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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2002

Tödlich ist mein Schmerz
Javier Cercas’ großer Roman vom Spanischen Bürgerkrieg
Vom Spanischen Bürgerkrieg berichten viele Lieder. Zu ihm gehören die letzten Heldengesänge homerischen Zuschnitts. Lange Zeit wirkte er nach: Von Ernest Hemingway über Hans Magnus Enzensberger bis zu Stephan Hermlin, der sein poetisches Amt dadurch erhöhte, dass er sich als Spanienkämpfer ausgab (der er nie war), wurden die Schriftsteller nicht müde, den Mythos der Internationalen Brigaden zu erzählen. Heute ist er verblasst. Nach der Abdankung der Götter und Halbgötter der Geschichte waren auch die Sänger müde geworden. Vielleicht waren sogar die Wunden müde geworden. Ob sie sich auch müde schlossen? Blieben die Wälder, Gebirge, Steppen und Städte, in denen zwischen 1936 und 1939 rund fünfhunderttausend Menschen den Tod fanden.
In einem anderen Fall, dem amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 bis 1865, hat es sieben Jahrzehnte gedauert, bis mit Margaret Mitchells Roman „Vom Winde verweht” ein Epos entstand, das die gespaltene Nation zur großen sentimentalen Lesergemeinde vereinte. Ganz anders, nicht als dickleibiges und zu Tränen rührendes Epos, sondern als bescheidene „Erzählung nach der Wirklichkeit” - im doppelten Sinn der Präposition -, kommt aus dem zeitlichen Abstand von rund sechs Jahrzehnten das Buch über die „Soldaten von Salamis” daher. Seinem Autor, dem auch in Spanien bis zum vorigen Jahr noch unbekannten, dann mit einem Schlag berühmt gewordenen Schriftsteller, Zeitungspublizisten und Literaturdozenten Javier Cercas, ist dennoch ein unerwarteter und unkalkulierbarer Treffer in die Seele des Publikums gelungen: Fast zu viel Aufregung um ein einziges Buch, zweihunderttausend verkaufte Exemplare, Übersetzungen in fünfzehn Sprachen, und die demnächst in die Kinos kommende Verfilmung des Stoffes zeugen davon.
In den Schulranzen gefallen
Das ist ein um so erstaunlicheres Phänomen, als die Erinnerung an den Bürgerkrieg, der für Spanien erst mit dem Tod des Diktators Francisco Franco im Jahre 1975 endete, in der dortigen Literatur bislang allenfalls am Rande erschien – oder erscheinen durfte. Die wenigen Ausnahmen, Rafael Chirbes und Jorge Semprun zum Beispiel, erzielten ihre Wirkungen eher auf dem internationalen als auf dem einheimischen Parkett. In Spanien war die Zustimmung der alten Mächte zu einem reibungslosen Übergang von der Diktatur zur Demokratie durch einen Pakt des Vergessens erkauft worden. Das Buch von Javier Cercas hat ihn jetzt erstmals durchbrochen.
Der sensationelle Erfolg besticht um so mehr, als es sich bei diesem Buch um keine Schmonzette, keinen Historienschinken, sondern um eine reichlich verzwickte Erzählung handelt: Ganz so entropisch wie das Leben (und das Sterben) reflektiert sie ihre eigene Entstehungsgeschichte gleich mit und zeichnet sie minutiös auf: „Soldaten von Salamis” ist der Roman einer Recherche mit den Mitteln des Journalismus und der Philologie, oder – anders gewendet – die Recherche eines Romans, der sich als journalistische Reportage tarnt und das fiktive Protokoll seiner mit allen methodischen Wassern der Text- und Überlieferungskritik gewaschenen Nachforschungen im Dickicht von Spaniens verdrängter Vergangenheit zur meisterhaften Erzählung gestaltet. Sie fließt wie aus leichter Hand und setzt doch ganz auf die geschilderte Obsession des Erzählens. Alle Ironie hält sie zurück, so dass es ganz am Leser ist, ihren Haushalt zu regulieren.
