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Ein Straßenkehrer in Tel Aviv wird Zeuge eines Mordes. Der Mann zweifelt an seinem Verstand, denn er glaubt, in dem Mörder einen alten Freund erkannt zu haben. Und dies würde in der Tat alle Regeln der Wahrscheinlichkeit außer Kraft setzen. Denn Sascha Sokolow ist kein gewöhnlicher Straßenkehrer. Noch vor kurzem war der emigrierte Russe einer der angesehensten Raumfahrtforscher seines Landes.

Produktbeschreibung
Ein Straßenkehrer in Tel Aviv wird Zeuge eines Mordes. Der Mann zweifelt an seinem Verstand, denn er glaubt, in dem Mörder einen alten Freund erkannt zu haben. Und dies würde in der Tat alle Regeln der Wahrscheinlichkeit außer Kraft setzen. Denn Sascha Sokolow ist kein gewöhnlicher Straßenkehrer. Noch vor kurzem war der emigrierte Russe einer der angesehensten Raumfahrtforscher seines Landes.
Autorenporträt
Leon de Winter wurde 1954 in 's-Hertogenbosch als Sohn niederländischer Juden geboren und begann als Teenager, nach dem Tod seines Vaters, zu schreiben. Er arbeitet seit 1976 als freier Schriftsteller und Filmemacher in Holland und den Vereinigten Staaten. Einige seiner Romane wurden für Kino und Fernsehen verfilmt, so z.B. "Der Himmel von Hollywood" unter der Regie von Sönke Wortmann. Leon de Winter erhielt 2002 den "Welt"-Literaturpreis. 2006 wird ihm die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Im Vordergrund steht für Elisabeth Endres de Winters Schilderung der Profitgier und der quälenden Versuche, dabei doch noch ein "braver Bube" zu bleiben. Dies klingt moralisch und ist es auch. Endres lobt jedoch de Winter als einen Moralisten der "feineren, fast metaphysischen Sorte". Sie findet den Roman lehrreich, aber besonders hebt sie humorvollen Seiten und den Unterhaltungswert hervor. Endres bedauert lediglich, dass dieser bereits 1992 in den Niederlanden erschienene Roman erst jetzt auf deutsch vorliegt, nachdem de Winters "Der Himmel von Hollywood " von 1997 bereits vergangenes Jahr in Deutschland veröffentlicht worden ist. Im direkten Vergleich mit "Der Himmel von Hollywood" erscheinen ihr die Verflechtungen in "Sokolows Universum" nicht ganz so raffiniert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.2000

Die Rakete des Renegaten
Leon de Winter in Sokolows Universum

Ingenieur Alexander Sokolow, ein russischer Fachmann für "Metallmüdigkeit in Vakuumräumen", hält die Natur für ein Chaos, das es mit Regeln zu bezwingen gilt. Deshalb wurde er Wissenschaftler, entwickelte ein neues Antriebssystem und erdachte eine neue Metallhaut für die sowjetische Rakete "Oktjabr". Da diese aber anderthalb Minuten nach dem Start explodierte, wurde Sokolow ins sibirische Tomsk versetzt. Dort trat der Wodka an die Stelle der Zahlenkolonnen und Laborexperimente. Fünf Jahre später greift der Emigrant und Alkoholiker Sokolow in Tel Aviv zur schallgedämpften Pistole.

Der Schusswechsel mit dem georgischen Kleinganoven ist das vorletzte Glied einer Kette aus Scham und Ekstase. Schon der fünfzehnjährige Alexander litt an der Verwandtschaft dieser beiden Erfahrungen. Der Schüler ließ sich von seinem Freund Lew überreden, den Schlüssel des Physiklehrers in einen Wachsblock zu drücken, damit ein Duplikat angefertigt werden konnte. Alexander Sokolows Betrug geschah "außerhalb der Grenzen seines normalen Ichs", führte zu Stolz und zu Schuldgefühlen. Achtundzwanzig Jahre später ist es erneut Lew Lesjawa, der seinen Schulkameraden um einen riskanten Gefallen bittet.

