Ein Mann begegnet in Kairo scheinbar zufallig einem alten Freund, dem Amerikaner Simon Syros. Drei Jahre sind seit den Protesten auf dem Tahrir-Platz vergangen und dreizehn seit ihrer letzten Begegnung. Damals verschwand Simon spurlos aus einer Bar. Jetzt erzahlt ihm der wiedergefundene Freund die Geschichte seiner großen Liebe zu Soad, einer berühmten agyptischen Schauspielerin und Sangerin, mit der er in London bis zu ihrem Tod zusammenlebte, seiner gefahrlichen Freundschaft zum Geheimdienstoffizier Sherif und seines Versuchs, Soad aus den Fangen des Militars zu retten.Elf vollgeschriebene Hefte hat seine Geliebte zurückgelassen, als sie aus dem sechsten Stock ihres Wohnhauses in London in den Tod gestürzt war. War es der agyptische Geheimdienst, war es Soads Depression? Hartnackig hielt sich das Gerücht, sie habe ihre Memoiren geschrieben, in denen sie mit der Rolle des Militars, das ihr Leben gesteuert und zerstort hat, abrechnet. Simon übergibt dem Erzahler die elf Hefte, und es wird klar, warum er nach Kairo zurückgekehrt ist: Er will Rache nehmen.Najem Wali hat Figuren wie die Sangerin Soad oder die des Geheimdienstoffiziers Sherif, der sie seit ihrer Kindheit für seine Machenschaften erpresst, nach realen Vorbildern gezeichnet. Er entfaltet ein facettenreiches Bild des agyptischen Militars, das seit 70 Jahren das Land mit aller Harte regiert, und er entlarvt dabei die machtpolitischen Herrschaftsmechanismen. Die Grenze zwischen Gut und Bose verschwimmt in diesem Roman, denn wo Willkür und Lüge herrschen, ist es schwer, zwischen Henker und Opfer zu unterscheiden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2021Ausgenutzter Gesangsstar
Najem Wali erzählt von Soad Hosny
Um den Tod von Soad Hosny ranken sich seit Jahren allerlei Geschichten. Die ägyptische Schauspielerin und Sängerin, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in ihrer Heimat ein Star in Funk und Fernsehen wurde, starb 2001 in London, wo sie vom Balkon des Appartements einer Freundin stürzte. Wie genau sie über die Brüstung fallen konnte, vermochte niemand zu sagen. Und als dann das Gerücht die Runde machte, sie sei gerade dabei gewesen, ihre Memoiren zu schreiben, gerieten schnell die ägyptischen Machthaber in Verdacht, Soad Hosny auf dem Gewissen zu haben. Weil sich dieser Verdacht nie erhärten ließ, bietet das Leben der Künstlerin bis heute Stoff für (Alb-)Träume und Fantasien.
Eine von ihnen hat nun der aus dem Irak stammende und seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Schriftsteller Najem Wali zu Papier gebracht. "Soad und das Militär" heißt sein neuer Roman, der vor einem knappen Jahr in arabischer Sprache erschien und jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Er verwebt Fakten und Fiktionen und präsentiert Soad als aus ärmlichen Verhältnissen stammende Frau, die noch ein Kind war, als sie zunächst von dem damals noch regierenden König auserkoren wurde, zum Star zu werden. Sie bekam schöne Kleider und einen Chauffeur, der sie etwa nach Port Said fuhr, wo sie den Abzug der französischen und britischen Truppen aus der Stadt besang, ohne die historische Dimension der Feier auch nur annähernd einschätzen zu können. Die völlige Ahnungs- und auch Arglosigkeit vor allem gegenüber Offizier Scharif, der ihre Karriere in seine Hände nimmt, prägt ihr Leben im Roman bis zum Ende. Bei Wali ist Soad Hosny eine Frau, die, obgleich sie stets Spielzeug des Geheimdienstes war, nie verstanden hat, wie dieser eigentlich funktioniert.