Soldaten von Salamis? Das ist nicht Salamanca, sondern die einst griechische Insel vor der Küste Afrikas, in deren Sund jene antike Seeschlacht tobte, deren Kunde uns die Schulbücher überbrachten. Nur zur Erklärung seiner Distanznahme, die dem 1962 gebürtigen Autor gewissermaßen in den Schulranzen gefallen ist, entrückt der Titel das Geschehen in beinahe homerische Zeiten. Er will damit sagen, dass Spaniens Bürgerkrieg für die Angehörigen dieser Generation heute weit, sehr weit entlegen ist, so weit weg wie Salamis. Der Erzähler – ein fiktiver Namensvetter des Autors –, ein verhinderte Schriftsteller, aber bestallter und von seiner Redaktion gelegentlich freigestellten Journalist, reguliert seine Schreibblockaden auch einmal über Monate hinweg sitzend, starrend, „heulend vor dem ausgeschalteten Fernsehapparat”. Alles begann mit einem Zeitungsartikel zum sechzigsten Jahrestag des Todes eines Dichters, der die rechtmäßige Sache der Republikaner verfochten hatte: Eine traurige Geschichte und „von allen Geschichten der Geschichte”, sei sie „wohl eine der traurigsten” gewesen.
Aber etwa zur gleichen Zeit spielte sich noch eine andere Geschichte ab, eine kleine Episode am Rande des Bürgerkriegs, nicht weniger grausam und nicht weniger traurig, auch wenn ihr zweideutiger Held ein anderes Ende nahm: In den letzten Kriegstagen, als die Sache der Republik längst verloren war, fiel den Regierungstruppen auf ihrem Rückzug eine Reihe gegnerischer Parteigänger in die Hände, die zu Opfern einer Massenerschießung werden sollten. Unter ihnen war auch der Dichter und prominente Mitbegründer der faschistischen Falange Rafael Sánchez Mazas, der seine Hinrichtung allerdings überlebte und sich im Walde verkroch. Als Soldaten das Waldstück durchkämmten, blickte Mazas plötzlich einem seiner Häscher in die Augen und in den Gewehrlauf. Der Soldat aber drückte nicht ab, und auf die Zurufe seiner Kameraden antwortete er: „Hier ist niemand!” Dann ging er davon.
Mazas, der künftige Minister in Francos Kabinett, ein Herrenreiter, kein großer, aber auch kein ganz schlechter Poet, lebte bis zum Jahr 1996 und starb enttäuscht von der Politik und gelangweilt vom Leben. Seine Geschichte hatte er oft erzählt. Aber was war daran wahr, und wieviel Versionen gab es?
Der fiktive Zeitungsartikel mit der Überschrift „Ein notwendiges Geheimnis” enthält die Poetik eines Mikroromans: „Mir kam der Gedanke”, so protokolliert der Erzähler, „daß die Symmetrie oder vielmehr der Gegensatz zwischen diesen beiden schrecklichen Ereignissen – gleichsam ein historischer Chiasmus – vielleicht nicht zufällig war, und daß, wenn es mir gelänge, sie ohne Verlust in einem Artikel zusammenzubringen, ihre merkwürdige Parallelität ihnen möglicherweise eine ganz neue Bedeutung verleihen könnte.” Aus dem Artikel entsteht der Roman, und angetrieben von Leserbriefen und Interviews mit neuen Informationen, beginnt die Recherche: Der Erzähler macht sich „auf die Suche nach der Bedeutung eines Blickes und eines Rufes im Walde” und stößt auf eine unendlich traurige Melodie, die an allen Stationen wiederkehrt und auch dem Leser nicht mehr aus dem Kopfe geht: Sie heißt Suspiros de Espana, es ist ein alter Pasodoble, auf den sich doch ganz vergnügt tanzen läßt, und sie hat auch einen Text und einen Refrain: „Ach, wie tödlich ist mein Schmerz, / muß ich Spanien, dich verlassen, / entreißt man mich dem Rosengarten.”
Spiel mir das Lied vom Tod: Im letzten Teil des Romans führt diese kleine Melodie, die auch die Komposition und den Rhythmus des Romans dirigiert, den Erzähler zu seinem lange gesuchten eigentlichen Helden, der, anders als Sánchez Maza, ein geborener Anti-Held ist. Dieser alte, von Narben übersäte und von der Mitwelt vergessene Haudegen, der nach dem Bürgerkrieg als Fremdenlegionär die Schlachten des Zweiten Weltkriegs gefochten hatte und der ein klein wenig an den Dichter Blaise Cendrars erinnert, weiß als einziger um das Geheimnis jenes Augenblicks, der Sánchez Maza damals das Leben rettete, denn er war in den Wäldern dabei. Das Unerklärliche zu erklären, gehört freilich nicht mehr zum Journalismus und auch nicht zur Historiographie, sondern ist Sache der Kunst. Dazu muss man nur verstehen, den Melodien zerkratzter Langspielplatten zu lauschen. Die Botschaft des alten, traurigen, aber stets mit Freude getanzten Pasodoble lautet: Vorwärts, immer vorwärts – aber im Kreise.
VOLKER BREIDECKER
JAVIER CERCAS: Soldaten von Salamis. Roman. Aus dem Spanischen von Willi Zurbrüggen. Berlin Verlag, Berlin 2002, 223 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2002

