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Die einen sehen Jesus als Sozialrebellen, die anderen als den Mann der Bergpredigt. Der amerikanische Religionswissenschaftler E. P. Sanders gibt in dieser Veröffentlichung einer quellengestützten historischen Darstellung des Lebens Jesu den Vorrang gegenüber kurzlebigen Spekulationen. Er vermittelt einen präzisen Eindruck von der jüdischen Kultur, den religiösen Einrichtungen und den unterschiedlichen geistigen Traditionen, die die Lebenswelt Jesu prägten.

Produktbeschreibung
Die einen sehen Jesus als Sozialrebellen, die anderen als den Mann der Bergpredigt. Der amerikanische Religionswissenschaftler E. P. Sanders gibt in dieser Veröffentlichung einer quellengestützten historischen Darstellung des Lebens Jesu den Vorrang gegenüber kurzlebigen Spekulationen. Er vermittelt einen präzisen Eindruck von der jüdischen Kultur, den religiösen Einrichtungen und den unterschiedlichen geistigen Traditionen, die die Lebenswelt Jesu prägten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Jesus ist einfach da
E. P. Sanders schneidert dem Sohn Gottes eine historische Biographie / Von Heinz Zahrnt

Kein anderes Menschenleben ist in den letzten zweihundertfünfzig Jahren so gründlich erforscht worden wie das Leben des Jesus aus Nazareth. Wie mit einem Seziermesser ist die historische Kritik in die biblische Überlieferung hineingefahren und hat sie aufgeschlitzt: der Traditionsbeweis und das Dogma der Kirche nicht mehr als wirklich geschehene Geschichte. An keinem anderen Punkt mußte die historische Bibelkritik den christlichen Glauben empfindlicher treffen als in der Frage, wer und wie Jesus wirklich war. Das führte zur Entstehung der kritischen Leben-Jesu-Forschung. Ihre Losung lautete: Vom biblischen Christus zurück zum historischen Jesus.

Wie ein Restaurator behutsam eine Übermalung nach der anderen entfernt, um das ursprüngliche Bild freizulegen, so suchte die kritische Leben-Jesu-Forschung eine Überlieferungsschicht nach der anderen abzutragen, um unter der kirchlichen Übermalung wieder den ursprünglichen Jesus zu entdecken. Durch solchen Rückgang hoffte man eine unanfechtbare Grundlage für den gegenwärtigen Glauben zu gewinnen. Es war der imposante Versuch, sich vom Christusdogma der Kirche zu befreien und dennoch an der Einzigartigkeit Jesu festzuhalten.

Aber das Unternehmen der kritischen Leben-Jesu-Forschung ist aus zweierlei Grund gescheitert: Historisch, weil die neutestamentlichen Quellen weder ihrer Absicht noch ihrem Umfang nach den Stoff zu einer Biographie Jesu hergeben - theologisch, weil man Historie das Unmögliche abverlangte, heutigen Glauben zu begründen. Zufällige Geschichtswahrheiten aber können, mögen sie noch so gut bezeugt sein, nie ein Beweis für ewige Vernunft-oder Glaubenswahrheiten werden. Auf historische Forschungsergebnisse hin kann kein Mensch leben oder sterben.

Dennoch muß die Theologie immer neu den Weg von dem in der Bibel verkündigten Christus zu Jesus selbst zurückgehen, wenn der christliche Glaube nicht seinen Halt an der Geschichte verlieren und sich in einen mythisch-gnostischen Nebel auflösen soll. Und so sind auch weiterhin zahlreiche "Leben Jesu" erschienen, christliche und nichtchristliche, atheistische und pietistische, treuherzige und kritische - und wenn keine ganzen Lebensbeschreibungen, so doch umfangreiche Monographien.

Es ist, als ob von dem Jesus der neutestamentlichen Evangelien immer noch eine Faszination ausgeht, die die Autoren über den "garstigen Graben" der Geschichte hinweg unmittelbar ergreift: Jesus ist einfach da. Das ist der zeitgeschichtliche Hintergrund, auf dem das in diesem Herbst erschienene Jesus-Buch von E. P. Sanders steht. Der Autor ist Amerikaner, als Religionshistoriker aber ebenso wie in seiner Heimat auch in Europa ausgewiesen. In seiner Biographie finden sich als Lebensstationen so bedeutende akademische Adressen wie Göttingen, Jerusalem, Oxford, New York, Cambridge und Dublin.

