Ein Mann begegnet in Kairo scheinbar zufallig einem alten Freund, dem Amerikaner Simon Syros. Drei Jahre sind seit den Protesten auf dem Tahrir-Platz vergangen und dreizehn seit ihrer letzten Begegnung. Damals verschwand Simon spurlos aus einer Bar. Jetzt erzahlt ihm der wiedergefundene Freund die Geschichte seiner großen Liebe zu Soad, einer berühmten agyptischen Schauspielerin und Sangerin, mit der er in London bis zu ihrem Tod zusammenlebte, seiner gefahrlichen Freundschaft zum Geheimdienstoffizier Sherif und seines Versuchs, Soad aus den Fangen des Militars zu retten.Elf vollgeschriebene Hefte hat seine Geliebte zurückgelassen, als sie aus dem sechsten Stock ihres Wohnhauses in London in den Tod gestürzt war. War es der agyptische Geheimdienst, war es Soads Depression? Hartnackig hielt sich das Gerücht, sie habe ihre Memoiren geschrieben, in denen sie mit der Rolle des Militars, das ihr Leben gesteuert und zerstort hat, abrechnet. Simon übergibt dem Erzahler die elf Hefte, und es wird klar, warum er nach Kairo zurückgekehrt ist: Er will Rache nehmen.Najem Wali hat Figuren wie die Sangerin Soad oder die des Geheimdienstoffiziers Sherif, der sie seit ihrer Kindheit für seine Machenschaften erpresst, nach realen Vorbildern gezeichnet. Er entfaltet ein facettenreiches Bild des agyptischen Militars, das seit 70 Jahren das Land mit aller Harte regiert, und er entlarvt dabei die machtpolitischen Herrschaftsmechanismen. Die Grenze zwischen Gut und Bose verschwimmt in diesem Roman, denn wo Willkür und Lüge herrschen, ist es schwer, zwischen Henker und Opfer zu unterscheiden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.09.2021Ausgenutzter Gesangsstar
Najem Wali erzählt von Soad Hosny
Um den Tod von Soad Hosny ranken sich seit Jahren allerlei Geschichten. Die ägyptische Schauspielerin und Sängerin, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in ihrer Heimat ein Star in Funk und Fernsehen wurde, starb 2001 in London, wo sie vom Balkon des Appartements einer Freundin stürzte. Wie genau sie über die Brüstung fallen konnte, vermochte niemand zu sagen. Und als dann das Gerücht die Runde machte, sie sei gerade dabei gewesen, ihre Memoiren zu schreiben, gerieten schnell die ägyptischen Machthaber in Verdacht, Soad Hosny auf dem Gewissen zu haben. Weil sich dieser Verdacht nie erhärten ließ, bietet das Leben der Künstlerin bis heute Stoff für (Alb-)Träume und Fantasien.
Eine von ihnen hat nun der aus dem Irak stammende und seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Schriftsteller Najem Wali zu Papier gebracht. "Soad und das Militär" heißt sein neuer Roman, der vor einem knappen Jahr in arabischer Sprache erschien und jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Er verwebt Fakten und Fiktionen und präsentiert Soad als aus ärmlichen Verhältnissen stammende Frau, die noch ein Kind war, als sie zunächst von dem damals noch regierenden König auserkoren wurde, zum Star zu werden. Sie bekam schöne Kleider und einen Chauffeur, der sie etwa nach Port Said fuhr, wo sie den Abzug der französischen und britischen Truppen aus der Stadt besang, ohne die historische Dimension der Feier auch nur annähernd einschätzen zu können. Die völlige Ahnungs- und auch Arglosigkeit vor allem gegenüber Offizier Scharif, der ihre Karriere in seine Hände nimmt, prägt ihr Leben im Roman bis zum Ende. Bei Wali ist Soad Hosny eine Frau, die, obgleich sie stets Spielzeug des Geheimdienstes war, nie verstanden hat, wie dieser eigentlich funktioniert.