Genau das zu erklären ist das Anliegen des Buches. Wali versucht, multiperspektivisch zu erzählen, um die Winkelzüge geheimdienstlichen Denkens in eine literarische Form zu bringen. Wichtige Informationen hält er lange zurück. Erst nach und nach offenbart er, wie fast jedes einzelne Ereignis im Leben der Schauspielerin letztlich das Ergebnis eines Plans war, mit dem Scharif sie in seiner Abhängigkeit halten wollte. In abwechselnden Kapiteln ergreift mal ein Icherzähler das Wort, der in Kairo zufällig seinem alten Freund Simon wiederbegegnet, dem amerikanischen Geliebten von Soad Hosny, mal soll das Geschehen aus der Perspektive von Soad selbst erzählt sein, deren Memoiren in Wirklichkeit zwar nie auftauchten, aber von Wali nun geschrieben werden. Kurioserweise verfasst er diese Memoiren allerdings in der dritten Person, was nicht nur unlogisch ist - wer schreibt schon von sich mit dieser Distanz? Er verschenkt auch die Gelegenheit, der Sängerin eine eigene Stimme zu geben.
Man wüsste gern, wie es im Inneren jenes "Furqan-Netzwerkes" zuging, zu dem im Roman neben Soad Hosny reihenweise weitere Frauen gehörten, die mit kompromittierenden Video- oder Tonbandaufnahmen erpresst und gezwungen wurden, für den ägyptischen Geheimdienst zu spionieren. Soad hatte die wichtigsten Männer der ganzen Region zu verführen, sie war eine Edelhure im Dienst des Landes. Aber was diese fünf Jahre, in denen sie dreizehnmal heiratete und fünfmal abtrieb, mit ihr machten, erfährt man kaum. Im Gegenteil vermittelt die unscharf bleibende, zuweilen auch redundante Figurenzeichnung im Buch den Eindruck, dass sie stets die Gleiche blieb - verehrt von aller Welt, ungebrochen romantisch und naiv im Umgang mit ihr. Ganz anders als ihr Gegenspieler Offizier Scharif, der als typischer Vertreter des Geheimdienstes von den Zeitläuften der ägyptischen Geschichte mal ins Gefängnis geworfen, mal an die Macht gehoben wird - worin man eine Parallele zur jüngeren Geschichte des Landes erkennen darf.
Nicht nur das erklärt, wieso das Buch von Najem Wali in Ägypten gleich nach Erscheinen auf den Index geriet. Die den Roman durchziehende Auseinandersetzung mit der Frage, wie tief ein autoritärer Staat ins Leben eines jeden Einzelnen eindringt, bis er ihre Körper, ihre Köpfe, Gedanken und Erinnerungen beherrscht, dürfte den Zensoren zu Recht ein Dorn im Auge sein. Da ist es gut zu wissen, dass sich verbotene Bücher auch in Ägypten stets besonders großer Beliebtheit erfreuen. LENA BOPP
Najem Wali: "Soad und das Militär". Roman.
Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Secession Verlag, Berlin 2021. 346 S., geb., 28,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Najem Wali erzählt von Soad Hosny
Um den Tod von Soad Hosny ranken sich seit Jahren allerlei Geschichten. Die ägyptische Schauspielerin und Sängerin, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in ihrer Heimat ein Star in Funk und Fernsehen wurde, starb 2001 in London, wo sie vom Balkon des Appartements einer Freundin stürzte. Wie genau sie über die Brüstung fallen konnte, vermochte niemand zu sagen. Und als dann das Gerücht die Runde machte, sie sei gerade dabei gewesen, ihre Memoiren zu schreiben, gerieten schnell die ägyptischen Machthaber in Verdacht, Soad Hosny auf dem Gewissen zu haben. Weil sich dieser Verdacht nie erhärten ließ, bietet das Leben der Künstlerin bis heute Stoff für (Alb-)Träume und Fantasien.
Eine von ihnen hat nun der aus dem Irak stammende und seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Schriftsteller Najem Wali zu Papier gebracht. "Soad und das Militär" heißt sein neuer Roman, der vor einem knappen Jahr in arabischer Sprache erschien und jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Er verwebt Fakten und Fiktionen und präsentiert Soad als aus ärmlichen Verhältnissen stammende Frau, die noch ein Kind war, als sie zunächst von dem damals noch regierenden König auserkoren wurde, zum Star zu werden. Sie bekam schöne Kleider und einen Chauffeur, der sie etwa nach Port Said fuhr, wo sie den Abzug der französischen und britischen Truppen aus der Stadt besang, ohne die historische Dimension der Feier auch nur annähernd einschätzen zu können. Die völlige Ahnungs- und auch Arglosigkeit vor allem gegenüber Offizier Scharif, der ihre Karriere in seine Hände nimmt, prägt ihr Leben im Roman bis zum Ende. Bei Wali ist Soad Hosny eine Frau, die, obgleich sie stets Spielzeug des Geheimdienstes war, nie verstanden hat, wie dieser eigentlich funktioniert.
