptiert er die erzählerische
Konsequenz, die das für Gila Lustigers Familienroman hat, und zieht die Linien einer Geschichte nach, in der es für den Vater stets nur darum gegangen sei, seine Kinder vor jenem "ausgemergelten Jungen im KZ" zu schützen, der er selbst einst gewesen ist. Wie die Tochter versucht, jene unausgesprochene Gefühle in der Geschichte ihrer Familie aufzuspüren und sie in kleinen Manien, seltsamen Erinnerungsobjekten oder Fotografien entdeckt. Man spürt, wie der Rezensent beim Lesen die schmerzvolle Erfahrung der Tochter des Frankfurter Historikers Arno Lustiger ("das Buch will in jeder Zeile, dass der Leser ihn erkennt") nachzuvollziehen lernt, die mit ihrer Geschichte gegen die Überlebensgeschichte des Vaters anzuschreiben versucht, und er so aus Eindrücken, Begegnungen und Sehnsüchten jene Episodenfülle emporwachsen sieht, aus der sich für ihn ein großes Erinnerungsbild formt.
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