Genau das zu erklären ist das Anliegen des Buches. Wali versucht, multiperspektivisch zu erzählen, um die Winkelzüge geheimdienstlichen Denkens in eine literarische Form zu bringen. Wichtige Informationen hält er lange zurück. Erst nach und nach offenbart er, wie fast jedes einzelne Ereignis im Leben der Schauspielerin letztlich das Ergebnis eines Plans war, mit dem Scharif sie in seiner Abhängigkeit halten wollte. In abwechselnden Kapiteln ergreift mal ein Icherzähler das Wort, der in Kairo zufällig seinem alten Freund Simon wiederbegegnet, dem amerikanischen Geliebten von Soad Hosny, mal soll das Geschehen aus der Perspektive von Soad selbst erzählt sein, deren Memoiren in Wirklichkeit zwar nie auftauchten, aber von Wali nun geschrieben werden. Kurioserweise verfasst er diese Memoiren allerdings in der dritten Person, was nicht nur unlogisch ist - wer schreibt schon von sich mit dieser Distanz? Er verschenkt auch die Gelegenheit, der Sängerin eine eigene Stimme zu geben.
Man wüsste gern, wie es im Inneren jenes "Furqan-Netzwerkes" zuging, zu dem im Roman neben Soad Hosny reihenweise weitere Frauen gehörten, die mit kompromittierenden Video- oder Tonbandaufnahmen erpresst und gezwungen wurden, für den ägyptischen Geheimdienst zu spionieren. Soad hatte die wichtigsten Männer der ganzen Region zu verführen, sie war eine Edelhure im Dienst des Landes. Aber was diese fünf Jahre, in denen sie dreizehnmal heiratete und fünfmal abtrieb, mit ihr machten, erfährt man kaum. Im Gegenteil vermittelt die unscharf bleibende, zuweilen auch redundante Figurenzeichnung im Buch den Eindruck, dass sie stets die Gleiche blieb - verehrt von aller Welt, ungebrochen romantisch und naiv im Umgang mit ihr. Ganz anders als ihr Gegenspieler Offizier Scharif, der als typischer Vertreter des Geheimdienstes von den Zeitläuften der ägyptischen Geschichte mal ins Gefängnis geworfen, mal an die Macht gehoben wird - worin man eine Parallele zur jüngeren Geschichte des Landes erkennen darf.
Nicht nur das erklärt, wieso das Buch von Najem Wali in Ägypten gleich nach Erscheinen auf den Index geriet. Die den Roman durchziehende Auseinandersetzung mit der Frage, wie tief ein autoritärer Staat ins Leben eines jeden Einzelnen eindringt, bis er ihre Körper, ihre Köpfe, Gedanken und Erinnerungen beherrscht, dürfte den Zensoren zu Recht ein Dorn im Auge sein. Da ist es gut zu wissen, dass sich verbotene Bücher auch in Ägypten stets besonders großer Beliebtheit erfreuen. LENA BOPP
Najem Wali: "Soad und das Militär". Roman.
Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Secession Verlag, Berlin 2021. 346 S., geb., 28,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Najem Wali erzählt von Soad Hosny
Um den Tod von Soad Hosny ranken sich seit Jahren allerlei Geschichten. Die ägyptische Schauspielerin und Sängerin, die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in ihrer Heimat ein Star in Funk und Fernsehen wurde, starb 2001 in London, wo sie vom Balkon des Appartements einer Freundin stürzte. Wie genau sie über die Brüstung fallen konnte, vermochte niemand zu sagen. Und als dann das Gerücht die Runde machte, sie sei gerade dabei gewesen, ihre Memoiren zu schreiben, gerieten schnell die ägyptischen Machthaber in Verdacht, Soad Hosny auf dem Gewissen zu haben. Weil sich dieser Verdacht nie erhärten ließ, bietet das Leben der Künstlerin bis heute Stoff für (Alb-)Träume und Fantasien.