Sein Buch trägt den Titel "Sohn Gottes. Eine historische Biographie Jesu" - und es wird ihm gerecht. Wenn der Verfasser im Vorwort schreibt: "Das wissenschaftliche Studium der Evangelien ist Schwerstarbeit", so kann man ihm nur attestieren, daß sie in seinem Fall gelungen ist. Entstanden ist ein zuverlässiges, höchst kenntnisreiches, in der Kritik wohlabgewogenes historisches Werk auf dem gegenwärtigen Stand der neutestamentlichen Forschung. Nur eine stärkere Beachtung des Thomasevangeliums, das in den letzten Jahren so viel von sich reden macht, mag man vermissen.

Alles in allem ein aufrichtiges, aber kein aufregendes Werk. Sollte aber nicht jeder ernsthafte Umgang mit der Geschichte ein Dialog der Gegenwart mit der Vergangenheit in Richtung Zukunft sein? Dies erwarte ich auch von einer "historischen Biographie" über Jesus. Gewiß verlange ich vom Autor keinen Glauben und keine Verkündigung. Aber ich hätte durch die Lektüre doch gern auch eine Bereicherung meiner persönlichen Lebensbeziehung zu der in Frage stehenden Person und Sache erfahren. So aber ist die Gestalt Jesu für mich im fernen Damals geblieben.

Als ich Sanders Buch zu Ende gelesen hatte, fiel mir die Schlußbetrachtung von Albert Schweitzers epochemachendem Werk über die "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" ein: "Sie zog aus, um den historischen Jesus zu finden, und meinte, sie könnte ihn dann, wie er ist, als Lehrer und Heiland in unsere Zeit hineinstellen, . . . und freute sich, als wieder Leben und Bewegung in die Gestalt kam und sie den historischen Menschen Jesus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen, sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige zurück."

Die Entscheidung über Gehalt und Geltung einer geschichtlichen Wahrheit fällt eben nicht im historischen Zirkel. Als Leitfaden für den kritischen Umgang mit der neutestamentlichen Jesus-Überlieferung gelten daher immer noch jene Sätze, die Gotthold Ephraim Lessing schon vor zweihundertfünfzig Jahren, gleich zu Beginn des neuzeitlichen Streits um die Bibel, geschrieben hat: "Die Religion ist nicht wahr, weil die Evangelien und Apostel sie lehrten; sie lehrten sie, weil sie wahr ist. Aus ihrer inneren Wahrheit müssen die schriftlichen Überlieferungen erklärt werden; und alle schriftlichen Überlieferungen können ihr keine geben, wenn sie keine hat."

Damit wird der Maßstab der historischen Echtheit durch das Kriterium der religiösen Wahrheit relativiert. Ein Bibeltext kann historisch unecht und dennoch religiös wahr sein, wie umgekehrt ein Text historisch echt sein kann und trotzdem keine religiöse Wahrheit mehr für uns zu enthalten braucht - und Gott sei Dank hat Gott nicht alles gesagt und getan, was in der Bibel über ihn geschrieben steht!

Das aber heißt, daß es bei der Begegnung mit der biblischen Jesusüberlieferung nicht anders zugeht als im Umgang mit jeder geschichtlichen Wahrheit sonst: Um sie zu erproben, muß man sich auf sie einlassen und es mit ihr probieren. Und so schließt Albert Schweitzer seine "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" mit den Worten: "Als ein Unbekannter und Namenloser kommt Jesus ganz zu uns, wie er am Gestade des Sees an jene Männer, die nicht wußten, wer er war, herantrat. Er sagt dasselbe Wort: ,Du aber folge mir nach!'" Schweitzer selbst hat auf diesen Ruf gehört. Er hat seine Theologieprofessur aufgegeben und Medizin studiert, um dann als Arzt in den Urwald zu gehen und dort Kranke zu heilen.

E. P. Sanders: "Sohn Gottes". Eine historische Biographie Jesu. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1996. 452 S., geb., 48,- DM.

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