Genau das zu erklären ist das Anliegen des Buches. Wali versucht, multiperspektivisch zu erzählen, um die Winkelzüge geheimdienstlichen Denkens in eine literarische Form zu bringen. Wichtige Informationen hält er lange zurück. Erst nach und nach offenbart er, wie fast jedes einzelne Ereignis im Leben der Schauspielerin letztlich das Ergebnis eines Plans war, mit dem Scharif sie in seiner Abhängigkeit halten wollte. In abwechselnden Kapiteln ergreift mal ein Icherzähler das Wort, der in Kairo zufällig seinem alten Freund Simon wiederbegegnet, dem amerikanischen Geliebten von Soad Hosny, mal soll das Geschehen aus der Perspektive von Soad selbst erzählt sein, deren Memoiren in Wirklichkeit zwar nie auftauchten, aber von Wali nun geschrieben werden. Kurioserweise verfasst er diese Memoiren allerdings in der dritten Person, was nicht nur unlogisch ist - wer schreibt schon von sich mit dieser Distanz? Er verschenkt auch die Gelegenheit, der Sängerin eine eigene Stimme zu geben.
Man wüsste gern, wie es im Inneren jenes "Furqan-Netzwerkes" zuging, zu dem im Roman neben Soad Hosny reihenweise weitere Frauen gehörten, die mit kompromittierenden Video- oder Tonbandaufnahmen erpresst und gezwungen wurden, für den ägyptischen Geheimdienst zu spionieren. Soad hatte die wichtigsten Männer der ganzen Region zu verführen, sie war eine Edelhure im Dienst des Landes. Aber was diese fünf Jahre, in denen sie dreizehnmal heiratete und fünfmal abtrieb, mit ihr machten, erfährt man kaum. Im Gegenteil vermittelt die unscharf bleibende, zuweilen auch redundante Figurenzeichnung im Buch den Eindruck, dass sie stets die Gleiche blieb - verehrt von aller Welt, ungebrochen romantisch und naiv im Umgang mit ihr. Ganz anders als ihr Gegenspieler Offizier Scharif, der als typischer Vertreter des Geheimdienstes von den Zeitläuften der ägyptischen Geschichte mal ins Gefängnis geworfen, mal an die Macht gehoben wird - worin man eine Parallele zur jüngeren Geschichte des Landes erkennen darf.
Nicht nur das erklärt, wieso das Buch von Najem Wali in Ägypten gleich nach Erscheinen auf den Index geriet. Die den Roman durchziehende Auseinandersetzung mit der Frage, wie tief ein autoritärer Staat ins Leben eines jeden Einzelnen eindringt, bis er ihre Körper, ihre Köpfe, Gedanken und Erinnerungen beherrscht, dürfte den Zensoren zu Recht ein Dorn im Auge sein. Da ist es gut zu wissen, dass sich verbotene Bücher auch in Ägypten stets besonders großer Beliebtheit erfreuen. LENA BOPP
Najem Wali: "Soad und das Militär". Roman.
Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Secession Verlag, Berlin 2021. 346 S., geb., 28,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie man in einem autoritär geführten Staat kritisch schreibt, zeigt Najem Wali mit seinem Roman "Soad": Der Schlüssel, erklärt Rezensent Moritz Baumstieger, liegt in der Verschlüsselung der Realität durch die Fiktion. "Faktion" nennt Wali selbst die komplizierte Beziehung seiner Texte zur Wirklichkeit. Nun erzählt er etwa von der ägyptischen Sängerin und Schauspielerin Soad, deren Berühmtheit vom militärischen Geheimdienst ausgenutzt wurde. Als sie schließlich in ihren Memoiren davon berichten will, stirbt sie urplötzlich - ein Unfall? Kaum zu glauben, lesen wir. Soads Geschichte basiert auf realen Ereignissen, Soad hat es wirklich gegeben, und all die Formen, in denen sie erpresst und missbraucht wird, sind zwar nicht konkret belegt, aber dennoch realistisch, erklärt Baumstieger. Die Sachlichkeit, in der Wali davon erzählt, findet der Rezensent zwar etwas befremdlich, kann sie aber offenbar angesichts der politischen Bedeutsamkeit des Romans verzeihen. Einen zusätzlichen und besonders tragischen Realitätsgehalt hat das Buch übrigens gewonnen, als der Roman im faktisch militärisch beherrschten Ägypten erst der Selbstzensur der Verleger zum Opfer fiel und schließlich indiziert wurde, weiß der überzeugte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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