Soldaten von Salamis
Javier Cercas und die Geschichtslektionen des neuen Romans

MADRID, im August

Manche Romane erzählen ihren Stoff so, wie man Konserven aufbaut: ein Ding nach dem anderen, bis die Sache halbwegs in der Reihe steht. Noch heute beherrscht die realistische Erzählweise, eine Errungenschaft der bürgerlichen Epoche, die Szenerie, und immer wieder hat sie gewichtige Themen wie Krieg oder Revolution vor sich her gerollt. Die brikettschweren Werke von Leon Uris, um das untere Ende der Skala nicht zu vergessen, haben mit dürftigstem Kunstwillen die Befreiungskämpfe dieser Welt in Millionen von Haushalten getragen.

Für anspruchsvollere Gemüter war diese Form jedoch längst so passé wie der politisch-historische Roman selbst. Die literarischen Modernisten von Virginia Woolf bis zu Heimito von Doderer hatten die voraussetzungslose Gutgläubigkeit durch hohes Formbewußtsein und raffinierte Verrätselungsstrategien erledigt. Sie stellten den Erzählvorgang selbst unter Verdacht und versuchten zu zeigen, welcher Zusammenhang zwischen dem Stoff und seiner Darstellungsweise besteht. Und dieser Zusammenhang war, wie so vieles in der Kunst, oft kompliziert.

Einer der leuchtenden Vertreter der amerikanischen Moderne, William Faulkners Roman "Absalom, Absalom!" (1936), spiegelt das erkenntnistheoretische Problem, das sich die Figuren des Romans stellen, so wirkungsvoll in der Erzählform, daß uns am Ende der Kopf summt. Was, so fragen wir uns, ist auf den Buchseiten wirklich geschehen? Wir blättern zurück, halten die Einzelteile prüfend nebeneinander und tun genau das, was Faulkner mit seinen unerhörten Bandwurmsätzen wohl anstrebte, nämlich daß wir den Zusammenhang zwischen Rekonstruktion und Erfindung erkennen. Daß wir begreifen: Ob Landesgeschichte oder private Geschichte, die Versuche der Entschlüsselung überziehen die fernen Ereignisse mit einem Gewebe aus Mutmaßung und Fiktion, das meist aus der Hand der Deuter stammt. Diese Erkenntnis verbindet sich in der Phantasie untrennbar mit der Erinnerung an die Stunden, die es gekostet hat, den Roman "Absalom, Absalom!" zu durchpflügen.

Doch auf Faulkner ist längst der Staub der Bibliotheken gefallen. Zu lang, zu mühsam, denken jüngere Leser, wenn sie den Meister nicht gerade im Literaturseminar durchnehmen. Und selbst an den Universitäten müssen sich die Dozenten wohl einiges einfallen lassen, um diesen kapitalen Schriftsteller, der die internationale Autorenschar von Camus bis García Márquez das Staunen gelehrt hat, den Studenten zu "vermitteln".

Die heutige Zeit wählt ein anderes Förmchen. Unter dem Dach des gehobenen literarischen Romans ist Platz für alles, auch das abseitigste Schicksal der politischen Zeitläufte. Gerade daß es abseitig oder noch nie dargestellt worden ist, verleiht ihm in einer Epoche "dezentrierender" Sichtweisen seine Würde. Vor dem bloßen Umstand des Außergewöhnlichen verblaßt auch die Unterscheidung zwischen tatsächlicher und erfundener Geschichte. Die Diskussionen, die Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser" und Günter Grass' Novelle "Im Krebsgang" ausgelöst haben, machen eine Schlußfolgerung unabweisbar: Zustimmung oder Ablehnung hängen weniger davon ab, wie jemand eine Geschichte erzählt und was sie ästhetisch taugt. Sondern davon, wie der Autor heißt und wann und warum er sein Thema wählt.