Eine von ihnen hat nun der aus dem Irak stammende und seit Jahrzehnten in Deutschland lebende Schriftsteller Najem Wali zu Papier gebracht. "Soad und das Militär" heißt sein neuer Roman, der vor einem knappen Jahr in arabischer Sprache erschien und jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Er verwebt Fakten und Fiktionen und präsentiert Soad als aus ärmlichen Verhältnissen stammende Frau, die noch ein Kind war, als sie zunächst von dem damals noch regierenden König auserkoren wurde, zum Star zu werden. Sie bekam schöne Kleider und einen Chauffeur, der sie etwa nach Port Said fuhr, wo sie den Abzug der französischen und britischen Truppen aus der Stadt besang, ohne die historische Dimension der Feier auch nur annähernd einschätzen zu können. Die völlige Ahnungs- und auch Arglosigkeit vor allem gegenüber Offizier Scharif, der ihre Karriere in seine Hände nimmt, prägt ihr Leben im Roman bis zum Ende. Bei Wali ist Soad Hosny eine Frau, die, obgleich sie stets Spielzeug des Geheimdienstes war, nie verstanden hat, wie dieser eigentlich funktioniert.
Genau das zu erklären ist das Anliegen des Buches. Wali versucht, multiperspektivisch zu erzählen, um die Winkelzüge geheimdienstlichen Denkens in eine literarische Form zu bringen. Wichtige Informationen hält er lange zurück. Erst nach und nach offenbart er, wie fast jedes einzelne Ereignis im Leben der Schauspielerin letztlich das Ergebnis eines Plans war, mit dem Scharif sie in seiner Abhängigkeit halten wollte. In abwechselnden Kapiteln ergreift mal ein Icherzähler das Wort, der in Kairo zufällig seinem alten Freund Simon wiederbegegnet, dem amerikanischen Geliebten von Soad Hosny, mal soll das Geschehen aus der Perspektive von Soad selbst erzählt sein, deren Memoiren in Wirklichkeit zwar nie auftauchten, aber von Wali nun geschrieben werden. Kurioserweise verfasst er diese Memoiren allerdings in der dritten Person, was nicht nur unlogisch ist - wer schreibt schon von sich mit dieser Distanz? Er verschenkt auch die Gelegenheit, der Sängerin eine eigene Stimme zu geben.
Man wüsste gern, wie es im Inneren jenes "Furqan-Netzwerkes" zuging, zu dem im Roman neben Soad Hosny reihenweise weitere Frauen gehörten, die mit kompromittierenden Video- oder Tonbandaufnahmen erpresst und gezwungen wurden, für den ägyptischen Geheimdienst zu spionieren. Soad hatte die wichtigsten Männer der ganzen Region zu verführen, sie war eine Edelhure im Dienst des Landes. Aber was diese fünf Jahre, in denen sie dreizehnmal heiratete und fünfmal abtrieb, mit ihr machten, erfährt man kaum. Im Gegenteil vermittelt die unscharf bleibende, zuweilen auch redundante Figurenzeichnung im Buch den Eindruck, dass sie stets die Gleiche blieb - verehrt von aller Welt, ungebrochen romantisch und naiv im Umgang mit ihr. Ganz anders als ihr Gegenspieler Offizier Scharif, der als typischer Vertreter des Geheimdienstes von den Zeitläuften der ägyptischen Geschichte mal ins Gefängnis geworfen, mal an die Macht gehoben wird - worin man eine Parallele zur jüngeren Geschichte des Landes erkennen darf.
Nicht nur das erklärt, wieso das Buch von Najem Wali in Ägypten gleich nach Erscheinen auf den Index geriet. Die den Roman durchziehende Auseinandersetzung mit der Frage, wie tief ein autoritärer Staat ins Leben eines jeden Einzelnen eindringt, bis er ihre Körper, ihre Köpfe, Gedanken und Erinnerungen beherrscht, dürfte den Zensoren zu Recht ein Dorn im Auge sein. Da ist es gut zu wissen, dass sich verbotene Bücher auch in Ägypten stets besonders großer Beliebtheit erfreuen. LENA BOPP
Najem Wali: "Soad und das Militär". Roman.
