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Die Geschichte um den Sohn zweier Mütter nimmt ihren Anfang in der behüteten Atmosphäre einer ganz normalen Familie der gutbürgerlichen Gesellschaft Roms im Jahr 1900. Mario Parigi ist davon überzeugt, daß seine wahre Mutter Luciana Stirner ist, deren Sohn Ramiro am gleichen Tag starb, an dem Mario zur Welt kam. Der Roman ist die Geschichte einer Wiedergeburt, anrührend und voller Wunder. Erzählt wird von zwei Müttern, Rivalinnen um den Knaben, Konkurrentinnen vor Gericht, und doch fast befreundet, denn die Liebe um den gemeinsamen Sohn schweißt sie zusammen.

Produktbeschreibung
Die Geschichte um den Sohn zweier Mütter nimmt ihren Anfang in der behüteten Atmosphäre einer ganz normalen Familie der gutbürgerlichen Gesellschaft Roms im Jahr 1900. Mario Parigi ist davon überzeugt, daß seine wahre Mutter Luciana Stirner ist, deren Sohn Ramiro am gleichen Tag starb, an dem Mario zur Welt kam. Der Roman ist die Geschichte einer Wiedergeburt, anrührend und voller Wunder. Erzählt wird von zwei Müttern, Rivalinnen um den Knaben, Konkurrentinnen vor Gericht, und doch fast befreundet, denn die Liebe um den gemeinsamen Sohn schweißt sie zusammen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.1998

Seelenwanderung mit Pinie
Magier am Werk: Massimo Bontempellis Roman "Sohn zweier Mütter" / Von Manfred Hardt

Was ist geschehen und was geschieht, wenn an einem sonnigen Maitag eine Römerin ihren siebenjährigen Sohn auf der Piazza di Siena spazierenführt, dieser, für einen Augenblick von seiner Mutter getrennt, im Schatten einer Pinie plötzlich in einem tranceartigen Zustand erstarrt und innerhalb weniger Minuten eine psychische Metamorphose erfährt, mit der Folge, daß er seine leibliche Mutter nicht mehr erkennt und stürmisch verlangt, zu seiner eigentlichen Mama in einem anderen Viertel Roms gebracht zu werden? Das ist das unerklärliche Ereignis und der zentrale Plot, mit welchem der heute ein wenig in Vergessenheit geratene Massimo Bontempelli in seinem Roman "Il figlio di due madri" (1929), der jetzt in der deutschen Übersetzung von Erika Christiani unter dem Titel "Sohn zweier Mütter" vorliegt, das Interesse weitester Leserkreise zu gewinnen suchte.

Der im Jahre 1878 in Como geborene Bontempelli, der sich in allen literarischen Gattungen und sogar als Komponist versuchte, gehörte zusammen mit dem befreundeten Pirandello in den zwanziger Jahren zu den aktivsten und erfindungsreichsten Exponenten der literarischen Szene Italiens. Nach frühen lyrischen Versuchen im klassizistischen Stil Carduccis und nach einer futuristischen Phase profilierte sich der mehrfach dekorierte Artillerieoffizier als Kritiker auf der "terza pagina" wichtiger Tageszeitungen in Florenz, Mailand und Rom und errang etwa ab 1920 vor allem mit seinen Romanen und Erzählungen große Publikumserfolge. Er war Mitglied des 1924 von Pirandellos Sohn Stefano gegründeten "Teatro degli Undici" und schrieb, ermutigt und unterstützt von Pirandello, zahlreiche Theaterstücke, die vielfach Themen und Motive des Freundes aufgreifen.

Der Redaktion der literarischen Zeitschrift "900", die Bontempelli im Jahre 1926 gemeinsam mit Curzio Malaparte gründete, gehörten unter anderem Georg Kaiser, Ilja Ehrenburg und James Joyce an. Ihr Ziel war, die italienische Literatur durch Öffnung zum internationalen Kunstspektrum zu reformieren und ihr den Anschluß an die europäische Avantgarde zu sichern. Zu den innovativen Ideologien zählte Bontempelli zunächst auch den Faschismus, von dessen autoritärem Regime er sich jedoch bald distanzierte; 1938 kam es zum endgültigen Bruch. Nach dem Zweiten Weltkrieg schloß er sich linken Gruppierungen an.

Bontempelli war dem breiteren Publikum zugetan. Mit seiner wichtigsten Reformidee, der Poetik des "Magischen Realismus", die er in "900" und anderswo propagierte, wollte er der italienischen Prosa der ersten Nachkriegszeit neue Impulse verleihen und zugleich, mit oft durchsichtigen Strategien, die Gunst eines großen Publikums gewinnen. In seinen "Ratschlägen" von 1927 empfahl der inzwischen arrivierte Erfolgsautor den angehenden Romanschriftstellern jener Jahre, für einen Roman zwei oder drei "farblose und banale" Alltagsereignisse auszuwählen und diesen durch Auswahl der Details und geschickte Konstellation der Motive und Handlungsmomente "den Anschein eines Wunders zu verleihen".