Gerade ist der Weg vom Schuljungenstreich zum Mord aus Freundschaft in Leon de Winters 1992 verfasstem Roman, der nun auf Deutsch vorliegt. Alle Qualen scheinen in der Kindheit beschlossen. Der auflagenstarke Geschichtsfatalismus des niederländischen Autors bietet wie schon in "Zionoco", in "Hoffmanns Hunger" und in "SuperTex" einen unzufriedenen Akademiker mittleren Alters und jüdischen Glaubens auf, der vergeblich gegen seine Herkunft rebelliert.

Brachten in den vorherigen Romanen der Ehebruch eines Rabbiners, die Gefräßigkeit eines Botschafters und schließlich die psychotherapeutische Behandlung eines Industriellen die innere Wahrheit über die Hauptfiguren ans Licht, so bedarf es in "Sokolows Universum" der Gewalttat, um das verschüttete Judentum freizulegen. Der Held, Abkömmling eines "Geschlechts von Rabbinern und Talmudgelehrten", hat durch seine bisher religionsferne Existenzform die Lebenslüge des Vaters fortgesetzt. Dieser war von Isaak Berenstein zu Iwan Sokolow, vom Rabbiner zum staatstreuen Marxisten mutiert. Sohn Alexander muss ein Verbrecher werden, ehe er sich zum Gott des Alten Bundes bekennen und "um Vergebung bitten" kann. Blut, "für fromme Juden tabu", macht aus dem russischen Einwanderer einen Gläubigen.

Jetzt erst spricht der ehemalige Sowjetbürger vom "Urprinzip", dem er sich zu fügen habe. Nicht länger ist von einem würfelnden, "seltsamen Wesen" namens Gott die Rede oder von der "genialsten Abstraktion, die die Menschheit je erdacht hatte". Die Heimkehr ins Gelobte Land hat zwar zunächst den sozialen Abstieg vom Raumfahrtexperten zum Straßenkehrer bedeutet. Am Tiefpunkt der Demütigung jedoch, nach Kündigung und Delirium, führt ihn die Hand Lew Lesjawas erst in den Luxus und dann ins Verbrechen, das die Bekehrung vollendet. Während der Wodka als "Gedächtniskiller" ebenso versagte wie zuvor die Wissenschaft als Bändigerin der Schöpfung, gelingt der kriminellen Tat, wonach auch die ausführlich referierten jüdischen Mystiker strebten: Statt der Zeit regiert "die Ewigkeit des Nichts"; statt des Chaos der nur durch ein "Korsett aus Vorschriften" zu disziplinierenden Person herrscht die natürliche Ordnung der erhabenen Handlung.

Der böse Engel, den die Vorsehung in das Elendsviertel von Tel Aviv schickt, war einst der "wilde Chefentwerfer der ,Oktjabr'". Mit Sokolow verband ihn seit den sechziger Jahren der "Schwur der heimlichen Juden" und die Sehnsucht "nach dem Feuer, nach dem Licht". Die Schulfreunde arbeiteten bis zur Explosion der Rakete im Juni 1985 im Forschungszentrum von Königsberg. Danach fand Lew Lesjawa Unterschlupf bei seinen georgischen Verwandten. Mit Beginn der Perestrojka setzte der Frauenliebling sich nach New York ab, wo er ein Vermögen ergaunerte. Als im September des Jahres 1990 die Blutsbrüder in Israel wieder einander begegnen, ist der schnapssüchtige Straßenkehrer für Lews vitalistische Botschaft noch empfänglicher als zu Gymnasialzeiten. Was die Klassenkameraden frühzeitig "Lewkianismus" nannten, ist die außermoralische Lebensform eines Raubmenschen. Nietzsches Philosophie vom Leben, das "wesentlich Aneignung, Verletzung, Überwältigung des Fremden und Schwächeren" sei, hat Lew sich zu Eigen gemacht und als Freibrief für Übergriffe interpretiert. Sokolow aber hält der intelligenten und charmanten Bestie seit achtundzwanzig Jahren die Treue.