Aus dem Arabischen von Christine Battermann. Secession Verlag, Berlin 2021. 346 S., geb., 28,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wie man in einem autoritär geführten Staat kritisch schreibt, zeigt Najem Wali mit seinem Roman "Soad": Der Schlüssel, erklärt Rezensent Moritz Baumstieger, liegt in der Verschlüsselung der Realität durch die Fiktion. "Faktion" nennt Wali selbst die komplizierte Beziehung seiner Texte zur Wirklichkeit. Nun erzählt er etwa von der ägyptischen Sängerin und Schauspielerin Soad, deren Berühmtheit vom militärischen Geheimdienst ausgenutzt wurde. Als sie schließlich in ihren Memoiren davon berichten will, stirbt sie urplötzlich - ein Unfall? Kaum zu glauben, lesen wir. Soads Geschichte basiert auf realen Ereignissen, Soad hat es wirklich gegeben, und all die Formen, in denen sie erpresst und missbraucht wird, sind zwar nicht konkret belegt, aber dennoch realistisch, erklärt Baumstieger. Die Sachlichkeit, in der Wali davon erzählt, findet der Rezensent zwar etwas befremdlich, kann sie aber offenbar angesichts der politischen Bedeutsamkeit des Romans verzeihen. Einen zusätzlichen und besonders tragischen Realitätsgehalt hat das Buch übrigens gewonnen, als der Roman im faktisch militärisch beherrschten Ägypten erst der Selbstzensur der Verleger zum Opfer fiel und schließlich indiziert wurde, weiß der überzeugte Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2021Das Militär versteht keinen Spaß
Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling handeln die Bücher seiner Autoren nicht mehr von der Revolution. Auf dem Index landen sie trotzdem
Dass der Umweg über die Fiktion oft der kürzeste ist, um manchen Realitäten nahezukommen, wissen Autoren weltweit. Für Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus autoritär regierten Gesellschaften ist die Form des Schlüsselromans jedoch häufig der einzige Weg, auf dem sich Inhalte an der Zensur vorbei zu den Lesern schmuggeln lassen. Der Schriftsteller Najem Wali weiß das natürlich, er wurde 1956 im Irak geboren und lebte dort, bis er 1980 zu Beginn des irakisch-iranischen Krieges flüchtete.
Wie schnell die Realität die Fiktion einholen kann, weiß Wali spätestens, seit er seinen jüngsten Roman veröffentlichen wollte – vielleicht wusste er es auch schon vorher und hat die Konfrontation einkalkuliert. Im Zentrum seiner Geschichte steht eine ägyptische Sängerin und Schauspielerin namens Soad, die vom Volk verehrt und vom herrschenden System missbraucht wird. Als Gerüchte aufkommen, dass sie ihre Memoiren schreiben wolle – Erinnerungen, die für gewisse Herren recht unangenehm ausfallen könnten – kommt Soad im britischen Exil zu Tode. Vielleicht war es Selbstmord, vielleicht ein Unfall. Vielleicht auch keines von beiden.
Eine Schauspielerin und Sängerin namens Soad Hosny hat es tatsächlich gegeben. Zu Zeiten von König Faruk erlangte sie als singender Kinderstar Berühmtheit, in den Jahren der Nasser-Dikatur stieg sie zur Diva des ägyptischen Films auf. 2001 fiel Hosny dann – und zwar vom Balkon im sechsten Stock eines Londoner Apartmentturms, in dem zuvor schon andere Auslandsägypter rätselhaft zu Tode gekommen waren. Beweise, dass die echte Soad Geheimnisse enthüllen wollte und deshalb sterben musste, gibt es nicht, in Najem Walis Roman bekommt der Ich-erzählende Schriftsteller hingegen bei einem Kairo-Besuch Notizhefte mit dem Entwurf von Soads Memoiren zugesteckt. Durchaus gefährliche Zeilen, denn „das Militär verstand, sobald es selbst betroffen war, keinen Spaß“, bemerkt der Erzähler an einer Stelle. „Hätten die Hefte nur den Titel Soad getragen, hätte es gar kein Problem gegeben, ganz egal, was ihr Inhalt besagte, ganz egal, was für Geheimnisse enthüllt wurden. All dies wäre kein Vergehen oder Verbrechen gewesen. Doch ihr Titel lautete Soad und das Militär, und das, das war ein Verbrechen!“ Als Wali für seinen Roman nun eine Veröffentlichungsmöglichkeit suchte – und hier kreuzen sich dann Fiktion und Realität –, tat er sich schwer, mehrere Verlage im Irak und in Libanon sagten ab. Das Buch nämlich sollte denselben Namen tragen, der die Notizhefte im Roman so gefährlich macht. Und als der sein Buch dann 2020 endlich im Bagdader Dastoor-Verlag erschien, hatte zwar kein staatlicher Zensor, dafür aber vorauseilende Selbstzensur zugeschlagen. Das Wort Militär war auf dem Cover mit einem schwarzen Balken verdeckt, wohl aus Furcht vor Konsequenzen für den Verlag im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt, Ägypten, wo das Militär seit 1952 mehr oder weniger ununterbrochen herrscht.