Strategien des Schreibens

Damit verläßt die Debatte das Terrain der Literaturkritik. Tatsächlich hat die Rezeption der genannten Bücher gezeigt, daß es nicht um literarische Qualität ging (die sich in beiden Fällen in Grenzen hält), sondern eher um Aussageabsicht und ein unterstelltes ideologisches Kalkül. Dem Autor Bernhard Schlink etwa wurde von englischen Kritikern vorgeworfen, er schlage sich durch seine mitfühlende (lies: apologetische) Schilderung einer KZ-Wächterin auf die Seite der nationalsozialistischen Täter; bei Grass stand das zum singulären "Tabubruch" erklärte Wagnis im Vordergrund, als approbierter Linker und diesseits der Vertriebenenverbände von den deutschen Zivilopfern im Zweiten Weltkrieg zu reden.

Jetzt ist abermals ein schlankes Werk herausgekommen, das man unter "Revisionen und Rekonstruktionen" einsortieren könnte, "Soldaten von Salamis" (Berlin Verlag), und eben weil das Buch gut gemacht und angenehm zu lesen ist, lohnt sich ein genauerer Blick auf seine Strategien. Der Autor, Javier Cercas, ist ein Spanier aus der Extremadura, geboren 1962, und bis zu diesem Buch, dessen Original im vergangenen Jahr erschien, war er der weitgehend unbekannte Verfasser zweier Romane und eines Erzählbandes. "Soldaten von Salamis" stellte diesen Lebenslauf auf den Kopf. Das Buch verkaufte sich über zweihunderttausendmal, erhielt vier spanische Literaturpreise und wird soeben verfilmt. Cercas ist ein berühmter Mann geworden, und wenn es jüngst in Spanien außerhalb der Popbranche ein Rezeptions- und Verkaufsphänomen gab, dann zweifellos dieses Werk, das sich nicht "Roman" nennt, sondern "Erzählung nach der Wirklichkeit".

"Soldaten von Salamis" umkreist und beschwört auf 220 Seiten eine einzige Episode: den Augenblick, als der Dichter der extremen Rechten und Theoretiker der "Falange", Rafael Sánchez Mazas, kurz vor dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs von den Republikanern erschossen zu werden droht - und aus unerfindlichen Gründen verschont wird. Ein Milizionär, der den vor dem Erschießungskommando Geflohenen im regennassen Unterholz entdeckt, drückt nicht ab, sondern sieht Sánchez Mazas einige Sekunden an, ruft "Hier ist niemand!", dreht sich um und geht davon. Achtundvierzig andere liegen tot im Schlamm; der Dichter aber überlebt.

Der Vorfall ist historisch verbürgt. Als der Erzähler (der einige Züge mit dem Autor Javier Cercas teilt) davon zum erstenmal hört, ist er wie elektrisiert und beginnt bei Zeitzeugen mit Nachforschungen. Je mehr er erfährt, desto stärker macht sich im Zentrum der Geschichte ein blinder Fleck bemerkbar: Der republikanische Milizionär, der den Abzug seines Gewehrs an jenem Tag nicht betätigte und dem Chefideologen der "Falange" das Leben rettete, bleibt lange Zeit unauffindbar. Da führt eine letzte Reise den Erzähler in ein französisches Altersheim, wo ein narbenübersäter Exil-Republikaner, der Held zahlloser Schlachten, seinem anonymen Ende entgegensieht. Von diesem Mann, der bei der Erschießung dabei war, hofft der Erzähler das entscheidende Wort zu hören, die "Wahrheit" über den Fall Sánchez Mazas. Was das Buch jedoch daraus macht, ist eine Pathetisierung des Soldatenlebens, derer wohl nur eine Generation fähig ist, die selbst keinen Krieg erlebt hat.