In Tel Aviv führt der Erfolgsmensch dem aus Ängstlichkeit prinzipienfesten, aus Bequemlichkeit rechtschaffenen Ingenieur vor Augen, dass Lews mafioser Werterelativismus auch in der sokolowschen Seinsweise angelegt ist. Die blinde Anhänglichkeit an den fünfzehnjährigen Wunderknaben entpuppt sich drei Dekaden später als die Bereitschaft, das schlechte Gewissen gegen ein ethisch verwerfliches, aber durch und durch konsequentes Leben einzutauschen. Bevor jedoch die Verschmelzung der beiden Imperative abgeschlossen und Sokolow ein Werkzeug des Bösen geworden ist, bewahrt die plötzliche Sehnsucht nach orthodoxer Glaubenslehre den Renegaten vor Tod und Höllenpein.

Dem Kriminalroman "Sokolows Universum" liegt ein mit mittelalterlicher Beharrlichkeit durchgeführter Heilsplan zugrunde, den die zahlreich zitierten Kabbalisten nicht stringenter hätten ersinnen können. Am Ende triumphiert das schwache, verführbare, geläuterte Individuum über den allgegenwärtigen Satan, der eben doch nur ein "Schauspieler, Betrüger und Spieler" zum höheren Lobpreis Gottes gewesen ist. Im Happyend erteilt Leon de Winter seiner Hauptfigur die Generalabsolution für alle Vergehen. Milch und Honig werden Alexander Sokolow fortan beständig fließen, Frau, Freundin und Tochter ihn unablässig liebkosen.

Zu schön, um glaubhaft zu sein, mutet die Fabel von der wundersamen Errettung an, doch Vielschreiber de Winter, der seit 1976 durchschnittlich alle sechzehn Monate ein neues Werk vorgelegt hat, opfert einem besänftigenden Schluss gerne die psychologische Stimmigkeit. Am Ende überfordern die Polaritäten zwischen den Protagonisten und deren widerstreitenden Maximen, die zuvor teils flüssig entwickelt, teils mühevoll herbeikonstruiert worden sind, ihren Schöpfer. Den hohen Aufwand, mit dem de Winter die Geschichte einer trügerischen Freundschaft zum Kampf um des Menschen Seele geweitet hat, lässt der konventionelle Epilog rückblickend als Wortgeklingel erscheinen. Die moralische Tendenz des Bruderzwists im Hause David, der Kern des Handlungsgefüges, wird so massiv beschädigt.

Leider haben stilistische Nachlässigkeiten schon zuvor die Ernsthaftigkeit eines ehrenwerten Unterfangens beschädigt, weshalb der enttäuschende Schluss nicht überraschen kann. Dass Sokolows Freundin erst Tanja Hirschfeld, dann Tanja Hirschberg heißt, mag der Tücke des Objekts geschuldet sein. Die monotone Kargheit weniger, immergleicher und bestürzend aussageschwacher Verben hingegen deutet auf einen Mangel an Sprachkraft hin, auf das schwarze Loch in de Winters schlauem Universum.

ALEXANDER KISSLER

Leon de Winter: "Sokolows Universum". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Sibylle Mulot. Diogenes Verlag, Zürich 1999. 434 S., geb., 39,90 DM.

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"Es gibt gute Einfälle, aber vor allem wird subtil, genau, so spannend wie gebildet erzählt. Es wird hochkomplex am Schluß, De Winter zeigt uns, daß er mit den Mitteln des Thrillers souverän umzugehen im Stande ist. Diese Kunst schließt genaue Arbeit mit ein. De Winter hat sich mit der Kabbala und mit Waffensystemen beschäftigt, mit Mafiastrukturen, Philosophie, Physik und Zeitgeschichte, mit Psychologie und Drogenkarrieren. Er ist ein Zeichner in Worten, mit wenigen Ausdrücken sind seine Figuren konturiert, die Darstellung der Szenen spricht alle Sinne an." (Frankfurter Rundschau)