Doch ganz so gleichgültig, wie es der Erzähler vermutet, war der Inhalt des nun ohne das Wort „Militär“ betitelten Buches den Machthabern in Ägypten nicht. Bei der Kairoer Buchmesse im 2021 durfte es nicht präsentiert werden, landete auf dem Index. Denn was Wali in seinem Roman beschreibt – und was man dank der Übersetzung durch Christine Battermann nun auch auf Deutsch nachlesen kann – ist eine Parabel auf den Würgegriff, in dem die Herren in Uniform Gesellschaft und Staat, Kunst und Wirtschaft in Ägypten und anderen Ländern halten. Die nationale Ikone Soad, so erfährt es der Leser teils aus ihren Aufzeichnungen, teils aus Gesprächen des Erzählers mit ihrem langjährigen Partner, einem Amerikaner, wurde zeit ihres Lebens vom Geheimdienst benutzt. Als Kind musste sie vor ergriffenen Massen die Revolution der freien Offiziere besingen oder die Nationalisierung des Suez-Kanals. Als Erwachsene drängte ihr Manager in Uniform, Offizier Scharif, sie zu anderen Dingen: Er lässt Soad unter Drogen setzen und von einem Lockvogel verführen, um sie anschließend mit dem heimlich aufgenommenen Film ihrer Entjungferung zu erpressen. Neben den unzähligen Kinoproduktionen, durch die sie zur „Cinderella“ Ägyptens aufsteigt, muss Soad nun ähnliche klandestin aufgenommenen Filme für den Geheimdienst drehen – mit Ministern und Firmenlenkern, Politikern und Despoten, denen sie auf der Bettkante Geheimnisse entlocken sollte. Das funktioniert, denn „es gab nicht einen arabischen König oder Präsidenten, der nicht mit einem Star wie ihr ins Bett gewollt hätte.“ Selbst in den Fragmenten der Memoiren der Schauspielerin, die Wali immer wieder einstreut, erzählt diese über sich nüchtern und in der dritten Person – was zwar die Gefahr zu allzu menschelnder Erotik-Prosa umgeht, dafür aber seltsam unpersönlich bleibt.
Wenn Wali beschreibt, wie das irrste von Soads Zielobjekten, der „Führer der Stunde“ Saddam Hussein, bei den Treffen nie eine Erektion bekommt und seine Impotenz durch sadistische Praktiken zu kompensieren versucht, ist das wohl jene Mischung aus Fakt und Fiktion, die Wali in einem Interview „Faktion“ nannte. Nicht belegbar, aber angesichts dessen, was über den Schlächter von Bagdad bekannt ist, absolut denkbar. Über Anekdotisches hinaus gehen Walis Beschreibungen der ägyptischen Militärs und Geheimdienstler, die Soad nie wirklich abschütteln kann. Hier bekommt ihre Geschichte einen systemischen Charakter: „Wenn Scharif ein bestimmtes Ziel erreichen wollte, konnte er Jahre ausharren. Wichtig war nicht, wie lange etwas dauerte, wichtig war der Erfolg.“
Das erinnert nicht zufällig an die Zeit nach der ägyptischen Revolution, in der die Männer in Uniform vorübergehend den Jugendlichen vom Tahrir-Platz und anschließend den Muslimbrüdern das Feld überließen. So lange nur, bis sie ihr Comeback an die Macht eiskalt organisiert hatten. Zehn Jahre nach dem Sturz Mubaraks handeln Bücher, in denen arabische Autoren gegenwärtige Fakten mit Fiktion mischen, nicht mehr von der Revolution, sondern von der Restauration – die Form des Schlüsselromans hat in der Region noch einige Zukunft.