"Das alltäglichste und allergewöhnlichste Leben, wir wollen es konzipieren als ein abenteuerliches Wunder" - das ist, mit den Worten des Autors auf eine kurze Formel gebracht, die Maxime des von ihm vertretenen "Magischen Realismus", dem eine lange Nachwirkung bis hin zu Italo Calvino und darüber hinaus beschieden war. Auch der "Sohn zweier Mütter" ist nach diesem Erfolgsrezept gefertigt. Da sind der römische Geschäftsmann Mariano Parigi, seine Frau Arianna und ihr Sohn Mario. Man feiert den Geburtstag Marios, der vor sieben Jahren, am siebten Mai 1893, um 14 Uhr geboren wurde, genau zu der Stunde, in der ein siebenjähriger Junge namens Ramiro verstarb, der aus einer stürmischen Beziehung der Violinistin Luciana Veracina mit ihrem unglücklichen Liebhaber Giorgio stammte. Das Wunderbare, Unglaubhafte und Unwahrscheinliche wird nun Ereignis in einem Roman, der seine Effekte aus immer neuen irrationalen Verfremdungen der Wirklichkeit gewinnt und dabei nicht selten die Grenzen des Trivialen und Kitschigen erreicht oder überschreitet.

Am siebten Geburtstag Marios um 14 Uhr reinkarniert sich der sieben Jahre zuvor verstorbene Ramiro im Körper Marios, dessen Seele nun, so muß der Leser vermuten, in den Himmel entfleucht. Der wiedergeborene Ramiro weiß nichts von dem Leben Marios, kennt weder dessen Eltern noch deren Wohnung, sondern knüpft in jeder Beziehung bruchlos und unvermittelt an sein früheres Leben an, das vor sieben Jahren endete. "Nennt mich nicht Mario, nennt mich bei meinem Namen. Ihr wißt doch, daß ich Ramiro heiße. Und bringt mich nach Hause, in die Via del Muro Nuovo, hab ich gesagt!" Zielsicher sucht und findet Ramiro die frühere Wohnung seiner "Mutter" Luciana, die jetzt unweit von Neapel lebt, in Trastevere, im Haus Nummer achtzehn der genannten Straße, mit traumwandlerischer Sicherheit geht er durch die Räume, findet jedes Möbelstück, jedes einzelne Spielzeug wieder . . . Reinkarnation beziehungsweise Seelenwanderung, so muß der Leser vermuten, haben das Wunder Ramiro vollbracht, doch werden dergleichen Begriffe aus Religion, Spiritismus oder Magie ebenso wie irgendwelche Erklärungsversuche im Roman streng vermieden.

Der Sohn Mario-Ramiro hat somit zwei Mütter, Arianna und die nach Rom zurückgeeilte Luciana, und dem Kampf der beiden rivalisierenden Mütter um ihren Sohn werden viele gefühlsgeladene und dramatisch bewegte Seiten gewidmet. Dennoch entwickeln sich die beiden verfeindeten Frauen überraschend schnell zu innigen Freundinnen. Nachdem auf diese Weise ziemlich rasch das Interesse am Motiv der streitenden Mütter nachläßt, erfindet der Autor immer neue und denkwürdige Begebenheiten, beunruhigende Träume, dunkle Vorahnungen, tiefsinnige Entsprechungen bis hin zum letzten "magischen" Wunder des spurlosen Verschwindens von Ramiro: Der geheimnisumwitterte Zigeuner Solwanah, dem Luciana eben an dem Felsen begegnet, von dem sich ihr Giorgio ins Meer stürzte, hat ihn auf eine unerklärliche Weise aus Rom auf ein in der Nähe des Felsens, also am Todesort des Vaters, ankerndes Zigeunerschiff verbracht - doch bleibt alles weitere offen, da Solwanah bei dem Versuch, den Felsen Giorgios, wie ihm von Luciana befohlen, zu sprengen, selbst ums Leben kommt.

Ein unterhaltsamer, amüsanter Roman also, der seine Landschaften und Milieus, seine Helden und ihre Beziehungen programmatisch in eine magische Atmosphäre eintaucht. Dazu tragen nicht nur die vielen verfremdenden, gelegentlich an den Surrealismus erinnernden Motive und Verknüpfungen innerhalb der Personenkonstellationen bei, sondern auch die beschreibenden Passagen. Landschaften und Küstenstriche, Plätze, Straßen und Interieurs erscheinen vor dem Leser in scharfen Konturen und in einer luziden, fast irrealen Konkretheit, die den Einfluß der ungefähr zeitgleichen "pittura metafisica" des jungen De Chirico durchschimmern läßt. Interessant ist, daß Bontempelli auch in diesem Roman Motive Pirandellos - Identitätsproblematik, Personendoppelung, Eltern-Kind-Beziehung und bürgerliches Rollenspiel - aufgreift. Aber während der Sizilianer Pirandello diesen Themen mit zerstörerischer Konsequenz bis auf den letzten Grund nachgeht und dabei die bürgerlichen Scheinwelten sprengt, bleibt Bontempelli, der Mann aus dem Norden, mit seinem Spiel zauberhafter Wesen und Ereignisse dem Konzept des massenverträglichen Divertissement treu.

Massimo Bontempelli, der nach langer Krankheit im Juli 1960 in Rom starb, wußte am besten, daß seine Kunst Zugeständnisse machen mußte und sich ständig am Rande des Absurden und des Kitsches bewegte: "Nie ist man sich der Wirkung sicher. Immer muß man fürchten, daß es sich nicht um Inspiration, sondern nur um einen Kniff handelt."

Massimo Bontempelli: "Sohn zweier Mütter". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Erika Christiani. Steidl Verlag, Göttingen 1998. 192 S., geb., 32,- DM.

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