Eine Straße in Bilbao

Das Pathos wird in kleinen Dosen verabreicht, Schweres und Leichtes sind locker gemischt. Daß Javier Cercas bei alledem nicht mit Kalendersprüchen zum Handwerk des Schreibens spart, mag auf die Leser sympathisch wirken: Hier predigt nicht jemand vom Olymp auf sie herab, sondern übt noch, so wie andere das Schreinern oder den Bauchtanz üben. Indem es den Schreibvorgang zum Thema macht, handelt das Buch auch von seiner eigenen Entstehung: wie ein Journalist, der sich zur Literatur berufen fühlt, von einem Thema ergriffen wird, wie er recherchiert, Rückschläge erleidet und schließlich nach vielen Mühen an einem ganz anderen Punkt als dem erwarteten ankommt. Das spielt aber keine Rolle, denn das Buch, dessen Fertigstellung wir beim Lesen zugesehen haben, ist genau das, welches wir jetzt gedruckt in Händen halten. Hübsch, denkt man und möchte in die Hände klatschen, was für ein sauberer kleiner Zirkel. Fast wie bei Proust, nur daß sich dies spanische Büchlein zu seinem fernen Vorbild ungefähr so verhält wie ein Papierflieger zum Jumbojet.

Dieser Zug ins Leichte, ja Niedliche wurde dem Werk von niemandem angekreidet, im Gegenteil. Die Umschlagklappe zitiert nicht nur die euphorischen Urteile der spanischen Tageszeitungen, sondern auch den Romancier Mario Vargas Llosa, der ein "großartiges Buch" gelesen haben will. Wo es dokumentarisch auftritt, hat es zumindest eine nicht ganz alltägliche Geschichte zu bieten. Nachdem er so überraschend verschont worden ist, übersteht Sánchez Mazas mit Hilfe einer untergetauchten Gruppe von Republikanern, den "Freunden des Waldes", neun lange Wintertage, bevor die Nationalisten anrücken und ihn aus seiner Lage befreien. Mit dem Sieg der Franco-Militärs kommt auch sein kurzer Triumph. Eine Zeitlang dient er dem "Generalísimo" als Minister. Dann beginnt die Ernüchterung, und irgendwann wendet sich der Poet von der Politik, die er mit der klingenden Waffe seiner Verse so glühend herbeigeschrieben hat, angewidert ab. Er stirbt 1966, "ein guter, aber kein großer Schriftsteller", und irgendwo in Bilbao ist eine Straße nach ihm benannt.

Der immense Erfolg dieses Buches birgt ein Rätsel. Was immer der Spanische Bürgerkrieg für die Spanier heute ist, man wird ihn kaum als Bestsellerstoff bezeichnen. Ein Aufarbeitungsroman wie "Der lange Marsch" von Rafael Chirbes konnte in Deutschland zu einem erfolgreichen Titel werden, in Spanien relativiert sich seine Bedeutung: So genau wollte man es denn doch nicht wissen mit der Franco-Zeit und den faulen Kompromissen zwischen den Generationen. Manche in Spanien sagen immer noch, die Amnestie nach dem Tod des Diktators sei mit der Amnesie aller Beteiligten erkauft. Deshalb spricht alles dafür, daß ein aufrichtiges, unbequemes Werk zu diesem Thema nur auf wenig Beifall rechnen kann.

Was also begründet den Erfolg von Javier Cercas? Womöglich ja die Art, wie die traumatische Erinnerung an den Spanischen Bürgerkrieg geweckt und im selben Zug anästhesiert wird. Wie sich eine Geschichte von Hunger, Unterdrückung und Sterben in ein Puzzlespiel verwandelt, über das sich heutige Leser beugen, als säßen sie im Kinderzimmer, nicht nur dem Handeln der damaligen Akteure entrückt, sondern auch jeder historischen Verantwortung enthoben, Zeugen eines raffinierten literarischen Kunststücks. Nicht von ungefähr ist ein alter Paso doble, der in mehreren Schlüsselszenen getanzt wird, ein zentrales Motiv des Buches: Die traurige Musik verbindet Sieger und Besiegte. Und zeigt nicht die Geschichte des Rafael Sánchez Mazas, daß die Opfer des Bürgerkriegs mal auf der einen, mal auf der anderen Seite zu finden waren?

Es ist an diesem Punkt, daß Zeitgeschichte aufhört zu schmerzen und ins wohlig Pittoreske abgleitet. Mit dem Buch "Soldaten von Salamis" ist das Thema des Spanischen Bürgerkriegs, über dessen Marginalisierung sich spanische Historiker die Haare raufen, zur gehobenen Sentimentalisierung freigegeben. Die Genehmigung wurde von der Literaturkritik erteilt.

PAUL INGENDAAY

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