MORITZ BAUMSTIEGER
1980 verließ er den Irak: der Schriftsteller Najem Wali.
Foto: H.John/imago/viadata
Najem Wali:
Soad und das Militär.
Roman.
Aus dem Arabischen
übersetzt von
Christine Battermann. Secession Verlag,
Zürich 2021.
400 Seiten, 28,00 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zehn Jahre nach dem Arabischen Frühling handeln die Bücher seiner Autoren nicht mehr von der Revolution. Auf dem Index landen sie trotzdem
Dass der Umweg über die Fiktion oft der kürzeste ist, um manchen Realitäten nahezukommen, wissen Autoren weltweit. Für Schriftsteller und Schriftstellerinnen aus autoritär regierten Gesellschaften ist die Form des Schlüsselromans jedoch häufig der einzige Weg, auf dem sich Inhalte an der Zensur vorbei zu den Lesern schmuggeln lassen. Der Schriftsteller Najem Wali weiß das natürlich, er wurde 1956 im Irak geboren und lebte dort, bis er 1980 zu Beginn des irakisch-iranischen Krieges flüchtete.
Wie schnell die Realität die Fiktion einholen kann, weiß Wali spätestens, seit er seinen jüngsten Roman veröffentlichen wollte – vielleicht wusste er es auch schon vorher und hat die Konfrontation einkalkuliert. Im Zentrum seiner Geschichte steht eine ägyptische Sängerin und Schauspielerin namens Soad, die vom Volk verehrt und vom herrschenden System missbraucht wird. Als Gerüchte aufkommen, dass sie ihre Memoiren schreiben wolle – Erinnerungen, die für gewisse Herren recht unangenehm ausfallen könnten – kommt Soad im britischen Exil zu Tode. Vielleicht war es Selbstmord, vielleicht ein Unfall. Vielleicht auch keines von beiden.
Eine Schauspielerin und Sängerin namens Soad Hosny hat es tatsächlich gegeben. Zu Zeiten von König Faruk erlangte sie als singender Kinderstar Berühmtheit, in den Jahren der Nasser-Dikatur stieg sie zur Diva des ägyptischen Films auf. 2001 fiel Hosny dann – und zwar vom Balkon im sechsten Stock eines Londoner Apartmentturms, in dem zuvor schon andere Auslandsägypter rätselhaft zu Tode gekommen waren. Beweise, dass die echte Soad Geheimnisse enthüllen wollte und deshalb sterben musste, gibt es nicht, in Najem Walis Roman bekommt der Ich-erzählende Schriftsteller hingegen bei einem Kairo-Besuch Notizhefte mit dem Entwurf von Soads Memoiren zugesteckt. Durchaus gefährliche Zeilen, denn „das Militär verstand, sobald es selbst betroffen war, keinen Spaß“, bemerkt der Erzähler an einer Stelle. „Hätten die Hefte nur den Titel Soad getragen, hätte es gar kein Problem gegeben, ganz egal, was ihr Inhalt besagte, ganz egal, was für Geheimnisse enthüllt wurden. All dies wäre kein Vergehen oder Verbrechen gewesen. Doch ihr Titel lautete Soad und das Militär, und das, das war ein Verbrechen!“ Als Wali für seinen Roman nun eine Veröffentlichungsmöglichkeit suchte – und hier kreuzen sich dann Fiktion und Realität –, tat er sich schwer, mehrere Verlage im Irak und in Libanon sagten ab. Das Buch nämlich sollte denselben Namen tragen, der die Notizhefte im Roman so gefährlich macht. Und als der sein Buch dann 2020 endlich im Bagdader Dastoor-Verlag erschien, hatte zwar kein staatlicher Zensor, dafür aber vorauseilende Selbstzensur zugeschlagen. Das Wort Militär war auf dem Cover mit einem schwarzen Balken verdeckt, wohl aus Furcht vor Konsequenzen für den Verlag im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt, Ägypten, wo das Militär seit 1952 mehr oder weniger ununterbrochen herrscht.
Doch ganz so gleichgültig, wie es der Erzähler vermutet, war der Inhalt des nun ohne das Wort „Militär“ betitelten Buches den Machthabern in Ägypten nicht. Bei der Kairoer Buchmesse im 2021 durfte es nicht präsentiert werden, landete auf dem Index. Denn was Wali in seinem Roman beschreibt – und was man dank der Übersetzung durch Christine Battermann nun auch auf Deutsch nachlesen kann – ist eine Parabel auf den Würgegriff, in dem die Herren in Uniform Gesellschaft und Staat, Kunst und Wirtschaft in Ägypten und anderen Ländern halten. Die nationale Ikone Soad, so erfährt es der Leser teils aus ihren Aufzeichnungen, teils aus Gesprächen des Erzählers mit ihrem langjährigen Partner, einem Amerikaner, wurde zeit ihres Lebens vom Geheimdienst benutzt. Als Kind musste sie vor ergriffenen Massen die Revolution der freien Offiziere besingen oder die Nationalisierung des Suez-Kanals. Als Erwachsene drängte ihr Manager in Uniform, Offizier Scharif, sie zu anderen Dingen: Er lässt Soad unter Drogen setzen und von einem Lockvogel verführen, um sie anschließend mit dem heimlich aufgenommenen Film ihrer Entjungferung zu erpressen. Neben den unzähligen Kinoproduktionen, durch die sie zur „Cinderella“ Ägyptens aufsteigt, muss Soad nun ähnliche klandestin aufgenommenen Filme für den Geheimdienst drehen – mit Ministern und Firmenlenkern, Politikern und Despoten, denen sie auf der Bettkante Geheimnisse entlocken sollte. Das funktioniert, denn „es gab nicht einen arabischen König oder Präsidenten, der nicht mit einem Star wie ihr ins Bett gewollt hätte.“ Selbst in den Fragmenten der Memoiren der Schauspielerin, die Wali immer wieder einstreut, erzählt diese über sich nüchtern und in der dritten Person – was zwar die Gefahr zu allzu menschelnder Erotik-Prosa umgeht, dafür aber seltsam unpersönlich bleibt.
Wenn Wali beschreibt, wie das irrste von Soads Zielobjekten, der „Führer der Stunde“ Saddam Hussein, bei den Treffen nie eine Erektion bekommt und seine Impotenz durch sadistische Praktiken zu kompensieren versucht, ist das wohl jene Mischung aus Fakt und Fiktion, die Wali in einem Interview „Faktion“ nannte. Nicht belegbar, aber angesichts dessen, was über den Schlächter von Bagdad bekannt ist, absolut denkbar. Über Anekdotisches hinaus gehen Walis Beschreibungen der ägyptischen Militärs und Geheimdienstler, die Soad nie wirklich abschütteln kann. Hier bekommt ihre Geschichte einen systemischen Charakter: „Wenn Scharif ein bestimmtes Ziel erreichen wollte, konnte er Jahre ausharren. Wichtig war nicht, wie lange etwas dauerte, wichtig war der Erfolg.“
Das erinnert nicht zufällig an die Zeit nach der ägyptischen Revolution, in der die Männer in Uniform vorübergehend den Jugendlichen vom Tahrir-Platz und anschließend den Muslimbrüdern das Feld überließen. So lange nur, bis sie ihr Comeback an die Macht eiskalt organisiert hatten. Zehn Jahre nach dem Sturz Mubaraks handeln Bücher, in denen arabische Autoren gegenwärtige Fakten mit Fiktion mischen, nicht mehr von der Revolution, sondern von der Restauration – die Form des Schlüsselromans hat in der Region noch einige Zukunft.
MORITZ BAUMSTIEGER
1980 verließ er den Irak: der Schriftsteller Najem Wali.
Foto: H.John/imago/viadata
Najem Wali:
Soad und das Militär.
Roman.
Aus dem Arabischen
übersetzt von
Christine Battermann. Secession Verlag,
Zürich 2021.
400 Seiten, 28,00 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de